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Erzählformen der Reiseberichterstattung

Im Dokument Von Herodot bis Hotelportal (Seite 16-22)

1. Vom klassischen zum zeitgenössischen Reisejournalismus

1.1 Erzählformen der Reiseberichterstattung

Menschen reisen und berichten darüber seit Jahrtausenden. Das Be-dürfnis, seine Erlebnisse und Erfahrungen mitzuteilen einerseits und der Wunsch, etwas über unbekannte Regionen zu erfahren andererseits sind so alt wie die Menschheit. So liegt allen Formen der Reiseberichter-stattung das Motiv der Begegnung mit dem Fremden zu Grunde. Erfah-rungen mit dem Fremden sind indes eng verbunden mit den eigenen Kulturvorstellungen, dementsprechend sagen Reiseberichte immer auch viel über die Ausgangskultur des Reisenden und seine Welterfahrung aus. Berichte von Reisen gab es lange bevor sich die journalistische Rei-seberichterstattung entwickelte. Über die Jahrhunderte entstanden ver-schiedene Erzählformen, die sich wechselseitig beeinflussten und teil-weise bis heute nebeneinander existieren. Die Autorin beschränkt sich im Folgenden auf literarische und journalistische Formen, auf (popu-lär-)wissenschaftliche Reiseschriften wird in dieser Arbeit nicht näher eingegangen.

Literarischer Reisebericht

Die Literaturwissenschaft grenzt den ‚Reisebericht‘ als Form der Reiseli-teratur zum einen ab von rein fiktionalen Gattungen wie dem Reisero-man und zum anderen von Hilfsmitteln wie Reiseführern und Reise-handbüchern. Reiseberichte sind inhaltlich an das Phänomen der Reise gebunden und können als Tagebuch, Brief, als Teil einer Autobiogra-phie oder als Gedicht abgefasst sein (vgl. Burdorf/Fasbender/Moennig-hoff 2007: 640). Mit dem Reisebericht verknüpft ist ein Authentizitäts-anspruch: maßgeblich ist, dass die Reise glaubwürdig dargestellt wird.

Ob die beschriebene Reise tatsächlich stattgefunden hat, ist aus litera-turwissenschaftlicher Perspektive weniger bedeutsam (vgl. ebd). Obwohl eine sehr alte literarische Gattung, wurde der Reisebericht von der Lite-raturwissenschaft lange wenig beachtet. Grund hierfür mag die Tatsache gewesen sein, dass der Schwerpunkt nicht auf der literarischen Qualität, sondern auf der Funktion der Vermittlung authentischer Informationen lag, vermutet der Germanist und Kulturwissenschaftler Peter Brenner, der 1990 eine erste Gattungsgeschichte des Reiseberichts publizierte (Brenner 1990: 1). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich ein wachsendes Interesse am Reisebericht als literarische Erzählform feststellen, auch bedingt durch die Liberalisierung eines starren Litera-turbegriffs und die Hinwendung zu vormals vernachlässigten Gattun-gen.

Augenzeugenbericht

Stärker noch als der literarische Reisebericht ist der ‚Augenzeugenbe-richt‘ in der Realität verhaftet. Während die literarische Reisebeschrei-bung eine freie Gestaltung des Themas erlaube, basiere der Augenzeu-genbericht immer auf einem klar identifizierbaren Ereignis, etwa einer Naturkatastrophe, einem Unfall oder einem Verbrechen, definiert Hal-ler (vgl. HalHal-ler 2016: 29f). Neben Unfällen und Katastrophen fallen in den Bereich der Augenzeugenberichte auch alle Veranstaltungen, die das Zusammenleben der Menschen betreffen wie etwa die Rechtspre-chung oder politische Versammlungen (vgl. ebd. 32). Als klassische journalistische Augenzeugen stellen Polizeireporter, Kriegsberichterstat-ter, Gerichtsreporter und Parlamentskorrespondenten Öffentlichkeit her und liefern Sachinformationen – so ist das Klischee des ‚rasenden Re-porters‘ eng mit dem Augenzeugenbericht verknüpft. Die Funktion des

Augenzeugenberichts besteht für Haller darin, stellvertretend für die Leser Barrieren zu überschreiten, um Bekanntes und Verschlossenes in der Lebenswelt des Publikums zugänglich zu machen: Das Unbekannte werde dem Publikum nahe gebracht durch die Schilderung aktueller Vorgänge oder durch den Bericht einer Veranstaltung (vgl. ebd. 37). Die Traditionen des Augenzeugenberichts und des literarischen Reisebe-richts sind prägend für die Entwicklung einer weiteren Erzählform in der Reiseberichterstattung gewesen: die der modernen journalistischen Reportage (vgl. ebd. 18, 29).

Reportage

Die ‚Reportage‘ ist eine häufig gebrauchte Erzählform in der modernen Reiseberichterstattung. Im Kern des Wortes steckt das lateinische Verb reportare, das für ‚zurücktragen, heimbringen, berichten‘ steht. Reu-mann definiert die Reportage als tatsachenbetonten, aber persönlich gefärbten Erlebnisbericht (vgl. Reumann 2009: 129-167). Die Literatur-wissenschaft klassifiziert die Reportage als dokumentarisch-informa-torisches Genre des Journalismus, das faktenbetont, zugleich aber per-sönlich gefärbt ist (vgl. Burdorf/Fasbender/Moennighoff 2007: 647).

Diese doppelte Tradition betont, wie bereits erwähnt, auch Haller: Die Reportage sei faktizierender Augenzeugenbericht und schildernder Erlebnisbericht. Sie beziehe sich auf Ereignisse und vermittle sie als Erlebnisse. In der Praxis ließe sich die Reportage nicht auf einen Dar-stellungstyp festlegen, das Durchgängige sei aber ihre Funktionalität, nämlich die Inhalte in den Sprach- und Erfahrungshorizont der Leser zu stellen, wie Haller hervorhebt: Die Aussagekraft der Reportage liege nicht in der Enthüllung von Tatsachen, sondern im Aufdecken von Le-benssinn durch ihre das Ungewöhnliche entschlüsselnde Sprache (vgl.

Haller 2006: 109f). Insbesondere die Reisereportage erfülle die Funkti-on, stellvertretend für die Hörer und Leser Distanzen zu überwinden, um Fernes und Fremdes nahe zu bringen: „Das Fremde erschließt sich über das Erlebnis des Reporters, das er erzählen möchte.“ (ebd. 37)

Literarischer Reiseroman

Im Gegensatz zu den an der Realität ausgerichteten Erzählformen des literarischen Reiseberichts, des Augenzeugenberichts und der Reportage

beruht der literarische ‚Reiseroman‘ in der Regel auf Fiktion, wobei das Kriterium der Fiktionalität als Trennungsmerkmal nicht immer greift.

Kennzeichnendes Leitmotiv für den Reiseroman ist eine Bewegung durch den Raum, häufig in der Struktur von Auszug, Erfahrung der Welt und Heimkehr (vgl. Burdorf/Fasbender/Moennighoff 2007: 641).

Die Ursprünge des Reiseromans liegen im antiken Abenteuerroman, zudem gibt es zahlreiche Berührungspunkte mit anderen literarischen Erscheinungen wie dem Schelmenroman, dem utopischen Roman, der Science-Fiction, dem empfindsamen Roman u.a. (vgl. ebd.).

Reise-Sachtexte

Eine spezielle Form der Reiseberichterstattung stellen Reiseberichte dar, die insbesondere der Orientierung anderer Reisender dienen sollen:

diese Sachbücher werden im allgemeinen Sprachgebrauch als ‚Reise-führer‘ oder ‚Reisehandbücher‘ bezeichnet und enthalten in der Regel kaum literarisch-erzählende Elemente. Die Literaturwissenschaft klassi-fiziert diese Texte als Hilfsmittel (vgl. ebd. 640). Der inhaltliche Schwer-punkt der Reisesachbücher liegt auf den praktischen Informationen zu Reiseland und Reiseroute, die für den Reisenden nützlich und aktuell sein müssen. Reisehandbücher setzten sich in der Regel aus drei Be-standteilen zusammen: Informationen zur Landeskunde, allgemeine reisepraktische Hinweise und eine Beschreibung des Reiseziels; hinzu kommt außerdem detailliertes Kartenmaterial (vgl. Müller 2012: 27f.).

Seit Mitte der 1990er Jahre sind Ratgeber- oder neutral ausgedrückt Nutzwert-Texte stärker in den journalistischen Fokus gerückt. Anders als bei berichtenden, erzählenden oder kommentierenden Textsorten bemüht sich der Autor eines nutzwertigen Sachtextes darum, dem Leser mit Orientierung, Hintergrund und Nutzwert, also mit Rat und Tat zur Seite zu stehen (vgl. Fasel 2004: 59). Dabei ist der Verfasser nicht an eine spezifische Textsorte des klassischen Kanons gebunden, vielmehr bedienen sich gelungene nutzwertige Texte unterschiedlichster Elemen-te der Leseransprache, worauf Fasel hinweist (vgl. Fasel 2004: 61). Aus-schlaggebend ist die spezielle service-orientierte Sichtweise des Autors.

Auch die Aufbereitung und Präsentation komplexer Sachverhalte, etwa unter Einbeziehung von Kästen, Infografiken oder Kurzinterviews trägt zur besseren Verständlichkeit bei und orientiert sich an der Perspektive des Publikums (vgl. Eickelkamp 2011: 139). Die Quantität von nutzwer-tigen Sachtexten hat in der modernen Reiseberichterstattung erheblich

zugenommen, dagegen sind rein erzählende Textsorten im Reisejourna-lismus heute seltener zu finden.

Reisefotografie

Ebenso wie ein Text sendet ein Bild eine Botschaft an den Betrachter, eine Strecke aus mehreren Bildern kann eine eigene Geschichte erzäh-len. Bilder und Bildsprache begleiten den Menschen schon seit Urzei-ten. So bildet die Ikonographie, also die Lehre von der Bestimmung und Deutung der Bildmotive eine eigene Disziplin in der Kunstgeschichte.

Auch in der Reiseberichterstattung haben Bilder eine lange Tradition, beispielsweise brachten Reisende der Kavalierstour gerne gemalte Stadt-ansichten als Souvenir mit nach Hause; infolgedessen entwickelte sich die Vedutenmalerei im Venedig des 18. Jahrhunderts zu einer eigenen Kunstgattung. Das künstlerische Reisebild entstand parallel zur Ausbil-dung des Tourismus und wurde zu einem Medium, das die Darstel-lungsmöglichkeiten des literarischen Reiseberichts ergänzt und gele-gentlich ersetzt hat (vgl. Brenner 1990: 584f.).

Im 19. Jahrhundert ermöglichte die Entwicklung der Fotografie dann erstmals, reale (Ab)Bilder von einem Reiseziel anzufertigen. 1837 erfand der Franzose Louis Jaques Mandé Daguerre das Verfahren der Daguer-rereotypie, die neue Technologie verbreitete sich schnell und begründete schon bald den Fotojournalismus als neues Genre. Dank der Weiter-entwicklung der Fototechnik wurden die Kameras mobiler und einfa-cher zu bedienen, sie konnten nun selbst in entlegenste Winkel der Erde reisen. Nahezu zeitgleich zur Fotografie entstanden die ersten bebilder-ten Zeitschrifbebilder-ten, die großen Erfolg beim Publikum hatbebilder-ten (vgl. Bauern-schmitt/Ebert 2015: 1-20). Auch die Baedeker-Biografin Susanne Müller verweist auf die Bedeutung der illustrierten Zeitschriften als publi-kumswirksame Plattformen: Ende des 19. Jahrhunderts publizierten diese Magazine massenwirksam Fotografien von exotischen Ländern und fremden Kulturen, zunächst als Reise-Bild-Berichte und später als eigenständige Reisereportagen (vgl. Müller 2016: 169). Die Wechselbe-ziehung zwischen Fotografie und Reisen indes ist komplex und würde Anlass zu einer eigenständigen Arbeit bieten. Daher beschränkt sich die Autorin an dieser Stelle darauf, das Reisefoto als Element im Reisejour-nalismus vorzustellen.

In der Reiseberichterstattung kommen dem Bild mehrere Funktio-nen zu: es soll den Text illustrieren, eigenständige Inhalte vermitteln

sowie Spannung erzeugen (vgl. Bauernschmitt/Ebert 2015: 113). Daraus ergibt sich eine doppelte Anforderung an jede Abbildung: Sie solle ei-nerseits den Gegenstand fotografisch neutral wiedergeben, zum ande-ren ästhetischen Kriterien genügen (vgl. Kleinsteuber/Thimm 2008: 80).

Allerdings besitzen Bilder großes Potenzial, die unmittelbare Aufmerk-samkeit des Betrachters zu erregen, während der Text oft erst auf der zweiten Stufe wahrgenommen wird. Die Dominanz von Fotos gegen-über dem Text, der sogenannte ‚Transfereffekt‘, kann dazu führen, dass die Beurteilung eines Textes durch die Bilder beeinflusst wird (vgl. Bau-ernschmitt/Ebert 2015: 111). Haben Fotos und Text etwa eine wider-sprüchliche Tendenz, wird der Text durch die starke Wirkung der Bilder geschwächt. Die Auswahl von geeigneten Bildern für einen Bericht ist also von zentraler Bedeutung. Wie auf der Textebene gibt es auch bei Reisefotos große Qualitätsunterschiede: Fotos, die lediglich hübsche Motive und visuelle Stereotype von Sonne, Strand und Urlaubsromantik abbilden, entsprechen der Machart von kommerziellen Reisekatalogen.

Anspruchsvolle Reisefotos gehen über die reine Illustration eines Be-richtes hinaus, bieten persönliche, überraschende, provozierende oder nachdenklich stimmende Ansichten. Sie fangen die ganz besonderen Eigenheiten eines Ortes in der Sprache der Bilder ein, der Reiz entsteht dabei durch die Darstellung des Fremden, das sich vom Eigenen unter-scheidet. Dabei sollten sie authentisch sein, denn der Leser habe einen Anspruch auf faire Darstellung des Reiseziels, gibt Kleinsteuber zu be-denken (vgl. auch Kleinsteuber/Thimm 2008: 80-82).

Neben Einzelfotos verwenden insbesondere Reisemagazine Bildstre-cken als Darstellungselement. Je nach Machart und Blickwinkel wird unterschieden zwischen Fotoreportage, Bildserie und Essay: während die Fotoreportage eine innere Dramaturgie besitzt und eine geschlosse-ne Geschichte ergibt, zeigt die Bildserie eigeschlosse-ne Reihe gleichartiger Dinge und regt den Betrachter so zum Vergleich der einzelnen Objekte an, beispielsweise Häuser oder Haustüren. Der Essay wiederum bietet ei-nen persönlichen, subjektiven Blick auf ein Thema, er kann provokante oder paradoxe Bilder enthalten (vgl. auch Bauernschmitt/Ebert 2015:

119-126). Für anspruchsvolle Bildstrecken gelten ähnlichen Qualitäts-maßstäbe wie für hochwertige Texte, etwa die formale und inhaltliche Kongruenz oder das Vermeiden von Stilbrüchen. Für die Wirkung von (Reise)Bildern ist zudem die passende Bildunterschrift von zentraler Bedeutung: sie bildet einen Bezugsrahmen, verdeutlicht dem

Betrach-ter, worum es in dem Bild geht und macht neugierig auf den Text (vgl.

Kleinsteuber/Thimm 2008: 102).

Das 20. Jahrhundert markierte eine neue Dimension der Bilderfülle im Alltag, bedingt durch die technologische Entwicklung und die Aus-bildung der modernen Mediensysteme. Infolgedessen ist eine Diskussi-on um das Medium Bild entstanden, die vDiskussi-on entlastender Verharmlo-sung bis zur dramatisierenden Dämonisierung von Bildern reicht, wie der Kunsthistoriker Bredekamp meint (vgl. Bredekamp 2015: 23): Vom einst geschätzten und geförderten, aber auch kritisierten und bisweilen verbotenen Sekundärphänomen seien Bilder inzwischen zu Elementen der Primärzone des gestalteten Lebens geworden (vgl. ebd. 25). Es steht außer Frage, dass Bilder ein gewisses Eigenleben besitzen und im Stan-de sind, mächtige Wirkungen beim Betrachter zu erzeugen. Die zu-nehmende Visualisierung in den Medien und der verstärkte Einsatz von Bildern als Emotionalisierungsfaktor auf der einen und die Realität der Bildmanipulation auf der anderen Seite markieren ein zeitgenössisches Problemfeld in Bezug auf das Foto als Erzählelement in der Reisebe-richterstattung.

1.2 Entwicklung der Reiseberichterstattung

Im Dokument Von Herodot bis Hotelportal (Seite 16-22)