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Lebenslagen- und Freizeitgestaltungsbezogene Bedürfnislagen

7 Ergebnisse der Analyse der Aufwachsbedingungen und der Freizeitgestal- Freizeitgestal-tung von Kindern und Jugendlichen

7.4 Lebenslagen- und Freizeitgestaltungsbezogene Bedürfnislagen

Lebensweisen von Kindern und Jugendlichen, ihre Formen der Freizeitgestaltung, ihr klein- und gross-räumiges Mobilitätsverhalten und entsprechende Bedarfslagen sind also auch durch ihre Lebenslage mit-bedingt. Vor dem Hintergrund der vorgenommenen Analyse der Aufwachsbedingungen und der Freizeit-gestaltung wird erkennbar, dass in der Stadt Basel bezüglich dieser Lebenslagen eine hohe sozio-ökonomische Segregation besteht und die Bedingungen des Aufwachsens der Kinder und Jugendlichen somit stark sozialräumlich segregiert sind. Unterschiedliche soziale Belastungsfaktoren kumulieren sich in bestimmten Wohngebieten: In den ökonomisch benachteiligten Quartieren ist eine Unterversorgung mit Kinderzimmern festzustellen, und ebenso korreliert die Zufriedenheit der Eltern mit dem Wohnraum stark mit der ökonomischen Lage des Haushalts. Zudem sind der Zusammenhang zwischen der ökonomi-schen Lage der Familien und dem Bildungshintergrund der Eltern und die Bildungsvererbung an die Kin-der ausgesprochen hoch. Die Analyseergebnisse zeigen des Weiteren, dass bei prekären ökonomischen Lagen in Familien den Heranwachsenden nicht nur öfter kein Taschengeld ausgerichtet wird, sondern auch die Taschengeldhöhe im Vergleich zu ökonomisch bessergestellten Haushalten tiefer ist. Kinder und Jugendliche aus solchen Familien verfügen somit über geringere eigene Geldmittel, die sie für ihre Frei-zeitgestaltung sowohl in kommerziellen als auch nicht-kommerzialisierten Bereichen des öffentlichen Raums einsetzen können. Entsprechend bedeutsam sind für diese Heranwachsende kostenfreie Freizeit-gestaltungsmöglichkeiten. Auch die Nutzungsintensität des öffentlichen Raums durch Jugendliche steht im Zusammenhang mit deren Lebenslage: Gerade Jugendliche aus beengten Wohnverhältnissen, problemati-schen Familienverhältnissen, mit begrenzten ökonomiproblemati-schen Ressourcen u.a. sind auf öffentliche Nut-zungsräume angewiesen.

In der Stadt Basel sind somit die Bildungs-, Aneignungs- und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen sozialräumlich unterschiedlich. Die quartiersbezogenen Auswertungen der Analyse ausgewählter Lebenslagedimensionen zeigen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche in den Quartie-ren Rosental, Klybeck und Kleinhünigen von kumulierter sozialer Benachteiligung betroffen sind. Danach folgen oftmals die Quartiere Matthäus,Gundeldingen und Clara. Mit Blick auf die diskutierten Lebenslage-dimensionen, können für Kinder und Jugendliche aus den thematisierten benachteiligten Quartieren fol-gende besondere Bedürfnislagen konstatiert werden, auf die die OKJA grundsätzlich mit ihrem Angebot zu reagieren in der Lage ist:

• Erhöhter Bedarf an kostenfreien Freizeitangeboten

• Erhöhter Bedarf an Aufenthalts- und Raumangeboten und eigenen Rückzugsmöglichkeiten

• Erhöhter Bedarf an (informellen und non-formalen) Bildungsangeboten

Soll OKJA auf lebenslagenbezogene Bedarfslagen reagieren, so hat sie in den genannten Quartieren bei der Angebotsgestaltung auch diese besonderen Bedürfnislagen zu berücksichtigen. Will die OKJA zudem auf die soziale Benachteiligung in bestimmten Quartieren reagieren, so hat sie sich an der sozial-räumlichen Trennung von Lebenslagen und den Segregationsprozessen zu orientieren.

Freizeitgestaltung

Die Ausführungen zum Freizeitgestaltungshandeln der Kinder und Jugendlichen machen deutlich, dass die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten durch die Lebenslage mitstrukturiert werden, zugleich aber auch eigen-ständige und kreative Umgangsweisen mit räumlichen und zeitlichen Strukturen entwickelt werden.

Insbesondere werden die hohe Bedeutung einer selbständigen Raumorientierung und die Möglichkeit dynamischer Raumaneignung bei Jugendlichen und Kindern im Schulalter erkennbar. Während der Frei-zeit sind in diesem Zusammenhang verschiedenartige Raumqualitäten in der Wohnumgebung der Kinder und Jugendlichen von grosser Bedeutung, welche den Heranwachsenden sowohl Bühnen für Selbstdar-stellung, Übersichtsorte als auch Rückzugorte ermöglichen. Mit zunehmendem Alter steigt das Bedürfnis

nach Freiräumen, nach unverbindlicher und gering strukturierter Freizeitbeschäftigung jenseits von Auf-sicht und Betreuung, wobei die Selbstbestimmung bei der Wahl dieser Treffpunkte zentral ist. Wohnquar-tiere, die aufgrund ihrer städtebaulichen Aneignungsräume und institutionellen Angebote diese vielfälti-gen Raumaneignungsprozesse nicht oder nur in einem begrenzten Rahmen ermöglichen, schränken damit zentrale Bedürfnisse Heranwachsender ein. Als eine herausragende Einschränkung für die Spielmöglich-keiten der Kinder wird von den Eltern in der Stadt Basel über fast alle Quartiere hinweg die Verkehrssitu-ation eingeschätzt. Insgesamt zeigt sich, dass der Anteil nicht-organisierter Freizeitaktivitäten im Jugend-alter deutlich grösser ist, als bei Kindern im SchulJugend-alter.

Betrachtet man die Nutzung von familienergänzenden Betreuungsangeboten durch Kinder und Jugendli-che, so zeigt sich, dass unter einem Fünftel der 5- bis 15-Jährigen in ein solches strukturiertes Angebot für einen bestimmten Zeitraum eingebunden sind. Dabei fällt auf, dass zwischen 25% und 30% der in der Stadt Basel lebenden Kinder im Alter von fünf bis neun Jahren ein solches Angebot besuchen, die Nutzung mit zunehmendem Alter aber deutlich abnimmt und nur noch knapp über 10% der 14-Jährigen ein sol-ches Betreuungsangebot besuchen.

Im Zusammenhang mit der Freizeitgestaltung und den Raumaneignungsprozessen wird die Bedeutung des Zusammenseins mit Peers deutlich, denn alle Aktivitäten, für welche der öffentliche Raum von Jugend-lichen als besonders geeignet angesehen werden, beziehen sich direkt oder indirekt auf die Gleichaltri-gengruppe; gemeinsames Erleben und Selbstinszenierungen stehen im Zentrum. Damit wird der Bedarf an Interaktions- und Treffmöglichkeiten mit Gleichaltrigen für Kinder und Jugendliche erkennbar. Für Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte können Sozialräume zudem integrationsbegünstigend sein, wenn sie sowohl herkunftskulturelle Orte des „Rückzugs“ als auch multikulturelle Orte der Selbstdarstel-lung und der Begegnung ermöglichen. Deutlich wird, dass die Wohnumgebungen aufgrund der im Kapitel 7 dargestellten sozialräumlichen Segregation von Lebenslagen den Kindern und Jugendlichen in der Stadt Basel sehr unterschiedliche räumliche Entfaltungsmöglichkeiten eröffnen. Auf diese unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten in urbanen Gebieten in der Schweiz verweisen auch Schultheis et al (2008). Es wird deutlich, dass Kinder und Jugendliche aus sozio-ökonomisch privilegierten Familien beispielsweise besseren Zugang zu funktionalen Freizeitangeboten auch ausserhalb des Wohnquartiers haben, als Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien. Mit Blick auf die quartiersbezogenen Lebensbedingungen, sind die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen somit unterschiedlich, wodurch quartiersspezifische Bedürfnislagen entstehen können. Dies spiegelt sich auch in den empirischen Daten wieder: So konnte festgestellt werden, dass Kinder und Jugendliche im Quartier Hirzbrunnen aufgrund elterlicher Begleitung wesentlich häufiger betreute (kostenpflichtige) Freizeitangebote in anderen Quar-tieren der Stadt Basel nutzen, als dies bei Kindern und Jugendlichen im Quartier Klybeck der Fall ist, wo deutlich mehr Kinder und Jugendliche aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien leben. Eine weitere Diskrepanz tritt mit Blick auf die Nutzung kommerzieller Angebote auf: während Jugendliche und junge Erwachsene im Quartier Hirzbrunnen mit zunehmendem Alter kommerzielle Angebote nutzen (können) konzentrieren sich die Freizeitaktivtäten der im Klybeck wohnhaften Heranwachsenden weiterhin primär auf das eigene Wohnquartier. Werden die Bedürfnisse, resp. die Freizeitgestaltung der Anspruchsgruppen sowie die dazu erforderlichen räumlichen Voraussetzungen in den beiden Quartieren Hirzbrunnen und Klybeck vor dem Hintergrund eines raumstrukturierten und zeitstrukturierten Verständnisses miteinan-der verglichen, so lässt sich folgern, dass für Kinmiteinan-der und Jugendliche aus sozio-ökonomisch benachteilig-ten Familien das unmittelbare Wohnumfeld bei der Freizeitgestaltung eine bedeutsamere Funktion ein-nimmt, als bei Kindern und Jugendlichen aus sozio-ökonomisch privilegierten Familien, die besseren Zu-gang zu funktionalen Freizeitangeboten auch ausserhalb des Wohnquartiers haben.

Mit Blick auf diese Entfaltungsmöglichkeiten bei der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen in der Stadt Basel, werden somit die folgenden Bedürfnislagen erkennbar, auf die die OKJA zu antworten in der Lage ist:

• Bedarf an selbstbestimmten, nicht zugewiesenen Freiräumen

• Bedarf an Treffmöglichkeiten für informelle soziale Interaktionen und soziale Integration

• Bedarf der Kinder an sicheren Orten zum Spielen

Vor dem Hintergrund der vorgenommenen Analyse kann davon ausgegangen werden, dass diese Entfal-tungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche während der Freizeitgestaltung in Quartieren mit kumu-lierter sozialer Benachteiligung eingeschränkter sind. Eine OKJA, die diese ungleichen Freizeitgestal-tungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen berücksichtigen will und sich als chancenausgleichendes Angebot für Kinder und Jugendliche versteht, hat demnach insbesondere die Raumaneignungs- und Frei-zeitgestaltungsmöglichkeiten in Quartieren mit vielen jungen Menschen aus sozio-ökonomisch benachtei-ligten Familien zu gestalten und zu unterstützen, ohne sie zugleich auf die Benachteiligungsviertel zu be-grenzen, sondern den betreffenden Heranwachsenden auch Anschlussmöglichkeiten und Zugang zu An-geboten und Ressourcen aus der ganzen Stadt zu ermöglichen. Die Entwicklung solcher quartiersübergrei-fenden z.B. interessenbezogenen Angebote könnte das "Verknüpfungskapital" der Jugendlichen aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien fördern, die OKJA könnte hierbei eine "Brückenfunktion" wahrneh-men.

Die OKJA stellt ein Raumangebot dar, eröffnet Kindern und Jugendlichen vielfältige Spiel-, Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten sowie den Zugang zu vertrauensvollen Beziehungen zu Erwachsenen im lokalen Sozialraum. Die OKJA trägt mit ihrer Arbeit zur Verminderung von Verdrängung von Jugendlichen im öffentlichen Raum bei und unterstützt die Jugendlichen bei der selbstbestimmten Aneignung öffentli-cher Räume, indem sie sich für die Interessen der Kinder und Jugendlichen einsetzt und in Konfliktsituati-onen auch Partei für diese ergreift. Diese Aufgaben der OKJA sind vor dem Hintergrund der oben darge-stellten Freizeitgestaltung der Jugendlichen insbesondere in städtischen Wohngebieten als Orte, wo viele Interessensaushandlungen im öffentlichen Raum geschehen, bedeutsam.