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Kampagnenplanung: Professionalisierung und Zentralisierung?und Zentralisierung?

Im Dokument WAHLEN OHNE KAMPF ? (Seite 112-131)

Welche Massnahmen setzten die Parteien in ihren Kampagnen ein, als sie sich in der Nachkriegszeit höhere Ziele setzten? Wie haben Parteien ihre Wahl kampagnen als eigenständiges Moment des politischen Kalenders geplant? Im welchen Ver-hältnis zu den Abstimmungskampagnen stellten sie dabei ihre Wahlkampagnen?

Ihre Organisation sowie die investierten Ressourcen können über eine Professio-nalisierung der Kampagnen Auskunft geben. Zudem geben die Verhältnisse und die potenziellen Konfl ikte zwischen der Mutter- und der Kantonalparteien Ein-blick in den Zentralisierungsgrad der Kampagnen durchführung.

Macht und Ohnmacht der Mutterparteien im historischen Jahr 1947 Im unsicheren politischen Kontext des Jahres 1947 mussten die Bundesrats-parteien sowohl für die Nationalratswahlen als auch für drei historische Ab-stimmungen Kampagnen bestreiten (Infokasten 7). Diese Herausforderung brachte ihre Stärken und Schwächen klar zum Ausdruck. Anders als die bür-gerlichen Parteien konnte sich die SP auf ihre zentralisierte Funktionsweise rund um den Präsidenten Bringolf und den Sekretär Jules Humbert-Droz so-wie auf ihre organisierten «Vertrauensmänner» stützen, um Cohens

Empfeh-143 Raphael, Die Verwissenschaft lichung des Sozialen, 1996, S. 178.

lungen folgend eine landesweite Kampagne durchzuführen.144 Sie litt aber nach den kostenintensiven Abstimmungskampagnen an Mittelknappheit und musste beispielsweise auf die Produktion eines neuen Films verzichten.145

Infokasten 7

Komplexes Zusammenspiel zwischen Abstimmungen und Wahlen im Jahr 1947

Wahlen in der Schweiz gelten oft als sekundäre Ereignisse im Vergleich mit den Abstimmungen. Dennoch waren sie selbst im Fall des «hochpoliti-schen» Jahres 1947 in den parteipolitischen Strategien nicht untergeord-net.146 So beharrte die SP im Hinblick auf den Wahlkampf auf ihrer eigenen staatsplanerischen Initiative Wirtschaft sreform und Rechte der Arbeit, als die Bürgerlichen mit dem Einverständnis des SGB sie zum Rückzug bewe-gen wollten, um damit den Erfolg des Referendums über den Wirtschaft s-artikel nicht zu gefährden.147 Ihrer Strategie zur Verwirklichung ihres Pro-gramms Die Neue Schweiz folgend, forderte die Landespartei auch die ParteiaktivistInnen auf, ihre gesamte politische Tätigkeit inklusive den Abstimmungskampagnen des Frühjahrs 1947 auf die Nationalratswahlen zu orientieren.148 Die Freisinnigen verknüpft en ebenfalls die Abstimmun-gen des 7. Juli zu den Wirtschaft sartikeln und zur AHV mit ihren Wahl-chancen Ende Oktober, so der Parteipräsident Max Wey:

«Die Altersversicherung muss angenommen werden. Man kann heute vom klei-nen Mann nicht verlangen, dass er für die private Wirtschaft eintritt, wenn sie ihn in den Tagen des Alters sich selbst überlässt. […] Die Annahme der AHV wird für uns auch eine wertvolle Grundlage für den Kampf um die Nationalratswahlen sein; denn das wird in unserm Parteivolk wirken.»149

144 SSA Ar 1.230.3, Brief von Fritz Escher an die Kantonalparteien, 27.08.1947; SSA Ar 1.113.3, Parteikorrespondenz, 1947; SSA Ar 141.10.9, Cohen, Victor: SPS-Propaganda-Plan 1946–47 (Entwurf), [1946]. 

145 SSA Ar 1.111.11, Geschäft sleitung, 4.07.1947; 18.09.1947.

146 BAR J2.322-01 2009/263_2, Zentralvorstand, 18.01.1947.

147 Ebd. Dazu Degen: Sozialdemokratie, 1993, S. 61–62.

148 ACV PSV PP 225/8, Secrétariat central: Directives pour les élections au Conseil natio-nal 1947, [1946].

149 BAR J2.322-01 2009/263_2, Zentralvorstand, 18.01.1947.

Es stellte sich die Frage, welche der vier Bundesratsparteien, die sich für beide Abstimmungsvorlagen des 7. Juli engagierten, einen allfälligen Erfolg später bei den Wahlen einfordern könnte. Eine zu off ensichtliche Zusammenarbeit bei der Abstimmungskampagne könnte der Profi lierung der Parteien im Wahlkampf schaden, weshalb die SP trotz der Anfrage des Bauernverbandes dem überparteilichen Komitee für die Wirtschaft sartikel nicht beitreten wollte. Die Partei engagierte sich für die AHV-Abstimmung mit einer eige-nen Kampagne und die Geschäft sleitung riet den Nationalräten davon ab, beim überparteilichen Komitee zur AHV als Redner tätig zu werden.150

Bei der KCVP rief die AHV-Abstimmungskampagne interne Konfl ikte zwischen Konservativen und Christlichsozialen hervor, die auch den Wahlkampf prägten: Während sich die Christlichsozialen mit dem Par-teipräsidenten Josef Escher für die AHV engagierten, nahm der konserva-tive Parteifl ügel, darunter Redaktoren der Parteipresse wie der Zentralse-kretär Martin Rosenberg, öff entlich dagegen Stellung. Nach langen Diskussionen trat die Partei dem AHV-Aktionskomitee trotzdem bei.151 Diese Spaltungen in der Partei trugen die KCVP weiter in die Defensive, weshalb Martin Rosenberg bereits im Frühjahr 1946 das Zentralkomitee auf die Bedeutung der Wahlen hinwies: «Es kann sich niemand des Ein-drucks erwehren, dass wir durch den Willen der Linksparteien schon heu-te mitheu-ten in der Auseinandersetzung sheu-tehen, die in den National- und Ständeratswahlen vom Herbst 1947 ihren Abschluss fi nden wird».152 Als Antwort darauf solle die Partei trotz den Abstimmungskampagnen schon bald die Vorbereitungen für die Nationalratswahlen 1947 angehen: «Wir dürfen uns deshalb nicht auf Nebengleise hinausmanövrieren lassen. Ne-ben der AHV bestehen noch andere Probleme».153 Gerade aufgrund der Unsicherheiten um die historischen Abstimmungen des Jahres 1947

be-150 SSA Ar 1.111.11, Geschäft sleitung, 22.03.1947.

151 BAR J2.181 1987/52_23_234, Leitender Ausschuss, 30.09.1946. Dazu Flury: Von der Defensive zur gültigen Präsenz, 1994, S.  5–12; Kunz: Aufb ruchstimmung und Sonder-fall-Rhetorik, 1998, S. 29–30; Gees: Erfolgreich als «Go-Between», 2001, S. 442.

152 BAR J2.181 1987/52_21_175, Einladung zur Sitzung des Zentralkomitees, 22.02.1946;

9.03.1946.

153 BAR J2.181 1987/52_23_234, Leitender Ausschuss, 28.06.1946.

hielten die Nationalratswahlen des Herbsts ihre politische Bedeutung für die Parteien, da sie zur Klärung der Kräft everhältnissen beitragen sollten.

Die FDP-Kader beobachteten die SP-Kampagne und stellten deren Stärke fest.

Als Relikt der Zwischenkriegs- und Kriegsstimmung herrschte nämlich bei der FDP ein Klima des defensiven Argwohns gegenüber den anderen Parteien.

Der Sekretär der Zürcher FDP, Albert Hauser, befürwortete sogar einen «poli-tischen Nachrichtendienst»: «Derjenige ist immer in der starken Position, der es versteht, eine Nasenlänge vor dem Gegner zu sein. Dies bedingt Ausschöp-fung aller Möglichkeiten zur Beschaff ung politischer und taktischer Nachrich-ten über den Gegner.»154 Dafür sollen sich in Zürich «Vertrauensleute in wich-tigen gegnerischen Parteiinstanzen bestens bewährt» haben. Dies hielt der FDP-Präsident Max Wey jedoch für «äusserst gefährlich».155 Die Partei solle keinen solchen «Spionagedienst», hingegen aber einen «parteiinternen Nach-richtendienst» für ihre Kampagne aufb auen.156 Für das «diskrete Weiterleiten von Infos über andere Parteien» spielten auch die 1919 eingesetzten Konferen-zen der kantonalen Parteisekretäre und/oder -präsidenten eine Konferen-zentrale Rol-le.157 Dem föderalen Selbstverständnis der Partei entsprechend, sorgten sie anstelle des schwachen Parteivorstands zumindest für eine gute horizontale Kommunikation zwischen den Kantonalparteien.158 Sie konnten dennoch sel-ten Entscheidungen durchsetzen und die Landespartei besass keine weiteren Gremien, die sich Kampagnen widmeten. Dadurch und aufgrund der im Ver-gleich zu den Kantonalparteien begrenzten fi nanziellen Mittel blieb die Lan-despartei 1947 Beobachterin des Geschehens in den Kantonen, wo sich eine Einigung auf ein gemeinsames Manifest und Plakat fi nden liess.159 Die Frei-sinnigen waren sich weiterhin darüber einig, dass «das Schwergewicht im Wahlkampf […] bei den kantonalen Parteien liegen [muss], deren

Anstrengun-154 BAR J2.322-01 2009/263_39_105, Konferenz der kantonalen Parteisekretäre, 15.02.1947.

155 Ebd.

156 Ebd.; Konferenz der Kantonalsekretäre, 18.03.1947 (Robert Bauder).

157 Dietschi: 60 Jahre Eidgenössische Politik, 1979, S. 143. Dazu Gruner: Die Parteien in der Schweiz, 1977, S. 92.

158 BAR J2.322-01 2009/263_39_105, Sitzungen der Kantonalsekretäre mit dem General-sekretariat, 1947.

159 Ebd., 8.05.1947 und 8.08.1947. 

gen die schweizerische Parteileitung nach Möglichkeit zu unterstützen hat», so der Parteipräsident.160 Die Schwäche der Mutterpartei begründete aber die Mängel der freisinnigen Kampagne gegenüber jener der SP. Die Landespartei konnte die Inseratenkampagne der SP nicht nachahmen und die Parteikader bemängelten ihre im Vergleich zu jener der SP und der KVP gering mobilisie-rungsfähige Basis.161

Die KVP litt hingegen nicht an einem Kräft emangel, sondern an den Spannungen zwischen Konservativen und Christlichsozialen aufgrund der Diskussion um die AHV. Der parteiintern umstrittene Sekretär Rosenberg rief daher zur «Einheit» auf und sendete den Kantonalparteien zumindest Empfehlungen für die Kampagne.162 Der Leitende Ausschuss war gegen eine

«zentralistische Aktion».163 Die Kampagnenmaterialien galten nur als Vor-schlag für die Kantonalparteien und das erstmals national hergestellte Wahl-plakat benutzten vor allem kleinere Kantonalparteien, wie diejenige von Zü-rich. Noch machtloser als die beiden anderen bürgerlichen Parteien war 1947 die damals erst elf Jahre alte Schweizer BGB, die noch ihre Position im Ver-hältnis zu den kantonalen Parteien suchte und der es an Ressourcen mangel-te.164 Der Parteisekretär Walter Siegenthaler plädierte zwar dafür, die Natio-nalratswahlen «auf lange Sicht» vorzubereiten, und gründete ein (kurzlebiges) interkantonales Aktionskomitee für die Kampagne.165 Die Kampagnenpla-nung begann aber erst nach den Abstimmungskampagnen des Sommers. Das erste, zu diesem Zeitpunkt einzig als Vorschlag konzipierte, landesweite Pla-kat nahmen die fi nanziell schwachen Sektionen als Entlastung wahr, während einige der grösseren Kantonalparteien überhaupt kein Plakat verwendeten.

Als Begründung fügte beispielsweise die Th urgauer Partei die Einschätzung

160 Ebd., 15.02.1947.

161 Ebd., 16.07.1947; BAR J2.322-01 2009/263_3_62, Generalsekretariat: Grundsätzliche Bemerkungen zur Werbung, [1945].

162 BAR J2.181 1987/52_21_176, Zentralkomitee, 8.02.1947; BAR J2.181 1987/1987/

52_23_235, Leitender Ausschuss, 12.07.1947.

163 BAR J2.181 1987/52_60_528, Brief der Zürcher Partei an das Sekretariat der KVP, 21.02.1948.

164 PA SVP BE 1.12.7, Leitender Ausschuss der Schweizer BGB, 4.12.1947.

165 Ebd., Zentralvorstand der Schweizer BGB, 30.01.1947; 19.06.1947.

an, dass Plakate «auch nichts» nützten.166 Nach dem Wahlkampf befürwor-teten jedoch die Mitglieder des Zentralvorstandes zukünft ig mehr Zentralisie-rung zwecks einheitlicher Kampagnenmaterialien.167

Müssen Wahlerfolge «erarbeitet werden»?

Die Schwierigkeiten der bürgerlichen Parteien im «hochpolitischen Jahr 1947»

veranlassten sie, ihre Kampagnenplanung zu überdenken. So verstärkte ab den frühen 1950er Jahren der Bieler FDP-Sekretär Robert Bauder die Kontakte mit den Kantonalparteien und versuchte, ihre Kampagnentätigkeit zu rationalisie-ren, zum Beispiel mit einem umfangreichen Wahlhandbuch für 1951.168 Bau-ders Nachfolger ab 1954, Hans-Rudolf Leuenberger, entwickelte die Landes-partei weiter, insbesondere im Bereich Presse und Information.169 Die FDP-Kampagne von 1959 beurteilte der SP-Sekretär Fritz Escher als off ensiv und stellte fest, dass nur der LdU mit den fi nanziellen Mitteln des Freisinns konkurrenzieren könne.170 Tatsächlich konnte die FDP nun einen nationalen Wahlkampf führen, obschon sie weiterhin wenig zentralisiert blieb: Die Partei-leitung koordinierte die Kampagne weniger mit dem Zentralvorstand als mit informellen Treff en der kantonalen Sekretäre und Präsidenten. Sie bot den Kantonalparteien zahlreiche Dienste wie Kurse, Dokumentationen und Richt-linien für ihre Kampagnen an.171 Die verstärkten Aktivitäten der Parteileitung blieben allerdings rechtfertigungsbedürft ig. So betonte die Geschäft sleitung parteiintern, dass «es sich um eidgenössische Wahlen handelt und die schweize-rische Partei demzufolge die Zielsetzung bekannt zu geben hat».172 Auch die Kampagne der Schweizer BGB war sichtbar routinierter als 1947. Das

Sekreta-166 Ebd., 4.12.1947.

167 PA SVP BE 1.12.7, Leitender Ausschuss der Schweizer BGB, 4.12.1947.

168 ASTi 3.3.3 74.2.1, Parti radical-démocratique suisse: Notre chemin. Guide pour les élec-tions fédérales 1951, [Bern] 1951. Dazu Dietschi: 60 Jahre Eidgenössische Politik, 1979, S. 258.

169 Dietschi: 60 Jahre Eidgenössische Politik, 1979, S. 258; Hans Rudolf Leuenberger zum Gedenken, in: Neue Zürcher Zeitung, 25.09.2003.

170 Escher: Rückblick auf die Nationalratswahlen 1959, 1959, S. 310.

171 BAR J2.322-01 2009/263_10_58, Konferenzen der Sekretäre, 1959; BAR J2.322-01 2009/263_50_109, Leuenberger, Hans-Rudolf: Mitteilungen des Generalsekretariates, Die eidgenössischen Wahlen 1959, [1960].

172 BAR J2.322-01 2009/263_14_51, Geschäft sleitung, 2.05.1958 (Alfred Schaller).

riat stand wegen der Kampagne regelmässig in Kontakt mit den Kantonalpar-teien. Bereits nach den Wahlen von 1955 wurden Kommissionen – zusammen-gesetzt aus Parteikadern, Gewählten, Journalisten, Verbandssekretären und Landwirten gegründet –, die für das Kampagnenplakat zuständig waren.173 Die Mutterpartei hielt sich allerdings zurück. Im Unterschied zur Meinung des Se-kretärs solle gemäss Parteipräsident Walter Siegenthaler «die Schweizer Partei […] in die gesamte Wahlaktion kaum eingreifen».174 Entsprechend begnügte sie sich mit dem Versand von «Informationsdiensten» zu den Nationalratswahlen und schlug Kampagnenmaterialien vor, die vorwiegend von den kleinen Kan-tonalparteien übernommen wurden.175

Meinungsunterschiede zur Kampagnenplanung waren 1959 bei der KCVP noch grösser als in anderen Parteien. Parallel zu ihren Erfolgen des Jahrzehnts hatte der mittlerweile allgegenwärtige Zentralsekretär Martin Ro-senberg die Parteiorganisation durchstrukturiert und wendete sich nun direkt an die Vertrauensmänner, zum Beispiel für ihre politische Bildung.176 Rosen-berg bezweckte, die Kampagnen verstärkt zu zentralisieren, um seine ambiti-onierten Wahlziele zu erreichen. Selbst die kleinsten Kantonalparteien mit wenigen oder nicht existierenden Mandatschancen besässen eine «Ehren-pfl icht» gegenüber der Partei, die nationale Wählerzahl zu erhöhen.177 Für die Wahlen von 1959 lancierte er eine einheitliche Kampagne samt einem landes-weiten Plakat, die unter dem Motto der «christlichen Demokratie» stand.178 Neben der «allzu stark strapazierten»179 Parole stiess auch Rosenbergs Kampa-gnenstil bei einigen Kantonalparteien auf Kritik. So solle die Sankt Galler Kantonalpartei die «amerikanischen» Plakate abgelehnt und den «eigentlichen

173 PA SVP BE 6.2.20, Aktionskommission für Nationalratswahlen (1959), 1955; PA SVP BE 1.62.3, Geschäft sleitung der Schweizer BGB, 18.03.1959; Einladung zu einer Sekretären-konferenz, 10.06.1959.

174 PA SVP BE 1.62.3, Geschäft sleitung der Schweizer BGB, 18.03.1959.

175 PA SVP BE 6.2.20, Schweizerische BGB: Nationalratswahlen, Informationsdienst 1-5, 1959.

176 BAR J2.181 1987/52_164_1280, KCVP: Politische Dokumentationen, 1959.

177 Ebd.

178 BAR J2.181 1987/52_63_532, Zirkular des Zentralsekretariates an die Kantonalpartei-en, 18.08.1959.

179 BAR J2.181 1987/52_24_243, Leitungsausschuss und Fraktionsvorstand, 28.11.59.

Wahlkampf» erst acht Tage vor dem Wahlgang aufgenommen haben.180 Für Rosenberg belegte der Stimmenverlust der Kantonalpartei  – circa 13’000 Stimmen im Vergleich zu 1955 – die Absurdität dieser Strategie, weshalb er nach den Wahlen für eine weitere Reorganisation des Wahlkampfs plädierte:

«Die bisherigen Erfahrungen zeigten immer wieder und der Wahlausgang 1959 be-stätigte es erneut: Wahlerfolge müssen erarbeiten werden – unermüdliche Kleinarbeit auf lange Sicht. Mit einem ‹kurzen Wahlkampf› sind heute keine Wahlen mehr zu gewinnen, keine Fortschritte zu erzielen, höchstens noch Amtsinhaber zu bestätigen.

Gerade das genügt aber nicht in einer Wahlauseinandersetzung, bei der es darum ging, wählermässig sich an die Spitze der bürgerlichen Parteien zu stellen. […] Wir sollten in Zukunft dazu kommen, dass für eidgenössische Wahlen eine gewisse Ein-heitlichkeit in der Kampff ührung und in den Propagandamitteln sich durchsetzt, nur so kann auf schweizerischer Ebene eine Stimmung geschaff en werden, die sich an den Urnen auswirkt.»181

Dafür solle die schweizerische Partei nicht nur während der Wahlkampfzeit, sondern auch während der Legislatur eine Führungsrolle übernehmen.

Verglichen mit diesen Ambitionen, aber auch mit ihrem Optimismus von 1947, lancierte die intern gespaltene SP eine wenig off ensive Kampagne. Der Parteipräsident Walther Bringolf schlug ein «traditionelles Vorgehen» mit dem Parteisekretariat sowie der Agitations- und Propagandakommission als Hauptakteure der Wahlkampagne vor.182 Mangels Ressourcen beschränkte sich die Kampagne auf eine Haushaltsfl ugschrift , ein Plakat und eine beschei-dene Inseratenkampagne in einigen Sportzeitungen.183 Viel wichtiger erschien den Führungsinstanzen die Annahme des neuen reformistischen Programms noch vor den Parlaments- und folglich vor den Bundesratswahlen. Am Win-terthurer Parteitag im Mai blockierte die Geschäft sleitung Anträge von Sekti-onen, die eine spätere Verabschiedung des Programms verlangten, weil sie mehr Zeit zur Diskussion benötigten.184 Der Wahlkampfk ontext führte also

180 BAR J2.181 1987/52_63_532, Rosenberg, Martin: Die eidgenössischen Herbstwahlen 1959, 22.02.1961.

181 Ebd.

182 SSA Ar 1.110.49, Geschäft sleitung, 24.01.1959.

183 SSA Ar 1.111.13, Parteivorstand, 29.08.1959; SSA Ar 1.230.6, Brief des Zentralsekreta-riates an die Sektionen, 14.10.1959.

184 SSA Ar 1.111.13, Geschäft sleitung, 18.04.1959.

zu einem Kontrollbedürfnis der Parteikader, was die interne Stimmung weiter verschlechterte. Anlässlich der Wahlen wuchs in der Parteibasis das Unbeha-gen über die oppositionelle Haltung der SP. Zwecks Beschwichtigung versuch-te die SP, direktdemokratisch aktiver zu werden (Infokasversuch-ten 8).

Infokasten 8

Abstimmungen als Wahlkampfvehikel der oppositionellen Kräfte

Während die Instrumentalisierung der direkten Demokratie für Wahlzwe-cke seit den 1990er Jahren zu einer brisanten Frage wurde,185 spielten Ab-stimmungen als Wahlkampfvehikel bereits in der frühen Nachkriegszeit eine Rolle. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg wurden direktdemo-kratische Instrumente zwar relativ wenig in Anspruch genommen, schon gar nicht von den drei bürgerlichen Bundesratsparteien, die lieber die par-lamentarischen Wege auswählten.186 Der LdU, die PdA und die SP lancier-ten hingegen regelmässig Initiativen, um sich als oppositionelle Kraft zu positionieren. Dieses Vorgehen war für die SP besonders riskant. So wuchs 1959 der Unmut an der Basis, weil die SP die populäre LdU-Initiative zur Arbeitszeitverkürzung nicht unterstützte, um nicht gegen die Präferenz der SGB für Gesamtarbeitsverträge anzukämpfen. Nachdem diese Initiati-ve im Oktober 1958 gescheitert war, lancierten der SGB und die SP eine gemeinsame Initiative zur 44-Stunden-Woche.187 Ebenfalls versuchte die SP, interne Spannungen aufgrund der Initiative der SBgAA zu beruhigen, als sie im Frühling 1959 eine eigene Initiative zum Mitspracherecht des Volkes bei der Beschaff ung von Atomwaff en lancierte.188

Die Einführung der Zauberformel im gleichen Jahr verstärkte für die SP das Spannungsverhältnis zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung zusätzlich. Nun benutzten auch die neuen rechten und linken Bewegungen

185 Marquis; Bergman: Development and Consequences of Referendum Campaigns in Switzerland, 2009; Leemann: Political Confl ict and Direct Democracy, 2015.

186 Zürcher: Von der mehrheitskonformen Standespartei zur oppositionellen Volkspartei, 2007; Linder; Bolliger; Rielle: Handbuch der eidgenössischen Volksabstimmungen, 2010.

187 SSA Ar 1.110.49, Geschäft sleitung, 23.09.1959. Dazu Degen: Sozialdemokratie und Gewerkschaft en, 1988, S. 143–144.

188 Buclin: Une brèche dans la défense nationale, 2018.

direktdemokratische Instrumente als Handlungsmittel, um mediale Auf-merksamkeit zu erregen und Th emen auf die politische und mediale Agen-da zu setzen. Im Wahlkampf von 1971 war die SP bei der «Überfremdungs-initiative» von 1970 intern noch gespalten. Der Zürcher SP-Sekretär Karl Gmünder und der Journalist Sebastian Speich plädierten mit einer Initiati-ve zur Verlängerung der Ferienzeit dafür, «‹symbolhaft › [zu] zeigen, was die SP eigentlich will» und «selbst die Wahlkampfdiskussion [zu] bestimmen»:

«Die Initiative [würde] die ‹Nationalen› in Zugzwang [bringen] – sind sie dafür, [laufen] sie im Windschatten von uns, sind sie dagegen, zeigen sie ihr arbeitnehmerfeindliches Gesicht.»189 Die Mehrheit der Geschäft slei-tung setzte sich aber gegen «Gmünders ‹Evangelium der Flucht nach vorn›»

durch.190

In den kommenden Jahren forderten die zunehmende politische Polari-sierung und die intensive Initiativen- und Referendumstätigkeit der neuen sozialen Bewegungen die SP noch stärker heraus. Auch sie selber bediente sich dieser politischen Mittel – oft mit wenig Erfolg.191 Im Wahlkampf von 1983 diente die lancierte Umweltschutzinitiative als Drohmittel in den im Parlament laufenden Debatten zum Umweltschutzgesetz. Sie sollte aber auch als Signal für jene Linkswählenden wirken, die den Umweltschutz-bewegungen nahestanden und zu den neuen linken und grünen Parteien überzulaufen gedachten – die GPS hatte kurz zuvor eine Beschränkung des Autofahrens auf jeden zweiten Tag vorgeschlagen.192 Noch stärker als zuvor wurde diese SP-Initiative als Wahltrumpf gedeutet. Kritisch fragte die NZZ, ob «hier mit einem ernsten Problem auch parteipolitische Wahltaktik ge-trieben [und] der Kampagne einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit genommen [wird]?»193

189 SSA Ar 1.110.62, Geschäft sleitung, 16.04.1971; ACV PP 225/37, Sekretariat SP Zürich (Karl Gmünder/Sebastian Speich): Analyse der Schwarzenbach-Initiative II, 1970.

190 SSA Ar 1.110.62, Geschäft sleitung, 16.04.1971 (Aloïs Bertschinger).

191 App: Initiative und ihre Wirkungen, 1987; Detterbeck: Der Wandel politischer Partei-en in Westeuropa, 2002, S. 105.

192 SSA Ar 1.110.74, Geschäft sleitung, 8.06.1983; Automobilistes, ceinture!, in: 24 Heures, 5.09.1983.

193 Grüne Flut und rote Ebbe im Wahlkampf, in: Neue Zürcher Zeitung, 17.09.1983.

Nationale Kampagnenkonzepte als Versuch der Professionalisierung

Im politisch unsicheren Kontext der frühen 1970er Jahre hatte sich die Kampa-gnenplanung der Parteien völlig verändert. Zusätzlich zur externen Expertise verfügten die Schweizer Parteien über mehr personelle Ressourcen als zuvor (Infokasten 9). Für die Kampagnen von 1971 betrieben die Parteien einen viel bedeutenderen organisatorischen Aufwand und intensivierten durch die ein-heitlichen Werbekonzepte die Zentralisierung ihrer Kampagnen. Der Eintritt der Frauen in den politischen Markt verlieh dem Wahlkampf einen ausseror-dentlichen Charakter. Der SP-Sekretär Aloïs Bertschinger betitelte ihn sogar als «spannendsten Wahlkampf in diesem Jahrhundert».194 Gleichwohl waren die Parteien in einer im Wandel begriff enen Medien- und Werbeumwelt am Experimentieren. Die Organisation der ersten (und letzten) Werbespots führte sie dazu, die Kampagnenvorbereitung bereits im Januar 1970 anzusetzen und verlangte zudem viel Koordination auf sprachregionaler Ebene.195

Infokasten 9

Professionalisierung der schweizerischen Parteien in den 1960–70er Jahren

Während der 1960–70er Jahre unterzogen die schweizerischen Parteien ihre Stukturen einem Professionalisierungsprozess. Dies begann mit dem personellen Ausbau der Parteisekretariate: Verfügte die Schweizer FDP 1960 über 3.5 Stellen in ihrem Sekretariat, waren es 1970 bereits 7, und 1980

Während der 1960–70er Jahre unterzogen die schweizerischen Parteien ihre Stukturen einem Professionalisierungsprozess. Dies begann mit dem personellen Ausbau der Parteisekretariate: Verfügte die Schweizer FDP 1960 über 3.5 Stellen in ihrem Sekretariat, waren es 1970 bereits 7, und 1980

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