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KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 30-35)

hat erstmals ein EU-Volksbegehren die notwendige Anzahl von mindestens einer Million Unterschriften erreicht. Die Kampagne „Wasser ist ein Menschenrecht“ wendet sich gegen die Brüsseler Pläne zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Mitte März hatten etwa 1,25 Millionen EU-Bürger die Petition unterzeichnet.

übrigens

Gleich zu Beginn fasst Dr. Ulrich Maly die Schwer-punkte der anstehenden Diskussion zusammen.

Der Nürnberger Oberbürgermeister fragt: „Wie korrelieren die Anforderungen einer modernen Dienstleistungsstruktur mit den Erfordernissen zu einer Konsolidierung der Haushalte? Sind Kommunen überhaupt noch in der Lage, die Ansprüche der Bürger zu finanzieren? Und sind fehlende Gestaltungsmöglichkeiten bereits in den politischen Strukturen angelegt?“ Gerade die Proteste gegen eine mögliche Privatisierung der Wasserversorgung innerhalb der EU hätten gezeigt, dass zumindest in Deutschland, dort aber selbst bei konservativ gesonnenen Schichten eine große Affinität zu einer kommunalen Aufgabenerledigung im Bereich der Daseinsvorsorge herrsche. Prof. Dr.

Michael Schäfer bezieht sich auf die anstehende Bundestagswahl im September dieses Jahres, wenn er sagt, dass Politik keine langfristigen Konzepte mehr entwickle, sondern nur in Wahlperioden denke. „Wenn der Bundespolitik von vielen

DEMOGRAFIE, ENERGIEWENDE UND KOMMUNALE FINANZAUSSTATTUNG

Mehr Aufgaben mit weniger Geld?

Oberbürgermeister von Nürnberg und Erfurt streiten für kommunale Regelungskompetenzen

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olitische Visionen für Kommunen auch über aktuelle Amtsperioden hinaus zu entwickeln, war das Motto einer Gesprächsrunde mit Oberbürgermeistern und den Chefs großer Stadtwerke am 25. Januar im Nürnberger Rathaus. Gemeinsam sollte sich der Frage gewidmet werden, wie unter Federführung der Kommunen und unter Mitwirkung aller Politikebenen langfristige, ehrliche und seriös finanzierte Konzepte zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge entwickelt werden können.

Ist die Energiewende überhaupt finanzierbar? Können wir Daseinsvorsorge von A-Z zukünftig in der Uckermark genauso anbieten wie in Berlin? Ist autarke Versorgung in Bioenergiedörfern das Modell der Zukunft? Bringt die Rekommunalisierung das Wirtschaftsmodell der Zukunft? – Das sind nur einige wenige Schlaglichter aus den politischen Debatten der letzten Wochen und Monate!

Wirklich über den Tag hinaus gültige Antworten aber brauchen Zeit. Die Diskussionsrunde von UNTERNEHMERIN KOMMUNE will in diesem Geist Anregungen formulieren, wie eine funktionsfähige und stabile kommunale Selbstverwaltung im gleichberechtigten Miteinander gestaltet werden kann. Lesen Sie im Folgenden das Substrat unseres Roundtable-Gesprächs im Nürnberger Rathaus. Am Tisch saßen die Oberbürgermeister von Nürnberg und Erfurt, die Chefs der jeweiligen kommunalen Energiegesellschaften und der ehemalige Berliner Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner. Moderiert wurde die Runde von Prof. Dr. Michael Schäfer, Chefredakteur von UNTERNEHMERIN KOMMUNE.

Es diskutierten Dr. Ulrich Maly, Josef Hasler, Peter Zaiß, Andreas Bausewein, Wolfgang Branoner und Prof. Dr.

Michael Schäfer (v.l.n.r.)

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kundigen Beobachtern Kurzatmigkeit attestiert wird, dann macht es Sinn, dass die politische Ebene, die am nächsten an der Lebenswirklichkeit agiert, Impulse für längerfristige Konzeptionen liefert“, so der Moderator der Runde. Er wirft die Frage nach der Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung auf, die nach seiner Ansicht nur noch auf dem Papier existent sei. Denn einerseits reiche die kommunale Finanzausstattung bei weitem nicht aus, um den vielschichtigen Aufgaben gerecht werden zu können und andererseits trage die Überregulierung erheblich dazu bei, eigene Kompetenzen zu untergraben. Dr.

Maly stimmt dem Befund in der Tendenz, allerdings nicht in seiner dramatischen Formulierung zu.

Kommunen seien grundsätzlich für alles zuständig, was ihnen gesetzlich nicht entzogen wurde. Deshalb seien auch die kommunalen Einflussmöglichkeiten in den vergangenen Jahren zunehmend von der europäischen Rechtsetzung betroffen. Zudem würde die europäische Ebene seit einigen Jahren über einen höheren Anteil am Steueraufkommen verfügen, als die Kommunen. „Trotz eines beängstigenden Aus-höhlungsprozess der kommunalen Kompetenzen nehmen die Bürger nach wie vor 80 bis 90 Prozent des staatlichen Handelns über die kommunale Ebene wahr“, so Dr. Maly.

Von der Geburt über die Schule, bis zu Kranken-häusern, Altenheimen und den Friedhöfen fände das Leben der Bürger in einem kommunalen Rahmen statt. Logisch also, dass die Ansprüche an eine moderne Infrastruktur in der Regel vor dem zuständigen Rat-haus vorgebracht würden. Kommunen müssten deshalb auch in Zukunft vehement um ihre Problem-lösungskompetenz kämpfen. Dies gelte in fiskalischer vor allem aber auch in rechtlicher Hinsicht, so der Nürnberger Oberbürgermeister.

Andreas Bausewein, Dr. Malys Kollege aus der Landeshauptstadt Erfurt, ergänzt, dass die Kommunen zunehmend mit neuen Aufgaben überfrachtet würden, während gleichzeitig die kommunalen Einnahmen stagnieren. Gerade in den neuen Bundesländern, wo die Steuerkraft signifikant geringer ist als in vergleichbaren westdeutschen Kommunen, sei es nicht mehr möglich, mehr

Aufgaben vorzuhalten, ohne woanders kürzen zu müssen. Selbst die Kommunen könnten diese Quadratur des Kreises nicht herstellen, bemerkt Bausewein.

„Wir leben in einem Zeitgeist des Sparens, bei dem den Bürgern der Eindruck vermittelt wird, dass Kosten-senkungen möglich sind ohne Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen. Gerade für die kommunale Ebene ist die Sparschraube aber schon überdreht.“ Hinzu käme, dass sich die Standards – etwa für Bauprojekte – zunehmend erhöhen.

Dies möge in Einzelfällen sinnvoll sein, doch auch diese Tendenz koste das nicht vorhandene Geld der Kommunen. Generell sollte umgekehrt darüber nach-gedacht werden, ob jedes baurechtliche Detail über-haupt sinnvoll sei. Abschließend merkt Bausewein an, dass sich die Städte gerade in den neuen Bundes-ländern zunehmend zu infrastrukturellen Ankern für die umliegenden Regionen entwickeln würden.

Daseinsvorsorgeleistungen auf dem Land würden zunehmend abgebaut, wodurch sich für Mittel- und Oberzentren gesteigerte Bedarfe ergeben, die das Budget zusätzlich belasten würden.

Kommunen am Scheideweg

Aus den vorangegangenen Beiträgen folgernd und angesichts der zunehmenden Regelungstiefe, identi-fiziert Prof. Dr. Schäfer ein großes Misstrauen gegen-über den Kommunen. Er fragt, welche Konsequenzen dies für die europäische und deutsche Demokratie bereithalte. „Demokratie kann ohne kommunale Selbstverwaltung nicht existieren“, ist sich Dr. Maly sicher. Wenn berechtigte Wünsche der Bürger stets mit der gleichen Begründung abgewiesen würden, könnte sich Politik- und Staatsverdrossenheit weiter ausbreiten. Es ginge nicht darum, alle

Partikular-interessen zu bedienen, doch es müsse genau definiert werden, welche infrastrukturellen Standards zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft gehörten. Auf dieser Grundlage müsste die Politik die nötigen Handlungskompetenzen vorweisen. Schließlich sei die Infrastruktur an grundlegenden Leistungen,

die unabhängig vom Geldbeutel genutzt werden könnten, konstitutiv für die soziale Marktwirtschaft.

Wolfgang Branoner greift an diesem Punkt ein und ergänzt: „Es geht um die Zukunftsfähigkeit und um die Substanz ganzer Regionen.“ Viele Kommunen stünden aktuell an einem Scheideweg.

Der ehemalige Wirtschaftssenator von Berlin und heutige Geschäftsführer eines Beratungsunter-nehmens u.a. mit kommunalem Fokus erwähnt das Auslaufen des Solidarpaktes II, des Länder-finanzausgleichs sowie großer Teile europäischer Fördermechanismen. Im Land Berlin würden bei einem Etat von 22 Milliarden Euro im Ergebnis rund fünf Milliarden im Jahr 2020 nicht mehr zur Verfügung stehen. Und die Situation werde sich in der kommenden Legislaturperiode drastisch verschärfen, wenn weitere nationalstaatliche Funktionen von der EU übernommen würden. „Die Bundesebene wird Aufgaben an die EU abgeben müssen, gleichzeitig aber über eine Optimierung auf der föderalen Ebene nachdenken.“ Der Wettstreit um Kompetenzen setze sich von oben nach unten fort – mit dem Ergebnis, dass auch die Kommunen unter Druck geraten. Richtiger wäre es, die Ein-flussvektoren umgekehrt – von unten nach oben – zu diskutieren, meint Branoner. Er bedauert in diesem Zusammenhang, dass mit der Deutschen Einheit nicht auch über eine Reform des Grund-gesetzes diskutiert wurde. Die Neuorganisation von Staatsaufgaben sei heute von umso brennenderer Aktualität, wobei auch offen über die Zweck-mäßigkeit föderaler Strukturen diskutiert werden müsse. Kaum etwas dürfte so bleiben, wie es jetzt ist. Die Lebenswirklichkeit hätte sich weiter ent-wickelt als die Organisationsfähigkeit des Staates, so Branoner. Josef Hasler beleuchtet die Debatte aus dem Blickfeld der kommunalen Energiewirt-schaft. „Aktuell stellen wir einen starken Trend zur Dezentralisierung der Energiewirtschaft fest. Es ent-stehen mehr und mehr kleine sich selbst steuernde Einheiten, vielfach in Genossenschaftsform, die Bereiche der Energieversorgung mit übernehmen.

Dies birgt natürlich Gefahren für die großen Ver-bundunternehmen. Diese kleinen dezentralen Einheiten haben eine hohe Eigenmotivation und Verantwortung auch für die Verzinsung des ein-gesetzten Kapitals. „Vielleicht gelten diese Muster auch für die politische Ebene“, vermutet der Vor-standsvorsitzende der N-ERGIE in Nürnberg.

Oberbürgermeister Dr. Maly teilt Branoners Ein-schätzung, dass unmittelbar nach der Bundes-tagswahl 2013 die Grundsatzfrage gestellt werden müsse. „Allerdings würde ich die Bundesländer nicht zur Disposition stellen. Die Überschrift für eine mögliche Föderalismus-Kommission III sollte vielmehr lauten, die fiskalischen Bezüge zu regeln.“

Dr. Maly nennt konkret fünf Bereiche, für die er eine Anpassung als notwendig erachtet: Länder-finanzausgleich, Gemeindeverkehrsfinanzierungs-gesetz, Solidarpakt, Schuldenbremse und Fiskalpakt Roundtable

Demokratie kann ohne kommunale Selbstverwaltung

nicht existieren.

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Dr. Ulrich Maly

Peter Zaiß (l.) und Andreas Bausewein

auf europäischer Ebene. Als Fehlschluss der bis-herigen Föderalismus-Kommissionen wird ins-besondere das Kooperationsverbot herangeführt.

So müsse etwa die Jugendarbeitslosigkeit von allen Ebenen gleichzeitig angegangen werden. Hinsicht-lich einer Neuordnung von Zuständigkeiten zeigt sich der Nürnberger Oberbürgermeister nur bedingt optimistisch. Das Bundesverfassungsgericht spiele hier eine zu starke Rolle während für Verfassungs-änderungen die notwendigen Mehrheiten fehlten.

Freiwillige Kooperationen ausbauen

Prof. Dr. Schäfer bemängelt, dass die Suche nach einer optimalen Organisationsform immer nur entlang bestehender Strukturen erfolge. Es ändere nichts an den grundlegenden Problemen, wenn nur die Zahl von Verwaltungseinheiten halbiert werde. Aktuell würden wir zwei Entwicklungen erleben – zum einen die Re-Kommunalisierung und zum anderen den Trend eines wachsenden bürger-schaftlichen Engagements. Der enorme Aufwuchs

an Genossenschaftsgründungen in Kernbereichen der Daseinsvorsorge zeige, dass die Menschen die Dinge zunehmend in die eigenen Hände nehmen wollen. „Für mich ist das die dialektische Antwort auf die Globalisierung“, wird Hegel zitiert. Wenn wahre Demokratie nur von unten gelebt werden könne, welche Konsequenzen müssten dann für eine radikale Reorganisation des Staatswesens gefunden werden, geht die Frage an die Runde.

Peter Zaiß antwortet mit dem Motto: Think global, act local. „Wir brauchen einen breiten gesellschaft-lichen Konsens.“ Doch gerade in der Energiepolitik zeige sich, wie schwer es ist, für Einigkeit zu sorgen.

„Die Bundesländer agieren unkoordiniert und die Bundesregierung besitzt nicht das Durchgriffsrecht, steuernd einzugreifen.“ Um ein derart komplexes Mega-Vorhaben wie die Energiewende überhaupt stemmen zu können, müsse die Dezentralisierung einhergehen mit einer stärkeren zentralen Steuerung durch die Bundes- und durch die europäische Ebene. Daneben werde die Anpassung der Infra-struktur an demografische Trends ein zentrales Thema der kommenden Jahre sein müssen.

Kommunale Unternehmen seien dabei in erster Linie dem Gemeinwohl verpflichtet, müssten dies aber mit wirtschaftlichen Anforderungen in Einklang bringen. Kommunen seien die ideale Ebene, um auf lokale Gegebenheiten abgestimmte Konzepte entwickeln zu können, so der Geschäfts-führer der Stadtwerke Erfurt.

Oberbürgermeister Bausewein thematisiert in diesem Kontext den Wert der Bildung für ein funktionierendes Gemeinwesen. Abgesehen von der politischen Propaganda – die in Schulen nichts zu suchen hat – könnten aus dem Bildungssystem in der DDR viele Impulse für eine soziale und hoch-qualitative Gestaltung des Bildungssektors gezogen werden. Der aktuelle Bildungsföderalismus sei den Anforderungen nach Einheitlichkeit und Verbind-lichkeit dagegen nur bedingt gewachsen. Gerade in Bezug auf sozialen Frieden und Chancengerechtig-keit sieht der Oberbürgermeister Risiken, die dauer-haft zu einer Schwächung des Landes beitragen könnten. Deshalb müsse Deutschland den Mut auf-bringen, politische und administrative Strukturen ergebnisoffen auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.

Auch im Freistaat Thüringen seien die Verwaltungs-strukturen deutlich zu kleinteilig und deshalb kaum mehr zu finanzieren. Zudem gäbe es unter der Ebene einer vollständigen Fusion noch erheb-liche Synergien, die in der Kooperation zwischen verschiedenen Bundesländern gehoben werden könnten. Hinsichtlich des bürgerschaftlichen Engagements bedauert der Oberbürgermeister, dass sich selbiges zunehmend auf die Vertretung von Partikularinteressen verlagere. Möglicherweise ließe sich diesem Trend mit erweiterten Modellen der direkten Demokratie begegnen. Prof. Dr.

Schäfer empfiehlt, die Suche nach den optimalen Strukturen von den Aufgaben her zu denken. In Zusammenhang einer strukturellen Neuordnung wendet Dr. Maly ein, dass gerade die Bundesländer zunehmend Kompetenzen verlieren würden. Der Idee eines Europas der Regionen steht er zwar wohl-wollend gegenüber, jedoch müsse zunächst geklärt werden, wie sich eine Region definieren solle. Hier könnten einerseits wirtschaftliche Verflechtungen, andererseits aber auch

historisch-kulturelle Z u s a m m e n h ä n g e zurate gezogen werden.

Generell sollten neu gewählte Strukturen von der Basis freiwilliger Verpflichtungen aus-gehen. Denn die Ver-suche, den Bürgern neue Strukturen auf-zuoktroyieren, seien bislang allesamt an der Frage der Identitäten gescheitert. Dr. Maly verweist hier beispielhaft

auf die gescheiterten Fusionsversuche der Städte Nürnberg und Fürth in den 20er Jahren. Bürger-schaftliche Partizipation ließe sich nur dann nutzen, wenn die nötige Identifikation gegeben sei. Mehr als über den geographischen Zuschnitt müsse des-halb über Kulturen und Strukturen nachgedacht werden. Zunächst gelte es jedoch, die vorhandenen Potentiale freiwilliger Kooperationen zu nutzen.

Zwei Seiten der gleichen Medaille Wolfgang Branoner findet diese Diskussion zielführend. Abseits von notwendigen Struktur-veränderungen im Staatsaufbau und der Aufgabenverteilung gehe es aber auch um eine Effizienzverbesserung bei der Aufgaben-erledigung. Tatsächlich werde an vielen Orten über freiwillige Kooperationen nachgedacht – schon allein deshalb, weil sich die allzu positiven Prognosen hinsichtlich der kommunalen Ein-nahmen nicht bewahrheitet hätten. Auch viele regionale Energieversorger hätten selbst in einem wirtschaftlich positiven Umfeld die selbst-gesteckten Renditeziele nicht erreichen können.

Aus diesem Grund würden aktuell vielfältige Impulse für stärkere Kooperationen direkt durch die kommunalen Unternehmen gesetzt. Wenn man sich die bis zum Jahr 2020 auslaufenden Fördermechanismen vor Augen führe, gäbe es dazu auch keine Alternative. Josef Hasler ergänzt, dass der kommunal und damit demokratisch ver-ankerte Teil des Energiesektors die Energiewende besonders aktiv vorantreibe. Bei kommunalen Unternehmen und auch bei Genossenschaften sei Roundtable

Kommunale Unternehmen und Genossenschaften sind geborene Partner. Gerade aufgrund des bürgerschaftlichen Engagements wird sich die Energiewende

lang-fristig nicht mehr zurückdrehen lassen.

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Josef Hasler

Die Energiewende muss mit den Menschen und Unternehmen gestaltet werden. Das nenne ich

Markt.

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Wolfgang Branoner

Dr. Ulrich Maly (l.) und Josef Hasler

KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL

man im Gegensatz zu den Verbundunternehmen mit Renditen zufrieden, die klar im einstelligen Bereich liegen. „Diese beiden Segmente sind die geborenen Partner für eine Zusammenarbeit.

Gerade aufgrund des intensiven bürgerschaft-lichen Engagements wird sich die Energiewende langfristig nicht mehr zurückdrehen lassen“, ist sich Hasler sicher.

Branoner stimmt zu: „Kommunale Unter-nehmen und Genossenschaften sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Ziele stimmen weit-gehend überein, denn beide sind fest in der Region verankert.“ Im Hinblick auf die Kompetenzen der verschiedenen politischen Ebenen verweist Prof.

Dr. Schäfer auf das skandinavische Modell. „In Schweden oder in Dänemark gibt es Beispiele, bei denen der Mittelbau zugunsten einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung nahezu vollständig entmachtet wurde.“ Dort hätten die Kommunen auch den Erstzugriff auf die Einkommensteuer.

Auch in Deutschland würde der Großteil der existenziellen Aufgaben von den Kommunen vorgehalten. „Was spricht dagegen, sie auch strukturell zu stärken?“ Andreas Bausewein fordert, den mit zehn Prozent unangemessen geringen kommunalen Anteil am Steueraufkommen aus-zubauen. Einem Erstzugriff auf die Einkommen-steuer steht er hingegen skeptisch gegenüber.

Damit würden sich die strukturellen Unter-schiede zwischen einzelnen Regionen nur noch verstärken und die teilweise ruinöse Konkurrenz zwischen den Kommunen würde intensiviert.

Dr. Maly schließt sich an. Er sieht sowohl ein Verteilungs- als auch ein Einnahmeproblem. Auch wenn der Bund einige wenige Aufgaben über-nehme, wäre das Gesamtproblem noch immer nicht gelöst. Die Unterschiede zwischen einzel-nen Kommueinzel-nen seien weitaus stärker ausgeprägt, als jene zwischen dem wirtschaftlich stärksten und dem wirtschaftlich schwächsten Bundesland.

Damit würden Städte und Regionen miteinander konkurrieren, die „schon lange nicht mehr in der gleichen Liga spielen“, so Dr. Maly. Dieses bis heute ungelöste Problem hätte möglicherweise zu den Verstimmungen beigetragen, die einige

nordrhein-westfälische Verwaltungschefs im Vor-feld der vergangenen Landtagswahl äußerten. Der Nürnberger Oberbürgermeister hält es für sinn-voller, die Förderung bestimmter Kommunen nach ihrer Bedürftigkeit zu spezifizieren, anstatt allein die Gebietskulisse zu betrachten. Letztlich könne auch rasantes Wachstum Probleme verursachen. So bestünde beispielsweise in München die Gefahr, dass Menschen mit mittleren Einkommen eine angemessene Lebensqualität nicht mehr finanzieren können. Deshalb hätten alle Seiten ein Interesse daran, Wanderungsbewegungen in Grenzen zu halten, so der Nürnberger Oberbürgermeister.

Sind gleichwertige

Lebensbedingungen realistisch?

Wer glaubt, dass es in den vergangenen 20 Jahren im Osten Deutschlands zu schwerwiegenden demografischen Verschiebungen kam, der wird sich wundern, was in den kommenden 20 Jahren noch auf uns zu kommt“, leitet der Oberbürger-meister von Erfurt einen weiteren Themenschwer-punkt ein. Frauen, die in den letzten beiden Jahrzehnten nicht geboren wurden, könnten nun auch keine Kinder bekommen. Die Abwanderung in den Westen hätte

sich auch deshalb abgeschwächt, weil die Basis an jungen Leuten in vielen Regionen nicht mehr bestünde.

Das Durchschnitts-alter werde ansteigen und die Disparitäten zwischen Stadt und Land würden sich deutlich vertiefen.

„Den urbanen Zentren Thüringens um Erfurt, Weimar und Jena mag es noch ganz gut gehen, doch wir müssen auch

Lösungen für periphere Regionen finden. Die Stadt Suhl etwa ist seit der Wende von 60.000 auf 38.000 Einwohner geschrumpft. 2030 werden es nur noch 23.000 sein und der Alters-durchschnitt wird dann 63 Jahre betragen. Man kann gar nicht so viele Synergien heben, um in einem solchen Umfeld eine moderne kosten-deckende Infrastruktur vorhalten zu können“, so Bausewein. Wenn überhaupt, ließen sich der-artige Probleme nur im engen Schulterschluss zwischen Kommunen lösen, so Prof. Dr. Schäfer.

Aus lokal müsste regional werden, um Angebote zentral vorhalten und kleinere Kommunen ent-lasten zu können. Dennoch – zeigt sich der Moderator überzeugt – werde die Gleichwertig-keit von Lebensbedingungen auf den Prüfstand der praktischen Umsetzbarkeit gestellt werden

müssen. Dr. Maly ist mit dieser Sichtweise nicht einverstanden. „Die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen sollte weiterhin eine Ziel-orientierung sein, die den Maßstab des Handelns bildet.“ Dieser sollte weiterhin von Belang bleiben, wenn darüber nachgedacht werde, wo Schienen gebaut, DSL-Anschlüsse gelegt oder wissenschaftliche Einrichtungen angesiedelt werden. „Wir dürfen im Interesse des sozialen Friedens auch die regionale Schere zwischen arm und reich nicht allzu weit auseinanderklaffen lassen“, so der Oberbürgermeister. Wolfgang Branoner erinnert an eine ähnliche Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch damals sei

versucht worden, einen regionalen Ausgleich zwischen dem seinerzeit noch eher struktur-schwachen Bayern und dem prosperierenden Nordrhein-Westfalen herzustellen. Allerdings müsse das richtige Maß gefunden werden.

Schließlich würden die Erfahrungen aus der Subventionshauptstadt Berlin zeigen, dass zu viel Planwirtschaft und zu viel Umverteilung keiner Seite zum Vorteil gereichten. Auch im Kontext der Energiewende müsse darauf geachtet werden, Marktmechanismen nicht vollends außer Kraft zu setzen. Hinsichtlich der Ausgabenkontrolle sieht Branoner noch deut-liche Potentiale für eine stärkere Kooperation zwischen kommunalen Unternehmen. In diesem Zusammenhang nennt er die Sparkassen als gelungenes Beispiel, wie Back-Office-Prozesse Roundtable

Die Erfahrungen der Privatisierung haben gezeigt, dass selbstbewusste

und kreative Kommunen nach-haltiger und effizienter wirtschaften

können, als solche, die sich zum Verkauf ihrer Infrastruktur haben

hinreißen lassen.

„ ______________________

Andreas Bausewein

Mit der möglichen Re-Kommunalisierung der E.ON Thüringer Energie AG und dem

Engagement der kommunalen Thüga AG erhalten wir eine Struktur, die als Kooperations-ebene für die beteiligten Stadtwerke

fungieren und Impulse für eine stärkere Verschränkung liefern kann.

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Peter Zaiß

Wolfgang Branoner (l.) und Prof. Dr. Michael Schäfer

Roundtable

in enger Kooperation optimiert werden können.

Peter Zaiß schließt hier an: „Gerade mit der möglichen Re-Kommunalisierung der E.ON Thüringer Energie AG und dem Engagement der kommunalen Thüga AG erhalten wir eine Struktur, die als Kooperationsebene für die beteiligten Stadtwerke fungieren und Impulse für eine stärkere Verschränkung liefern kann. Dann könnten noch mehr Back-Office-Aufgaben inner-halb der kommunalen Familie zentral vorgehalten werden.“ Dies gelte sowohl für die städtische Ebene als auch für die Kooperation zwischen ver-schiedenen Stadtwerken. Letztlich könne diese Strategie auch einer anderen demografischen Entwicklung entgegenwirken – nämlich der Tatsache, dass immer weniger junge Ingenieure verfügbar seien, so der Geschäftsführer der Stadt-werke Erfurt. Josef Hasler provoziert bewusst mit der Frage: „Warum sollten wir dies tun?“.

Wenn man sich die überbordende Regulierung und die Anforderungen der Energiewende vor Augen führe, so seien die Kostensteigerungen der vergangenen Jahre ausschließlich der politischen Ebene zuzurechnen. „Wenn wir weitere Ressourcen heben, dann wird die Abgabenseite automatisch mitwachsen.“ Dr. Maly sieht den Bund als Gewinner der Liberalisierung der Energiemärkte an. Hier sei man geschickt genug gewesen, die ehemaligen Monopolgewinne durch Besteuerung einzutreiben. Die Bundesnetzagentur fungiere als willige Vollstreckerin bundespolitischer Vor-gaben. Auch Branoner kann den Einwurf nach-vollziehen. Selbst unter staatsgläubigen Menschen hätte sich die Sichtweise durchgesetzt, dass das Erneuerbare Energien-Gesetz eine reine Umver-teilung bewirke – mit dem Nebeneffekt einer massiven Abschöpfung von Kaufkraft. „Die Auf-wände der Bundesregierung sind schlicht zu hoch.

Die Bundesnetzagentur häuft immer weitere

DIE TEILNEHMER DER VERANSTALTUNG (IN NAMENSALPHABETIScHER REIHENfOLGE)

ˆ Bausewein, Andreas, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Erfurt

ˆ Branoner, Wolfgang, Senator a.D., Geschäftsführer SNPC GmbH Strategie . M&A . Politik

ˆ Hasler, Josef, Vorsitzender des Vorstands der N-ERGIE Aktiengesellschaft, Nürnberg, stellvertretender Vorsitzender der VKU-Landesgruppe Bayern

ˆ Maly, Dr. Ulrich, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg

ˆ Zaiß, Peter, Geschäftsführer Stadtwerke Erfurt GmbH

i infos

Winterliche Impressionen des Nürnberger Rathauses

Kompetenzen an, womit über die Jahre fast ein Staat im Staate entstanden ist.“ Dennoch seien alle Akteure aufgerufen, ihren Anteil zu leisten.

So dürfe nicht die Situation entstehen, dass wirt-schaftsschwache Bundesländer sich auf den Trans-ferzahlungen ausruhen und mögliche Spielräume zur Kostenersparnis ungenutzt lassen. Gerade Berlin würde noch immer unter den früheren Subventionen leiden.

Plädoyer für aktive Kommunen Prof. Dr. Schäfer teilt das von Dr. Maly propagierte Ziel gleichwertiger Lebensbedingungen. Letztlich manifestiere sich dieser Grundsatz insbesondere im Angebot der Daseinsvorsorge – und hier vor allem bei den freiwilligen Leistungen. Prof.

Dr. Schäfer zitiert das Beispiel des ÖPNV. Die Menschen in strukturschwachen Gebieten sind besonders alt und daher darauf angewiesen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln den nächsten Arzt aufsuchen oder andere Infrastrukturangebote in der nächstgrößeren Stadt nutzen zu können.

Allerdings ist der ÖPNV in strukturschwachen Gebieten ohne nennenswerten Schülerverkehr nur durch seine komplette Einstellung zu finanzieren.

Mit Blick auf die Realitäten schließt er deshalb

die Frage an, wie ein angemessener Kanon der Daseinsvorsorge gesichert werden kann. „Als Vertreter einer Großstadt ist es für mich natür-lich leichter, diese Frage zu beantworten, als für jemanden aus dem ländlichen Raum“, antwortet Dr. Maly. Für ihn gelte, dass nichts verscherbelt werden dürfe. Wesentliche Voraussetzung für diese Haltung sei jedoch eine optimale Effizienz. „Dort, wo es sinnvoll ist, sollten wir auch regionale und überregionale Allianzen schmieden.“ Die Thüga sei hier ein gutes Beispiel für Kooperationen im Umfeld von Re-Kommunalisierung und inter-kommunaler Kooperation. „Die Verantwortung für die Daseinsvorsorge bleibt im Rathaus und dort müssen Konzepte entwickelt werden, wie sie an aktuelle Entwicklungen angepasst werden kann.

Parallel dazu werden wir weiter um die nötige Finanzausstattung und um Kompetenzen streiten“, so der Nürnberger Oberbürgermeister.

Andreas Bausewein erinnert sich, dass der Trend unmittelbar nach der Wende in Richtung einer Suburbanisierung zeigte. Seinerzeit seien viele junge Familien bewusst auf die grüne Wiese gezogen. Es seien oftmals die gleichen Menschen, die es nun wieder zurück in die Städte ziehe. Dr.

Maly ergänzt, dass sich vor diesem Hintergrund auch die Oberzentren in eine Solidargemeinschaft mit den ländlichen Räumen einfügen müssten.

Wolfgang Branoner sieht die Politik vor Ort in der Pflicht der Sicherstellung der Daseins-vorsorge, aber die Umsetzung dieser Aufgaben könne effizienter organisiert werden – auch in Kooperation mit den kommunalen Unter-nehmen. Andreas Bausewein ist sich sicher, dass nur Kommunen, die selbst aktiv werden, sich auch für die Zukunft wappnen können. „Die Erfahrungen der Privatisierung haben gezeigt, dass selbstbewusste und kreative Kommunen nach-haltiger und effizienter wirtschaften können, als solche, die sich zum Verkauf ihrer Infrastruktur haben hinreißen lassen.“ n

Die Veranstaltung dokumentierte Falk Schäfer www.erfurt.de

www.nuernberg.de www.n-ergie.de www.stadtwerke-erfurt.de www.snpc.de

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 30-35)