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Deutungsmuster zu Hexenverfolgungen in aktuellen österreichischen Geschichtsschulbüchern

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 145-155)

Corpus und Methode

Als Corpus für die vorliegende Untersuchung fungierten zehn österreichische Schulbücher, welche im Jahr 2014 zugelassen waren.42 Damit wurden rund 67 Prozent der österreichischen Schulbücher der Sekundarstufe I, in denen die Themen Reformation, katholische Reform und Hexenverfolgungen behandelt werden, in den Blick genommen.43Methodisch wurden Autorentexte, schriftliche Quellen und Darstellungstexte im Schulbuch einer Diskursanalyse unterzogen 40 Jörn Rüsen,Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik I, Göttingen: Vandenhoeck&

Ruprecht, 1983, 94.

41 Peter Seixas, »A Model of Historical Thinking«, in: Educational Philosophy and Theory (2015), 1–13, 8f.

42 Es sind dies die Lehrwerke: Alois Scheucher, Anton Wald und Ulrike Ebenhoch,Zeitbilder 3, Wien: Österreichischer Bundesverlag Schulbuch, 2013; Margot Graf, Franz Halbartschlager und Martina Vogel-Waldhütter, Mehrfach Geschichte, Linz: VERITAS, 2014; Ines Peper, Reinhard Wolf und Franz Christian Weber,Ganz klar, Geschichte 3, Wien: Verlag Jugend&

Volk, 2007; Christian Matzka, Andrea Scheichl und Karl Vocelka, ZeitenBlicke 3, Wien:

Dorner, 2010; Sven Christoffer (u. a.), Bausteine 3, Wien: Österreichischer Bundesverlag Schulbuch, 2008; Robert Beier und Ute Leonhardt,Zeitfenster 3, Wien: Ed. Hölzel, 2010; Jutta Hofer und Bettina Paireder,Netzwerk Geschichte @politik 3, Linz: VERITAS, 2012; Michael Lemberger, VG3 neu, Linz: VERITAS, 2007; Regina Schmutz, Elisabeth Monyk und Eva Schreiner,Geschichte für alle, Wien: Olympe Verlag, 2010; Helmut Hammerschmid (u. a.), Geschichte live 3, Linz: VERITAS, 2009.

43 Die Auswahl der Bücher erfolgte zufällig und richtete sich nach dem vorhandenen Schul-buchbestand an der Pädagogischen Hochschule Wien.

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und dazu erstens die dominierenden Deutungsmuster herausgearbeitet und zweitens danach gefragt, auf welchen Diskursen diese beruhen. Die Analyseer-gebnisse werden in der Folge thematisch in drei Kapiteln aufbereitet. In einem ersten Abschnitt werden Deutungsmuster hinsichtlich Ursachen und treibenden Kräfte der Hexenverfolgungen in österreichischen Schulbüchern vorgestellt. In einem zweiten Abschnitt werden Deutungsmuster hinsichtlich der Methoden von Hexenverfolgungen in Schulbüchern präsentiert. In einem dritten Kapitel, das auch als Fazit fungiert, wird danach gefragt, warum die entsprechenden Diskurse–die, und das sei hier vorweggenommen, sehr oft auf empirisch nicht triftigen Geschichten beruhen – heute in Schulbüchern vorhanden sind und welche Orientierungsbedürfnisse diese gegenwärtig zu befriedigen imstande sind bzw. im Laufe der Zeit befriedigt haben.

Deutungsmuster zu Ursachen und treibenden Kräften der Hexenverfolgungen Wie oben ausgeführt, ist Geschichte ein perspektivisches Unterfangen, und so bedarf es in Bezug auf die »Erklärung« historischer Phänomene einer »gewissen Unsicherheit«. In der Folge sei die Darstellung in dem österreichischen Schul-buchganz klarals ein gelungenes Beispiel in diesem Zusammenhang angeführt.

Schon in der Überschrift wird in Bezug auf den Hexenwahn von »vielen Rätseln für die Geschichtsschreibung« gesprochen. Danach wird explizit ausgeführt, dass –entgegen dem Namen des Schulbuches –in der Geschichtsschreibung eben nicht alles so eindeutig ist. So heißt es:

Auch die tieferen Gründe für den Hexenwahn der frühen Neuzeit sind nicht leicht herauszufinden. […] Eine wissenschaftliche Theorie besagt, dass manche der angeb-lichen Hexen Anhängerinnen alter heidnischer Kulte (z. B. der römischen Göttin Diana) waren.44

In diesem Satz verwirklicht das Schulbuch »historische Entdogmatisierung«.45Es wird von einer wissenschaftlichen Theorie gesprochen und damit implizit

»Perspektivität«46und auch der Konstruktcharakter der Geschichte thematisiert, d. h. eine Geschichte kann unter verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt bzw.

konstruiert werden. Indem von einer Theorie im Zusammenhang mit Geschichte gesprochen wird, wird diese Theorie auf andere mögliche Perspektiven auf die Vergangenheit bezogen und damit ein Spielraum von möglichen Sichtweisen 44 Peper, Wolf und Weber,Ganz klar, 30.

45 Rüsen,Vernunft, 101.

46 Zu den Strukturelementen des historischen Denkens/der historischen Erkenntnis siehe Bodo von Borries,Historisch Denken LernenWelterschließung statt Epochenüberblick, Opladen u. a.: Budrich, 2008, 172–177.

eröffnet. Im Schulbuch wird darüber hinaus auch auf die Unsicherheit der Quellenlage hingewiesen: »Die Zahl der Hexenprozesse kann nur grob geschätzt werden, da die Akten vieler Prozesse verloren gegangen sind.«47Auch hier wird Geschichte als Konstruktion bzw. »Retroperspektivität« thematisiert, indem implizit vor Augen geführt wird, dass das, was wir heute in einem Schulbuch schreiben, auf Quellen aus der Vergangenheit beruht, mit deren Hilfe diese Vergangenheit heute rekonstruiert wird. Geschichte wird dabei als »Form des Wissens« (»forms of knowledge« approach48) auf einer reflexiven Metaebene betrachtet und es wird die Frage danach gestellt, woher wir eigentlich wissen, was wir wissen.49

Die für diesen Beitrag durchgeführte Analyse der österreichischen Schulbü-cher hat aber gezeigt, dass solch differenzierte Betrachtungsweisen im Zusam-menhang mit der Darstellung der Hexenverfolgung eine Seltenheit darstellen.

Vielmehr werden jene sensationalistischen (man ist versucht zu sagen »popu-listischen«) Deutungsmuster, von denen Behringer spricht, auch in Schulbü-chern bedient. Dabei wird oft der sichere Boden empirischer Triftigkeit verlas-sen. Die treibenden Kräfte für den Hexenwahn seien laut österreichischen Schulbüchern 1) die Inquisition, 2) der Hexenhammer, 3) der Papst, die Bischöfe, Mönche und katholische Priester:

Mit dem Aufkommen der Inquisition im 13. Jahrhundert wurden Hexen und Hexer gezielt verfolgt. […] Die Grundlage für die Verfolgungen und die anschließenden He-xenprozesse bildete der Hexenhammer, der 1487 erschien. In dem Buch fand man die Anleitung, wie Hexen und Hexer ausfindig zu machen und gerichtlich zu verfolgen sind.50

Nicht nur die Inquisition hätte ab dem13. Jahrhundertdie Hexen im Sinne des Hexenhammers aus dem15. Jahrhunderts(!) »gezielt verfolgt«, auch Päpste sind laut österreichischen Schulbüchern die treibenden Kräfte des Hexenwahns:

Konkurrenz für die Kirche: Wurde eher an die magischen Kräfte von »Hexen« oder

»Zauberern« geglaubt als an die Hilfe Gottes, verlor die Kirche an Einfluss und Macht.

Der Papst, die Bischöfe und die Priester waren davon überzeugt, dass nur der Teufel diese magischen Kräfte verleihen konnte. […] Deshalb ordneten Päpste an, dass gegen diese Personen mit aller Schärfe vorzugehen sei. Es konnte jede und jeden treffen!51

47 Ebd.

48 Denis Shemlit, »The Devil′s Locomotive«, in:History and Theory22, 4 [Beiheft 22: The Philosophy of History Teaching] (1983) 1–18, 16.

49 Vgl. dazu auch das Historical Thinking Concept von Peter Seixas: »Primary Source Evidence«

aus Seixas,Model, 7.

50 Beier und Leonhardt,Zeitfenster, 26.

51 Scheucher, Wald und Ebenhoch,Zeitbilder, 34.

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Zwei Dominikanermönche verfassten 1487 ein Handbuch zur Hexenverfolgung mit dem Titel »Der Hexenhammer«, das über mehr als zwei Jahrhunderte Bestand hatte.

Darin wird genauestens beschrieben, wer als Hexe galt und wie mit ihr verfahren werden sollte.52

Die Triebkräfte des Hexenwahns sind in österreichischen Schulbüchern auf jeden Fall unter den Amtsträgern der katholischen Kirche zu finden. Eine Aus-nahme stellt ein Schulbuch dar, in dem es heißt, dass es »sowohl bei den Pro-testanten als auch bei den Katholiken«53Verfolgungswellen gab. In einem an-deren Buch wird beiläufig erwähnt »dass die meisten Hexenverfolgungen in protestantischen Ländern stattfanden«,54dennoch ist auch in diesem Schulbuch der eigentliche »Hexenwahn«–und damit die massenhafte Verfolgung–mit der Inquisition verbunden, was, wie weiter unten noch ausgeführt wird, der empi-rischen Triftigkeit entbehrt.

Österreichische Schulbücher gehen dabei zumindest nicht so weit, einen im deutschen Schulbuchdiskurs weit verbreiteten Mythos zu reproduzieren, na-mentlich die Vorstellung, dass ein Zentrum der Hexenverfolgungen das katho-lische Spanien gewesen sei.55Dies würde das simple Erklärungsmuster »Inqui-sition = Hexenverfolgungen« bestätigen und die Darstellung damit weiter glät-ten.56 Dennoch zeigt sich auch in österreichischen Lehrwerken, dass eher Sensation statt Anstöße zur Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbe-wusstseins bzw. einer quellenbasierten Darstellung den Schulbuchdiskurs prä-gen. In der Folge wird dies ausgehend von Vergleichen mit Zitaten aus der rezenten internationalen Forschungsliteratur verdeutlicht. Auch hier werden längere Zitate aus der Sekundärliteratur angeführt, um diese potenziell für einen an Multiperspektivität interessierten Geschichtsunterricht und für die Schul-buchgestaltung zu Verfügung zu stellen.

Die Inquisition hat tausende Hinrichtungen von Kryptojuden, Kryptomos-lems etc. zwar nicht selbst durchgeführt, aber autorisiert,57war aber andererseits 52 Hofer und Paireder,Netzwerk Geschichte, 11.

53 Matzka, Scheichl und Vocelka,ZeitenBlicke, 36.

54 Hofer und Paireder,Netzwerk Geschichte, 11.

55 Das wird vor allem in Büchern des Westermann Verlags behauptet, zum Beispiel in Ulrich Baumgärtner,Anno 7, Braunschweig: Westermann, 2006, 208; Ulrich Baumgärtner und Klaus Fieberg,Horizonte 7/8 Gymnasium Hamburg, Braunschweig: Westermann, 2011, 162; Ulrich Baumgärtner und Klaus Fieberg,Horizonte 2 Gymnasium Schleswig Holstein, Braunschweig:

Westermann, 2010, 46.

56 Es wäre eine interessante Forschungsfrage, welche Diskurse Schulbuchautorinnen und -au-toren dabei reproduzieren und wie dieser Mythos in die »Diskursarena Schulbuch« (zu diesem Begriff vgl. Thomas Höhne,Schulbuchwissen. Umrisse einer Wissens- und Medien-theorie des Schulbuches, Frankfurt am Main: Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, 2003, 61) in Schulbücher in Deutschland eingegangen ist.

57 Vgl. Decker,Inquisition, 71.

in Bezug auf Hexenverfolgungen gerade einer der Hauptgründe dafür, dass es in Spanien, Italien und Portugal–den Haupteinflussländern der Inquisition–zu so wenigenHexenverfolgungen kam:

The Inquisition was one of the main reasons why Spain and Italy had low rates of witchcraft prosecution.58

In jenen Ländern, in denen die Verfolgung des Hexereidelikts weitgehend oder ganz in den Händen der kirchlichen Inquisition lag (Spanien, Portugal, Italien), kann man gerade bei den neuzeitlichen Inquisitionsbehörden einen gemäßigten, ja vorsichtigen Umgang mit dem Hexereidelikt feststellen, war es ihnen doch grundsätzlich nicht darum zu tun, Hexen zu verbrennen, sondern diese als Ketzer eingestuften »Verbre-cher« in den Schoß der Kirche zurückzuführen […]. Dieser obrigkeitlichen Vorsicht stand aber eine Bevölkerung gegenüber, die immer wieder auf Prozesse drängte, und das Verhalten lokaler Gerichte, die, wie zum Beispiel in Katalonien, noch bis 1630 illegale Hexenprozesse mit tödlichem Ausgang führten.59

[…] die Inquisitionsbehörden in Portugal und Italien waren an Hexenverbrennungen nicht interessiert.60

Spanien, Portugal und Italien blieben prinzipiell vom »massenhaften Hexen-verfolgungen«, so wie sie zum Beispiel im Deutschen Reich im 16. und 17. Jahr-hundert grassierten, verschont:

Seit der Mitte des 16. Jh. steigerte er [der Hexenglauben] sich zum Massenwahn und grassierte wie eine Epidemie. Spanien, Portugal und Italien blieben davon verschont, im übrigen Europa kam es zu schlimmen Exzessen, von den Alpenländern bis nach Eng-land, Schottland und Skandinavien, im 17. Jh. auch in Nordamerika.61

Die Inquisition in Spanien, und das ist ein starkesCounternarrative, das gar nicht mit den glatten Deutungsmustern österreichischer Schulbücher in Einklang zu bringen ist, schaffte die Hexenverfolgungen ab, noch bevor die eigentliche Epoche der massenhaften Verfolgungen begann:

In Spanien war es gerade die institutionalisierte Inquisition, welche die Hexenverfol-gungen zunächst unter ihre Kontrolle brachte und dann 1526 [und damit rund 140 Jahre vor der Epoche des »Hexenwahns«!] praktisch beendete.62

58 Julian Goodare,The European Witch-Hunt, London: Routledge, 2016, 365.

59 Rita Voltmer, »Die europäischen Hexenverfolgungen der Frühen NeuzeitVorurteile, Fak-toren und Bilanzen«, in: Rosmarie Beier-De Haan, Rita Voltmer und Franz Irsigler, Hexen-wahn. Ängste der Neuzeit, Wolfratshausen: Ed. Minerva u. a., 2002, 30–45, 33.

60 Behringer,Hexen, 76.

61 Zeeden,Geschichte, 122.

62 Behringer,Hexen, 76.

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Die Regeln, die im Zusammenhang mit Hexenprozessen 1526 durch die spani-sche Inquisition aufgestellt wurden, waren für die niedrigen Verfolgungszahlen in Spanien des 16. Jahrhunderts verantwortlich:

These rules, coupled with a tradition of leniency that they encouraged, were in large part responsible for keeping executions for witchcraft in Spain at extremely low levels during the sixteenth century.63

Fast ein Jahrhundert davor schon, im Jahr 1548, wurde ein Inquisitor von der spanischen Inquisition bestraft, weil er im katalanischen Tarragona die Ver-brennung von sieben Frauen erlaubte. In der spanischen Region Katalonien war dies der letzte Fall einer Hexenhinrichtung, die von einem katalanischen In-quisitor autorisiert wurde.64Im Jahr 1609 kam es im Baskenland unter der Be-völkerung dann noch einmal zu einer Hexenpanik. Als diese in weitere Gebiete Spaniens überzugreifen drohte, sandte die Suprema, der oberste Rat der Inqui-sition, einen Inquisitor namens Alonso de Salazar y Frías65mit dem Auftrag, das Phänomen zu untersuchen. Er sichtete rund 2.000 Aussagen verschiedener Zeugen und Inhaftierter und kam zu dem Schluss, dass niemand von den Ver-dächtigen schuldig sein könne, auch wenn manche dies von sich selber be-haupteten. Salazar kam für sich selbst zu dem Ergebnis, dass es Hexerei ver-mutlich überhaupt gar nicht gibt. Darauf verbot die Leitung der Inquisition auch weltlichen Behörden, Hexenprozesse durchzuführen: »Die Suprema folgte die-sem Rat, erklärte alle Hexenprozesse lokaler Magistrate für illegal und bekämpfte sie fortan mit Härte.«66

Die Spanische Inquisition bekämpfte also die vom Volk gewünschten und von den weltlichen Gerichten durchgeführten Hexenprozesse. Wenn weltliche Ge-richte in Spanien harte Urteile in Hexenprozessen fällten, gelang es der Inqui-sition, diese Urteile abzumildern und Todesstrafen aufzuheben:

Indeed, on a number of occasions the Inquisiton succeeded in acquiring jurisdiction over cases of witchcraft that had originated in the secular courts and reversed the sentences of death that had been prounounced on the victims.67

In a number of cases, most notaly in norther Vizcaya, the Inquisition found it necessary to intervene in local witchhunts conducted by secular authorities, reversing sentences and preventing executions68

63 Levack,Witch-Hunt, 255.

64 Behringer,Hexen, 45.

65 Vgl. dazu Gustav Henningsen,The Witches’Advocate: Basque Witchcraft and the Spanish Inquisition (1609–1614), Reno Nev.: University of Nevada Press, 1980, 19.

66 Behringer,Hexen, 45.

67 Levack,Witch-Hunt, 256.

68 Ebd.

Was hier für die Spanische gesagt wurde, gilt in ähnlicher Weise auch für die Römische Inquisition, deren Wirkungsbereich in Italien lag:

The record of the Roman Inquision regarding witchcraft is even more impressive than that of its Spanish counterpart. Not only did it develop a strong tradition of leniency in sentencing witches, but it also insisted upon adherence to strict procedural rules in the conduct of witchcraft trials.69

An diesen Zitaten von international anerkannten Fachwissenschaftlern im Zu-sammenhang mit Hexenverfolgung geht hervor, dass es hochgradig problema-tisch ist, die Inquisition als zentrale treibende Kraft in den Hexenverfolgungen der Zeit des Hexenwahns darzustellen, wie dies in österreichischen Schulbüchern gemacht wird. Wegen der fehlenden empirischen Triftigkeit hat diese Vorstellung auch als eine Perspektive innerhalb von Multiperspektivität keine Berechtigung.

In den großen Hexenverfolgungen auf dem Gebiet des heutigen Deutschland spielte die Inquisition keine Rolle. Sie hörte dort auch bereits vor der Epoche des Hexenwahns im 15. Jahrhundert »praktisch auf zu existieren.«70Die deutschen Fürsten–und zwar sowohl protestantische als auch katholische–wussten sich energisch einer Übertragung der Inquisition von Spanien oder Italien ins Reich entgegenzustellen. Rainer Decker, der als einer der Spezialisten zu Hexenver-folgungen die Inquisitionsarchive erforscht hat, meint, dass weder die Inquisi-tion noch die Päpste mit der Radikalisierung im Zusammenhang mit der He-xenverfolgung im Deutschen Reich am Ende des 16. Jahrhunderts etwas zu tun haben, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens war ihr Einfluss in Hexensachen nördlich der Alpen sehr gering: so nicht nur in den protestantischen Territorien, wo niemand auf Rom hörte, sondern auch bei den katholischen Machteliten. Und zweitens ging diese Radikalisierung in der Hexenver-folgung an Italien weitgehend vorbei, jedenfalls im weiteren Verlauf des 16. Jahrhun-derts.71

In österreichischen Schulbüchern wird im Zusammenhang mit der Inquisition auf den Einfluss des schon erwähnten berüchtigten Hexenhammers des Inqui-sitors Heinrich Kramer verwiesen. Dieses Buch war jedoch nicht, wie dies in Schulbüchern ausgeführt wird, eine unbestrittene Autorität, die von der Inqui-sition als Leitlinie für den Umgang mit angeblichen Hexen verwendet wurde. Es wurde vielmehr von dieser, da weltliche Gerichte in ihren Investigationen auf den Hexenhammer zurückgriffen, mehrmals verurteilt72:

69 Ebd.

70 Decker,Inquisition, 53.

71 Ebd., 53–54.

72 Vgl. dazu auch Karen Jolly, Catharina Raudvere, Edward Peters,Witchcraft and Magic in Europe 3: The Middle Ages, London: Athlone Press, 2002, 241f.

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Der Oberste Rat (Suprema) der spanischen Inquisition schärfte allen Inquisitoren 1538 noch einmal ein, dass der Hexenhammer keine Autorität sei, der man Glauben schenken dürfe.73

In einem Brief der Leitung der Inquisition an einen Inquisitor wurde dieser beauftragt, »den führenden und am meisten aufgeklärten Einwohnern« einer bestimmten, von einem Hexenwahn bedrohten Stadt, zu erklären, dass schlechte Ernten nicht auf Hexen zurückgeführt werden sollten, sondern ganz andere Gründe, wie beispielsweise schlechtes Wetter in diesem Zusammenhang in Er-wägung gezogen werden sollten. Der Hexenhammer wird dabei explizit als ab-zulehnen erwähnt. So heißt es in diesem Brief:

Und Sie sollten nicht alles glauben, was im »Hexenhammer« steht. Denn der Autor nimmt für sich in Anspruch, genau die Wahrheit ermittelt zu haben, in Dingen, die so beschaffen sind, dass er so leicht wie alle anderen getäuscht werden kann.74

Somit kann festgehalten werden, dass auch in Bezug auf die in den österreichi-schen Schulbüchern behauptete zentrale Bedeutung des Hexenhammers für die Hexenprozesse der kirchlichen Inquisition das »Vetorecht der Quellen« entge-gengehalten werden muss. Auch in diesem Zusammenhang muss nicht nur mehr Multiperspektivität, Kontroversität und Pluralität, sondern vor allem zuerst einmal empirische Triftigkeit gefordert werden.

Deutungsmuster zu Methoden der Hexenverfolgung

Welche Methoden wurden im Zusammenhang mit den Hexenprozessen laut Schulbüchern angewendet und lassen sich diese in irgendeiner Weise konfes-sionell zuordnen? Die Methoden der Hexenverfolgungen werden in österrei-chischen Schulbüchern mit der Inquisition in Verbindung gebracht und sie be-stehen vor allem in Folter und in »Gottesurteilen«, wie beispielsweise die soge-nannte »Wasserprobe«. Für die der Hexerei verdächtigten Personen habe es fast keine Möglichkeit gegeben, zu überleben. Dies wird von mehreren österreichi-schen Schulbüchern in sensationalistischer Weise behauptet:

Mittels Folter erzwang man Geständnisse. Verdächtige, die nicht gestehen wollten, überführte man mit fragwürdigen Hexenproben. Der darauffolgende Prozess endete immer mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen.75

73 Behringer,Hexen, 76.

74 Decker,Inquistion, 72.

75 Beier und Leonhardt,Zeitfenster, 26.

Wurde eine Person der Hexerei beschuldigt, kam es sehr oft zu einer »Hexenprobe«. Bei diesen »Hexenproben« hatten die Beschuldigten aber keine Chance, ihre Unschuld zu beweisen.76

War die oder der Angeklagte nicht bereit den Vorwurf der Hexerei zuzugeben, erzwang man ein Geständnis mittels Folter. Das Urteil erfolgte ohne weitere Befragungen und endete mit einer öffentlichen Hinrichtung durch Verbrennung auf dem Scheiterhau-fen.77

Auch diese Behauptungen widersprechen den Quellen: »Hexereibeschuldigun-gen bedeuteten jedenfalls in aller Regel nicht die Todesstrafe und die Hinrich-tung; dies waren weit überwiegende Ausnahmen.«78Im Zuge einer großen He-xenpanik in Spanien, in die rund 1.900 Personen involviert waren, wurden elf Personen gefoltert, und von diesen elf hat eine einzige Person ein Geständnis abgelegt. Im Gegensatz zu den weltlichen Gerichten, wo ein Schuldeingeständnis in der Regel schon mit der Todesstrafe endete, hat eine solche vor der Inquisition in Spanien meist mit einer Wiederversöhnung mit der Kirche geendet.79

Für Portugal seien in diesem Zusammenhang die folgenden Zahlen angeführt:

Die Inquisitionsbehörde in Evora behandelte in etwa 300 Jahren 11.743 Fälle, davon 291 (=2,5 %) wegen magischer Delikte (Aberglauben, Wahrsagerei, Zauberei, Hexerei).

Diese führten zu einer einzigen Hexenhinrichtung im Jahr 1626.80

Von den Inquisitionsbehörden in Coímbra und Lissabon, denen die portugiesischen Besitzungen in Afrika, den atlantischen Inseln und Brasilien unterstanden, sind keine Todesurteile wegen Hexerei bekannt.81

Besonders sensationalistisch werden in österreichischen Schulbüchern die so-genannten »Gottesurteile« wie die Feuerprobe oder die Wasserprobe aufbereitet.

Dabei stellt folgendes Deutungsmuster einen Schulbuchtopos dar: Entweder seien die Menschen schon bei der Folter/Wasserprobe gestorben oder sie hätten die Folter überlebt, weil sie gestanden hätten, worauf sie hingerichtet wurden:

Bei der Wasserprobe band man der nackten Beschuldigten den rechten Daumen an die linke große Zehe und den linken Daumen an die rechte große Zehe. Dies geschah in der Öffentlichkeit. Dann tauchte der Henker sie 3-mal ins Wasser. Überlebte sie diese

Bei der Wasserprobe band man der nackten Beschuldigten den rechten Daumen an die linke große Zehe und den linken Daumen an die rechte große Zehe. Dies geschah in der Öffentlichkeit. Dann tauchte der Henker sie 3-mal ins Wasser. Überlebte sie diese

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