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Kommerzialisierung und Manipulation

Im Dokument Von Herodot bis Hotelportal (Seite 144-152)

7. Mehrwert und Problembereiche von digitalen Reise-Apps

7.5 Kommerzialisierung und Manipulation

Wirtschaftlicher Erfolg und starkes Wachstum kennzeichnen den Tou-rismussektor, dementsprechend groß ist der Einfluss der Tourismusin-dustrie auf den Reisebereich. Die Mehrheit der deutschen Urlauber bevorzugt pauschal organisierte Reisen gegenüber Individualreisen, Tendenz steigend, wie Opaschowski bereits zur Jahrtausendwende fest-hielt (vgl. Opaschowski 2001: 147). Die Zahlen des Deutschen Reisever-bands vom Februar 2018 bestätigen diese Aussage: über die Hälfte der Ausgaben von fast 65 Milliarden Euro entfielen mit 33,7 Milliarden Euro auf die organisierte Reise, also die Pauschal- und Bausteinangebote der Reiseveranstalter (vgl. Deutscher Reiseverband 2018). Die deutschen Nutzer wenden sich mit ihren Reisewünschen also mehrheitlich an die kommerziellen Reiseveranstalter. Die Tourismusindustrie weiß um ihre starke Marktposition und treibt die Kommerzialisierung des Reiseberei-ches massiv voran, wobei die digitalen Umwelten neue Möglichkeiten für die Einflussnahme bieten.

Fake Content

Das Internet ist ein grenzenloser, anonymer Kommunikationsraum, der sich über die mobile Technologie heute jederzeit und von überall an-steuern lässt. Nutzer und App-Anbieter profitieren davon, dass eine Fülle von Informationen etwa zu Reisezielen, Unterkünften, Transport etc. mobil und häufig kostenfrei abrufbar ist. Was aber, wenn diese Informationen nicht der Wahrheit entsprechen, wenn sie die Realität verzerren oder die Öffentlichkeit bewusst täuschen sollen? Gefälschte Inhalte stellen Rezipienten und Kommunikatoren im digitalen

Kom-munikationsraum vor große Herausforderungen. Nutzern sei nicht immer klar, dass es sich beim Internet nicht um ein journalistisches Medium handle und dass dementsprechend auch keine journalistischen Standards eingehalten würden, gibt der Journalist und Medienwissen-schaftler Fasel zu bedenken (Fasel 2004: 29). Während klassische jour-nalistische Angebote in Deutschland weitgehend frei sind von manipu-lierten und fingierten Informationen, trifft das auf die Inhalte im Inter-net so nicht zu. Insbesondere Bereiche, die auf das Feedback und die Evaluation der Nutzer setzen, sind anfällig für Manipulation. Dabei sind der Manipulation im digitalen Kosmos kaum Grenzen gesetzt, wie der britische Journalist Oobah Butler nachweisen konnte, als er im Herbst 2017 seine Gartenlaube mittels gefälschter Bewertungen auf der Bewer-tungsplattform Tripadvisor.com zum besten Restaurant Londons mach-te (vgl. Butler 2017). Fingiermach-te Bewertungen, die vorsätzlich angefertigt werden für Hotels, Restaurants und andere touristische Dienstleister beeinflussen die Wahrnehmung der Rezipienten, sie verzerren die Rea-lität und liefern keinen echten Mehrwert. So haben etwa Hotelbewer-tungen ihre zunächst revolutionäre Bedeutung für den Tourismus in-zwischen eingebüßt – mittlerweile seien sie ein alltägliches Basismerk-mal ohne besonderen Mehrwert, konstatiert der Marketingexperte Axel Jockwer. Heute gebe es eine Flut geschönter, langweiliger, austauschba-rer Hotelbewertungen, so seine Kritik, nur noch ein Verriss sei wirklich hilfreich für den Nutzer. Nötig sei ein Umdenken, statt austauschbarer Bewertungen sollten Hotels sich fragen welche Gäste hier nicht zufrie-den wären, welche Gäste das Hotel nicht ansprechen möchte – zufrie-denn nur ehrliche Aussagen zum Hotel und zu den Gästen böten dem Nutzer einen Mehrwert bei der Wahl der passenden Unterkunft (vgl. Jockwer 2017).

Geschönte oder gefälschte Informationen werden meist aus wirt-schaftlichen Interessen in das Internet eingeschleust, etwa wenn sich ein Hotel mit positiven Bewertungen eine bessere Position im Ranking verschaffen möchte. Für viele Nutzer stellen Online-Bewertungen nach wie vor eine wichtige Entscheidungshilfe dar, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom im Frühjahr 2018 ergab: 64 Prozent der Befrag-ten, also gut zwei Drittel lesen demnach vor der Buchung entsprechende Rezensionen. Jeder Vierte schreibt sie nach einer Reise auch selbst.

Fehlendes Vertrauen in die Online-Bewertungen äußerte nur jeder zehnte Befragte (vgl. Bitkom 2018).

Dass sich inzwischen sogar Reise-Blogger, die gerne auf ihre Au-thentizität pochen über fingierte Bewertungen Vorteile verschaffen, sorgte im April 2017 für Aufsehen: Auf ihrem Blog Eatlivetraveld-rink.com postete die britische Reise-Bloggerin Nicole Sunderland einen Enthüllungsartikel über Fälschungspraktiken bei Instagram-Accounts verschiedener Reise-Blogger. Sunderland berichtete über gekaufte Follower und Likes und nannte mehrere Blogger-Kollegen namentlich (vgl. Eisenbrand 2017). Damit entfachte die Reise-Bloggerin eine hitzige Debatte über die Vor- und Nachteile des sogenannten Influencer Marke-ting, das auf der Popularität einzelner Blogger und ihrem vermeintli-chen Einfluss auf die eigenen Fans basiert. Blogger mit einer Fange-meinde von über 200.000 Followern gelten als attraktiver Kooperations-partner für die Tourismusindustrie. Die Unternehmen hoffen, über die Zusammenarbeit mit den Influencern Einfluss auf die Fangemeinde des jeweiligen Reise-Bloggers nehmen zu können, etwa um das eigene Image zu verbessern oder den Absatz der eigenen Produkte zu steigern.

Dabei stellt der Reise-Blogger seine Fans als Zielgruppe für Marketing-Aktivitäten zur Verfügung, als Gegenleistung erhält er Sachleistungen wie Hotelübernachtungen etc. oder eine Vergütung.

Vermischung von Werbung und redaktionellem Inhalt

Problematisch im Zusammenhang mit manipulierten Inhalten sind auch intransparente Tests und fingierte Siegel, die als redaktioneller Inhalt deklariert, tatsächlich aber als Marketing-Werkzeuge eingesetzt werden und einzelne Dienstleister wie Reiseveranstalter, Buchungspor-tale oder Hotels hervorheben. Im Herbst 2017 kam es zu einer kontro-versen Diskussion um gefälschte Online-Tests, in die verschiedene deutsche Reiseschnäppchenportale verwickelt waren (vgl. Brückner 2017).

Die intransparente Vermischung von Werbung und redaktionellem Inhalt belastet den Reisejournalismus praktisch schon seit seinen An-fängen im 19. Jahrhundert. Maßnahmen wie etwa das explizite Auswei-sen von Sponsoren haben in den letzten 20 Jahren zwar zu mehr Trans-parenz in der Reiseberichterstattung geführt; im Zusammenspiel mit den digitalen Technologien begünstigt der Kommunikationsraum In-ternet aber neue Formen der Manipulation und Beeinflussung des Pub-likums durch die Tourismusindustrie, wie etwa gefälschte Bewertungen oder fingierte Tests. Diese Entwicklung wird durch die fortschreitende

Kommerzialisierung des Reisebereichs vorangetrieben, wobei Marke-ting-Aktivitäten in immer neue Bereiche der Reiseberichterstattung vorstoßen, wie das Beispiel Influencer Marketing bei Reise-Blogs zeigt.

Viele Nutzer übernehmen die Informationen aus der Online-Berichterstattung, ohne zu reflektieren, auf welche Quellen sich etwa Bewertungen, Beiträge oder Tests stützen. Zudem sind die digitalen Angebote von Unternehmen aus der Tourismusindustrie wie Reisefüh-rer-Apps oder Service-Apps grundsätzlich kostenfrei und dementspre-chend attraktiv für die Nutzer. Bezahlte Pressereisen und thematische Kooperationen mit Touristikern sind wiederum für Verleger und Kom-munikatoren attraktiv. Während Werbeeinnahmen und Sponsorengel-der für die Finanzierung vieler Reisemedien ein wichtiges Standbein darstellen, müssen sich die Reise-App-Anbieter dennoch die Frage stel-len, wie weitreichend die Kooperationen – und damit die Abhängigkei-ten – zwischen einer Berichterstattung nach journalistischen Grundsät-zen und dem auf Umsatzmaximierung ausgerichteten Tourismus-Marketing sein sollen.

7.6 Zusammenfassung

Als neues Format im Reisejournalismus bieten digitale Reise-Apps Kommunikatoren und Rezipienten Leistungen, die das Funktionsspekt-rum der klassischen Reisemedien erweitern. Dank der digitalen Techno-logie stehen multifunktionale Dienste wie Standorterkennung, Routen-führung, Augmented Reality oder audiovisuelle Übersetzungen zur Ver-fügung, die dem Reisenden ein Plus an Orientierung und Service bie-ten. Die digitalen Programme lassen sich über Software-Updates zudem schnell und kostengünstig aktualisieren, so dass die Reiseinformationen theoretisch immer auf dem neuesten Stand sein sollten. Der Mehrwert der Apps bezieht sich hier insbesondere auf die Reiseorganisation und den praktischen Reisealltag. Im Sinne eines nutzwertigen Journalismus, der die Bedürfnisse der Rezipienten nach konkreter Hilfestellung und Orientierung in den Vordergrund stellt, können Reise-Apps hier einen wertvollen Beitrag leisten.

Praktische Hilfe und klassische Berichterstattung

Eine reisejournalistische Berichterstattung nach klassischem Muster, die statt auf reine Sachinformation eher auf die Vermittlung eines Ge-samtbildes durch Reportagen und Fotostrecken setzt, findet sich im Bereich der digitalen Reisemagazin-Apps. Hier wird das Angebot durch audiovisuelle Elemente wie Videos, Panoramabilder sowie Verlinkungen und Feedback-Funktionen ergänzt. So eröffnen sich neue Perspektiven für die Berichterstattung, die es den Rezipienten ermöglichen, mit allen Sinnen in das besprochene Reiseziel einzutauchen.

Ein Mehrwert entsteht für Anbieter und Nutzer auch durch die An-bindung von Reise-Apps an die sozialen Netzwerke, welche die Kom-munikation von Autor und Publikum miteinander und der Nutzer un-tereinander möglich macht. Die klassische Einbahn-Kommunikation wird ersetzt durch Interaktion, was zu mehr Transparenz, einem direk-ten Austausch und einer engeren Bindung zwischen Autoren und Rezi-pienten führen kann.

Während Nutzer und Reiseautoren von den zusätzlichen Leistungen profitieren, die über digitale Reise-Apps möglich werden, ergeben sich auch neue Anforderungen, insbesondere an die Autoren: Sie müssen Kenntnisse im Umgang mit den neuen Technologien erwerben, um digitale Elemente in ihre Berichterstattung einbinden zu können. Zu-dem sollten sie den Kontakt zu den Nutzern pflegen und auf Feedback des Publikums eingehen. Die unkomplizierte Aktualisierung von App-Inhalten stellt einen deutlichen Mehrwert gegenüber Print-Produkten dar und sollte von Verlagen und Autoren unbedingt umgesetzt werden.

Als nutzwertige journalistische Angebote können Reise-Apps im 21.

Jahrhundert die Rolle der gedruckten Reisehandbücher übernehmen.

Während die digitale Technologie gegenüber den klassischen Print-Reiseführern zusätzliche Funktionen ermöglicht, bringt sie andererseits auch spezifische Abhängigkeiten mit sich: So kann die Abhängigkeit von Strom und Mobilfunk zum Nachteil werden und je nach Reiseziel zu einem kompletten Funktionsverlust führen, wenn das Mobilgerät etwa nicht mehr aufgeladen werden kann oder beschädigt wird.

Ein weiterer Problembereich ergibt sich bei der Nutzung von Reise-Apps in Bezug auf den Umgang mit den persönlichen Daten. Services wie die Standorterkennung oder die Anbindung an eine Community bieten einen deutlichen Mehrwert für Nutzer und App-Anbieter. Aller-dings generieren Reise-Apps in der Regel eine Vielzahl an Nutzerdaten,

um diese neuen digitalen Dienste erst möglich zu machen. Dabei ent-stehen detaillierte Nutzerprofile, eine Fülle von Randdaten sowie ein großes Konvolut von User-Generated Content, bestehend aus Bildern, Bewertungen, Kommentaren und Beiträgen, welche die Nutzer selbst veröffentlichen. Der Umgang mit diesen Daten gestaltet sich schwierig, Missbrauch und Kontrollverlust können nicht ausgeschlossen werden.

Der grenzenlose Kommunikationsraum Internet, der per Smartpho-ne und Tablet auch mobil angesteuert werden kann und die Basis eiSmartpho-ner Vielzahl von Reise-Apps bildet, stellt Rezipienten und Kommunikatoren vor große Herausforderungen. Die journalistischen Standards der voll-ständigen, verständlichen und objektiven Darstellung von Sachverhalten werden von einer Vielzahl von Internetinhalten nicht erfüllt. Online Content kann gleichermaßen von professionellen Kommunikatoren wie von Laien verfasst werden, eine Kontrollinstanz existiert nicht. Dement-sprechend zeigt sich der Internetkosmos als Gemengelage aus seriösen Informationen und entprofessionalisierten Fakten, wodurch sich das Risiko der Fehlinformation – ob ungewollt oder durch vorsätzliche Ma-nipulation – verstärkt. Kommerzialisierung und wirtschaftlicher Druck fördern auch im Reisebereich eine Zunahme von manipulativen Ten-denzen. So versuchen Unternehmen aus der Reisebranche mitunter, sich durch fingierte Testergebnisse oder Bewertungen Vorteile gegen-über den Mitbewerbern zu verschaffen. Hier zeigt sich ein weiteres Problem in Bezug auf das Format der Reise-App: digitale Anwendun-gen, die auf Online-Inhalte wie NutzerbewertunAnwendun-gen, Erlebnisberichte oder Tests zugreifen, laufen Gefahr, verzerrte oder manipulierte Infor-mationen zu verwenden und zu verbreiten.

Ein altes Dilemma des Reisejournalismus ist seine Nähe zur Tou-rismusindustrie und der implizite Vorwurf einer wohlwollenden Be-richterstattung als Gegenleistung etwa für Pressereisen oder Kooperati-onen. Das starke Wachstum und das unverminderte Gewinnstreben der Touristikunternehmen haben dieses Problem insoweit verschärft, als immer neue Bereiche der Reiseberichterstattung für Marketingaktivitä-ten erschlossen werden. So bieMarketingaktivitä-ten etwa Fremdenverkehrsämter und Reiseveranstalter kostenlose Reise-Apps für nahezu alle Bereiche vom Packservice über den Städteführer und Tourennavigator bis zum Reise-Assistenten an. Die kostenfreien Anwendungen sind für Nutzer attrak-tiv, zumal sie oft auf fundiertem Insider-Wissen der jeweiligen Regio-nen und Themenfelder beruhen. Reisejournalistische Angebote müssen sich so im Wettbewerb mit den Angeboten der Tourismusbranche auch

auf digitaler Ebene behaupten. Das alte Problem von Abhängigkeit und Verflechtung des Reisejournalismus und der Reisebranche zeigt sich beim Format Reise-App im neuen Gewand.

Im Dokument Von Herodot bis Hotelportal (Seite 144-152)