• Keine Ergebnisse gefunden

Entwurf für die Zukunft: der Fünf-Präsidenten-Bericht

5.2 Die neue Wirtschaftspolitik in der Eurozone

5.2.2 Entwurf für die Zukunft: der Fünf-Präsidenten-Bericht

Finanz-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, und das alles jenseits des ordentlichen Ver-tragsänderungsverfahrens (Schneider und Syrovatka 2017: 62; Berens 2014: 346–348).

soll ebenfalls gestärkt werden, indem eine bessere Überwachung bei übermäßigen Un-gleichgewichten erfolgt und ebenfalls auch bei übermäßigen Leistungsüberschüssen in-terveniert werden sollte. Die nächste Forderung für die Wirtschaftsunion ist ein stärke-rer Fokus auf Beschäftigung und soziale Belange insgesamt. Die notwendigen Maßnah-men sollen daher im Europäischen Semester mehr Beachtung finden, wobei der Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit, eine Verbesserung der Bildungssituation und die Aner-kennung sozialer Mindestgrundrechte besonders hervorgehoben werden. Letztlich wird die Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung betont, die vor allem über eine Optimierung des Europäischen Semesters laufen soll; Mittel hierfür sind dem Bericht zufolge klarer formulierte Prioritäten und eine geringere Anzahl an einzureichenden Dokumenten, was den gesamten Prozess beschleunigen soll (Juncker u. a. 2015: 9–11).

Im Bereich der Finanzunion wird zunächst die Bedeutung einer solchen Union für das Funktionieren der Währungsunion hervorgehoben. Der Bericht benennt in diesem Zu-sammenhang anerkennend, dass zwei wichtige Schritte in diesem Bereich – der einheit-liche Aufsichtsmechanismus und der einheiteinheit-liche Abwicklungsmechanismus für Ban-ken – bereits beschlossen sind; zwei weitere wichtige offene Projekte werden an die-ser Stelle jedoch im Bericht genannt. Zur Vollendung der Bankenunion ist die Frage nach der gemeinschaftlichen Einlagensicherung zu nennen; dabei erkennt der Bericht durchaus realistisch an, dass es bis zur Vollendung dieses Ziels noch einige Zeit dauern kann, dass aber in der Zwischenzeit ein europäisches System eingerichtet werden soll-te, welches die Funktion einer Rückversicherung für die einzelnen nationalen Systeme übernimmt. Der zweite große Punkt in diesem Abschnitt ist der Beginn einer Kapital-marktunion, wodurch Verbrauchern und Unternehmen neue und günstigere Wege zur Refinanzierung (auch jenseits von Banken) eröffnet werden sollen; als konkrete Schrit-te nennt der Bericht an dieser SSchrit-telle eine Harmonisierung von Rechnungslegungs- und Informationsvorschriften sowie eine Stärkung des Marktes für Verbriefungen. Gemein-sam mit der Wirtschaftsunion soll die Vollendung der Finanzunion das übergeordnete Ziel haben, die Widerstandsfähigkeit der gesamten Eurozone gegenüber Schocks an den Finanzmärkten zu erhöhen (Juncker u. a. 2015: 13–14).

Im Bereich der Fiskalpolitik werden zwei Schwerpunkte genannt. Zunächst wieder-holt der Bericht den Grundsatz einer soliden Haushaltspolitik, welcher als Leitprinzip der gesamten Eurozone somit wieder gestärkt wird; die Maßnahmen aus dem „Sixpack“, dem „Twopack“ und dem Fiskalpakt werden grundlegend gelobt, weshalb an ihnen nur kosmetische Änderungen stattfinden sollen. Neu in diesem Zusammenhang ist der Vor-schlag zur Einführung eines europäischen Fiskalausschusses als Beratungsgremium, dessen Aufgabe es wäre, die Haushalte und deren Umsetzung zu bewerten. Als zwei-ter Punkt wird in diesem Abschnitt die Einrichtung einer Stabilisierungsfunktion für die Eurozone gefordert, welche einen allgemeinen konjunkturellen Ausgleich sicher-stellen soll, die Stellung des ESM als Instrument zur Krisenreaktion bleibt davon jedoch unberührt. Konkret könnte diese Stabilisierungfunktion dem Bericht zufolge auf dem

Europäischen Fonds für strategische Investitionen aufgebaut werden, der entsprechend umgestaltet werden kann. Ebenso klar betont der Bericht aber auch, dass die Einrich-tung dauerhafter fiskalischer Transfers zwischen Mitgliedstaaten ausgeschlossen wer-den soll, und ebenso findet sich kein Hinweis auf Instrumente zur Vergemeinschaftung staatlicher Schulden. Das Beistandsverbot gemäß Art. 125 AEUV wird durch den Fünf-Präsidenten-Bericht also klar respektiert (Juncker u. a. 2015: 16–17).

Die Ausführungen im Hinblick auf die politische Union befassen sich dann letztlich eher mit Fragen zur Verbesserung der demokratischen Legitimität der Wirtschaftspoli-tik in der Eurozone, die meisten in diesem Abschnitt vorgeschlagenen Maßnahmen stel-len demnach keine grundlegende Vertiefung der europäischen Integration dar, sondern ändern lediglich einige Stellschrauben am bestehenden System. Zuallererst wird eine stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments gefordert, mit einem kritischen Verweis auf die Krisenpraxis der EU, wo viele wichti-ge Weichenstellunwichti-gen in Sitzunwichti-gen über Nacht allein durch Vertreter der Regierunwichti-gen der Mitgliedstaaten vorgenommen wurden. Als Hauptankerpunkt für eine Verstärkung der parlamentarischen Einbindung wird auch hier wieder das Europäische Semester benannt, an dem in allen Phasen parlamentarische Akteure auf nationaler wie europäi-scher Ebene besser eingebunden werden sollen. Als nächster Punkt wird der Wunsch geäußert, für Prozesse auf globaler Ebene eine einheitliche Vertretung der Eurozone si-cherzustellen. Weil viele internationale Organisationen wie z. B. der IWF weiterhin nach dem Prinzip souveräner Staatlichkeit verfahren, ist es möglich, dass die Mitgliedstaaten des größten einheitlichen Wirtschaftsraums der Welt nicht mit einer Stimme sprechen;

diese Diskrepanz soll also behoben werden. Weiterhin benennt der Bericht das Ziel, alle wirtschaftspolitischen Instrumente, die über den Umweg internationaler Verträge verwirklicht wurden (also insbesondere der ESM und der Fiskalpakt) in Unionsrecht zu überführen. Die einzige wirkliche institutionelle Neuerung, die an dieser Stelle ge-nannt wird, und die auch eine erhebliche Vertiefung der politischen Integration der EU bedeuten würde, ist die Einrichtung eines europäischen Schatzamtes (in Übersetzung des englischen Begriffstreasury). Für bestimmte grundlegende Entscheidungen, die für Fragen der Eurozone zu treffen wären, könnte ein solches Schatzamt gemeinsame Ent-scheidungen treffen; explizit benennt der Bericht aber auch, dass selbst wenn ein euro-päisches Schatzamt gebildet werden würde, die Hoheit über die Entscheidungen über Steuern und Ausgaben weiterhin bei den Mitgliedstaaten verbliebe (Juncker u. a. 2015:

19–20).

Hat man die europäische Integration, und insbesondere die Entwicklung hin zur ge-meinsamen Währung¹⁰⁶ vor Augen, könnte man im Fünf-Präsidenten-Bericht eine wei-tere Wegmarke sehen, ähnlich wie seinerzeit der Werner-Plan oder der Delors-Bericht.

Verglichen mit diesen Dokumenten fehlt es dem Fünf-Präsidenten-Bericht jedoch an Ambitionen, und dem Bericht ist klar anzumerken, dass es hier nicht mehr um die

Schaf-¹⁰⁶ Geschildert in Abschnitt 3.2.2.

fung einer Währungsunion, sondern „lediglich“ um deren Vollendung geht. In weiten Teilen wird die bestehende Architektur der WWU als selbstverständlich wahrgenom-men und auch inhaltlich kaum hinterfragt; der Bericht liefert dabei wenige konkrete technische Vorschläge und agiert sonst eher mit Empfehlungen, was jedoch in der Natur eines jeden Berichtes dieser Art liegt. Zweck des Fünf-Präsidenten-Berichtes ist nämlich nicht die Vorlage eines fertig ausformulierten Plans, der ohne weiteres in entsprechen-de Rechtsakte gegossen werentsprechen-den könnte, sonentsprechen-dern die Öffnung von Diskussionskanälen über die weitere Entwicklung der WWU. Darüber hinaus werden auch einige Charak-teristika von MLG deutlich sichtbar: Am klarsten wird dies daran, dass die EZB über ihren Präsidenten ebenfalls in diesen Bericht eingebunden ist und dass der Bericht an mehreren Stellen die Bedeutung nationaler Parlamente betont. Dass wie in der Vergan-genheit also die Kommission praktisch im Alleingang mit einem großen umfassenden Plan vorprescht, ist hier also definitiv nicht mehr der Fall.

Durch die Änderungen an der Wirtschaftspolitik wurden die Maßnahmen im Zusam-menhang mit der Troika und den Anleihekäufen flankiert, sie stellen zwar kein Handeln der EZB dar, sind aber als politischer Hintergrund für die Entwicklung im Laufe der Kri-se ebenfalls bedeutsam. Doch auch wie bei der Troika und den Anleihekäufen wurde auch im Zusammenhang mit den wirtschaftspolitischen Änderungen Kritik geäußert, auf die hier ebenfalls eingegangen werden soll.