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Akteure außerhalb der europäischen oder internationalen Ebene 62

2.2 Methodik

3.1.9 Akteure außerhalb der europäischen oder internationalen Ebene 62

Die Bearbeitung der Eurokrise hat nicht nur in Brüssel oder in Frankfurt stattgefunden, sondern auch an anderen Orten in der gesamten Union, ebenso auf nationaler oder lokaler Ebene – ganz im Einklang mit den Überlegungen der Multi-Level-Governance.

Daher wird an dieser Stelle noch kurz eine Auswahl wichtiger Akteure jenseits der europäischen oder internationalen Ebene vorgestellt.

Zunächst zu erwähnen sind an dieser Stelle dienationalen Gerichte. In dem Versuch, eine für die gesamte Europäische Union einheitliche Rechtsordnung auszuarbeiten, sind sie ein wichtiges Scharnier zwischen der Unionsebene und den Mitgliedstaaten. Diese besondere europäische Funktion der nationalen Gerichte findet im Lissabon-Vertrag auch primärrechtliche Würdigung, und zwar in Art. 267 AEUV. Dieser Artikel beschäf-tigt sich mit dem Instrument desVorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH, welches besagt, dass nationale Gerichte Verfahren, die europarechtlich relevant sind, zur wei-teren Entscheidung dem EuGH vorlegen können. Damit sind die nationalen Gerichte

⁴⁸ Besonders deutlich ist dies in Afrika. Aktuell gibt es zwei Blocks aus je 23 afrikanischen Staaten, die je einen Exekutivdirektor bestimmen (IWF 2016: 105).

integraler Teil einer Art europäischem Instanzenzug und gehören somit fest in das ju-dikative System der EU.

Artikel 267 gilt somit als „eine der bedeutsamsten Bestimmungen des AEUV zur Si-cherung der unionalen Rechtseinheit“ (Geiger, Khan und Kotzur 2010: 818); diese recht-liche Klärung ist auch dringend geboten, weil, wie schon in Abschnitt 3.1.7 angedeu-tet, ein Großteil der Verfahren am EuGH von nationalen Gerichten dorthin verwiesen wurde. Dass diese Arbeitsteilung vergleichsweise reibungslos funktioniert, erklärt sich einerseits durch die Bereitschaft zur Kooperation, die sowohl beim EuGH als auch bei den nationalen Gerichten sichtbar ist, andererseits aber auch durch die Einsicht beim EuGH, dass den nationalen Gerichten durchaus ein eigener Entscheidungsspielraum zuzugestehen ist, gerade was deren Einschätzung angeht, ob ein Verfahren zulässig und begründet ist (Simon 2015: 1027–1028; Geiger, Khan und Kotzur 2010: 818).

Darüber hinaus gibt es auch immer wieder Entwicklungen, wo nationale Gerichte handfesten Einfluss auf die Stoßrichtung der europäischen Integration haben. Ein gu-tes Beispiel dafür ist das BVerfG mit seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag aus dem Jahr 2009. In diesem Urteil mahnte das BVerfG einige Änderungen am Ratifikationsgesetz an und lieferte seine eigene Interpretation des Vertrages gleich mit. So wies das BVerfG darauf hin, dass beispielsweise das Recht der gleichwertigen Vertretung aller Bürger in der EU nicht gewährleistet ist, da die Stimmgewichte im Ministerrat und insbesondere im Parlament nicht proportional auf die Mitgliedstaaten verteilt sind. Außerdem wurde angemerkt, dass es kein europäisches Staatsvolk gibt weshalb es (vorerst) keinen eu-ropäischen Staat geben kann, dass die EU somit in erster Linie weiterhin ein Verbund souveräner Staaten ist, und dass das Grundgesetz einen Kern an Normen beinhaltet, der nicht aufgehoben oder delegiert werden kann⁴⁹ (Piris 2010: 141–142).

Einen ebenfalls wichtigen Beitrag leisten dienationalen Parlamente. Dies ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass nicht jedes Gesetz von den Unionsorganen beschlos-sen wird. In den nicht an die Union übertragenen Kompetenzbereichen sind es weiter-hin die nationalen Parlamente, die zentrale Aufgaben übernehmen – gleichzeitig sind sie aber auch als Baustein des europäischen politischen Systems akzeptiert.

Wie schon in Abschnitt 3.1.6 erklärt, wurden die Mitglieder des Europäischen Par-laments vor der ersten Direktwahl des Europäischen ParPar-laments 1979 noch aus den nationalen Parlamenten kooptiert, es gab somit eine Art natürlichen Austauschkanal zwischen den nationalen Parlamenten und den Gemeinschaftsorganen. Als dies mit der Direktwahl des Europäischen Parlamentes wegbrach, dauerte es jedoch einige Zeit, bis die nationalen Parlamente wieder als Teile des europäischen Systems auch primärrecht-lich anerkannt wurden – die entsprechenden Grundlagen hierfür finden sich nun in Art.

12 AEUV und in den Protokollen 1 und 2 zum Lissabon-Vertrag, welche die technischen Details dieser Beteiligung ausführlicher festlegen. Dabei ist weiterhin erwähnenswert, dass dieser Artikel einer der wenigen Artikel ist, die nach dem Scheitern des

Verfas-⁴⁹ Dies ist ein Verweis auf die alsEwigkeitsklauselbekannte Regelung des Art. 79 Abs. 3 GG.

sungsvertrags spürbar geändert wurden, besonders auf niederländischen Wunsch hin (Geiger, Khan und Kotzur 2010: 61–62; Piris 2010: 122–125).

Durch den Lissabon-Vertrag erfuhren die nationalen Parlamente eine Stärkung in zweierlei Hinsicht. Zunächst einmal haben die nationalen Parlamente nun das Recht, über europäische Gesetzesentwürfe informiert zu werden, und zwar direkt von der Kommission und zeitgleich mit dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament. Und außerdem haben die nationale Parlamente nun die Möglichkeit, Einspruch gegen einen Unionsentwurf einzulegen, wenn sie der Meinung sind, dass eine Verletzung des Sub-sidiaritätsprinzips vorliegt; die Frist dafür beträgt acht Wochen. Je nachdem, wie viele nationale Parlamente sich dem Einspruch anschließen, können dann unterschiedliche Verfahren eingeleitet werden. Bei dergelben Karte⁵⁰ muss ein Entwurf überprüft werden und bei derorangenen Kartemuss ein Entwurf nicht nur überprüft werden, sondern die Kommission muss auch Stellung beziehen. Die Kommission kann den Entwurf zurück-ziehen, ändern oder beibehalten – im letzten Fall ist aber eine Begründung notwendig, woraufhin der Entwurf an Ministerrat und Europäisches Parlament verwiesen wird und bereits von einem dieser Organe endgültig verworfen werden kann. Den nationalen Parlamenten ist es jedoch nicht möglich, direkt einzuschreiten und unmittelbar einen Kommissionsentwurf zu Fall zu bringen. Eine sinngemäßerote Kartegibt es also nicht.

Jenseits dieses Verfahrens haben die nationalen Parlamente mit dem Lissabon-Vertrag nun aber auch die Möglichkeit, gegen einen Unionsrechtsakt mit Verweis auf das Sub-sidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof auf Aufhebung zu klagen (Piris 2010: 127–130).

Zuletzt sei noch auf die Rolle von Protestbewegungenhingewiesen, die als gesell-schaftliche Akteure auch im Rahmen von MLG-Prozessen Macht geltend machen kön-nen. Zwar können sie nicht kollektiv bindende Entscheidungen im klassisch politischen Sinne treffen, doch gerade in Krisenzeiten können sie Themen in das öffentliche Be-wusstsein und auf die politische Agenda setzen, und je nach Schlagkraft können sie den Preis für das Ignorieren dieser Forderungen teils empfindlich in die Höhe treiben.

Aktuelle Protestbewegungen ziehen ihre Überzeugungen aus den Erfahrungen und Folgen der Finanzkrise. Ihre Diagnose lautet, dass das System liberaler parlamentari-scher Demokratie grundsätzlich unter Druck steht – die Interessen des Finanzsektors haben Priorität, wohingegen Einrichtungen für demokratische Teilhabe geschwächt werden, was breite Schichten der Bevölkerung trifft. Die Reaktion der Protestbewe-gungen darauf ist eine simultane Forderung von Demokratie und Gerechtigkeit, und zwar an verschiedenen Stellen der Welt, sei es in Nordafrika, den USA oder Südeuropa.

Bei diesen Protesten gibt es natürlich auch nationale Kontexte und Forderungen, doch gerade angesichts einer leichteren und vor allen Dingen schnelleren Kommunikation auch über weite Entfernungen kann sich daraus ein globaler Protestzyklus entwickeln, in dem sich nationale Protestbewegungen gegenseitig verstärken können. Als

konse-⁵⁰ Die Begrifflichkeiten aus dem Fußball sind dabei keine offiziellen Bezeichnungen, haben sich aber als griffige Metapher in der Fachdiskussion etabliert.

quente Folge der grundlegenden Kritik an der derzeitigen repräsentativen Demokratie, gibt es viele basisdemokratische Elemente, zum Beispiel in Basisversammlungen, die mit dem spanischen Begriff asambleabezeichnet werden. Spätestens an dieser Stelle zeigen sich jedoch mögliche Schwächen solcher Protestbewegungen. Selbstorganisier-te Strukturen sind von Natur aus fluktuierend und daher schwer aufrecht zu erhalSelbstorganisier-ten, dies hat dann unter anderem auch zur Folge, dass die Formulierung konkreter politi-scher Forderungen schwierig ist, und vieles im Ungefähren bleibt (Antentas und Vivas 2014a: 19–22, 47–51, 67).

In einigen Fällen zeigt sich jedoch auch eine Kanalisierung von Protesten in her-kömmliche politische Strukturen, ein Beispiel hierfür ist die Situation in Spanien⁵¹ mit Entstehung der Partei Podemos aus der Bewegung 15. Mai (span. Movimiento 15 de Mayo, 15-M). Innerhalb der 15-M gab es keineswegs Einigkeit darüber, wie sich die Bewegung weiter entwickeln sollte und ob die Übertragung in eine politische Partei eine vernünftige Option sei. Letztlich zeigte sich auch, dass diese Transformation kei-neswegs geordnet und einstimmig ablief, gleichsam als Zeichen einer Bewegung, die einheitlich einen bestimmten organisatorischen Wechsel vollzieht. Podemos war ohne die Vorarbeit von 15-M nicht denkbar, gerade hinsichtlich des Mobilisierungspotenzials und der Möglichkeit, Podemos diskursiv als Alternative zu präsentieren – gleichzeitig war Podemos aber auch die konsequente Folge der Einsicht einiger Teilnehmer von 15-M, dass der Schritt der Parteigründung notwendig ist, um die Beschränkungen von Formen autonomer Mobilisierung zu überwinden, und handfesten institutionellen po-litischen Einfluss zu gewinnen. Und auch wenn 15-M und Podemos daher nicht gleich-zusetzen sind, sind die beiden Gruppen Zeichen desselben politischen Protestzyklus, wobei das Verbindende das Trennende überwiegt (Calvo und Álvarez 2015: 116, 120).

Dadurch wird sichtbar, dass Protestbewegungen durchaus das Potenzial haben, die politische Situation mit zu gestalten und in eine andere Richtung zu bewegen; was Vogel (2014: 122) in seiner Untersuchung verschiedener Protestbewegungen gut auf den Punkt gebracht hat:

„Die Politisierung von Armut und Ungleichheit sowie die alltäglichen Praxen der verschiedenen Initiativen zeigen die Konturen eines anderen Verständnisses von Gesellschaft. Schließt man von der basisdemokratischen Organisationsweise der Bewegungen und ihren sozio-ökonomischen For-derungen aufs große Ganze, dann wäre diese andere Gesellschaft eine, die auf Solidarität und demokratischer Gestaltung gründet, die mehr Gleichheit anstrebt und individuelle Freiheit respektiert.“

⁵¹ Hierauf wird später in Abschnitt 4.3.3 ausführlicher eingegangen.

3.2 Geschichtlicher Überblick

Jede ausführliche Auseinandersetzung mit Fragen europäischer Politik tut gut daran, sich zumindest oberflächlich mit den Entwicklungslinien der europäischen Integrati-on zu befassen. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle zunächst die Entwicklung der politischen Integration nachgezeichnet werden, und darauf folgend im Einklang mit dem Thema dieser Arbeit die monetäre und wirtschaftliche Integration näher betrach-tet werden. Die politische Integration wird dabei bis heute rekonstruiert, die monetäre und wirtschaftliche Integration jedoch nur bis zum Vorabend der Krise, da den insti-tutionellen Änderungen die in diesem Bereich seit der Krise folgten noch später im Abschnitt 5.2 mehr Raum eingeräumt wird.