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Kampagnenausgaben: Geheim und umstritten

Im Dokument WAHLEN OHNE KAMPF ? (Seite 131-161)

Als handfester Beweis und Stigma der Kampagnenprofessionalisierung blie-ben die Kampagnenausgablie-ben zugleich ein gut gewährtes Geheimnis und führten zu dauerhaft er Polemik in den eidgenössischen Wahlkämpfen.

Das Geheimnis um Kampagnenausgaben

Die genauen Kampagnenausgaben messen und diachronisch vergleichen zu wollen, bleibt bis heute in der Schweiz ein komplexes und heikles Unterfangen.

In schweizerischen Wahlkämpfen wenden nicht nur die Parteien auf den drei Staatsebenen Geld auf, sondern auch Kandidierende – vor allem bürgerliche – sowie die verschiedenen Interessengruppen, die Parteien und Kandidierende unterstützen können. Mangels Regulierung der Kampagnen waren und sind Parteien darüber zu keiner Auskunft verpfl ichtet und die zugänglichen Archi-ve liefern nur sporadisch Budgets und Rechnungen zu ihren Kampagnen.237

Immerhin zeigen Daten zu den Gesamtbudgets der schweizerischen Par-teien die (nicht lineare) Zunahme ihrer fi nanziellen Ressourcen zwischen den 1940er und den 1980er Jahren, was auch den personellen Ausbau der Parteise-kretariate ermöglichte. Während die vier Landesparteien 1968 weniger als eine halbe Million Franken als Jahresbudget zur Verfügung hatten, konnten die Schweizer SP, CVP und FDP bis 1984 laut eigenen Angaben diese Summe mehr als verdoppeln. Nur die Schweizer SVP verfügte damals über weniger als eine Million Franken Jahresbudget.238 Die Finanzierungsquellen der Parteien waren sehr unterschiedlich: Die Querfi nanzierung durch die Fraktionssekre-tariate (ab 1970) trug bei allen Parteien ungefähr einen Zehntel des Parteibud-gets bei, ebenso wie die Mandatsabgaben.239 Nur die SP kannte eine fi nanziel-le Verfl echtung zwischen nationananziel-ler Mutterpartei und Kantonalparteien und fi nanzierte sich hauptsächlich durch Mitgliederbeiträge. Die anderen

Partei-237 Gunzinger: Analyse comparative des ressources fi nancières des partis politiques suis-ses, 2008; Hermann; Nowak: Das politische Profi l des Geldes, 2012; Longchamp; Jans: Wer zahlt, befi ehlt, 2015.

238 Nach der Zahlenzusammenstellung bei Vatter: Das politische System der Schweiz, 2016, S. 137.

239 Gruner: Die Parteien in der Schweiz, 1977, S.  222; Drysch: Parteienfi nanzierung, 1998, S. 71–141; Altermatt: Die Christlichdemokratische Volkspartei, 2000, S. 71–72.

en, insbesondere auf eidgenössischer Ebene, waren hingegen stark auf freiwil-lige Spenden angewiesen. Die privaten Finanzierungsquellen der bürgerlichen Parteien erlebten dabei einen bedeutenden Wandel. Die Schweizer CVP bei-spielsweise konnte ab Ende der 1960er Jahre nicht mehr mit der Unterstüt-zung des Klerus rechnen und musste den Adressatenkreis ihrer Finanzaktio-nen über das katholische Handlungssystem hinaus erweitern.240 Ab den 1970er Jahren wurde für alle bürgerlichen Parteien die Schaff ung von regulären Fi-nanzierungsquellen, unabhängig von den traditionellen Gönnern, entschei-dend. Sie organisierten dazu mit mehr oder weniger Erfolg Spendenaktionen oder mobilisierten neue, dauerhaft e Gönnergruppen.241 Spektakulär zeigte sich diese Wende bei der Zürcher SVP, die sich Anfang der 1970er Jahre in einer fi nanziellen Krise befunden hatte. Anfang der 1980er Jahre hingegen kam sie nicht nur in den Genuss von Beiträgen der neuen, aktiven Gönnerver-einigung, sondern auch von Spenden der fi nanzstarken Parteimitglieder Christoph Blocher und Walter Frey.242

Die Kampagnenausgaben der Parteien erlangten erst ab den 1960er Jahre öff entliche Aufmerksamkeit. Ähnlich wie bei den Gesamtbudgets der Partei-en berichtetPartei-en die MediPartei-en bei nahezu jedem Wahlkampf von erneut höherPartei-en Ausgaben auf eidgenössischer und kantonaler Ebene sowie seitens der Kandi-dierenden.243 Für die Wahlen von 1975 schätzte Erich Gruner die Ausgaben der Parteien auf rund 9 Millionen Franken ein. Dabei lieferten sich die FDP und der LdU mit fast 2 Millionen Franken für Kampagnenausgaben (Mutter- und Kantonalparteien) ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Dahinter folgten die SP (1.65), CVP (1.37) und schliesslich die SVP (0.79).244 1979 sollte die Kampag-nenausgaben mindestens 10 Millionen Franken erreicht haben, zu denen zu-sätzlich schätzungsweise 4 Millionen von Interessengruppen und den Kandi-dierenden kamen.245

240 Gees: Erfolgreich als «Go-Between», 2001, S. 432.

241 So Anfang der 1980er Jahre, PA CVP CH W (2), o.A.: Bausteine der CVP, [1980]; PA SVP BE, SPK: Dossier Wahlen 1983, 1983.

242 Schnydrig: Aufstieg und Wandel einer Kantonalpartei, 2007, S. 81–83.

243 Année politique suisse, 1971, Campagne électorale, Fn. 44.

244 Gruner: Die Parteien in der Schweiz, 1977, S. 221.

245 Année politique suisse, 1979, Campagne électorale, Fn. 17–18.

Für die Kampagne von 1983 schätzte der Journalist Peter Amstutz in der Basler Zeitung gemäss Angaben von Fachleuten die Gesamtausgaben auf 20 Mil-lionen und beschrieb die Parteisekretäre auf ironische Weise als Finanzgenies:

«Spricht man sie auf ihre Kassenlage im Wahljahr an, dann nennen sie fast durchwegs mitleiderregende Summen. Fragt man sie nach den Kosten einer Gesamterneuerung der eidgenössischen Räte, sind sie mit schwindelerregenden Beträgen sofort jammer-bereit. Nur über die diskreten Methoden zur Finanzierung der off ensichtlichen Diff e-renz wird zumeist vornehm geschwiegen.»246

Nur der LdU-Geschäft sführer Jürg Schultheiss zeigte Transparenz im Finanz-bereich und gab für 1983 1.5 Millionen Franken Einnahmen an, wobei «unter einer Million Franken […] bei eidgenössischen Wahlen gar nichts [laufe]».247 Solche Aussagen liessen, so Amstutz, an der Glaubwürdigkeit der anderen Wahlbudgets zweifeln: Etwas mehr als eine halbe Million für die FDP, 600’000 für die CVP, 320’000 für die SP, zwischen 150’000 und 200’000 für die SVP, deren Generalsekretär Max Friedli eigentlich «siebenstellige Beiträge» als er-forderlich ansah, «um kurzfristig mit gezielten Propagandasalven in der Schweiz Kräft everschiebungen zu bewirken.»248 Sicherlich versteckten die nationalen Angaben die Ausgaben der Kandidierenden und der Kantonal- sowie Ortspar-teien. Nur einige Kantonalparteien gaben ihre Zahlen preis. So soll die Zürcher SVP 350’000 Franken im Wahlkampf (ohne Ausgaben der Bezirks- und Stadt-parteien) eingesetzt haben, was mit den 150’000 Franken der nationalen Partei zu vergleichen ist.249 Um von den Angaben der Parteien unabhängig zu werden, suchten Wahlkampfb eobachter nach anderen Methoden zur Einschätzung der Kampagnenausgaben. 1983 untersuchte der Argus der Presse erstmals die Inseratenausgaben und kam bei den Parteien auf ei n Total von 7.4 Millionen Franken. Davon fi elen 33.9% auf die FDP, 21.2% auf die SVP, 14.4% auf die CVP, 7.6% auf die SP und 22.9% auf weitere Parteien.250 Im Kanton Zürich

246 Der Weg ins Bundeshaus wird mit vielen Millionen geebnet, in: Basler Zeitung, 27.08.1983.

247 Ebd.

248 Ebd.

249 Ebd. 

250 Année politique suisse, 1983, Campagne électorale, Fn. 26–27.

waren die Ausgaben für Inserate besonders auff ällig – mit 3’586’263 Franken, darunter zwei Drittel für die Listen und Kandidierenden der SVP und FDP.251

Diese (nicht lineare) Zunahme der Ausgaben spiegelt den Bedeutungs-gewinn, die Verlängerung und die quantitativ zunehmenden Materialien der Kampagnen im parteipolitischen Leben in der frühen Nachkriegszeit wider.

Seit 1947 setzten sich CVP und vor allem die FDP gegenüber der SP durch. Ihre nachgeholte Zentralisierung erhöhte ihre Schlagkraft im Wahlkampf. Dazu kamen die steigende Selbstfi nanzierung ihrer Kandidierenden sowie die kon-sequenten Wahlspenden mancher Mitglieder und der ihnen nahestehenden Verbände. Neben einer bescheidenen gewerkschaft lichen Unterstützung, die von Kanton zu Kanton variierte, blieb die SP hingegen hauptsächlich auf die Beiträge ihrer Mandatsträger und Mitglieder angewiesen, deren Anzahl aber mit der Zeit stagnierte.

Kampagnenausgaben zwischen Polemik und Tabu

Die Frage der Wahlkampfausgaben war konstant Gegenstand von heft iger Po-lemik, so bereits 1947: Kommunistische und sozialdemokratische Parteiorga-ne enthüllten die Zahlungen von katholischen Klöstern und Erziehungsan-stalten an die KVP, während laut der sozialdemokratischen Zeitung Volksrecht für die freisinnige Kampagne gegen die Neue Schweiz «sehr erhebliche Geld-summen der freisinnigen Wahlkasse in neuen Propagandamitteln [sic] mit ausgeleiertem Inhalt investiert worden [seien]».252 Humbert-Droz warf am SP-Parteitag den Bürgerlichen sogar vor, den Abstimmungskalender so gestal-tet zu haben, dass die SP-Kassen bei den Wahlen von 1947 leer wurden.253 Am meisten ins Visier der anderen Parteien gerieten aber die Finanzen der PdA.

Ihre Finanzierung durch die Industriellenfamilie Schauwecker, die in den Kriegsjahren mit deutschen Unternehmen zusammengearbeitet hatte, sorgte bereits 1945 für Schlagzeilen. Im Jahr 1946 gerieten die Partei und ihre Zei-tung Vorwärts zunehmend in fi nanzielle Schwierigkeiten, da die Parteifüh-rung rund um Karl Hofmaier das Budget grosszügig und willkürlich verwal-tet hatte. Auch nach dem Ausschluss von Hofmaier und der Reorganisation

251 Wahlwerbung im Wert von 3’586’263 Franken, in: Tages-Anzeiger, 26.10.1983.

252 Freisinn fl unkert, in: Volksrecht, 12.09.1947.

253 SSA Ar 1.116.15, Parteitag, 30./31.08.1947, S. 67–68.

der Partei Ende 1946 verfolgten die anderen Parteien weiterhin die für sie sehr vorteilhaft e Polemik um die PdA-Finanzen. Insbesondere die sozialdemokra-tische Presse, nicht zuletzt durch den Impuls ehemaliger KPS-Kader wie dem Zentralsekretär Jules Humbert-Droz, versuchte, aus diesen Skandalen Kapital zu schlagen.254 Mit der verstärkten Isolation der PdA in späteren Jahren wur-den ihre angeblich starken Finanzen zu einem beliebten Dauerbrenner ihrer Gegner, da deren Ursprung Gegenstand von Spekulation war und die PdA als von ausländischen Akteuren unterstützt stigmatisiert werden konnte.255

Ab Mitte der 1950er Jahren traf der Argwohn gegenüber den Kampagnen-ausgaben vermehrt die grossen Akteure der politischen Kommunikation: die Werbe- und PR-Büros sowie zum Teil die grossen Parteien selbst. Kritik gegen die aufwendigen, oft anonymen Kampagnen rechtsbürgerlicher Gruppierun-gen kam zunächst aus dem linken Lager. Darauf folgten jedoch hauptsächlich Aufrufe an das Verantwortungsbewusstsein der Parteien.256 In der Diskussion um das «helvetische Unbehagen» stand mehr denn je das «Missverhältnis zwi-schen Propagandaaufwand und Aufwand für konstruktive politische Arbeit»

auf der Anklagebank.257 Die Kritik gründete auf der nostalgischen Vorstellung einer idealisierten, aufk lärerischen Politik aus der Zeit vor der Massengesell-schaft , welche angesichts des Medienwandels in den 1960er Jahren weiteren Auft rieb erhielt.258 Auch Max Imboden setzte sich gegen anonyme Kampagnen ein, befürwortete aber anstelle einer Verrechtlichung der politischen Kommu-nikation wie in der BRD eine «Selbstreinigung der öff entlichen Meinung»: Die Parteien sollen sich über «verpfl ichtende allgemeine Spielregeln der politischen

254 SSA Ar 1.111.11, Geschäft sleitung, 4.01.1947; SSA Ar 1.119.4, [Humbert-Droz, Jules]:

Vom Korruptions-Skandal Hofmaier zur politischen Krise der PdA, in: Der Vertrauens-mann, Juni 1947; Klare Situation, in: Berner Tagwacht, 30.09.1947. Dazu Rauber: Histoire du mouvement communiste suisse, 2000, S.  71–83; Huber: Der Antikommunismus der SPS, 2009, S. 270–271; Kap. IV, Fn. 17–18.

255 Aktion freier Staatsbürger, Inserat «Über de Gotthard fl üüged Bräme», in: Tagblatt der Stadt Zürich, 23.10.1959.

256 Schmidt: Das Geld im öff entlichen Kampf, 1961.

257 Imboden: Helvetisches Malaise, 1964, S. 8.

258 Siehe Imbodens Beschreibung der politischen Willensbildung am Anfang der Eidge-nossenschaft als kohärenter, schlüssiger Prozess: Ebd., 1964, S. 14.

Kommunikation» einigen.259 Obwohl diese liberalen Vorbehalte gegen eine staatliche Regulierung der Parteienfi nanzierung und/oder der Kampagnen-ausgaben verbreitet waren, kam diese Möglichkeit als «politisches Perpetuum mobile» in den parlamentarischen Debatten der nächsten Jahrzehnten auf.260 Selbst wenn keine entsprechenden Massnahmen eingeführt wurden, blieb das Th ema der Finanzierung also auf der politischen und medialen Agenda. Ent-sprechend gingen die vier Bundesratsparteien vorsichtiger mit direkten Be-schuldigungen bei diesem Th ema um, da sie in der neuen Medienlandschaft auch Zielscheibe solcher Angriff e werden konnten. Über ihre eigenen Ausga-ben schwiegen sie lieber oder versuchten, deren mediale Einschätzungen zu bestreiten. 1983 korrigierte die Zürcher SVP bei einer Pressekonferenz die Ar-gus-Einschätzung von 1 Million Franken auf 500’000 Franken mit dem Hin-weis, die Partei habe von Rabatten für ihre Inseratenkampagne profi tiert. Für Blocher stellten die parteipolitischen Inseratenkampagnen gar ein Mittel zur

«Förderung der Meinungspresse» dar.261 Ironischerweise stützte sich die Partei bei dieser Rechnung auf die Abächerli-Werbeagentur  – was dem erstrebten Bild einer nicht professionalisierten Schweizer Politik widersprach.

Implizit wiesen die Parteien ständig auf ihre unterschiedlichen Finanz-ausstattungen hin, gerade wenn sie sich als weniger professionalisiert und dar-um auch volksnäher als ihre Konkurrenten darstellten. Den Vorwurf der Ame-rikanisierung leitete jede Partei an die anderen weiter (Infokasten 10). So betonte die schweizerische SVP besonders gerne ihre unkomplizierten Kampa-gnen in Abgrenzung zu den elaborierten Werbeplänen und den «Husten täfeli»

der FDP.262 Diese Kommunikationsstrategie befand sich im Einklang mit einer in den Medien verbreiteten Kritik der «Flucht nach vorne» der grossen Partei-en, die sich aus Hilfl osigkeit vor ihrer Wählerschaft «in die Arme von professio-nellen Werbefachleuten geworfen [hätten].»263 Trotz der Wahlen von 1979 herrschte bei Politikwissenschaft lerInnen – anders als bei WerbeexpertInnen – weiterhin Skepsis, ob Parteien ihr Image mit kostenintensiven Kampagnen

259 Ebd., S. 10; 41–42.

260 Dazu Gernet: (Un-)heimliches Geld, 2011, S. 103–193.

261 Streit um Rabatte und Millimeterzeilen, in: Neue Zürcher Zeitung, 10.12.1983.

262 Parteipolitik zwischen Lobbies und Bewegungen, in: Neue Zürcher Zeitung, 5.09.1983.

263 Jojo für die Urne, in: Schweizer Illustrierte, 3.10.1983.

wirklich verändern könnten.264 Gegen seine Th ese, Abstimmungserfolge lies-sen sich kaufen, kam dem Forscher Hans Peter Hertig 1982 starker Wider-spruch von den Politikwissenschaft en sowie von der Öff entlichkeit entgegen.265

Infokasten 10

Amerikanisierung als Trend und Stigma in schweizerischen Wahlkämpfen

Trotz der vielfältigen transnationalen Kontakte und Inspirationsquellen der schweizerischen Politik galten seit langem ausländische Einfl üsse als Schreckgespenst der Schweizer Politik. Wie in anderen westeuropäischen Ländern zählte seit dem 19. Jahrhundert eine «Amerikanisierung» der poli-tischen Kommunikation sowie der kommerziellen Werbung als Stigma.266 Der verpönte Vergleich mit amerikanischen Wahlkämpfen verschärft e sich, je mehr die politischen Akteure Ressourcen in ihre Kommunikation inves-tierten. Deshalb wollte auch keine Partei eine Zusammenarbeit mit ameri-kanischen Firmen eingehen oder öff entlich kundtun. Ab 1979 wurde der neue Kampagnenstil der FDP, der Fahnen, Ballons und grossangelegte Inse-ratenkampagnen beinhaltete, in der Öff entlichkeit als «amerikanisch» stig-matisiert, selbst vom Parteimitglied und NZZ-Redaktor Fred Luchsinger.267 Solche diskursiven Abgrenzungen gegenüber ausländischen Politikstilen entsprachen dem in Politik, Medien und Wissenschaft gern gepfl egten Son-derfalldiskurs zur schweizerischen Demokratie. Das Amerikanisierungsar-gument diente dabei auch dazu, gegen die Nutzung neuer Wahlkampft ech-niken zu plädieren oder um damit stattfi ndende Entwicklungen als per se unschweizerisch abzustempeln, zum Beispiel die Bedeutungszunahme der politischen Werbung oder der Demoskopie. Die Debatte um die Amerika-nisierung entwickelte sich in der Folge zu einer Konfl iktlinie innerhalb des politischen Feldes, und manchmal sogar innerhalb von Parteien: Während

264 Z.B. Schmid: Wahlkampffi nanzierung, 1985, S. 126–181.

265 Hertig: Sind Abstimmungserfolge käufl ich?, 1982. Zur darauff olgenden Diskussion, Voutat: La science politique suisse à l’épreuve de son histoire, 2000, S. 348.

266 Eugster: Manipuliert, 2017, insb. S. 98–103; Gruner: Les élections au Conseil national suisse, 1978, S. 103.

267 Zitiert nach Cassidy; Loser: Der Fall FDP, 2015, S. 38.

die FDP und die bürgerlichen Kantonalparteien von Zürich für die Wahlen von 1983 Kampagnen im grossen Stil planten, meinte die Berner SVP sich

«gegen [die] Veramerikanisierung des Wahlkampfs» zu stellen, indem sie ihr Wahlbudget auf 100’000 Franken beschränkte.268 Die kleine waadt-ländische CVP kündete in einem Inserat gar ihren Verzicht auf eine

«Kampagne à l’américaine» an, denn «die Zirkusspiele sollen den Zirkus-leuten überlassen werden».269

5. Zwischenfazit

Trotz der oft behaupteten Bedeutungslosigkeit der eidgenössischen Wahlen haben Schweizer Parteien im Laufe der Nachkriegszeit den Wahlkampf zu-nehmend als eigenständiges politisches Ereignis wahrgenommen. Die Ziele ihrer Kampagnen waren dabei nicht eindeutig. Obschon insbesondere ab 1959 die Bestätigung des Status quo durch die Konsolidierung der eigenen Position politisch zentral wurde, befriedigte sie die parteipolitischen Akteure dennoch nie völlig. Bei den Parteikadern erwuchs Zweifel, ob Stillstand nicht bereits Rückschritt bedeute. Schon bald schien auch die blosse Erhaltung des Status quo nicht mehr möglich, da ab den 1960er Jahren andere Parteien und Mobi-lisierungsformen die traditionellen Parteien einem ernst zu nehmenden Wett-bewerb aussetzten. Mit der verstärkten politischen Polarisierung ab Ende der 1970er Jahre und als insbesondere die FDP eine off ensive Wahlkampfstrategie anschlug, verschärft e sich der Wettbewerb auch zwischen den Bundesratspar-teien. Im Laufe der Zeit nahm die Planung des Wahlkampfs dadurch einen immer wichtigeren Platz im Parteileben ein: Stetig wurden mehr personelle, zeitliche aber auch fi nanzielle Ressourcen dafür eingesetzt und spezialisierte Entscheidungsstrukturen wurden institutionalisiert. Mit zunehmend ela-borierten Konzepten, Kalendern, Berichten sowie Schulungsplänen zum Wahlkampf strebten eidgenössische und kantonale Parteikader an, die Kam-pagnen zu professionalisieren. Ihre Versuche nach einer straff eren Koordinie-rung auf kantonaler und noch mehr auf eidgenössischer Ebene stiessen jedoch oft auf Widerstand, da die AktivistInnen auf anderen Parteistufen nicht die

268 PA SVP BE 6.2.44, Kosten Nationalratswahlen, SVP des Kantons Bern, [1983].

269 ACV PP 985/23/2, Inserat «Au lieu d’éblouir, faisons réfl échir!», [1983].

gleichen Ziele teilten. Wenn eine Zentralisierung der Kampagnenplanung stattfand, gelang dies hauptsächlich auf der Ebene der Kantonalparteien, wie der Wahlkampf von 1983 eindrücklich zeigt.

Der Wille zur Professionalisierung zeigte sich hingegen in der Bedeu-tungszunahme von Expertenwissen für den Wahlkampf. So bereits 1947, als die SP ihre Kampagne von einem Werbeberater entwickeln liess. Bis zum Wahlkampf von 1983 etablierten sich sowohl die politische Werbung als auch die Demoskopie als Entscheidungshilfen der Parteien. Diese Entwicklung lässt sich hier weder direkt aus den Zielen der Parteien ableiten, noch ist sie als Kon-sequenz eines unvermeidbaren, allumfassenden Modernisierungsprozesses zu interpretieren. Vielmehr geschah sie als Reaktion a uf eine Angst, überholt zu werden und dem Bedürfnis, modern zu wirken. Denn die Bundesratsparteien beobachteten sich ständig gegenseitig, was ab den 1960er Jahren mit der inten-sivierten Wahlkampfb erichterstattung der Medien zunehmend leichter fi el.

Die ersten Umfragen und Werbekonzepte galten somit als notwendige Neue-rung, obwohl die Parteien ursprünglich kaum wussten, wie sie jene benutzen sollten. Erst später gewann die Verwissenschaft lichung der Kampagnen eine grössere Selbs tverständlichkeit, als die Parteikader zunehmend an die Wir-kung der Kampagnen auf die Wahlergebnisse glaubten. Dies machte jene Ex-pertInnen und insbesondere die WerbeberaterInnen unumgänglich, welche ursprünglich auf die Bedeutung der Kampagnen als Werbeplattform für die Parteien hingewiesen hatten. Die FDP-Wahlkampagne von 1979 festigte schliesslich den Glauben daran, dass Wahlen mit einer «zeitgenössischen»

Kampagne gewonnen werden können.

Falls Schweizer Wahlkämpfe Züge eines Sonderfalls besassen, sind sie vorwiegend in der Herangehensweise der Akteure gegenüber dem Wahlkampf-wandel zu fi nden. Die Entwicklungen der Kampagnendurchführung lassen sich nämlich mit jenen in anderen Demokratien vergleichen, jedoch mit zeitli-chen Verzerrungen und mit Anpassungen an die Besonderheiten des schweize-rischen politischen Systems (man denke insbesondere an den Föderalismus).

Der Sonderfall eines moderaten, unprofessionalisierten Schweizer Wahlkampfs tauchte dann als Argument auf, wenn Akteure eine Entwicklung bremsen oder unsichtbar machen wollten. Er fungierte auch als Verkaufsargument: Im Wahl-kampf von 1983 stellten sich viele Parteien als nicht professionalisiert dar, um zu zeigen, dass sie nicht mit der Demoskopie und den WerbeberaterInnen arbeiten oder über kleine Budgets verfügen würden. Dabei hatten sie sich mittlerweile

diese zwei Wissensfelder oft intern angeeignet. Verglichen mit den ambivalen-ten «Wahlmanövern» der Parteien zwischen Defensive und Off ensive im Jahr 1947, zeigten die Parteien 1983 zunehmend Züge von professionalisierten

«Image»-Unternehmen, für welche Wahlkämpfe zentrale Momente geworden waren.

«Derzeit ist das Wählerpotential grösser als die Zahl der aktiven Wähler und wesentlich grösser als die Zahl Ihrer Wähler. Dies bedeutet: Gehen Sie fi schen in diesem Teich, aber wählen Sie die richtige Angel mit dem richti-gen Köder.»1

Dies empfahl das Wahlkampfh andbuch des Journalisten Klaus Stöhlker Kan-didierenden oder Parteien Anfang der 1980er Jahre. Damit betonte er zu-nächst die Bedeutung eines alten Prinzips von Kampagnen: Das vom briti-schen Labour-Ökonomen Sidney Webb 1922 konzeptualisierte stratifi ed electioneering, das heisst die gezielte, diff erenzierte Ansprache unterschiedli-cher Wählerschaft sgruppen.2 Die strategische Defi nition von Zielwähler-schaft en ist eine zentrale Etappe der Kampagnen. Von den Strategien bis zu den Kampagnenpraktiken lavierten die schweizerischen Parteien zwischen einem universalistischen Ansatz – beispielsweise das «Volk» vertreten zu wol-len – und einer partikularistischen, segmentierten Herangehensweise an die Repräsentation im Sinne des stratifi ed electioneerings (1.). Im Folgenden wer-den sechs Dimensionen untersucht, mit wer-denen die Parteien ihre Wählerschaft am häufi gsten unterschieden: sozioökonomische Identitäten (2.), Religion (3.), Raum (4.), Alter (5.), Geschlecht (6.) und politisches Verhalten (7.). Alle diese Kategorien sozialer Diff erenzierung überlappen sich, was den

Dies empfahl das Wahlkampfh andbuch des Journalisten Klaus Stöhlker Kan-didierenden oder Parteien Anfang der 1980er Jahre. Damit betonte er zu-nächst die Bedeutung eines alten Prinzips von Kampagnen: Das vom briti-schen Labour-Ökonomen Sidney Webb 1922 konzeptualisierte stratifi ed electioneering, das heisst die gezielte, diff erenzierte Ansprache unterschiedli-cher Wählerschaft sgruppen.2 Die strategische Defi nition von Zielwähler-schaft en ist eine zentrale Etappe der Kampagnen. Von den Strategien bis zu den Kampagnenpraktiken lavierten die schweizerischen Parteien zwischen einem universalistischen Ansatz – beispielsweise das «Volk» vertreten zu wol-len – und einer partikularistischen, segmentierten Herangehensweise an die Repräsentation im Sinne des stratifi ed electioneerings (1.). Im Folgenden wer-den sechs Dimensionen untersucht, mit wer-denen die Parteien ihre Wählerschaft am häufi gsten unterschieden: sozioökonomische Identitäten (2.), Religion (3.), Raum (4.), Alter (5.), Geschlecht (6.) und politisches Verhalten (7.). Alle diese Kategorien sozialer Diff erenzierung überlappen sich, was den

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