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Konflikte und Reformen (1970er Jahre)

Im Dokument WAHLEN OHNE KAMPF ? (Seite 68-77)

Auf die «Aktivierung von oben» der 1960er Jahre folgte eine «Aktivierung von unten»,101 die nun für Spannungen und Reformdruck innerhalb der Parteien sorgte.

Konflikte und Abspaltungen im linken Lager

Die neuen Stimmen dieser Mobilisierungswellen (Infokasten 4) waren beson-ders im linken Lager spürbar. Anbeson-ders als in den 1950er Jahren kamen nun – portiert durch das Interesse der neuen unabhängigen Medien – interne Span-nungen innerhalb der SP und der Gewerkschaft en ans Licht. So etwa im Kontext der fremdenfeindlichen «Überfremdungsinitiative» von 1970. Wäh-rend die Führungsinstanzen der Gewerkschaft en und der SP die Initiative be-kämpft en, zeigten Umfragen eine starke Unterstützung bei den Mitgliedern (55% beim SGB) und mancherorts engagierten sich SP-AktivistInnen sogar öff entlich für Schwarzenbachs Abstimmungskampagne.102 Daneben entstan-den neue Generationen von ParteiaktivistInnen und WählerInnen aus der jun-gen, universitären Mittelschicht. Während die «alte» Arbeiterbewegung wei-terhin auf Respektabilität und Integration in die Wohlstandsgesellschaft setzte,

100 Die erste Teilnahme der Frauen gab Anlass zu zahlreichen Fotoreportagen von lä-chelnden Frauen an der Urne mit ihren Ehemännern und Kindern, Aux urnes avec bébé sur les bras, in: Nouvelle revue de Lausanne, 1.11.1971.

101 König: Rasanter Stillstand und zähe Bewegung, 1999, S. 163.

102 «Nationale» Sozialisten?, in: Nationalzeitung, 10.10.1971. Dazu Degen: Haute conjonc-ture et guerre froide, 2006, S. 212–216; Steinauer: «Überfremdung» et syndicats, 2006;

Boughaba: Citoyennetés populaires en Suisse, 2016, S. 154–204.

formulierte diese «neue Linke» eine off ensive Kapitalismus- und Konsumkri-tik. Für die SP bedeutete der neue Wind zwar höhere Mitgliederzahlen, mehr Aktivistinnen und ein informelleres, aber auch konfrontativeres politisches Leben: Anders als in den 1950er Jahren wurden nun Parteitage zu beliebten Momenten der politischen Auseinandersetzung.103

Infokasten 4

Entstehung neuer linker wie rechter oppositioneller Kräfte

Im Laufe der 1960er Jahre enstanden neue politische Kräft e, die starke op-positionelle Alternativen auf den politischen Markt brachten. Ab Anfang des Jahrzehnts reaktivierten im Kontext der südeuropäischen Migration und der europäischen Integration neue fremdenfeindliche Bewegungen wie die Nationale Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat (NA), die 1971 daraus abgespaltenen Republikaner oder Vigilance in Genf den alten Diskurs um eine «Überfremdungsgefahr» in der Schweiz.104 Zur sel-ben Zeit sorgten spektakuläre Aktionen der jurassischen Autonomiebe-wegung für viel Aufsehen und Empörung. Im Rahmen der transnationa-len Jugendbewegung von 1968 gingen junge SchweizerInnen demonstrieren, entwickelten neue Beteiligungsformen wie Besetzungen oder Happenings und stellten traditionelle Gesellschaft snormen in der Bildung, der Arbeit, der Politik oder im Privatleben in Frage. Wie in anderen Ländern erreichte diese Mobilisierungswelle auch in der Schweiz im Jahr 1968 ihren Höhe-punkt, wobei es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Jugend und Polizei kam. 1968 fungierte in der Schweiz als «politisches Kick-off -Er-eignis» für die kommenden Jahre.105 Die Forderungen nach Selbstbestim-mung prägten die zukünft ige politische Kultur. Die neuen Handlungsfor-men und Anliegen der 1968er-Bewegungen sowie Anfang der 1980er Jahre

103 Hablützel et al.: 100 Jahre Sozialdemokratische Partei der Schweiz, 1988, S. 28.

104 Romano: Die Überfremdungsbewegung als «Neue soziale Bewegung», 1998; Romano:

Vom Sonderfall zur Überfremdung, 1999; Drews: «Schweizer erwache!», 2005; Skenderovic:

Th e Radical Right in Switzerland, 2009, S. 57–76.

105 Tanner: Geschichte der Schweiz, 2015, S.  386. Dazu Schaufelbuehl; Pereira; Schär (Hg.): 1968–1978, 2009; Skenderovic; Spä ti: Die 1968er-Jahre in der Schweiz, 2012.

jene der Jugendbewegungen «Züri Brännt» oder «Lôzane bouge»106 hinter-liessen die etablierten politischen Akteure durchaus ratlos.

An der Wende zum neuen Jahrzehnt entstanden aus den nachlassenden 68er-Mobilisierungen transnational vernetzte neue soziale Bewegungen, welche dauerhaft ere, attraktive Teilhabemöglichkeiten zu vielfältigen An-liegen anboten und die politischen Netzwerke und Bewegungskulturen von 1968 konsolidierten.107 Über den historischen Kampf für politische Rechte hinaus formulierten die Aktivistinnen der neuen Frauenbewegung weitgehende Forderungen zu den Rechten der Frauen in der Arbeitswelt sowie im Privatleben. Die Umweltschutzbewegung und die Anti-AKW-Be-wegung wurden durch grossangelegte Aktionen, wie die Besetzung des Kaiseraugst-Geländes 1975, besonders stark. Nach den «Ostermärschen»

der Anti-Atombewegung formierte sich auch die Friedensbewegung Mitte der 1960er Jahre erneut und unterhielt enge Beziehungen mit der neuen Solidaritäts- und Dritte-Welt-Bewegung. Die neuen sozialen Bewegungen lernten früh, die relativ zugänglichen Verfahren der schweizerischen se-mi-direkten Demokratie zu nutzen und bedienten sich besonders der Ini-tiative als Mittel der Agendasetzung: In den 1970er Jahren wurden doppelt so viele Initiativen wie noch in den 1960 Jahren lanciert und viel seltener als Folge eines Kompromisses zurückgezogen.108 Zugleich hatten Streiks als Handlungsmittel auf dem Arbeitsplatz seit den 1960er Jahren wieder an Bedeutung gewonnen und intensivierten sich mit der Wirtschaft skrise ab Mitte des Jahrzehnts.109

Aus dieser Kluft entstanden neue Parteien links der SP. So formierte sich bei-spielsweise im Tessin die marxististisch orientierte Partito Socialista Autonomo (PSA), die eine neue Wettbewerbsdynamik im kantonalen politischen Feld

106 Dazu Engeler: Personalverbindungen, 1986, S.  229; Nigg; Aeppli: Wir wollen alles, und zwar subito, 2001.

107 Giugni; Passy: Histoires de mobilisation politique en Suisse, 1997; Skenderovic; Spä ti:

Die 1968er-Jahre in der Schweiz, 2012, S. 163–166; Ziegler: Soziale Bewegungen, 2012.

108 Leemann: Political Confl ict and Direct Democracy, 2015, S. 608. Zur relativen Off enheit des schweizerischen politischen Systems für neue Akteure, Giugni; Passy: Histoires de mobili-sation politique en Suisse, S. 1-33; Skenderovic: Th e Radical Right in Switzerland, 2009, S. 45–47.

109 Deshusses: Grèves et contestations ouvrières, 2014.

entfachte.110 Innerhalb der PdA kam es ebenfalls zu Spannungen und sogar zu Abspaltungen zwischen dem traditionellen, moskautreuen Flügel und jungen MaoïstInnen sowie TrotzkistInnen, die sich erst in der Waadt, dann in anderen Kantonen als Revolutionäre Marxistische Liga (RML) konstituierten und bald auch an Wahlen teilnahmen.111 Als erfolgreichste, dauerhaft e Kraft unter die-sen neuen Parteien erwiedie-sen sich die 1971 auf eidgenössischer Ebene entstan-denen Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH), welche viele Th e-men der neuen sozialen Bewegungen (Stadtentwicklung, Partizipation, Kultur, Frauenrechte, Umwelt etc.) ansprachen. Während die politisch heterogenen Umweltschutzorganisationen lange wenig Verbindungen zu Parteien aufzeig-ten, formierten sich ab Ende der 1970er grüne Parteien auf lokaler und kanto-naler Ebene und feierten erste Erfolge, wie 1979 die Wahl von Daniel Brélaz zum ersten grünen nationalen Parlamentarier Europas (Waadt, Groupement pour la protection de l’environnement).112 1983 formierten sich die Grünen auf eidgenössischer Ebene, allerdings teilten sie sich in zwei verschiedene Rich-tungen: in die Föderation der Grünen Parteien der Schweiz (GPS, «Gurken- Grüne», reformistisch, mitte-links) und in die Grüne Alternative der Schweiz («Melonen-Grüne», basisdemokratisch, links).113 Dieser neue Wettbewerb ver-stärkte den Anpassungsdruck auf die SP an diese neuen Th emen und die ge-fühlte Realität eines Generationenkonfl iktes innerhalb der Partei.114

Bürgerliche Parteireformen der 1970er Jahre als Weg aus der «Krise»?

Auch bei den bürgerlichen Parteien verstärkten die Bewegungen um 1968 die früheren Bruch- und Krisendiagnosen. Angesichts von (leicht) rückgängigen Wählerzahlen und entschärft en ideologischen Unterschieden standen

Fusio-110 Ceschi: Geschichte des Kantons Tessin, 2003, S. 261–278; Rossi; Veri: Au Tessin, il fait chaud, 2005.

111 Pavillon: La nouvelle gauche en Suisse romande, 2005; Skenderovic; Spä ti: Die 1968er-Jahre in der Schweiz, 2012, S. 146–149.

112 Engeler: Personalverbindungen, 1986, S. 233–235; Brassel-Moser: Grüne Parteien, 2017.

113 Blum: Wandel und Konstanten, 1986; Gschwendi: Die Umweltbewegung verändert die Parteienlandschaft , 1986; Degen: Sozialistische Arbeiterpartei, 2012; Brassel-Moser:

Grüne Parteien, 2017.

114 Wie in der Roten Revue 1979, Vogel: Interview mit Helmut Hubacher, 1979.

nen im bürgerlichen Lager im Gespräch. Im Kanton Zürich integrierte die Freisinnige Partei 1971 die seit den 1960er Jahren krisengeschüttelten Demo-kraten.115 Hingegen näherten sich die Glarner und Bündner Demokraten an die Schweizer BGB an und gründeten mit ihr im September 1971 die SVP.

Aufgrund der mitte-links Position der Glarner und Bündner Demokraten, die vorwiegend bei Arbeitern und Angestellten rekrutierten, stand die neue Partei zunächst mehr in der Mitte als die frühere BGB, was sich auch im französi-schen Namen Union démocratique du centre (UDC) widerspiegelte.116 Anders als im alten Selbstverständnis der BGB als Ständepartei verstand sich die SVP zudem als Volkspartei, welche «Frauen und Männer aus allen Bevölkerungs-schichten» vereinigte.117 Dieses neue universalistische Selbstverständnis wurde intern allerdings unterschiedlich rezipiert. Die BGB-Identität, die manchen Parteikadern nun bedroht erschien, war mit dem Postulat eines Äquilibriums zwischen den drei ursprünglichen Ständen in der Partei einhergegangen. Weil die neue Parteistruktur weitgehend föderal blieb und den Kantonal-, Orts- und Bezirksparteien eine Übergangsphase für den Namenswechsel gestattet wurde, blieb der alte Name BGB mancherorts lange erhalten.118

Obschon eine Fusion mit der EVP gelegentlich zur Diskussion stand, setz-te die KCVP Ende der 1960er Jahre vorwiegend auf eine umfassende Parsetz-teire- Parteire-form. Impulse dazu lieferten das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) und die daraus resultierenden Reformen in anderen christlich-demokratischen Par-teien: Durch das Postulat der Äquidistanz der Kirche zu allen (nichtkommunis-tischen) Parteien und mit der Anerkennung des politischen und religiösen Plu-ralismus koppelte sich die Kirche defi nitiv von den katholischen Parteien ab.119 In den kommenden Jahren bestand die traditionelle Kampfgemeinschaft zwi-schen Partei und Kirche nur noch gelegentlich, beispielsweise bezüglich des Rechts auf Abtreibung.120 Bereits abgeschwächt, begann sich auch das katho li-sche Handlungssystem von der KCVP abzukoppeln. So schafft e der historisch

115 Hartmann; Horvá th: Zivilgesellschaft von rechts, 1995, S. 23; Ungricht: Die Politik der Zürcher FDP zwischen 1967 und 1975, 2004, S. 88–91.

116 Skenderovic: Bauern, Mittelstand, Nation, 2013, S. 62.

117 PA SVP ZH WM, Schweizerische Volkspartei: Statuten, 1971.

118 Schnydrig: Aufstieg und Wandel einer Kantonalpartei, 2007, S.  86–89; UDC Vaud (Hg.): Il était une fois…, 2011, S. 3.

119 Altermatt: Das historische Dilemma der CVP, 2012, S. 143–144.

120 Altermatt: Katholizismus und Moderne, 1989, S. 176.

parteinahe Schweizerische Studentenverein in den 1960er Jahren die vorher obligatorische KCVP-Zugehörigkeit ab.121 Nach einer Phase der Desorientierung Mitte der 1960er Jahre nahm die Partei unter der neuen Leitung des Präsiden-ten Franz Josef Kurmann und des Sekretärs Urs C. Reinhardt diese Prozesse zur Kenntnis und beabsichtigte, insbesondere die (moderaten) Stimmenverluste im Mittelland aufzuhalten. Eine 1969 gegründete gesellschaft spolitische Kom-mission, unter anderem mit jungen AkademikerInnen aus der Universität Frei-burg, plädierte  – zum Unmut älterer Parteikader, darunter Martin Rosen-berg – für eine grundsätzliche Modernisierung der Parteiidentität und ihrer Entscheidungsstrukturen im Sinne einer vermehrten Transparenz.122 Im Zent-rum dieser Diskussion kam wieder die alte Frage des «veralteten, zu langen und unzutreff enden» KCVP-Namens auf.123 Als «Blickfang und Anziehungspunkt gegenüber neuen Wählerschichten»124 führte die Statutenrevision der Dele-giertenversammlung im Dezember 1970 den neuen Parteinamen Christlich-demokratische Volkspartei der Schweiz (CVP) ein, der auf kantonaler Ebene unterschiedlich übernommen wurde.125 An Stelle des nun verpönten konser-vativen Etiketts und des Bilds einer reinen Katholikenpartei sollte das «hohe C»

als Signet für die interkonfessionelle Öff nung stehen.126 Die neuen Statuten ver-mieden darüber hinaus jegliche Referenz auf dem politischen Katholizismus und gingen selbst mit dem Wort «Christlich» äusserst sparsam um. Laut dem Zweckparagraphen vereinige die CVP «Frauen und Männer aller sozialen Grup-pen, welche den öff entlichen Bereich nach einem christlich begründeten Ver-ständnis von der Würde des Menschen und nach den Grundsätzen der

Solidari-121 Schorderet: Crise ou chrysanthèmes, 2007, S. 91. Dazu Ziegler: Die katholische Kirche und die CVP, 1979.

122 Rohner: Der Weg zur Schweizer Christdemokratie, 1993; Jorio: Drei Jahrzehnte Licht und Schatten, 1996, S. 54–55; Gees: Erfolgreich als «Go-Between», 2001, S. 435; Altermatt:

Das historische Dilemma der CVP, 2012, S. 144–145.

123 BAR J2.181 1987/52_45_445, Fragen an die Kantonalparteien, Beilage zur Einladung an die Konferenz der kantonalen Präsidenten und Sekretäre am 28.02.1970, 30.01.1970.

124 Ebd.

125 Altermatt: Das historische Dilemma der CVP, 2012, S. 146–147. Zu früheren Diskus-sionen über den Namen, Ebd., S. 55–69; Flury: Von der Defensive zur gültigen Präsenz, 1994, S. 197–204.

126 Altermatt: Das hohe C, 1979.

tät und der Subsidiarität gestalten wollen.»127 Die Reform markierte weniger eine komplette Wende hin zur völligen Ent- oder Interkonfessionalisierung denn vor allem eine Neudefi nierung des Verhältnisses zwischen Partei und Katho-lizismus gemäss Konzil.128 Die Partei solle, so Urs C. Reinhardt, aus der «Rolle eines Transmissionsriemens für die katholische Kirche» austreten und zu einer überkonfessionellen, nicht «christlichen», sondern «christlich orientier-ten» Partei werden.129 Mit der Abschaff ung der Ausnahmeartikel zum Verbot der Jesuiten 1973 verschwand auch ein zentrales Kampff eld des politischen Katholizismus. Das neue Selbstverständnis als universalistische, nicht mehr standesorientierte «Volkspartei» drückte sich unter anderem im Bedeutungs-verlust der verschiedenen wirtschaft lichen Flügel in der Partei aus, beginnend damit, dass die Christlichsozialen nicht mehr im Partei namen sichtbar waren.

Als Überbleibsel der als veraltet geltenden Standesstruktur und als Zugeständ-nis an die nach wie vor minorisierten Christlichsozialen anerkannten die neuen Statuten die Möglichkeit von «soziologischen Gruppierungen», die in den Partei-organen vertreten sein konnten. Diesen Status erhielten 1970 die christlich-soziale Parteigruppe, 1981 die 1974 gegründete Arbeitsgemeinschaft der CVP-Frauen der Schweiz, während sich die Junge CVP als selbstständige Partei konstituierte.130

Die neuen CVP-Statuten beinhalteten ferner eine umfassende Reform der Parteistrukturen, die in den folgenden Jahren auch die FDP und die SVP inspirierte.131 Die drei Parteien teilten strukturelle Schwächen angesichts der neuen Herausforderungen für die politische Mobilisierung. Die CVP und SVP hatten den Schweizerinnen bisher kaum einen Platz eingeräumt, obwohl Ka-tholikinnen und Landfrauen eigene Organisationen im nahestehenden Hand-lungssystem unterhielten. Ab 1970–1971 bemühten sich beide Parteien, die Entstehung von Parteisektionen für Frauen zu unterstützen. Der Einbezug von Frauen in die Entscheidungsstrukturen blieb aber begrenzt und die

Grün-127 Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz (Hg.): Statuten, 1971.

128 Schorderet: Crise ou chrysanthèmes, 2007, S. 88.

129 Zitiert nach Gees: Erfolgreich als «Go-Between», 2001, S. 436.

130 Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz (Hg.): Statuten, 1971. Dazu Schatz:

Organisation der Bundespartei, 1979; Amlinger: Im Vorzimmer zur Macht, 2017, S. 283–

290.

131 Gruner: Die Parteien in der Schweiz, 1977, S. 289–314.

dung von Frauengruppen, insbesondere auf eidgenössischer Ebene, war zu-nächst wenig dauerhaft .132 Dabei litten auch die SP- und FDP-Frauengruppen aufgrund der geschlechterspezifi schen Arbeitsteilung zwischen (vorwiegend männlicher) Mutterpartei und Frauengruppe an einer «paradoxen Integrati-on» in die Parteistrukturen.133 Die Teilhabe der Basis an den Entscheidungen stellte ein weiteres Manko der drei Landesparteien dar, das sich angesichts der Unzufriedenheit mit der etablierten Politik und den partizipatorischen Forde-rungen von 1968 bemerkbar machte. Gemäss des KCVP-Sekretärs Urs C.

Reinhardt verhindere das Fehlen einer organisierten Mitgliedschaft auf eidge-nössischer Ebene nicht nur eine effi ziente Mobilisierung, sondern auch eine

«eigentliche politische Gemeinsamkeit, [eine] wirkliche Teilnahme» für den

«KCVP-Mann in der Gemeinde».134 Anstelle der Dachverbandsstrukturen der alten «Rahmenpartei» sahen die neuen CVP-Statuten die Vertretung der Basis in der neuen Delegiertenversammlung sowie im Präsidium und Vorstand vor.135 Eine nationale Mitgliederkartei sollte die direkte Verbindung zwischen Mutterpartei und Mitgliedern ermöglichen  – und darüber hinaus reguläre Beiträge für Kantonal- und Mutterparteien sichern. Parallel dazu sollte die Landespartei stärker zentralisiert werden. Diesem Zweck dienten die kleine-ren, mächtigeren eidgenössischen Exekutivinstanzen oder die Pfl ichtenheft e für die Kantonalparteien. Zwecks Professionalisierung wurden auch die Mit-gliederschulung und die Öff entlichkeitsarbeit der Partei aufgebaut. Damit konnte zugleich der in der Öff entlichkeit gestiegenen Forderung nach Trans-parenz entsprochen werden.136

Nach einem umfassenden, internen Konsultationsverfahren startete die FDP ab 1973 ihre eigene Reform, in deren Folge sie sich ebenfalls in eine stär-ker zentralisierte Mitgliederpartei umwandeln sollte. Die Jungen Freisinnigen, die zu dieser Zeit das Parteileben belebten, hatten zur Reform der Partei

auf-132 Amlinger: Im Vorzimmer zur Macht, 2017, S. 283–297. Zu den SVP-Frauen, ebd., S. 17;

Schnydrig: Aufstieg und Wandel einer Kantonalpartei, 2007, S. 108–115.

133 Amlinger: Im Vorzimmer zur Macht, 2017, S. 363.

134 BAR J2.181 1987/52_25_281, Leitender Ausschuss, 21.08.1970.

135 Rohner: Der Weg zur Schweizer Christdemokratie, 1993, S. 196.

136 Ebd., S. 197; Altermatt: Die Christlichdemokratische Volkspartei, 2000, S. 65.

gerufen.137 Manche Kantonalparteien waren aber gegen die vereinheitlichten Benennungen und gegen den eidgenössischen Mitgliederstatus, insbesondere gegen direkte Mitgliederbeiträge an die Mutterpartei. Immerhin einigte sich die Delegiertenversammlung 1976 auf die Einführung eines formellen Beitrittsverfahrens, auf die Schaff ung einer Mitgliederkartei innerhalb von fünf Jahren sowie auf eine verkleinerte, mit zusätzlichen Kompetenzen ausge-stattete Geschäft sleitung.138 Die Basis sollte zudem stärker durch die Delegier-tenversammlung, den neuen Delegiertenrat und durch die Möglichkeit von Urabstimmungen (wie bei der SP) eingebunden werden.

Die noch junge SVP, die am schwächsten zentralisiert geblieben war, ver-folgte ihre in den 1970er Jahren einsetzenden Stimmenverluste mit Besorgnis und folgte daher dem Trend zur Parteireform. Sie führte ebenfalls das Prinzip einer Mitgliederkartei ein und verstärkte die parteiinterne Demokratie mit einer mächtigeren Delegiertenversammlung und einem jährlichen Partei-tag.139 Wichtig für die Behauptung der Schweizer SVP gegenüber den Kanto-nalparteien war die Abkoppelung ihres Sekretariates von jenem der Berner SVP im Jahr 1979. Eine Arbeitsgruppe rund um den Parteipräsidenten Fritz Hofmann empfi ehl ferner programmatisch eine «Öff nung der Partei» zur Mitte, was sich im Aktionsprogramm 1978–1979 mit neuen Th emen wie Men-schenrechte, Konsumentenrechte oder Ökologie niederschlug. Im polarisier-ten, sich nach rechts verschiebenden politischen Kontext dieser Zeit liessen sich diese Reformschritte jedoch nicht ohne Widerstand vollziehen. Der 1977 gewählte Präsident der Zürcher SVP, Christoph Blocher, setzte sich quer zur eingeschlagenen Linie. Die Spannungen zwischen der Schweizer und der Zür-cher SVP prägten die kommenden Jahre und erschwerten es wesentlich, die strukturellen Reformen von 1977 zu verwirklichen.140

137 Année politique suisse, Parti radical-démocratique, 1971, Fn. 42; 1973, Fn. 11–15; 1974, Fn. 18–20; 1976, Fn. 20–21; Ungricht: Die Politik der Zürcher FDP, 2004, S. 76; im Tessin, Rossini: Fra perdita di consensi e reazioni al cambiamento, 2015.

138 Freisinnig-demokratische Partei der Schweiz (Hg.): Statuten, 1977.

139 PA SVP BE 1.51.22, Statuten der Schweizerischen Volkspartei, 1977. Dazu Hartmann;

Horvá th: Zivilgesellschaft von rechts, 1995, S. 41.

140 Dazu Hartmann; Horvá th: Zivilgesellschaft von rechts, 1995, S.  40–55; Schnydrig:

Aufstieg und Wandel einer Kantonalpartei, 2007, S. 153–165.

Im Dokument WAHLEN OHNE KAMPF ? (Seite 68-77)