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Geschlecht: Die «Bürger», aber auch «die Damen»

Im Dokument WAHLEN OHNE KAMPF ? (Seite 178-184)

ansprechen

Wie berücksichtigten die Parteien bei der Festlegung ihrer Zielwählerschaft en das Geschlecht als binär konstruierte und hierarchisch strukturierte soziale Kategorie? Seit dem 19. Jahrhundert fungierten Schweizer Männer als Inbe-griff der schweizerischen Bürgerschaft : Die Bezeichnung «Bürger» in der Bun-desverfassung legitimierte lange den Ausschluss der Frauen von politischen Rechten. Wenn Kampagnenmaterialien Männlichkeit als symbolisches Kapi-tal und Identifi kationselement für die Wähler darstellten, galt diese androzen-trische Kommunikation folglich als universell. In den Diskussionen der Par-teien tauchte Geschlecht als soziale Einordnungskategorie erst im Kontext der neuen «Stimmbürgerinnen» als besondere, von der männlichen Norm der Bürgerschaft abweichende Gruppe auf.

Frauen im Wahlkampf vor dem allgemeinen Stimm- und Wahlrecht Frauen waren dennoch lange vor 1971 in den Wahlkämpfen präsent. In wenigen Kantonalparteien (bei der SP und bei manchen freisinnigen Parteien) konnten sie Mitglieder sein und/oder im Wahlkampf bei Aufgaben wie dem Briefversand mithelfen.179 Die an die Bürger adressierten Kampagnenmaterialien stellten Frauen zumeist als stimmlose Begleiterinnen der männlichen Protagonisten dar.

Seltener waren sie selbst Adressatinnen von Kampagnenmaterialien. Die SP, ge-nauer die SP-Frauen, wandte sich regelmässig mit politischen Botschaft en an sie.

Im Wahlkampf von 1947 ermunterte die Zeitschrift der SP-Frauen Frau in Leben und Arbeit die Frauen, ihre Ehemänner, Brüder oder Söhne zur Urne zu bewe-gen.180 In städtischen Arbeitermilieus nahmen weitere Parteien die Frauen als

178 SSA Ar 1.110.74, Geschäft sleitung, 29./30.01.1983.

179 So bei der Waadtländer SP, ACV PP 225/8, Brief der waadtländischen SP an die Mit-glieder, 18.10.1947.

180 Die Frau in Leben und Arbeit, Oktober 1947.

Mobilisierungsagentinnen wahr. So sprach der LdU in Zürich die Frauen be-züglich ihrer Sorgen zum Preisanstieg an. Die Christlichsozialen appellierten an die «Katholische Frau», «eine echte Stauff acherin» zu sein – nach Friedrich Schil-lers Wilhelm Tell (1804) soll diese mythische Figur ihren Gatten, den Landam-mann von Schwyz, zum Rütlischwur angeregt haben.181 Folglich erkannten die Parteien, dass die stimmrechtlosen Frauen am Wahlentscheid der Männer be-teiligt sein konnten. Das Einfl usspotenzial der schlauen Frau bei der Entschei-dung ihres doch hilfslosen Manns war auch ein beliebtes Motiv der Karikatu-renzeichner – wie auch der Frauenstimmrechtsgegner.182

Im Laufe der 1950er Jahre gewannen jene Geschlechterbilder wieder an Gewicht, die den Frauen einen exklusiven Platz zu Hause verliehen. Die indi-rekte Mobilisierungsarbeit durch Frauen nahm signifi kant ab. Selbst die Zeit-schrift Frau in Leben und Arbeit verlieh dem Wahlkampf von 1959 viel weni-ger Aufmerksamkeit als jenem von 1947.183 Der Wahlkampf bestätigte auch den Ausschluss der Schweizerinnen aus dem Demos nur wenige Monate nach der Ablehnung des Frauenstimmrechts durch eine breite Mehrheit der stim-menden Schweizer im Februar 1959 (66% Ablehnung bei 67% Stimmbeteili-gung). Dieses Mal hatte das Einfl usspotenzial der Schweizerinnen den Gegnern des allgemeinen Stimm- und Wahlrechts als Argument gedient: Das Politisie-ren der Frauen würde die Einheit des Paares bedrohen. Im Ausland habe das Stimmrecht jedoch den Frauen keinen vergleichbarer Einfl uss zu jenem der Männer gegeben, hatte der Bundesrat solche Stimmen beruhigt, und die meisten Frauen würden eh wie ihre Ehemänner abstimmen, wenn sie überhaupt an die Urne gingen.184 Solche geschlechterstereotype Vorstellungen aus beiden Lagern prägten auch die Erwartungen der Parteikader hinsichtlich der ersten «Frauen-wahlen», als die Waadtländer, die Neuenburger (1959) und die Genfer (1960) das Frauenstimmrecht in die kantonalen Verfassungen einführten. Die Waadt-länderinnen durft en dadurch 1959 erstmal bei den Ständeratswahlen

teilneh-181 StAZH III Ao 2/2, Flugschrift «Katholische Frau! Sei echte Stauff acherin!», [1947]; Ebd., Flugschrift «Wer Schweigt… schadet der Heimat», [1947]. Dazu Kreis: Stauff acherin, 2017.

182 Anatole instruit sa femme, in: La Semaine de la Femme, 20.03.1948, zitiert nach Ruckstuhl; Bécour: Vers la majorité politique, 1990, S. 126.

183 Zur Entwicklung der Zeitschrift um diese Zeit, Frei: Zwischen Traum und Tradition, 1988.

184 Studer: «L’Etat c’est l’homme», 1996, S. 372–376. Dazu auch Voegeli: Zwischen Haus-rat und Rathaus, 1997.

men. Die vier waadtländischen Parteien schwankten zwischen dem Stolz, als Pionierkanton des Frauenstimmrechts zu gelten, und der Angst, dass die Frau-en eine uninformierte – oder schlichtweg eine für sie ungünstige – Wahl treff Frau-en würden, etwa für die historische Kandidatur der Frauenstimmrechtlerin und Friedensaktivistin Marceline Miéville aus der PdA.185 Die Bürgerlichen appel-lierten an das Verantwortungsgefühl und an den «gesunden Menschenverstand»

der Frauen .186 Ein Wahlwirrwarr – sprich die (unwahrscheinliche) Wahl von Miéville oder Charles Sollberger (SP) – könne die Zukunft des Frauenstimm-rechts im ganzen Land bedrohen.187 Die SP ermunterte die Männer in einem Brief, «ihre» nun stimmberechtigten Frauen zu beinfl ussen: «P.S. – Vergessen Sie nicht, dass die Zusammensetzung des Ständerates auch für die Entwicklung der föderalen Politik entscheidend ist; was wir unseren Mitbürgerinnen in Erinne-rung rufen müssen… je nach unserem Einfl uss auf sie.»188 Solche kleinen An-spielungen zwischen Männern konstruierten diese als solidarische Gruppe gegenüber «ihren» nun stimmberechtigten Frauen. Gerade bei der waadtländi-schen SP blieb das Wahlverhalten der Frauen lange Gegenstand vieler Spekula-tionen, obschon die ersten Frauenwahlen zu keinen bedeutenden Verschiebun-gen bei den Wahlergebnissen führten.189

Frauen als «grosse Unbekannte»

Noch im Vorfeld der Wahlen von 1971 galt das Wahlverhalten von Frauen, ja die «Frauen» überhaup t, als «grosse Unbekannte».190 Eine Karikatur der deutsch-schweizerischen Frauenbewegungszeitung Schweizer Frauenblatt mokierte Schweizer Männer, die vor einem Kino auf den Film «Deine Frau – das unbe-kannte Wesen bei den Nationalratswahlen» warteten.191 Frauen selbst kamen kaum direkt zu Wort. Die Frauenstimmrechtsvereine hielten sich abgesehen

185 Zu dieser ersten weiblichen Ständeratskandidatur, Jeanneret: Popistes, 2002, S. 539–540.

186 ACV PP 175/9, Flugschrift «Billet à l’électrice», [1959].

187 Inserat «Au moment où les femmes vont voter», in: Nouvelle Revue de Lausanne, 24.10.1959; Pour vous, mesdames (suite), in: Nouvelle Revue de Lausanne, 21.10.1959.

188 ACV PP 225/20, Lettre du PS Vaudois aux électeurs, [1959].

189 Wicki: On ne monte pas sur les barricades, 2007, S. 183.

190 PA SVP VD 4.1, Conseil exécutif, 5.04.1971; Geben die Frauen den Frauen die Stim-me?, in: Sonntag, 27.10.1971. Dazu Kergomard: An die Urnen, Schweizerinnen, 2017.

191 Wolter: Helvetia zeigt, 1971.

von informativen Artikeln in ihren Zeitungen an die selbstauferlegte partei-politische Ne utralität im Wahlkampf und die neue Frauenbewegung stand den ersten Urnengängen mit Beteiligung von Frauen ziemlich gleichgültig ge-genüber.192 Die Parteien stützten sich zudem wenig auf die – bei den Bürgerli-chen noch schwach strukturierten – Frauensektionen. Trotz verfügbaren Um-fragen zum Wahlverhalten des neuen Wahlkörpers bekundeten die Parteikader Mühe, an die Neuwählerinnen heranzugehen. Die üblichen Unterscheidungs-dimensionen der Umfragen und der Statistik, besonders jene des Berufs, ent-sprachen nicht ihren Vorstellungen der «Frau». Im Gegensatz zum diff eren-zierten Bild von Männern wurden somit «die Frauen» als separate, homogene Gruppe konstruiert. Entsprechend sah das Kampagnenkonzept der FDP vier Zielgruppen vor: die «Jungen», die «Frauen», die «Anhänger» und die «Gleich-gültigen».193 Manchmal wurden Frauen auch schlicht analog zur politischen Einordnung ihrer Ehemänner angesprochen, so bei der SP mit der Kategorie

«Frauen der Arbeitnehmer».194 Konsens herrschte unter den Parteien dennoch darüber, «die Frau» gezielt anzusprechen. Diese erhielten zahlreiche Broschü-ren sowie Flugschrift en und in der an Frauen gerichteten Presse erschienen Inserate samt Plädoyers für eine nicht weiter defi nierte Geschlechtergleichheit oder gar für «die Gleichheit der Frau [sic]».195 Die FDP lancierte sechs Monate vor dem Wahlkampf ein Plakat für die Abstimmung zum Frauenstimmrecht mit dem Spruch «Ja – Die Freisinnigen haben die Frauen gern».196 Bei der SP entwarf die Wälchli-Agentur eine gesonderte «Frauenkampagne» mit einer sanft en Rosenästhetik und lächelnden Frauen.197 Erst nach Intervention der SP-Frauen wurden Frauen nicht nur zu Hause, sondern auch auf der Arbeit dargestellt.198

192 Für den Front des bonnes femmes in Genf, Schulz; Schmitter; Kiani: Frauenbewe-gung, 2014, S. 42–43.

193 BAR J2.322-01 2009/263_17_52, Geschäft sleitung, 19.08.1970.

194 SSA Ar 1.110.61, Bertschinger, Aloïs: Beleuchtender Kurzbericht zu den eidgenössi-schen Wahlen 1971, 9.12.1971.

195 Inserat «Envoyez à Berne des femmes et des hommes responsables», Tribune de Lau-sanne, 28.10.1971.

196 Kap. V.1., Abb. 2.

197 SSA Ar 27.600.1, Werbeagentur Wälchli: Aktionsleitfaden Wahlkampagne Herbst 1971, [1971].

198 SSA Ar 1.117.14, Zentrale Frauenkommission, 12.12.1970; 8.05.1971.

Die weitgehende Bestätigung der parteipolitischen Kräft e bei den Wahlen von 1971 erhärtete den Eindruck, dass Frauen wie ihre Ehemänner abstimmen würden und ihre Rolle deshalb vor allem «stabilisierend» sei.199 Entsprechend vergassen die Parteien rasch ihre ursprünglichen Sorgen über die politische Teilhabe von Frauen. In den 1970er Jahren interessierten sie sich nur kurzfristig vor und nach den Wahlen für die politische Mobilisierung der Frauen – und zwar dann, wenn sie Stimmenverluste fürchteten oder damit erklärten.200 Die geschlechtliche Binarität prägte zugleich die Arbeitsteilung zwischen den Par-teien und ihren Frauensektionen, wie die Historikerin Fabienne Amlinger zeigte: Die Arbeit zur Anbindung der Frauen fi el diesen Sektionen zu, die aber vor allem bei den Bürgerlichen lange mit erheblichen organisatorischen und fi nanziellen Schwächen kämpft en. Die Schweizerinnen wurden also nicht Gegenstand eines intensivierten Wettbewerbs zwischen den Parteien, wie es die GegnerInnen des Frauenstimmrechts befürchtet hatten.201

Frauen als Vergessene?

Auch 1983 hatten die Parteien die Frauen nicht besonders im Visier. Die An-liegen der Frauenbewegung fanden weiterhin wenig Platz in den Wahlpro-grammen. Seit den 1970er Jahren bra chten die Frauensektionen zwar manche ihrer Anliegen auf die (partei-)politische Agenda. Doch die FDP und die SP zeigten sich bei Th emen wie dem Schwangerschaft sabbruch oder der Mutter-schaft sversicherung äusserst zurückhaltend, nachdem diese 1977 bzw. 1982 an der Urne gescheitert waren.202 Parallel zur transnationalen Rückkehr einer konservativen Körperpolitik um 1980 wuchsen in den bürgerlichen Parteien interne Unstimmigkeiten zu diesen Th emen. Bei der SVP sorgte die Oppositi-on vOppositi-on Christoph Blocher gegen die RevisiOppositi-on des Eherechtes im Sommer 1983 für den Unmut der SVP-Frauen. Dessen «patriarchales Gehabe» rezipierten die Medien nicht als wahltaktische Position, sondern als weitere Provokation

199 PA SVP VD 4.1, Conseil exécutif, 21.12.1971.

200 So bei der SVP, Schnydrig: Aufstieg und Wandel einer Kantonalpartei, 2007, S. 109–112.

201 Amlinger: Im Vorzimmer der Macht, 2017, S. 150–159; 236–247; 319–329; 360–361.

202 Ebd., S. 140–163; 247–255.

des «Holzschnittpolitikers».203 In der waadtländischen CVP sah man die ka-tholische Opposition gegenüber dem Schwangerschaft sabbruch als Risiko hinsichtlich der Wahlchancen der Partei.204 Daher wurden weder progressive noch konservative Stellungna hmen zu Frauenrechten zu Wahlargumenten der Bundesratsparteien.

Die Mobilisierung der Wählerinnen überliessen die Parteien weiterhin den Frauensektionen. Diese riefen regelmässig, aber wirkungslos zu einer bes-seren Integration der Frauen auf – auch die Demoskopie wies auf ungenützte Wahlpotenziale bei den Wählerinnen hin.205 Die Wahlstrategie der FDP von 1982 verlangte zwar die Beseitigung dieses Mankos, um sich gegenüber der Konkurrenz durch linke Parteien als frauenfreundlich positionieren zu kön-nen.206 Den liberalen und universalistischen Ansichten der Mutterpartei, aber auch der Frauensektionen, folgend, ergriff en die Freisinnigen jedoch keine in-terventionistischen Massnahmen zu diesem Zweck. Selbst bei der Werbung ihrer Spitzenkandidatinnen vermieden die Freisinnigen, die Kategorie Ge-schlecht zu stark zu betonen.207 Dagegen verwies die bescheidene SVP-Kam-pagne für Frauen auf klar defi nierte Frauenrollen, die zwischen Haushalt und Schönheit angesiedelt waren. Ein Nähetui, das ein Kochrezept für «Cleopatra, Schönheitstrank für Frauen» einhielt, solle «als Tischdekoration bei Veranstal-tungen von Frauengruppen» oder für den «persönlichen Versand an Frauen von Parteimitgliedern und [an] Sympathisantinnen» dienen.208 Die Partei sah off ensichtlich keinen anderen Weg, als die Frauen durch ihre Ehemänner zu erreichen.

Die SP-Frauen genossen einen grösseren Handlungsspielraum im Wahl-kampf. Sie diskutierten zwar die Legitimität einer frauenspezifi schen Kampa-gne  – und überhaupt von einer eigenen Sektion. Sie entschieden dennoch

203 Konservative SVP-Politik, in: Tages-Anzeiger: 13.10.1983; Der Holzschnitt-Politiker, in: Schweizer Illustrierte, 4.06.1983. Dazu Hartmann; Horvá th: Zivilgesellschaft von rechts, 1995, S. 86–91.

204 ACV PP 985_23_3, o.A.: Analyse personnelle du résultat des élections vaudoises, 1983.

205 So bei der CVP 1981, PA CVP CH W (3), Kuhn: Praktische Vorschläge, 5.01.1983.

Dazu Amlinger: Im Vorzimmer der Macht, 2017, S. 308–312.

206 Ebd., S. 221–224.

207 Dazu Kap. VI.5.

208 PA SVP BE 6.3.1, SVP der Schweiz, Katalog für Werbemittel, [1983].

pragmatisch, sich in der Kampagne zu engagieren, um ihre eigene Stimme geltend zu machen.209 So stellte die Karikatur auf einem Flugblatt drei alterna-tiv gekleidete Jugendliche, darunter zwei Frauen, beim Diskutieren dar: «Wen soll frau überhaupt wählen? Natürlich Sozialdemokrat(inn)en: die sind doch am wenigsten patriarchalisch».210 Mit Humor wurde damit ein spezifi sches Pu-blikum angesprochen: junge, urbane und linke Wählerinnen (und Wähler), die patriarchale Strukturen refl ektierten und den Platz der Frauen in der SP skeptisch betrachteten. Die Flugschrift endete mit der rhetorischen Frage:

«Wer ausser der SPS kann den Frauen in Bern massgeblichen Einfl uss auf die Politik verschaff en?».211 Off ensichtlich konnte sich die SP den Vergleich zu den anderen Bundesratsparteien leisten, die zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keine «Frauenoff ensive» begonnen hatten.

7. Politisches Verhalten: Stamm-, Wechsel- oder

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