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4.1 Der Beginn der Krise

4.1.1 Die Krise an den Finanzmärkten

Die globale Finanzkrise ist, auch wenn sie zeitlich schon rund ein Jahrzehnt zurück-liegt, der maßgebliche Auslöser für die Krise in der Eurozone gewesen, dabei kündigten sich die ersten Ausläufer schon im Jahr 2007 an. Im August dieses Jahres mussten erst-mals in größerem Maße Abschreibungen auf Wertpapiere amerikanischen Ursprungs vorgenommen werden; diese Papiere hatten einen unmittelbaren oder mittelbaren Be-zug zum amerikanischen Immobiliensektor, an dem es in den Jahren davor mehrere Fehlentwicklungen gab. Die beiden maßgeblichen Probleme waren in dieser Hinsicht erhebliche Überkapazitäten und die ausufernde Vergabe von Darlehen an Kreditneh-mer ohne nennenswertes Einkommen oder Sicherheiten. Schon zu diesem Zeitpunkt waren auch mehrere europäische Finanzinstitute bereits von dieser Entwicklung in den USA betroffen: Die französische BNP Paribas sowie die deutschen Banken IKB, Hypo Real Estate und Sachsen LB (mit ihrer Zweigstelle in Irland) gerieten in erste Schwierig-keiten. Noch dramatischer war die Situation für die britische Bank Northern Rock, die von einembank run⁶³ betroffen war (Sinn 2015: 191–192; Blyth 2014: 85). Diese

Verwer-⁶³ Wenn ein Kunde bei einer Bank Geld auf seinem Konto hat, ist dies letztlich ein Zahlungsversprechen, welches die Bank ihrem Kunden in Höhe des Kontostandes gewährt. Bankkonten gehören zu den Sicht-einlagen, dass heißt sie können prinzipiell sofort abgehoben werden. Banken haben jedoch in der Re-gel nie ausreichend liquide Mittel, um alle Sichteinlagen auf einmal auszahlen zu können. Bei einem bank run geschieht jedoch genau dies; aus Angst vor einer möglichen Insolvenz versuchen viele Kun-den gleichzeitig, ihre Sichteinlagen auszahlen zu lassen. Wenn die Bank jedoch dazu irgendwann nicht

fungen waren also insgesamt noch eher vereinzelt, zeigten aber bereits einen gewissen Trend an.

Die völlige Eskalation der Lage erfolgte dann am 15. September 2008 als Lehman Brothers, eine der weltweit größten Investmentbanken, Insolvenz beantragen musste.

Durch diese Insolvenz kamen an den Märkten zwei grundlegende Signale an: Erstens wurden die neuartigen Kreditinstrumente, deren Nutzung in den Jahren zuvor stark zugenommen hatte, nun grundlegend in Frage gestellt und zweitens konnte sich kein Finanzinstitut mehr sicher sein, nur aufgrund seiner Bilanzgröße in jedem Fall Unter-stützung zu erhalten und somit vor einer Insolvenz gerettet zu werden. Es folgte eine Reaktion, die ein klassisches Marktproblem aufzeigte: Die Akteure am Markt begannen nun jegliche Liquidität zu horten. Diese Entscheidung war für den einzelnen Akteur rational, führte aber kollektiv dazu, dass der Geldmarkt für Liquidität praktisch zusam-menbrach – auch in der Eurozone. Diese Probleme breiteten sich auch rasch auf die Realwirtschaft aus; dort wurden Planungen für Produktion, Investitionen und Konsum substantiell nach unten korrigiert. Angesichts dieser angespannten Situation schritt die EZB ein: dazu gehörten konventionelle Maßnahmen wie Zinssenkungen, aber auch un-konventionelle Maßnahmen wie die direkte Bereitstellung von Liquidität für Banken, die Senkung der Vorgaben zur Qualität von Sicherheiten und auch die Bereitstellung von Dollar-Liquidität aus den eigenen Reservebeständen (Drudi, Durré und Mongelli 2012: 886).

Nach diesem akuten Schock schien sich die Eurozone jedoch zu fangen, und das Jahr 2009 erschien weniger dramatisch. Trotz aller Aufregung an den Finanzmärkten gab es kaum radikale Ausschläge auf den Märkten für Staatsanleihen. In den ersten Jah-ren der Währungsunion gab es eine weitgehende Konvergenz der Zinssätze aller Euro-staaten, das heißt, dass die Zinsunterschiede zwischen den Anleihen unterschiedlicher Eurostaaten (die sogenanntenSpreads) immer geringer wurden.⁶⁴ Auch direkt nach der Lehman-Insolvenz änderte sich kaum etwas daran, wie das Beispiel Griechenland zeigt.

Zum Zeitpunkt der Lehman-Insolvenz lag der Spread zwischen deutschen und griechi-schen Anleihen bei 0,79 Punkten. Bis zum März 2009 stieg der Spread auf 2,85 Punkte, was jedoch weniger Zweifeln an den griechischen Staatsfinanzen und eher einer er-höhten Nachfrage an deutschen Anleihen geschuldet war, und sank zum August 2009 wieder auf 1,21 Punkte (Polster 2014: 63; Panico und Purificato 2013: 592).

Bei dieser Situation sollte es jedoch nicht bleiben, denn die Entwicklung der Spreads und die Frage nach der Refinanzierung der Eurostaaten sollte danach das größte Pro-blem der Eurozone werden. Daher bietet es sich an, das Verhältnis zwischen Staaten und Finanzmärkten zu erklären. Grundsätzlich ist hierbei folgendes festzuhalten:

„Unabhängig von jeglichen Konsolidierungsanstrengungen istdie Finanz-hoheit des Staates auf den Finanzmarkt übergegangenund unabhängig von

mehr in der Lage ist, droht mindestens eine Illiquidität, wenn nicht gar eine Insolvenz der Bank.

⁶⁴ Erklärungen für diese Entwicklung gibt es bei Sinn 2015: 58–69 und Polster 2014: 232–233.

Wirtschaftskraft oder Haushaltsdefizit bestimmt der Finanzmarkt die Sol-venz des Staates.“ (Illing 2013: 17, Hervorhebung durch den Verfasser)

Prinzipiell erhalten Staaten an den Finanzmärkten einenrevolvierendenKredit. Dabei geht es nicht darum, dass ein alter Kredit mit einem Mal vollständig zurückgezahlt wird, sondern dass stets eine Art Anschlussfinanzierung gewährt wird, natürlich gegen einen bestimmten Zinssatz. Staatliche Zahlungsausfälle haben ihren Ursprung daher nicht im Staat, sondern am Markt – wenn einem Staat kein neuer Kredit gewährt wird, kann er seine alten Kredite nicht zurückzahlen. Und wenn dies geschieht, wird dem Staat erst recht kein neuer Kredit gewährt. Staaten haben grundsätzlich drei Möglichkeiten, ihre offenen Forderungen zu bedienen: Erstens können sie die für den Schuldendienst not-wendigen Mittel aus volkswirtschaftlichen Erträgen beziehen; zweitens können sie eine Inflation verursachen, was jedoch in der Regel rasch zu einer Erhöhung der Zinssätze führt oder sie können sich drittens noch weiter verschulden, und mit den neu aufge-nommenen Mitteln die alten Kredite bedienen. Bei diesem Satz an Optionen sind die Eurostaaten jedoch in einem Nachteil, weil sie aufgrund der geldpolitischen Hoheit der EZB nicht mehr souverän über ihre Inflation entscheiden können; die eben als zweites genannte Option fällt somit weg. Andere Staaten, wie etwa Großbritannien, Japan oder die USA können jedoch falls nötig ihre eigene Währung einfach nachdrucken, was viel-leicht zu höheren Zinssätzen führt, aber in jedem Fall das Vertrauen in die staatliche Zahlungsfähigkeit stärkt (Illing 2013: 18, 23).

Es zeigt sich, dass Vertrauen in dieser Hinsicht ein entscheidender Aspekt, und oft ausschlaggebender als das wirtschaftliche Verhalten eines Staates ist. Die Bedeutung von Vertrauen ergibt sich aus der Tatsache, dass an den Märkten viele Akteure gleich-zeitig aktiv sind. Ein Marktakteur kann also nicht mit endgültiger Sicherheit sagen, ob irgendein anderer Marktakteur einem Staat Kredit gewährt. Will eine Bank einem Staat Kredit gewähren, so muss sie letztlich drauf vertrauen können, dass derselbe Staat von anderen Banken ebenfalls Kredit erhält, damit die Bank ihren eigenen Kredit letzt-lich auch zurückgezahlt bekommt. Staaten können das Vertrauen der Märkte in gerin-gem Maße zwar durch ihr wirtschaftliches Verhalten steuern, viel effektiver ist jedoch die Steuerung von Marktvertrauen durch politische Kommunikation. Dies gelang bei-spielsweise im Jahr 2009 anhand der Äußerungen zweier exponierter Finanzpolitiker der Eurozone. So machte der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück klar, dass im Falle staatlicher Zahlungsschwierigkeiten die „Gesamtheit“ einspringen müss-te. Sekundiert wurde ihm dabei durch den damaligen Kommissar für Wirtschaft und Währung Joaquín Almunia, der sagte, dass Lösungen im Falle von staatlichen Finanzie-rungsschwierigkeiten bereit stünden, weshalb externe Hilfe – beispielsweise durch den IWF – nicht erforderlich wäre. Damit wurde kommuniziert, dass die Möglichkeit einer staatlichen Finanzierungskrise nicht ausgeschlossen wurde, dass es aber in jedem Fall Mittel und Wege gäbe, eine solche Krise in der Eurozone gemeinschaftlich einzudäm-men (Polster 2014: 65; Illing 2013: 19–20).

Auch während des Jahres 2009 deutete sich bereits an, dass mögliche Bedenken über die Solvenz einzelner Staaten nicht unbegründet waren. Griechenland hatte schon län-ger mit seinen öffentlichen Finanzen zu kämpfen, der öffentliche Schuldenstand lag seit 2004 konstant über 100 % des BIP, also weit jenseits der Vorgaben im SWP. Außerdem erfolgte der griechische Beitritt zur Eurozone (verspätet, aber noch vor Einführung des Euro-Bargeldes, siehe auch Abschnitt 3.2.2) auf der Grundlage falscher volkswirtschaft-licher Daten, was durch eine politische Entscheidung des ECOFIN jedoch nicht weiter beachtet wurde. In Spanien lagen die Probleme anders. Dort gab es unmittelbar nach der Lehman-Insolvenz eine realwirtschaftliche Krise mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit und einer hohen Belastung der öffentlichen Finanzen, weil erhebliche Mittel für die Stützung der spanischen (Finanz-)Wirtschaft ausgegeben wurden⁶⁵ und infolge dessen die Verschuldung Spaniens rapide anstieg, nachdem sie vor der Krise im europäischen Vergleich noch eher gering war (Blyth 2014: 96; Geeroms, Ide und Naert 2014: 159; Malo de Molina 2014: 49).

Die Lage öffentlicher Finanzen in einigen Staaten der Eurozone war also durchaus prekär, und Banken auf der ganzen Welt hatten sich noch nicht vollständig vom Schock der Lehman-Insolvenz erholt. Eine ungünstige politische Kommunikation hätte in die-sem nervösen Umfeld eine Verschärfung der Situation herbeiführen können, indem die Aufmerksamkeit auf bestimmte negative Szenarien (ob realistisch oder nicht) gelenkt wird. Ab Herbst 2009 sollte sich genau dies bewahrheiten.