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Alter: Zwischen «Bunkerjugend» und Senioren

Im Dokument WAHLEN OHNE KAMPF ? (Seite 173-178)

Hinsichtlich des Alters fragten sich die Parteien, welche ideale, durchschnitt-lich geltende Altersgruppe sie ansprechen und ob sie weitere Altersgruppen spezifi sch adressieren sollten. Zudem stellte die Mobilisierung der Erstwäh-lenden die Parteien bei jeder Generation von neuem vor die Frage nach der Vermittlung parteipolitischer Präferenzen.

«Die Jugend wählt links!»

1947 und 1959 berücksichtigten die Parteien das Alter ihrer Wähler nur am Rande. So strich die NOWLAND-Studie der SP 1959 sogar die Gruppe der

«Jungwähler oder der noch unerfahrenen Stimmbürger» sowie der «Wähler, die sich dem Pensionierungsalter nähern» aus ihrem ursprünglichen Konzept, um sich auf drei altersunspezifi sche Kategorien von Arbeitnehmern zu konzen-trierten.153 Besonders die Mobilisierung der Jugend diskutierten die Partei-kader kaum, da sie die Jungen einzig entlang ihrer historischen parteipoliti-schen Identitäten wahrnahmen: Die KCVP fokussierte auf junge Katholiken, die BGB auf junge Bauern und die SP auf junge Arbeiter. Auch für die FDP hing das Wahlverhalten der Jugendlichen schlichtweg von der Aktivierung der parteipolitischen Gebundenheit ihrer Väter ab. Viele Kampagnenmateri-alien inszenierten daher Gespräche zwischen Vater und Sohn über die beste Partei bei den Wahlen.154 Die wenigen an junge Wähler adressierten Kampag-nenmaterialien stellten diese vor eine klare Ausgangslage: sich enthalten oder seine Pfl icht für das Land erfüllen und die richtige Partei wählen. So setzten Briefe der SP voraus: «Die Jugend wählt links!» und postulierten ihre An-liegen: «Der junge Mensch möchte seine Freizeit sinnvoll verbringen, er

ver-152 Der Tanzboden der SVP, in: Schweizer Illustrierte, 12.09.1983.

153 SSA Ar 1.110.49, Brief von Carl Bürgin an Walther Bringolf, 30.12.1958.

154 StAZH Ao 2/2, Broschüre «Du, Vater…? Freisinnig, Liste 5», 1947.

langt Jugendhäuser, unentgeltliche Sportplätze und billige, alkoholfreie Dancings.»155

Die meisten Kampagnenmaterialien stellten einen Mann oder Familien-vater im mittleren Alter als Durchschnittswähler in den Mittelpunkt. Die Vor-stellungswelt der Schweizer Politik kontrastierte dabei zunehmend mit jener der kommerziellen Werbung, welche die Jugend als eigenständige Adressatin erkannte.156 Noch 1963 stellten Gruner und Siegenthaler fest, dass «keine Partei direkt an die Jungen, die Neuwähler appelliert. […] [Sie möchten] off enbar nicht den Eindruck der nur ‹jungen› Partei erwecken und damit für ältere Stamm- oder Marginalwähler weniger attraktiv erscheinen.»157 «Jung» galt in der Schwei-zer Politik noch als Stigma. Auch die laufenden Diskussionen um institutionel-le Reformen nahmen Jugendliche «nicht als treibende Kraft , sondern als eine eher desinteressierte Altersgruppe» wahr, die es zu aktivieren gelte.158 Besorgt aufgrund der steigenden Wahlenthaltung, sahen viele Parteien hauptsätzlich Kurse oder Broschüren zu «staatskundlichem» Wissen für die Gewinnung die-ser Wähler vor.159 Dabei übersahen politische Eliten, wie manche Jugendliche ihre ersten politischen Erfahrungen ausserhalb der Parteienpolitik machten, sei es in der Anti-Atombewegung ab Ende der 1950er Jahre oder ein Jahrzehnt später in der 1968er-Bewegung. Letztere markierte bei den Parte iakteuren in-des einen Bruch in ihrer Perspektive auf die Jugend. Manche forderten nun, das Wahlrechtsalter von zwanzig auf achtzehn Jahre zu senken, mit dem Ziel, Ju-gendliche noch im Ausbildungsalter an den Wahlakt zu gewöhnen und sie also für das Wählen als legitime Beteiligungsform zu überzeugen.160

155 SSA Ar 1.230.6, Brief des SP-Sekretariates an die Kantonalparteien, Sektionen, Partei-presse, 25.09.1959; Briefmodelle «Die Jugend wählt links!»; «Das geht die jungen Wähler an!», [1959]. Zu den damaligen Anpassungerwartungen an die Jugend, Bühler: Jugend be-obachten, 2019, S. 35–55.

156 Skenderovic; Spä ti: Die 1968er-Jahre in der Schweiz, 2012, S. 16–20.

157 Gruner; Siegenthaler: Die Wahlen in die eidgenössischen Räte, 1964, S. 118.

158 Kreis: Lancierung der Totalrevision, 1998, S. 34.

159 ACV PP 175/9, L’information radicale, «Jeune citoyen Jeune citoyenne malgré vous… », Oktober 1959; Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (Hg.): Kleine Staatskunde, Bern 1964.

160 O.A.: Bericht der Studienkommission, 1972.

Jugend als politische Ziel- und Problemgruppe

Die Jugend als Ziel-, aber auch als Problemgruppe stand im Zentrum des Wahlkampfs von 1971. Während die SozialdemokratInnen sich überlegten, wie die «Bunkerjugend» (mit Verweis auf die Forderung nach einem autono-men Jugendzentrum in Zürich) und die «Landfrauen» auf einen gemeinsa-men Nenner zu bringen seien, nahm die FDP vermehrt das Wahlpotenzial der

«Jugend» wahr, da diese – so die Genfer Stadträtin Lise Girardin – weitgehend

«anti-Schwarzenbach» sei.161 In der politischen Stimmung der Post-68-Ära würden zudem viele Wählende, darunter jugendliche, mehr Beruhigung oder sogar Ordnung suchen. Um diese progressive, «tolerante und aufgeschlossene», aber die Krawalle ablehnende und deshalb FDP-affi ne Jugend zu erreichen, lancierte die Partei eine «Jugendkampagne».162 In einer Flugschrift beantwor-teten SpitzenpolitikerInnen der Partei «heisse» Fragen der Jugend. So appellierte der populäre Tessiner Bundesrat Nello Celio an «die Jugend», dass diese sich in die Parteien einbinden solle, anstatt auf der Strasse Gewalt auszuüben. Nur so trüge die Jugend bei, den Fortschritt nicht von einer Nixonschen «schwei-genden Mehrheit» blockieren zu lassen.163 Der Appell kontrastierte jedoch mit dem Unverständnis vieler Freisinnigen gegenüber 1968 und vielerorts blieb die Integration von Jugendlichen in die Kampagnenplanung lediglich ein Wunsch der Parteikader.164 Laut dem Kampagnenplan der FDP solle man so-wieso «die Bedeutung der jungen Generation als Wähler nicht [überbetonen], da sonst ältere Wähler entsprechende negative Reaktionen zeigen können.»165

Die ambivalente Bedeutung der Jugend als Ziel- oder Problemgruppe nahm Anfang der 1980er Jahre deutlich zu. Einerseits berücksichtigten die stärker segmentierten, off ensiven Kampagnen aller Parteien Jugendliche ver-mehrt als potenzielle Mitglieder und Wählende, während viele

Jugendsektio-161 ACV PP 225/38, Assemblée consultative des partis socialistes romands, 6.03.1971;

BAR J2.322-01 2009/263_17_52, Geschäft sleitung, 19.08.1970.

162 BAR J2.322-01 2009/263_47_120, Generalsekretariat: Die eidgenössischen Wahlen 1971, Oktober 1970.

163 Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz (Hg.): Junge stellen heisse Fragen an den Freisinn, 1971.

164 BAR J2.322-01 2009/263_47_120, Generalsekretariat: Bericht über die Durchführung der eidgenössischen Wahlen 1971, November 1971.

165 Ebd., Generalsekretariat: Die eidgenössischen Wahlen 1971, Oktober 1970.

nen vermehrt aktiv wurden.166 Viele Parteikader, auch bei der SP, wussten an-dererseits mit der neuen Jugendbewegung der Jahre 1980–1982 nichts anzufangen. Sie wurde zur Zielscheibe neuer Stigmata, welche bürgerliche PolitikerInnen zu instrumentalisieren wussten.167 Wenngleich die «Jugendpo-litik» damals dauerhaft auf die politische Agenda kam,168 so war die «Jugend»

in den politischen Diskursen doch mehr politisches Objekt als eine für sich selbst handelnde und sprechende Gruppe. So betonte der SVP-Präsident Fritz Hofmann in einem Interview die strenge Linie seiner Partei bezüglich der Ju-gendunruhen, gleich nachdem er sich über das laut VOX-Umfrage hinsicht-lich der Wahlen von 1979 gute Abschneiden der SVP bei Erstwählenden ge-freut hatte.169 Auch die FDP zeigte sich skeptisch gegenüber der Jugend. So war in einem Konzept der Partei zu lesen, dass die freisinnige Jugendpolitik die anvisierten Jugendlichen sowieso nicht erreichen würde, weshalb die FDP lie-ber «bei den Eltern dieser Jugendlichen» werben solle.170

Senioren als neue Hoffnung für die Wahlen?

Anders als die Jugend waren die Senioren in den Wahlkämpfen der 1970–80er Jahre äusserst präsent.171 Sie galten als wichtige, demographisch wachsende Zielgruppe, deren parteipolitische Loyalität zwar durchaus als stabil einge-schätzt wurde, jedoch gegen die Anziehungskraft der oppositionellen, darun-ter fremdenfeindlichen Parteien, geschützt werden solle. So befürchteten die SozialdemokratInnen 1971, dass ihre Ablehnung der Schwarzenbach-Abstim-mung besonders bei älteren Wählenden zu Stimmverlusten führen würde.172 Im Wahlkampf thematisierten alle Parteien die Rentenpolitik, aber auch die

166 BAR J2.322-01 2009/263_38_104, Rundschreiben der FDP an die Kantonalparteien, Aktion «Mehr junge Mitglieder für die FDPS», 4.02.1981. Dazu Gruner: Die Parteien in der Schweiz, 1977, S. 252–265.

167 Engeler: Personalverbindungen, 1986, S. 229. Dazu Kap. V.3.

168 Bühler: Jugend beobachten, 2019, S. 230–245.

169 Politik, die junge Wähler überzeugt, in: Vaterland, 6.10.1983.

170 BAR J2.322-01 2009/263_48_122, o.A.: Entwurf Wahlstrategie 1983, Juli 1982.

171 Dazu in der kommerziellen Werbung, Dirlewanger: Les couleurs de la vieillesse, 2018, S. 291–302.

172 SSA Ar 1.110.61, Bertschinger, Aloïs: Beleuchtender Kurzbericht zu den eidgenössi-schen Wahlen 1971, 9.12.1971.

Frage des Platzes älter werdender Menschen in der Gesellschaft . Eine Frage also, die durch die gestiegene Lebenserwartung der Bevölkerung zunehmend auf die politische Agenda rückte. Die CVP forderte einen «raschen Ausbau der staatlichen, der betrieblichen und der privaten Vorsorge», damit «unsere alten Menschen […] nicht von der Gesellschaft abgesondert werden», während die FDP mit fast gleichen Argumenten den Slogan «Ein integriertes und sorgen-freies Leben für Senioren» inserierte.173 Die Rentenpolitik war für die SP be-sonders sensibel, da die PdA die SozialdemokratInnen bei diesem Th ema mit der Forderung nach einer Volkspension links überholte. Umso deutlicher posi-tionierten sich die SozialdemokratInnen im Wahlkampf als die einzige linke Partei, die dank ihrer Bundesratsbeteiligung und Kompromissbereitschaft realistische AHV-Reformen durchbringen könne.174 Kurz vor den Wahlen und noch vor der Abstimmung zur PdA-Initiative kündigte der SP-Bundesrat Hans-Peter Tschudi den Ausbau der AHV-Renten an. Die Presse rezipierte diese Geste als «Wahlgeschenk» für die RentnerInnen.175

Die Parteien bemühten sich zudem darum, die ihnen traditionell nahe-stehenden Senioren zum Urnengang zu bewegen. Altersheime wurden nun mancherorts zu Orten kontroverser Kampagnenaktionen, bei denen die Par-teien Senioren mit dem Verfahren der Stimmrechtsvertretung halfen und zu-gleich Werbung für sich selbst betrieben.176 Aus der Alterung der Gesellschaft und aus dem Altersspagat in der Wahlbeteiligung zogen die Parteien ihre Schlüsse: Mit Blick auf die CVP-Kampagne von 1983 betonte Leonhard Neid-hart das Potenzial der Partei bei älteren, religiösen Menschen, die es verstärkt zu mobilisieren gelte.177 Für die Sozialdemokratin Lilian Uchtenhagen war 1983 klar, dass «eher ältere Leute an die Urne [gehen], deshalb ist die soziale

173 BAR J2.181 1987/52_72_626, Inserat «Alter darf kein Abschied sein», [1971]; ACV PP 552/208, Inserat «Une vie intégrée et sans préoccupation pour les personnes âgées», [1971].

174 SSA QS 37.5, SP des Kantons Zürich und Gewerkschaft skartell: Brief an AHV-Rent-ner, [1971].

175 Un scrutin d’une importance exceptionnelle, in: Tribune de Lausanne – Le Matin, 28.10.1971. Dazu Degen: Sozialdemokratie, 1993, S. 95–100.

176 Des équipes de femmes radicales «organisent» le vote des vieillards, in: Voix ouvrière, 29.10.1971; A CV PP 985/3, o.A.: Visites à faire dans les pensions pour personnes âgées, [1975].

177 PA CVP CH W (2), Neidhart, Leonhard: Anmerkungen zur Infosuisse-Studie, 12.08.1982.

Sicherheit von grosser Bedeutung».178 Die Senioren hatten also an politischer Bedeutung gewonnen, während die Parteien gegenüber der «Jugend» ratlos wurden.

Im Dokument WAHLEN OHNE KAMPF ? (Seite 173-178)