• Keine Ergebnisse gefunden

Die G8-Curricula für Geschichte in Sachsen-Anhalt und Bayern

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 113-136)

Die Rahmenrichtlinien Gymnasium Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt (G8, 2003)

Auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt befindet sich Wit-tenberg, das man als ursprüngliches geistiges Zentrum des lutherisch geprägten Protestantismus betrachten darf und das daher in der gegenwärtigen Luther-dekade auch besonders zahlreiche Gedenkveranstaltungen erfährt.3 Sachsen-Anhalt, das zu den neuen Bundesländern zählt, ist noch heute stärker evangelisch als katholisch geprägt. Der örtliche Protestantismus hatte auch im Kontext der friedlichen Revolution, die zur Vereinigung von DDR und Bundesrepublik führte, eine nicht unwesentliche, zumeist als positiv empfundene Rolle gespielt, die seine heutige Reputation dort stärkt. Allerdings muss man sehen, dass von den 2,2 Millionen Einwohnern des Bundeslandes heute über 80 Prozent kon-fessionslos sind. Im Jahr 2014 gehörten 15,5 Prozent der evangelischen Landes-kirche an, die katholische Konfession war und ist mit einem Gläubigenanteil von 4,1 Prozent praktisch bedeutungslos.4Der parteilose Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz, der 2003 die heute gültigen Rahmenrichtlinien für das Fach Geschichte erließ, ist seit 2005 Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kir-chentages, also keineswegs zur religiös indifferenten Bevölkerungsmehrheit zu zählen.5

3 http://www.lutherstadt-wittenberg.de/luther2017/, zuletzt geprüft am 15. Mai 2017.

4 http://www.landeskirche-anhalts.de/landeskirche/zahlen-und-fakten, zuletzt geprüft am 15. Mai 2017.

5 Der damalige Ministerpräsident Wolfgang Böhmer war von 1994 bis 2000 Mitglied des Hauptausschusses des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, von 1994 bis 2001 Vorstandsmitglied der Paul-Gerhardt-Stiftung in der Lutherstadt Wittenberg, von 1997 bis 2002 Kuratoriumsmitglied der Stiftung Luther-Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt und ist noch Mitglied der Sozialkammer der Evangelischen Kirche in Deutschland, mithin noch deutlicher als der damalige Kultusminister dem engagierten pro-testantischen Spektrum zuzuordnen.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

Die Rahmenrichtlinien Gymnasium Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt6 geben sich säkular. Gleichwohl deutet bereits der erste Satz des Vorwortes mit der Bekräftigung, dass Entfaltung der Persönlichkeit und das Leistungsprinzip Basis jeglicher Bildung seien, auf eine typisch protestantische Wertehaltung hin.

Hierzu fügt sich der Abwehrreflex gegen eine allzu rigide Dogmatik zugunsten persönlicher Freiheit, die sich in dem Hinweis ausdrückt, dass der Lehrplan die pädagogische Verantwortung jeder einzelnen Lehrperson weder ersetzen könne noch solle. Im Kapitel »Aufgaben des Faches Geschichte am Gymnasium« wird der besondere Regionalbezug zum vorliegenden Thema deutlich herausgestri-chen:

Aufgabe des Geschichtsunterrichts ist es, prägnante Ereignisse und Entwicklungen der Geschichte des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt zu behandeln, um so regionale Identität der Schülerinnen und Schüler möglich zu machen. Dies geschieht, indem historische Sachverhalte untersucht werden, die vom Territorium des heutigen Bun-deslandes ausgingen und nationale beziehungsweise internationale Bedeutung hatten (z. B. Reformation).7

Die Reformation ist überhaupt das einzige Thema, das in diesen allgemeinen Richtungsweisungen genannt wird. An anderer Stelle heißt es bekräftigend, dass die Fähigkeit zu rational begründeten Sach- und Werturteilen unabdingbar sei, wenn zu konfessionellen Gruppierungen Stellung bezogen werden soll.8 Wie nicht anders zu erwarten, wird der Reformation in den Rahmenrichtlinien denn auch als Pflicht-Thema 14 für die 7. Jahrgangsklasse mit acht Schulgeschichts-stunden breiter Raum zugemessen. Als Lernziele werden vorgegeben:

Die SuS

– diskutieren und bewerten die Bedeutung von Luthers Kritik an der Kirche – zeigen die Bedeutung der Reformation für das Leben großer

Bevölkerungs-schichten bis in die Gegenwart auf

– prüfen, inwieweit die Reformation Ursache für die konfessionelle Spaltung ist,9

wobei der letzte Punkt darauf hinweist, dass die Römische Kirche daran eine Mitschuld tragen könnte. Implizit liegt dem Lehrplan die Einstellung zugrunde, dass die Reformation im Geiste Luthers positiv zu bewerten sei. Als Methode wird ein »Rollenspiel Ablasshandel« vorgeschlagen,10 was nach menschlichem

Er-6 https://www.bildung-lsa.de/pool/RRL_Lehrplaene/geschgyma.pdf, zuletzt geprüft am 15. Mai 2017.

7 Ebd., 7.

8 Ebd., 13.

9 Ebd., 62.

10 Ebd.

messen nur darauf hinauslaufen kann, dass die Haltung der Römischen Kirche für heutige, säkular erzogene und durch die Aufklärung geprägte Schülerinnen und Schüler als anmaßend empfunden werden wird. Auch wenn ein zu behan-delnder Unterpunkt »Religionsfreiheit für Magdeburg«11lautet, unterliegt dieser Terminologie eine positive Bewertung. Die ebenfalls als Methodenvorschlag ge-nannte Diskussionsfrage »Gibt es eine protestantische Ethik?«12beantwortet der Lehrplan im Grunde eindrücklich selbst. Die Frage wird weiter theologisch grundiert, indem durch die Lernenden ein Zusammenhang hergestellt werden soll zwischen der Frage »Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?« und den Thesen »Allein der Glaube macht selig!« und »Allein die Schrift und nicht die Tradition zählt!«13Über den Gendervorwand wird nebenbei noch ein kleiner Seitenhieb gegen den Katholizismus ausgeführt, indem–Stichwort Katharina von Bora –die Entstehung von Pfarrersfamilien statt gegen eine exemplische katholische Familie gegen das Leben in einem Nonnenkloster ausgespielt werden soll, was bei heutigen Schülerinnen und Schülern zugunsten ersterer ausfallen wird. Ausdrücklich ist eine Interpretation von Werner Tübkes Bauernkriegs-panorama in Bad Frankenhausen14gewünscht. Unter dem Stichwort »Umgang mit Geschichtskultur« schließlich wird empfohlen, einen historischen Reise-führer zum Thema »Lutherstätten in Sachsen-Anhalt« zusammenzustellen.15

Unter dem Strich findet die Katholische Kirche in den Rahmenrichtlinien Sachsen-Anhalts allenfalls negative Erwähnung, während kritische Töne zur Reformation unterbleiben.

Der Lehrplan des Freistaats Bayern Geschichte Gymnasium (G8, 2009) Bayern andererseits war mit seinen noch auf römische Tradition zurückrei-chenden Bistümern und wirtschaftlichen Zentren bereits zur Zeit der Refor-mation besonders kaisernah und damit seitdem eine deutsche Hochburg des Katholizismus.16Die konfessionelle Ausrichtung hat sich unter der jahrzehnte-11 Ebd.

12 Ebd., in Anspielung auf Max Webers berühmten Essay »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«, im JafféschenArchiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Tü-bingen: J.C.B. Mohr, 2016, Bd. XX, XXI, 1904/1905.

13 https://www.bildung-lsa.de/pool/RRL_Lehrplaene/geschgyma.pdf, 62, zuletzt geprüft am 15. Mai 2017.

14 http://www.panorama-museum.de/de/monumentalbild_neu.html, zuletzt geprüft am 15. Mai 2017.

15 https://www.bildung-lsa.de/pool/RRL_Lehrplaene/geschgyma.pdf, 63, zuletzt geprüft am 15. Mai 2017.

16 Vgl. Eingangszitat im Beitrag zur Sinnbildung und Sinnstiftung durch historisches Denken von Bernhard und Hinz in diesem Band.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

lang unangefochtenen Regierung der Christlich Sozialen Union kaum abge-schwächt. 2014 waren von den rund 12,6 Millionen Einwohnern des Freistaates 52,1 Prozent Katholiken, wohingegen sich lediglich 19,4 Prozent zur evangelisch-lutherischen Konfession bekannten. Innerhalb Bayerns ist darüber hinaus fest-zustellen, dass der Anteil an Katholiken in Altbayern und Unterfranken sogar noch höher liegt, was das Nachwirken der tief verwurzelten Tradition unter-streicht. Auch wenn Curricula jeweils das Werk von Vielen sind, lohnt vielleicht ein Blick auf die Verantwortlich-Zeichnenden: Der im Folgenden näher zu be-trachtende Lehrplan für das Fach Geschichte wurde 2009 vom Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus Ludwig Spaenle erlassen, der an der LMU München Geschichte und Katholische Theologie studierte. Er ist u. a.

Mitglied im Kuratorium der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in Mün-chen, Mitglied im dortigen Katholikenrat, Mitglied im Katholischen Männer-verein Hl. Geist in München und nicht zuletzt der Paneuropa-Union verpflichtet, was auf ein engagiertes katholisches Selbstverständnis hindeutet.

Der bayerische Lehrplan beginnt mit einem bemerkenswerten Zitat aus der Verfassung des Freistaates, das klarstellt, dass die bayerischen Schulen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden sollen.

Oberstes Bildungsziel sei »Ehrfurcht vor Gott«.17Es spricht für ein Verständnis des Fachs Geschichte als Gesinnungsfach, wenn ganz konkret »Werteerziehung«

gefordert wird.18Diese beruhe auf der »Wahrnehmung der religiösen Dimension des menschlichen Lebens«, die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler fuße auf einem ethisch-religiösen Wissens- und Wertefundament.

Zu den Aufgaben der Schulleitungen zähle es, Kontakte mit Kirchen und Reli-gionsgemeinschaften zu pflegen.19

Wie auch in Sachsen-Anhalt steht in Bayern die Reformation in der 7. Jahr-gangsklasse an.20Die Reformation hat sich mit weiteren fünf Gegenständen 14 Schulgeschichtsstunden unter dem Oberthema G7.3 »Neue geistige und räum-liche Horizonte« zu teilen, was in der Praxis auf maximal drei (statt wie in Sachsen-Anhalt acht) Schulstunden hinauslaufen dürfte. In der Überschrift

»Reformation, Bauernkrieg, konfessionelle Spaltung« klingt der Vorwurf mit, dass Luthers Ideen zu Verrat an der gemeinsamen Sache und zu Gewalt führten.

Insgesamt beschränkt sich der bayerische Lehrplan nur auf einige inhaltliche Stichworte und enthält sich methodischer Vorschläge.

17 http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26350, zu-letzt geprüft am 15. Mai 2017.

18 Ebd.

19 Alle Zitate ebd.

20 http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26282, zu-letzt geprüft am 15. Mai 2017.

In keinem der zwei hier verglichenen Lehrpläne wird die Reformation in der Sekundarstufe II wieder aufgegriffen. Im bayerischen Lehrplan hätte man sie noch einmal unter der Rubrik 12.1.1 »Wurzeln europäischer Denkhaltungen und Grundlagen moderner politischer Ordnungsformen in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit«21erwarten dürfen, doch findet sich hier stattdessen der Unter-punkt »Rolle des Christentums bei der Bewahrung antiken Wissens im Mittel-alter«, womit natürlich die Leistungen der Römische Kirche gemeint sind.

Die Rahmenrichtlinien Sachsen-Anhalts kommen, im Gegensatz zu jenen Bayerns, ohne die Stichworte »Reichskirche«, »Ketzer« und »Kulturkampf« aus.

Dafür sucht man in Zusammenhang mit der Reformation die im sachsen-an-haltinischen Lehrplan fallenden Begriffe »Freiheit« und »Ablass« im bayerischen Lehrplan vergebens. Was in beiden Lehrplänen fehlt, sind Hinweise auf einen Aspekt, der das Luthergedenken bereits im Vorfeld der Lutherdekade sehr be-schäftigt: Den zunehmend aggressiven Antisemitismus des Wittenberger Re-formators.22Hallt hier trotz katholischer Tendenzen im bayerischen Lehrplan noch in beiden Rahmenrichtlinien das Bild von Luther als deutschem Helden nach, der nicht beschädigt werden soll?23

Die G8-Schulgeschichtsbücher Sachsen-Anhalts und Bayerns

Lehrpläne sind ergiebige historische Quellen für politische Willensbekundungen, doch ihre konkrete Umsetzung in Schulgeschichtsbücher – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern in Deutschland noch immer zu Recht als

»heimlicher Lehrplan« oder »nationale Autobiografien« bezeichnet–ist etwas anderes. Daher sollen im Folgenden nun die jeweils für die Sekundarstufe I in den beiden hier verhandelten Bundesländern zugelassenen Lehrwerke zum Thema Reformation analysiert werden. Im optimalen Fall wäre auf dieser Grundlage eine empirische Erhebung über den tatsächlich praktizierten Geschichtsunter-richt und seine Wirkungen auf Seiten der Lernenden wünschenswert, was jedoch im vorliegenden engen Rahmen nicht möglich ist. Immerhin lässt sich bis zu diesem Punkt die Frage beantworten, ob sich die in den Lehrplänen nachweisbar vorhandenen konträren Tendenzen in den Schulgeschichtsbüchern Bayerns und Sachsen-Anhalts fortsetzen, oder ob diese eher zwischen einzelnen Verlagen über die Ländergrenzen hinweg fassbar sind.

21 http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26818, zu-letzt geprüft am 15. Mai 2017.

22 Vgl. Beitrag von Helene Albers in diesem Band.

23 Herfried Münkler,Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin: Rowohlt Taschenbuchverlag, 4. Auflage 2015, 181–196: »›Hier stehe ich, ich kann nicht anders!‹Luthers Kampf gegen Rom.«

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

Grundgesamtheit und allgemeine Beobachtungen

Untersucht wurden alle aktuell für das Gymnasium zugelassenen Schulge-schichtsbücher der Sekundarstufe I der Bundesländer Sachsen-Anhalt und Bayern. Dies sind alphabetisch nach Verlagen geordnet die folgenden:

Verlag Sachsen-Anhalt Bayern

C.C. Buchner (Bamberg)

[S-A 1]

Das waren Zeiten 2, Mittelalter-liches Weltbild und modernes Denken.Ausgabe C., hrsg. von Dieter Brückner u. Harald Focke, Bamberg 2003: »Kampf um den Glauben«, S. 138–164 (26 Seiten)

[B 1]

Das waren Zeiten 2, Mittelalter– Renaissance–Absolutismus, neue Ausgabe Bayern, hrsg. von Dieter Brückner u. Harald Focke, Bamberg 2011: »Die Reformation beginnt«, »Die neue Lehre setzt sich durch«, »Die Bauern erheben sich«, »Der Glaube spaltet Euro-pa«, S. 108–119 (11 Seiten) Cornelsen/Volk

und Wissen (Berlin)

[S-A 2]

Entdecken und Verstehen 7, Ge-schichte Sachsen-Anhalt, hrsg.

von Hans-Gert Oomen, Berlin 2010: »Reformation und Glau-benskriege«, S. 36–53 (17 Seiten)

[B 2]

Forum Geschichte 2, Vom Mittel-alter bis zum Absolutismus, Aus-gabe Bayern, Berlin (2005) 2014:

»Reformation und Bauernkrieg«,

Geschichte und Geschehen 2, Sek.

I, Ausgabe A, Leipzig 2004: Volker Scherer: »Reformation– Glau-bensspaltung– Glaubenskämp-fe«, S. 206–232 (26 Seiten)

[B 3]

Geschichte und Geschehen 2, Sek.

I, Ausgabe Bayern, Leipzig (2004) 2015: »Die Kirche in einem schlimmen Zustand«, »Die Re-formation beginnt«, »Die Bauern kämpfen für ihre Rechte«, »Die Reformation breitet sich aus«, S. 134–149 (15 Seiten) Klett(Stuttgart,

Leipzig)

[S-A 4]

Zeitreise 2, Ausgabe G, red. von Elke Fleiter, Leipzig 2015: »Euro-pa im Glauben ges»Euro-palten«, S. 36–

51 (15 Seiten)

(Fortsetzung)

Mosaik. Der Geschichte auf der Spur, B7, hrsg. von Hans-Joachim Cornelißen, Christoph Henzler, Michael Tocha u. Helmut Winter, München u. a. 2005: »Luther gegen Papst, Kirche und Kaiser«,

»Luthers Lehre–Erneuerung des Christentums?«, »Der Aufstand der Bauern 1524/25«, »Siegreiche Fürstenreformation?«, »Der ka-tholische Weg aus der Krise«, S. 122–133 (11 Seiten)

Anno neu 2, Geschichte Gymna-sium Sachsen-Anhalt, hrsg. von Ulrich Baumgärtner u. Klaus Fiebig, Braunschweig 2014: »Re-formation und Kirchenspal-tung«, S. 42–57 (15 Seiten)

[B 5]

Horizonte 7, Geschichte Gymna-sium Bayern, hrsg. von Ulrich Baumgärtner u. Herbert Rogger, Braunschweig 2005: »Reformati-on und Kirchenspaltung«, »Der Bauernkrieg«, »Reformation und Politik«, »Katharina von Bora und Caritas Pirckheimer«, S. 174–

193 (19 Seiten) Westermann

(Braunschweig)

[S-A 7]

Die Reise in die Vergangenheit 7/

8, Ausgabe Sachsen-Anhalt, hrsg.

von Hans Ebeling u. Wolfgang Birkenfeld, Braunschweig 2010:

»Die Reformation und ihre Fol-gen«, S. 36–73 (37 Seiten)

Ganz allgemein lässt sich konstatieren, dass alle untersuchten Geschichtsschul-bücher dem Protestantismus mit Respekt und weitgehend mit Zustimmung begegnen, während die Katholische Kirche weit rücksichtsloser kritisiert wird.

Selbst diejenigen Schulbücher, in denen unterschwellig katholische Deutungs-muster erkennbar sind, ringen der Reformationsgeschichte, wenn sie schon nicht rückhaltlos als Fortschrittsgeschichte beschreiben, zahlreiche als positiv bewer-tete Aspekte ab. Kein Buch bezweifelt, dass sich die katholische Amtskirche zur

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

Zeit Luthers in einem Zustand befand, der untragbar war und dringend einer Reform bedurfte.

Unter dem Strich gibt es jedoch eine ganze Reihe an Büchern, die die Refor-mation nicht nur sachlich positiv bewerten, sondern mehr oder minder offen verherrlichen. Nicht selten liegt die Tendenz in der Auswahl der Bilder und Textquellen. Mit Lucas Cranach d.Ä. hat gerade das Luthertum einen auch ge-genwärtig noch wirksamen Promotor. Cranachs Ästhetik wirkt bis heute, wird jedoch in keinem einzigen Schulgeschichtsbuch explizit hinterfragt. Allein schon aus diesem Grund stellt Luther seine reformierten Konkurrenten leicht in den Schatten, von denen nur sehr wenige Portraits existieren, die es obendrein künstlerisch mit Cranach nicht aufnehmen können. Verstärkt wird diese Ten-denz noch dadurch, dass immer wieder auch martialische Historiengemälde (vom legendären Thesenanschlag oder vom Wormser Reichstag) aus der Zeit des Nationalismus, des Wilhelminismus und des Kulturkampfes großflächig abge-druckt werden. Diese werden dann zwar meist hinterfragt, doch verhält es sich hier wie bei entsprechenden Geschichtsmythen: Ihre suggestive Wirkung wird bei Dekonstruktionsversuchen kaum beeinträchtigt.24

Auf der Gegenseite findet sich nicht selten kein einziges Bild, das diesen Eindruck zu katholischen Gunsten zu relativieren in der Lage wäre. Die Forde-rungen der Lehrpläne bedienend, historische Spottbilder deuten zu lassen, muss man auch hier feststellen, dass die protestantischen Spottbilder einfallsreicher, witziger und auch bösartiger sind als die katholischen. Somit gibt es Schulge-schichtsbücher, die die Lernenden im Grunde nur mit fantastischem protes-tantischen Bildmaterial und einigen Spottbildern über teuflische Päpste und betrunkene Geistliche konfrontieren.

Dazu gleich mehr im Detail. Die Analyse beginnt mit Sachsen-Anhalt, da die Erhebung für pro-evangelische Tendenzen hier die meisten Daten ergab. Dabei werden zunächst diejenigen Werke behandelt, die eine besonders starke pro-testantische Affinität aufweisen, um am Schluss auf gegenläufige Deutungs-muster einzugehen. Im danach dargestellten Bayern wird entsprechend mit jenen Schulbüchern begonnen, in denen besonders deutliche katholische Ein-flüsse erkennbar sind, um dann schließlich hier ebenfalls zu prüfen, inwiefern der Reformation auch positive Aspekte abgewonnen werden.

24 Vgl. Roland Bernhard, Susanne Grindel, Felix Hinz und Johannes Meyer-Hamme, »Was ist ein historischer Mythos? Versuch einer Definition aus kulturwissenschaftlicher und ge-schichtsdidaktischer Perspektive«, in: Roland Bernhard, Susanne Grindel, Felix Hinz und Christoph Kühberger (Hg.), Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern von Marathon bis zum Élysée-Vertrag, Göttingen: V&R unipress, 2017, 11–32.

Die aktuellen Schulgeschichtsbücher in Sachsen-Anhalt

Der stärkste protestantische Einfluss lässt sich bemerkenswerter Weise im weit verbreiteten SchulbuchGeschichte und Geschehen Bd. 2[S-A 3] des u. a. in Leipzig angesiedelten Klett-Verlags feststellen. Um die oben dargelegte Behauptung zu konkretisieren, dass mitunter mit einer suggestiven Bildauswahl gearbeitet wird, sei in diesem Fall eine vollständige Zusammenstellung geboten:

[S-A 3]

Seite

Motiv: Protestanten Motiv: Katholiken 207 Protestanten und Katholiken vor einer

Waage: die Bibel (der Protestanten) wiegt mehr als alle Mönche, Nonnen und Prälaten zusammen, Kupferstich, 16. Jh.

Protestanten und Katholiken vor einer Waage: die Bibel (der Protestanten) wiegt mehr als alle Mönche, Nonnen und Prälaten zusammen, Kupferstich, 16. Jh.

208 Das Schiff der Kirche geht unter,

Holzschnitt 1508 209 Gesetz und Gnade–Sündenfall und

Erlösung. Altarbild von Lucas Cranach d.Ä., 1535

210 Ablasshandel. Holzschnitt von Hans

Holbein d.Ä., 1524

211 Portrait Johann Tetzels O.P.,

anony-mer Kupferstich, 1717 211 Portrait Martin Luthers, Gemälde

Lucas Cranach d.Ä., 1526/29 (seiten-verkehrt–wohl damit es besser ins Layout passt)

(Dieses Konterfei dient auch als Wie-dererkennungssymbol des Kapitels und ist ca. 2 cm hoch auf jeder Seite neben der Seitenzahl farbig abge-druckt)

211 Fotografie: »Tetzels Ablasskiste«

Bildunterschrift: »Die Schlüssel zu den Schlössern waren auf die drei Nutz-nießer des Geldes verteilt: das Fug-ger’sche Bankhaus, die Römische Kurie und den Erzbischof bzw. einen anderen Landesherrn«

212, 213

Spottbild auf den Papst und seine Kardinäle, anonymes Flugblatt (Holzschnitt), ca. 1521 214 Fahnenträger im sog. Bauernkrieg mit

Schriftzug »Freyheit«, Holzschnitt 1522

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0

(Fortsetzung)

[S-A 3]

Seite

Motiv: Protestanten Motiv: Katholiken 215 Karte, die die Ausbreitung der

Auf-stände während des sog. Bauernkrie-ges zeigt

216 »Die Hinrichtung des radikalen Bau-ernführers Jakob Rohrbach«, Zeich-nung 1550 (grausame Darstellung) 216 »Weinende Bäuerin«, Albrecht Dürer

1515

217 »Aufständische Bauern«, Holzschnitt 1525 (viele mit Spießen, Knüppeln, Keulen und Schwertern dürftig Be-waffnete)

218,219 [Einschub Endzeitvorstellungen] [Einschub Endzeitvorstellungen]

221 »Die Werke der Barmherzigkeit«, Ge-mälde Pieter Bruegel d.J., nach 1616 222 Luther vor Karl V. auf dem Reichstag

zu Worms mit Schriftzug: »Hier stehe ich…«, kolorierter Kupferstich 1557 223 »Kurfürst Johann Friedrich (der

Großmütige) von Sachsen« im Kreise

»seiner« Reformatoren, Gemälde Lucas Cranach d.Ä.

223 »Luther im Kreise seiner Familie«– Laute spielend, Gemälde Adolf Span-genbergs, 1866 (!)

224 »Übergabe des Augsburger Bekennt-nisses an Kaiser Karl V. im Jahr 1530«, Gemälde Andreas Herneisen, 1601 225 Portrait Zwinglis, Gemälde Hans

Asper, ca. 1531

225 Portrait Calvins, anonymes Gemälde, 16. Jh.

226, 227

»Calvinistischer Gottesdienst in der Kirche in Stein bei Nürnberg«, Kup-ferstich, 16. Jh.

»Die katholische Jesuitenkirche in Antwerpen«, Gemälde von Sebastian Vrancx (1573–1647)

228 »Abendmahlsfeier in einer reformier-ten Kirche«, Gemälde 1554/55 228 »Calvinistischer Bildersturm«,

Kup-ferstich 1583 [aus kath. Perspektive]

229 »Massaker der Bartholomäusnacht im August 1572«, Gemälde von François Dubois, 1595

(Fortsetzung)

[S-A 3]

Seite

Motiv: Protestanten Motiv: Katholiken

230 »Das Konzil von Trient«, Gemälde der

Brüder Zuccari, 1560 [aus kath. Per-spektive]

Nur der »Calvinistische Bildersturm« (hier allerdings kaum erkennbar) und die letzte Abbildung, die sich auf ein Thema bezieht, das eigentlich bereits jenseits der Reformation liegt, weisen eine pro-katholische Perspektive auf. Im Gegensatz zu anderen Unterrichtswerken finden sich inGeschichte und Geschehen, Bd. 2 keine Spottbilder auf Luther, keine Zeichnung vom Plündern der Aufständischen während des sogenannten Bauernkrieges, kein Tizian-Gemälde von Karl V. oder ähnliches, das die protestantische Perspektive diskreditieren beziehungsweise die katholische in ein günstigeres Licht rücken könnte.

Geschichte und Geschehen erweist sich auch in anderer Hinsicht nicht als ausgewogen. Nachdem–interessanterweise unter der Rubrik »kontrovers«–auf einer ganzen Seite die Missstände um den Ablasshandel ausgebreitet wurden, lautet eine Aufgabe: »Urteile selbst: Kann man sein Seelenheil kaufen?«25Dass hier eine Kontroverse aufkommt, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-lichkeit auszuschließen. Eine solche Aufgabe verstößt klar gegen das

Geschichte und Geschehen erweist sich auch in anderer Hinsicht nicht als ausgewogen. Nachdem–interessanterweise unter der Rubrik »kontrovers«–auf einer ganzen Seite die Missstände um den Ablasshandel ausgebreitet wurden, lautet eine Aufgabe: »Urteile selbst: Kann man sein Seelenheil kaufen?«25Dass hier eine Kontroverse aufkommt, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-lichkeit auszuschließen. Eine solche Aufgabe verstößt klar gegen das

Im Dokument Studien des Georg-Eckert-Instituts (Seite 113-136)