• Keine Ergebnisse gefunden

Hexenverfolgung multiperspektiv – fachwissenschaftliche Zugangsweisen

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 137-145)

Der Geschichte im Umkreis des Themas Reformation kommt eine hochgradig identitätsbildende Funktion zu, insofern als es in diesem Fall gerade die Ge-schichte ist, die über Legitimität bzw. Delegitimität »urteilt«.4 Reformations-geschichte ist in diesem Sinne auch Identitätspolitik. Dies eröffnet für den Geschichtsunterricht eine besonders gute Gelegenheit, den Zusammenhang zwischen Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftserwar-tungen beim Erzählen von Geschichten deutlich zu machen. Geschichten werden 4 Vgl. dazu Bernhard und Hinz in diesem Band.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

immer auf eine bestimmte Weise erzählt, um Orientierung in der Gegenwart und für das Handeln in der Zukunft zu ermöglichen. So werden Geschichten im Themenkreis der Reformation–wie beispielsweise die Geschichte der Hexen-verfolgungen–auch in unterschiedlichen Perspektiven rekonstruiert und diese unterschiedlichen Perspektiven sollten in einem Schulbuch Berücksichtigung finden, da nur so die Orientierungsleistung, die verschieden erzählte Geschichten beinhalten, reflektiert werden kann.5Welche Möglichkeiten, Multiperspektivität zu verwirklichen, sich in Schulbüchern im Zusammenhang mit dem Thema Hexenverfolgungen prinzipiell bieten würden, um damit die Entwicklung eines reflektierten und (selbst-)reflexiven Geschichtsbewusstseins potenziell zu er-möglichen, wird in der Folge anhand einer »aufgerauten«6, auf fachwissen-schaftlichen Beiträgen beruhenden Darstellung des Themenkomplexes gezeigt.

Dabei werden bewusst Quellen zitiert und auch längere direkte Zitate aus der Sekundärliteratur angeführt, um diese potenziell für den Unterricht und die Schulbuchgestaltung nutzbar zu machen.

Hexenverfolgungen sind »ein Stück großer Unrechtsgeschichte der frühen europäischen Neuzeit«7und lassen sich aus heutiger Sicht in die großen Verir-rungen in der Geschichte der Menschheit einreihen. Die Verfolgung sogenannter Hexen bzw. Hexer ist–wahrscheinlich konträr zum kollektiven Bewusstsein zu diesem Thema–vorrangig kein Phänomen des Mittelalters, sondern der Frühen Neuzeit und, was vielen Menschen noch weniger bewusst sein dürfte, der Zeit-geschichte und der Gegenwart. Möglicherweise fanden in der zweiten Hälfte des 20. und im 21. Jahrhundert mehr Tötungen von angeblichen »Hexen« statt als während der ganzen Epoche des sogenannten »Hexenwahns«, die sich von 5 Nicht nur im Geschichtsunterricht auch im Religionsunterricht spielt Kirchengeschichte eine Rolle. Obwohl beklagt wird, dass in diesem Zusammenhang der Kirchengeschichte noch nicht der notwendige Raum eingeräumt wird (vgl. Godehard Ruppert, »Kirchengeschichte, das Stiefkind des Religionsunterrichts. Fünf Thesen gegen den Trend«, in: Hans Mendl und Markus Schiefer Ferrari (Hg.),TraditionKorrelationInnovation. Trends der Religionsdi-daktik in Vergangenheit und Gegenwart, Donauwörth: Auer, 2001, 321326), gibt es zahlreiche Publikationen im Bereich der Kirchengeschichtsdidaktik diesbezüglich. Beispielshaft seien hier nur einige wenige Beiträge angeführt: Godehard Ruppert, Harald Schwillus und Kon-stantin Lindner,Die Kirchengeschichte im Religionsunterricht, Würzburg: Katholische Aka-demie Domschule, 2008; Godehard Ruppert,Geschichte ist Gegenwart. Ein Beitrag zu einer fachdidaktischen Theorie der Kirchengeschichte, Hildesheim: Bernward Verlag, 1984; Hans Mendl, »Historische Gestalten als Vorbilder im Religionsunterricht?«, in:rhs Religionsun-terricht an höheren Schulen45, 5 (2002), 268–276; Thomas Kaufmann und Antje Roggenkamp,

»Blickkontakte zwischen Kirchengeschichte und Religionspädagogik«, in: Martin Rothgangel und Edgar Thaidigsmann (Hg.),Religionspädagogik als Mitte der Theologie? Theologische Disziplinen im Diskurs, Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2005, 217–227.

6 Rolf Schörken, »Das Aufbrechen narrativer Harmonie. Für eine Erneuerung des Erzählens mit Augenmaß«, in:Geschichte in Wissenschaft und Unterricht48 (1997), 727–735, 731.

7 Ernst Walter Zeeden, »Frühe Neuzeit«, in: Reinhard Elze und Konrad Repgen,Studienbuch Geschichte. Eine europäische Weltgeschichte, Bd. 2, Stuttgart: Klett-Cotta, 2003, 1–173, 122.

ca. 1560 bis 1630 erstreckte. In den letzten Jahrzehnten kam es insbesondere in Afrika, Asien und Lateinamerika zu Tausenden von Morden an vermeintlichen Hexen im Zuge teilweise endemischer Hexenverfolgungen.8

Die Zeit der legalen Hexenverfolgungen in Europa begann um 1430 und en-dete um 1780. Ab ca. 1400 entwickelten sich, aufbauend auf Vorstellungen aus vorchristlicher Zeit, die elaborierten Hexenvorstellungen, die dann zu den gro-ßen Verfolgungswellen der Neuzeit führten. Der europäische Hexenglaube be-ruht auf germanisch/heidnischen Wurzeln, was auch ein Grund dafür ist, dass nationalsozialistische Propagandisten sich mit Interesse dem Thema gewidmet haben.9Schon in vorchristlicher Zeit bestand vom Mittelmeer bis nach Irland die Vorstellung, dass Hexen in der Nacht fliegen, Blut trinken, Babys töteten etc. Der mit dem Hexenglauben verbundene Zauberglaube »dürfte bei den meisten, wenn nicht allen vorindustriellen Gesellschaften verbreitet gewesen sein.«10 Früh-christliche Missionare waren demgegenüber davon überzeugt, dass es keine Hexen gab, und sahen im Glauben an Hexen eine »heidnische Verwirrung«.

Herrscher von sich dem Christentum zuwendenden Königreichen wurden von Vertretern der Kirche aufgefordert, Gesetze zu erlassen, welche Männer und Frauen vor Anschuldigungen der Hexerei aus dem Volk zu schützen imstande sind. Auf der ersten Synode von St. Patrick im Jahr 457 wurde der Glaube an Hexen und die Beschuldigungen in Bezug auf Hexerei sogar unter Strafe ge-stellt.11 So warnten in einem Rundbrief an den irischen Klerus die Bischöfe Isernius, Patricius und Auxilius, dass alle, die an Hexen glaubten, oder andere der Hexerei bezichtigten, mit dem Kirchenbann belegt seien bzw. nicht in die Kirche aufgenommen werden könnten:

Ein Christ, der glaubt, dass es in der Welt so etwas wie Vampire gibt, das heißt Hexen, soll mit dem Bann belegt werden. Wer eine lebende Seele auf diese Weise in Verruf

8 Vgl. dazu die offizielle im Auftrag des UNHCR verfasste Studie von Jill Schnoebelen, »New Issues in Refugee Research. Research Paper No. 169. Witchcraft allegations, refugee protec-tion and human rights: a review of the evidence«, 2009, http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/

vtx/home/opendocPDFViewer.html?docid=4981ca712, zuletzt geprüft am 15. Mai 2017. Seit der Unabhängigkeit Indiens seien allein an der Westküste des Landes mehrere tausend Menschen Hexenverfolgungen zum Opfer gefallen, in Tansania gab es in der Zeit von 1970 bis 1984 mehr als 3300 Opfer. 1977 schwappte eine Verfolgungswelle über die Volksrepublik Benin und diese Liste könnte noch lange weitergeführt werden. Wolfgang Behringer,Hexen.

Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München: Beck, 4. Auflage 2005, 72ff. und 110.

9 Siehe dazu den letzten Abschnitt dieses Beitrags.

10 Rainer Decker,Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition, Darm-stadt: Primus Verlag, 2. überarbeitete Auflage 2013, 12.

11 Vgl. dazu auch Henry Ansgar Kelly,The Devil, Demonology, and Witchcraft: Christian Beliefs in Evil Spirits, Eugene, Oreg.: Wipf&Stock Publishers, 2004, 52; Andrew Sneddon,Witchcraft and Magic in Ireland, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015, 14.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

bringt, soll nicht wieder in die Kirche aufgenommen werden, bis er mit seiner eigenen Stimme widerruft und das Verbrechen, dass er damit begangen hat, wiedergutmacht.12 Einige Jahrhunderte später, ca. im Jahr 782, erließ Karl der Große ein Gesetz für das eroberte Sachsen–die Capitulatio de partibus Saxoniae.Darin wurde die germanische Auffassung, dass Hexen und Hexer getötet werden müssten, als teuflisch gebrandmarkt:

Wenn jemand, nach Art der Heiden, getäuscht durch den Teufel, glauben würde, dass irgend ein Mann oder eine Frau eine »striga« [=Hexe] sei und Menschen verzehre, und sie deswegen verbrenne […], wird mit der Todesstrafe bestraft werden.13

Während die offizielle Kirche die erzwungene Christianisierung und die von Karl dem Großen durchgeführten Zwangstaufen in Sachsen im Rahmen seiner

»Schwertmission« missbilligte, war man sich mit der Ablehnung von–zu dieser Zeit noch äußerst selten durchgeführten–Hexenverbrennungen durchaus einig.

Einige Jahrhunderte später, im Jahr 1080, rügte (der auch aus Schulbüchern bekannte) Papst Gregor VII. den König von Dänemark:

Außerdem glaubt nicht, Ihr dürftet Euch gegen Frauen versündigen, die aus dem gleichen Grund [wie andere, die für Unwetter, Stürme und Krankheiten verantwortlich gemacht wurden] mit ebensolcher Unmenschlichkeit nach einem barbarischen Brauch abgeurteilt werden. Sondern lernt vielmehr, durch Buße das göttliche Strafurteil, das Ihr verdient habt, abzuwenden, anstatt den Zorn Gottes noch mehr herbeizurufen, indem Ihr über jene unschuldigen Frauen Verderben bringt.14

Die germanischen Elemente des Hexenglaubens setzten sich im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts im christlichen Europa weitgehend durch. In diesem Zusam-menhang verbreite sich auch der Glaube an die Möglichkeit von Schadenszauber, Hexenflug und Hexensabbat unter den Menschen. Im 15. Jahrhundert gab es erste, noch kleinere Verfolgungswellen. So wurde in einem Luzerner Strafprozess im Jahr 1419 auch erstmals der Begriff »Hexerey« verwendet.15Bekannt und in den meisten Schulbüchern erwähnt ist in diesem Zusammenhang der im Jahr 1487 publizierteHexenhammer, ein Buch des im Deutschen Reich tätigen In-quisitors Heinrich Institoris (Kramer), der sich als Hexenjäger inszenierte. In 12 Übersetzung des Verfassers. Original: »A Christian who believes that there is such a thing in the world as a vampire that is to say, a witch, is to be anathematizedanyone who puts a living soul under such a reputation; and he must not be received again into the Church before he has undone by his own word the crime that he has committed.« Zitat in: Angela Bourke,The Field Day Anthology of Irish Writing, Bd. 4, New York, NY: New York University Press, 2002, 171.

13 Decker,Inquisition, 13; vgl. dazu auch Patrick J. Geary,Readings in Medieval History, To-ronto: University of Toronto Press, 5. Auflage 2016, 250, und Jeffrey Burton Russel,Witchcraft in the Middle Ages, Ithaca u. a.: Cornell University Press, 1972, 69.

14 Monumenta Germaniae Historica,Epistolae SelectaeBd. II/2: Gregorii VII Registrum. Berlin 2. Auflage 1955, Nr. VII, 21, 498 (lat.), zitiert nach Decker,Inquisiton, 11.

15 Behringer,Hexen, 108.

seinem Willen, die »Hexerei« vollständig auszurotten, bemühte sich Kramer, die Hexenfrage der kirchlichen Justiz zu entreißen und den weltlichen Gerichten zu übertragen. Da die Kirche nach dem Rechtsgrundsatz verfuhr, »reumütige Ersttäter« nur mild zu bestrafen, hatten der Hexerei angeklagte Personen vor einem kirchlichen Gericht »erheblich größere Überlebenschancen als vor einem zivilen«,16was nicht im Sinne Kramers war. Da das »staatliche« Recht in dieser Hinsicht kein Pardon kannte, zeitigte der Schritt der Übertragung der Recht-sprechung in Hexereifällen an die weltliche Justiz tödliche Konsequenzen auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Nach Kramer hörte die Inquisition im Reich de facto zu existieren auf,17die Zeit des manchmal als »Hexenwahn« be-zeichnete Epoche sollte allerdings erst Jahrzehnte später beginnen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts brachen massenhafte Verfolgungen von Männern und Frauen aus, wobei sich die Verfolgungsspitzen in den 1580er Jahren und zwischen 1626 und 1630 ereigneten. Dabei handelte es sich meist von Verfol-gungen, die »von unten«, also vom Volk ausgegangen sind:18

Die meisten Hexenverfolgungen–das hat die neuere Forschung klar herausgestellt– waren Resultate der Volksbegehren, die aus den Verfolgungsexporten/-importen re-sultierten. Nur wenige Obrigkeiten konnten sich diesem Druck entziehen, auch weil sie selbst im Wahn der Zeit gefangen waren.19

Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zu Hexenprozessen in Mittel und Osteuropa, in den Ländern Westeuropas wurden allerdings keine Tötungen mehr durchgeführt, obwohl es noch entsprechende staatliche Gesetze gab. Die letzte legale Hexenhinrichtung fand im protestantischen Schweizer Kanton Glarus statt und rief im Jahr 1782 europaweit Entsetzen hervor. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass in Europa während dieser drei Jahrhunderte mindestens 30.00020bis höchstens 100.000 Menschen im Zuge der Hexenverfol-gungen getötet wurden.21

16 Decker,Inquisiton, 49.

17 Ebd., 53.

18 Vgl. dazu unter anderen Johannes Dillinger,Böse Leute: Hexenverfolgungen in Schwäbisch Österreich und Kurtrier im Vergleich, Trier: Spee, 1999; Eric Midlefon, »Witch Craze? Beyond the Legends of Panic«, in:Magic, Ritual, and Witchcraft(2011), 11–33.

19 Kai Lehmann, »Hexenwahn und Hexenverfolgung als Folge der Reformation?«, in: Werner Greiling, Armin Kohnle und Uwe Schirmer (Hg.),Negative Implikationen der Reformation?

Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470–1620, Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2015, 255282, 280f.

20 Behringer, »Neun Millionen«, 683, spricht in diesem Zusammenhang von einer Untergrenze.

21 Zu den Zahlen vgl. Erik Midelfort, der für Europa von höchstens 70.000 Opfern ausgeht: Erik Midelfort, »Heartland of the Witchcraze: Central and Northern Europe«, in:History Today31 (1981); Thomas Brady geht von 40–50.000 Opfern aus: Thomas A. Brady, »Settlements: The Holy Roman Empire«, in: Thomas A. Brady, Heiko A. Oberman und James D. Tracy (Hg.), Handbook of European History, 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation,

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

Interessant für die hiesigen Ausführungen ist in diesem Zusammenhang folgendes Faktum: »Die Hälfte der Hexenverbrennungen entfällt auf die Länder auf dem Boden des heutigen Deutschland.«22 »Deutschland, so vieler Hexen Mutter«, schrieb schon der Jesuit Friedrich Spee 1631 in einer Kritik an der Hexenverfolgung. Allein auf diesem Gebiet als der »Kernregion der europäischen Hexenverfolgung«23erlagen rund 25.000 Männer und Frauen den Verfolgungen, die allermeisten davon in der nachreformatorischen Zeit. In diesem Sinne wurde die Frage gestellt, ob zwischen Reformation und Hexenverfolgungen kausale Zusammenhänge existieren. So schreibt der Historiker Brian P. Levack, der auch der Herausgeber des Oxford Handbook of Witchcraft in Early Modern Europe and Colonial Americaaus dem Jahr 2013 ist, in einem Buch:

The period during which all of this reforming activity and conflict took place, the age of the Reformation, spanned the years 1520–1650. Since these years include the period when witch-hunting was most intense, some historians have claimed that the Refor-mation served as the mainspring of the entire European witch-hunt.24

Kann man tatsächlich sagen, dass die Reformation die »treibende Kraft bei den gesamten europäischen Hexenjagden« war? Derartige monokausale Erklä-rungsmuster sind immer problematisch und so soll in der Folge der Frage nachgegangen werden, wie der Einfluss der Reformation auf die Hexenverfol-gungen in der rezenten Forschung beurteilt wird.

Luther äußerte tatsächlich häufig, dass Hexen zu töten seien, wie Kai Leh-mann 2015 in einem Buch herausgearbeitet hat, das er mit dem TitelHexenwahn und Hexenverfolgung als Folge der Reformation?25versehen hat. Auch der Re-formator Johannes Calvin drängte kurz nach seinem Einzug in Genf mit Nach-druck auf eine Ausdehnung der Hexenverfolgung.26 Die stark reformierte Schweiz war mit 4.000 Opfern neben dem Gebiet des heutigen Deutschlands eine Hochburg der europäischen Hexenverfolgungen.27Der schon erwähnte Histo-riker Levack erkennt reformatorische Aktivitäten als die wichtigste von mehreren Ursachen für die Ausweitung der Hexenverfolgungen zu einem Massenphäno-Bd. 2, Leiden: Brill, 1995, 349–385, 367. Die Zahl 100.000 findet sich noch bei Merry E.

Wiesner,Women and Gender in Early Modern Europe, Cambridge u. a.: Cambridge University Press, 1993, 219.

22 Behringer,Hexen, 60.

23 Lehmann,Hexenwahn, 255.

24 Brian P. Levack, The Witch-Hunt in Early Modern Europe, Hoboken: Taylor &Francis, 3. Auflage 2013, 110.

25 Vgl. Lehmann,Hexenwahn, 261.

26 Behringer,Hexen, 45.

27 Zu den Hexenverfolgungen im protestantischen Milieu in der Schweiz vgl. William Monter, Witchcraft in France and Switzerland. The Borderlands during the Reformation. Ithaca, London: Cornell University Press, 1976, 106–107; für die 4.000 Opfer in der Schweiz vgl. auch Behringer,Hexen, 66.

men im 16. Jahrhundert: »The most important of these changes was the Refor-mation.«28Er führt in diesem Zusammenhang aus, dass das Denken und die Predigten Luthers und Calvins in vielen Protestanten das Bewusstsein der Ge-genwart des Teufels in der Welt gestärkt hätten, was eine wichtige Voraussetzung für den Hexenwahn gewesen sei. Die Reformatoren tendierten generell dazu, diese Gegenwart der teuflischen Mächte in der Welt zu betonen, was diesbe-zügliche Ängste in der Bevölkerung vergrößert habe. Kaum einer der spätmit-telalterlichen Theologen–so Levack–habe die Macht des Teufels so allgegen-wärtig beschrieben wie Luther:29

[T]he preocupation that both reformers [Luther und Calvin] had with satanic power made many of their followers more determined to take action against witches whenever their presence became apparent.30

Hexenverfolgungen wurden auch von verbreiteten apokalyptischen Vorstellun-gen inspiriert. In diesem Zusammenhang interpretierten protestantische Predi-ger und Dämonologen die Übeltaten von angeblichen Hexen als Zeichen dafür, dass der Teufel einen finalen Angriff auf die Christenheit durchführt und die Welt in diesem Sinne ihre letzten Tage erlebte.31Auch typisch katholische Elemente wie Weihwasser, populäre Segnungen sowie die gesamte mittelalterliche katho-lische Liturgie wurden bisweilen als abergläubische dämonische Praktiken an-gesehen und der Eifer einiger protestantischer Pastoren, solche Praktiken aus-zurotten, hat möglicherweise die Ausweitung von Hexenverfolgungen begüns-tigt. Die erste größere Hexenverfolgung in der Mitte des 16. Jahrhunderts, welche die Zeit der massiven Hexenverfolgungen gleichsam eröffnete, fand in der pro-testantischen Herrschaft Wiesensteig auf der Schwäbischen Alb statt. 60 Frauen wurden dort in der Zeit zwischen 1562 und 1564 verbrannt.32Tausende sollten in den nächsten Jahrzehnten das selbe Schicksal erleiden, wobei es in den katho-lischen und von der Inquisition beeinflussten Ländern Europas nur sehr wenige Hinrichtungen von vermeintlichen Hexen gab: in Irland zwei, in Portugal sieben, in Spanien 30033–die Rolle der Inquisition in diesem Zusammenhang wird weiter unten noch thematisiert werden.

Waren Hexenverfolgungen demnach tatsächlich ein vorwiegend protestanti-sches Phänomen? Bei dieser Behauptung wird übersehen, dass der Hexenwahn im Deutschen Reich nicht nur in protestantischen Ländern, sondern in etwa

28 Levack,Witch-Hunt, 109.

29 Vgl. dazu auch Heiko A. Oberman,Luther: Man between God and the Devil, New Haven: Yale University Press, 1989.

30 Levack,Witch-Hunt, 113.

31 Ebd.

32 Behringer,Hexen, 41.

33 Zu diesen Zahlen vgl. ebd., 65f.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

gleich stark auch in den katholischen Ländern anzutreffen ist.34Die größten Verfolgungswellen im Deutschen Reich fanden zudem in katholischen Ländern statt.35Auch unter Katholiken wurde die Allgegenwart des Teufels im Verlauf des 16. Jahrhunderts im Zuge der katholischen Reform immer stärker »wahrge-nommen«. Katholische Reformer sahen im 16. Jahrhundert Amulette und andere

»abergläubische« Praktiken als auszurotten an, was Hexenverfolgungen ebenfalls begünstigte. So beantwortet auch Kai Lehmann die von ihm aufgeworfene Frage nach der Reformation als Hauptursache der Hexenverfolgungen differenziert:

»Die Reformation ist mit Sicherheit ein Puzzlestein, aber nur einer neben vie-len.«36

In der Geschichtswissenschaft wurde in diesem Zusammenhang auf eine in-teressante Auffälligkeit verwiesen: In jenen Gebieten, denen die religiöse Einheit abhandengekommen war, grassierten Hexenverfolgungen in weitaus stärkerem Ausmaß als dort, wo religiöse Einheit herrschte: »Religiosly homogenous or monolithic states generally experienced only occasional witch hunts and rela-tively low numbers of exections.«37Die besten Beispiele dafür sind die schon angeführten katholischen Länder Spanien, Italien und Irland, aber auch–und das macht die Angelegenheit interessant–die protestantischen skandinavischen Königreiche, in denen es nur zu wenigen Verfolgungen kam. In der Literatur wird auch darauf hingewiesen, dass starke weltliche Regierungen Hexenverfolgungen oft zu verhindern imstande waren.38Die Zersplitterung des Deutschen Reiches machte starke weltliche Regierungen in diesen Gebieten schwierig. Diese beiden Argumente mögen vielleicht einen Hinweis darauf geben, welche Mechanismen dazu geführt haben, dass es im Deutschen Reich zu unvergleichlichen Hexen-verfolgungen gekommen ist.

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht! Denn die Herstellung kausaler Zusam-menhänge in der Geschichte ist ein risikoreiches Unterfangen und in einem Geschichtsunterricht, in dem es um historisches Denken geht, sollte gerade dies im Blick behalten werden, um der scheinbaren Logik einfacher und vereinfa-chender Deutungsmuster entgegenzuwirken: »Pupils tend also to model causes as working in a linear, mechanical and cumulative way and to treat what hap-pened as inevitable.«39 Um solches zu verhindern, ist es notwendig, dass im Geschichtsunterricht und in Geschichsschulbüchern in Bezug auf kausale

Zu-34 Vgl. ebd., 58.

35 Vgl. Behringer,Hexen, 61.

36 Lehmann,Hexenwahn, 276.

37 Levack,Witch-Hunt, 124.

38 Vgl. Behringer,Hexen, 59.

39 Arthur Chapman, »Developing historical and metahistorical thinking in history classrooms:

reflections on research and practice in England«, in:Diálogos19, 1, (2015), 29–55, 37.

sammenhänge immer eine »gewisse Unsicherheit«40aufrechterhalten wird, denn:

»The more thoroughly and convincingly the historian explains how and why an event took place, the greater the danger that human agency will disappear into an inexorable march of impersonal, mutually determining forces.«41

»The more thoroughly and convincingly the historian explains how and why an event took place, the greater the danger that human agency will disappear into an inexorable march of impersonal, mutually determining forces.«41

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 137-145)