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Anforderung 8: Handhabung begrenzter Kapazitäten

6.3 European Engineering Team

6.3.3 Implementierung und Erprobung des Diamant-Modells

Abbildung 6-14: Aufbereitete Ergebnisse der qualitativen Umfrage mit zwei Teilnehmern (mit Einbeziehung der Ergebnisse aus [CDK-PA])

 Anforderung 1: „liefert Strom (zum Laden von mindestens einer Batterie oder LED-Leuchte)“ (Skalenwert: 10)

 Anforderung 2: „widersteht schlechte Umwelt- und Wetterbedingungen“

(Skalenwert: 9)

 Anforderung 3: „einfach zu warten“ (Skalenwert: 9)

 Anforderung 4: „langlebig „ (Skalenwert: 8)

 Anforderung 5: „einfach zu bauen und zu betreiben“ (Skalenwert: 8)

Durch einen Vergleich möglicher prinzipieller, technischer Lösungen für die einzelnen Funktionen des Produktes wird eine horizontale Windenergieanlage als Vorzugsvariante ausgewählt. Diese Variante beruht auf einem Savonius-Rotor mit Bambusmast und einer Batterie als wesentlichen technischen Lösungen. Der Savonius-Rotor dient gleichzeitig als fassförmige Transportbox für die Anlage.

Die Vorzugsvariante besitzt mehre Vorteile für die Anwendung in ländlichen Gebieten in Subsahara-Afrika. Sie besitzt einen einfachen, mechanischen Aufbau, benötigt eine geringe Windgeschwindigkeit zum Überwinden des Widerstandsmomentes des Rotors und eine bodennahe Elektronik ermöglicht die einfache Wartung und Reparatur ohne tief gehende Kenntnisse [BCE-PA, S. 12 ff.].

Entsprechend den Anforderungen werden für das Geschäftsmodell Hypothesen mit prinzipiellen Lösungen definiert. Diese Lösungen können zwei Geschäftsmodellvarianten zugeordnet werden. Wesentliche Kunden(-segmente) für beide Geschäftsmodellvarianten sind jeweils Bewohner ländlicher Regionen in Subsahara-Afrika sowie lokal operierende NGOs. Im Rahmen der ersten Geschäftsmodellvariante werden einzelne Komponente sowie die CAD-Daten über einen eigenen Online-Shop vertrieben. Auf diese Weise können die Komponenten bestellt werden, um das Produkt selbstständig zusammenzubauen.

Weiterhin können das Produkt oder Komponenten lokal auf Basis der CAD-Dateien mithilfe lokaler Ressourcen gefertigt werden. Der Kunde ist somit ein integrierter Teil der Wertschöpfung. Er übernimmt die Produktion, Montage und Wartung selbst. Zusätzlich können umweltbewusste Menschen, Hobby-Bastler und Heimwerker sowie grundsätzlich alle Menschen in abgelegenen Regionen ohne permanente Stromversorgung als Kunden(-segmente) erschlossen werden.

Bei diesem Geschäftsmodell entstehen Kosten für den Aufbau und Betrieb des Online-Shops, der Vertriebszentrale, der Fertigung und Lagerhaltung der Komponenten und für Marketing [BDK-PA, S. 32 ff.]. In der zweiten Geschäftsmodellvariante erfolgt die Produktion in sogenannten Containerfabriken durch lokale Mitarbeiter in Subsahara-Afrika. Die

Containerfabriken werden in Deutschland mit der dafür notwendigen Produktionstechnik ausgestattet und anschließend an die ausgewählten Produktionsstandorte geliefert. Dort übernehmen lokale Mitarbeiter die Fertigung und Montage der Mikrowindenergieanlage. Die Schulung der Mitarbeiter erfolgt mit sprachunabhängigen Montageanleitungen, sogenannten Lernzeugen. Die Anlage wird an lokale Kunden wie Haushalte, Gemeinden, öffentliche Einrichtungen oder kleine Unternehmen in Afrika sowie an Kunden in Industrieländern verkauft, die mit diesem Kauf aktiv die Wertschöpfung in Afrika unterstützen wollen. Es entstehen wesentliche Kosten für die Containerfabriken sowie deren Transport. Zusätzlich entstehen Kosten für das Ramp-up der Fabriken und die Schulung der Mitarbeiter sowie für den lokalen und globalen Vertrieb der Anlagen und für das Marketing [BDK-PA, S. 35 ff.].

Der domänenspezifische Entwurf für die beiden Teilsysteme schließt sich an.

Für das Teilsystem Produkt (im engeren Sinne) erfolgt die Gestaltung der Domänen Mechanik und Elektronik auf Grundlage der ausgewählten prinzipiellen Lösungen. Wesentliche Handlungen zur Gestaltung der Mechanik sind die Auslegung, Anordnung und Festlegung der geometrischen Abmaße des Savonius-Rotors sowie des Antriebs des Generators. Als Generator wird eine Fahrzeug-Lichtmaschine ausgewählt. Es wird darauf geachtet, dass alle Bauteile lokal in Subsahara-Afrika verfügbar sind bzw. mit wenig Aufwand gefertigt werden können [BCE-PA, S. 14 ff.]. Für die Domäne Elektronik wird die Gestaltung des Ladereglers sowie die Auswahl und Einbindung der Batterie als wesentliche Handlungen vorgenommen. Abbildung 6-15 zeigt als Ergebnisse der Gestaltung die CAD-Modelle der Mikrowindenergieanlage sowie des Ladereglers.

Abbildung 6-15: CAD-Modell der Mechanik der Mikrowindenergieanlage (links) und des Ladereglers (rechts) [BCE-PA, S. 18, 22]

Für das Teilsystem Geschäftsmodell werden auf Grundlage der prinzipiellen Lösungen für die zweite Geschäftsmodellvariante die Domänen Wertangebot, Kunden(-segmente), Wertschöpfungskette und Ertragsschema konfiguriert [BCE-PA, S. 32 ff.]. Hierbei wird die Variante noch einmal weiterentwickelt.

Zusammengefasst agiert das Start-Up als gemeinnützige Organisation im Sinne eines Inkubators. Es entwickelt kontinuierlich neue, technische Lowtech-Produkte für Entwicklungsländer. Die Lowtech-Produkte dienen als Artefakte zur Ausbildung lokaler Entrepreneure. Diese sollen anschließend mittels des Produktes eigene unternehmerische Tätigkeiten etablieren. Die Ausbildung der Kunden erfolgt dabei mithilfe lokal operierender öffentlicher Organisationen und NGOs. Das spezifische Wertangebot umfasst somit eine Lowtech-Lösung zur Elektrifizierung ländlicher Gebiete in Subsahara-Afrika. Durch die Nutzung lokal vorhandener Ressourcen für die Mikrowindenergieanlage wird eine lokale Wertschöpfung ermöglicht. Zusätzlich wird das Produkt als Artefakt zur Ausbildung verwendet. Ziel der Ausbildung ist es, Personen zur Gründung eines eigenen Unternehmens zu befähigen sowie die Fähigkeiten zum Herstellen, Betreiben, und Instandhalten der Anlage zu vermitteln. Als Kunden(-segmente) werden primär Farmer und Fischer in Tansania adressiert, die 77-93% der Bevölkerung ausmachen und zu fast 80% selbstständig arbeiten. Für diese Personengruppe gelten die Pflege von Familienmitgliedern, das Kochen und Sammeln von Brennholz als die zeitaufwendigsten Tätigkeiten. Die Haupteinnahmequelle ist der Verkauf von Nutzpflanzen und Fisch [URT-17].

Die Arbeitszeiten sind stark von der Anzahl der Sonnenstunden abhängig. Die Wertschöpfungskette für das Start-Up kann durch das kontinuierliche Suchen und Entwickeln neuer Lowtech-Innovationen für wichtige Nachhaltigkeits-herausforderungen in Entwicklungsländern sowie durch das Erstellen von Ausbildungskonzepten zur Befähigung der lokalen Bevölkerung charakterisiert werden. Hierbei gilt die Gewinnung öffentlicher Organisationen und NGOs als Kernaufgabe. Diese Organisationen dienen als lokaler Berater und Anbieter der Ausbildung. Das Ertragsschema basiert auf der Akquise von Spenden und Fördermitteln zum Finanzieren der Handlungen des Start-Ups. Die Kostenstruktur ist an NGOs wie „Ingenieure ohne Grenzen“ angelehnt. Als mögliche Finanzierungsquellen fungieren Privatpersonen, Unternehmen und öffentliche Fördermittelgeber. Die Kostenstruktur teilt einen eingenommenen Euro in 70% für die Innovationsentwicklung sowie jeweils 10% für die Ausbildung, Marketing und Administration ein.

In der Phase Systemintegration werden die Entwürfe für die einzelnen Domänen der Teilsysteme Produkt und Geschäftsmodell in der technischen

Innovation zusammengeführt. Als Ergebnis wird durch das EET ein funktionaler Prototyp für das Produkt erstellt (Abbildung 6-16). Das Geschäftsmodell wird mittels des Business Model Canvas modelliert [BCE-PA, S. 45].

Abbildung 6-16: Funktionaler Prototyp der Mikrowindenergieanlage (links) mit wiederverwendeter Lichtanlage eines Fahrzeugs als Generator (rechts) [BCE-PA, S. 30]

Modellierung

Als wesentliche Modellierungsmethoden werden für die Entwicklung des Teilsystems Produkt das House of Quality, eine Anforderungsliste, der morphologische Kasten, sowie CAD und ein funktionaler Prototyp verwendet.

Für das Teilsystem Geschäftsmodell werden als maßgebende Modellierungs-methoden das Value Proposition Canvas sowie das Business Model Canvas angewendet.

Testen und Absichern der Eigenschaften

Zum Verifizieren und Validieren der ausgearbeiteten Ergebnisse sowie zum Austausch von Informationen und Wissen zwischen den Entwicklungspfaden der beiden Teilsysteme erfolgt das Testen und Absichern der erfolgskritischen Eigenschaften durch das EET. Zum Verifizieren des Wertangebotes werden qualitative Experteninterviews mit offenen Interviewfragen durchgeführt. Die Fragen umfassen Themen wie die persönliche Erfahrung des Experten,

Erfolgsfaktoren sowie bekannte Probleme im Zusammenhang mit Projekten zur Elektrifizierung in Entwicklungsländern, die Finanzierung, technische Planung, zum Betrieb und Instandhaltung von WEA sowie zur Bildung. Abschließend werden alle Experten gebeten, die technische Innovation des EET zu bewerten.

Für die Interviews werden 10 Teilnehmer von NGOs, Bildungseinrichtungen und Regierungsorganisationen sowie Führungskräfte von Windenergie-unternehmen und Start-ups, die Windprojekte in Afrika, Südamerika und Südostasien betreiben, befragt [BCE-PA, S. 51 ff.]. Die Bewertung der Experten fällt überwiegend positiv aus. Besonders die Ausbildung von lokalen Entrepreneuren sowie die robuste, einfache und wartungsfreundliche Technik werden positiv bewertet. Eine Mehrzahl der befragten Personen erwartet, dass das Projekt erfolgreich ist, wenn es skaliert werden und sich reproduzieren kann.

Kritisch herausgestellt wird die geringe Effizienz des Savonius-Rotors. Eine weitere wichtige Handlung zum Absichern der Eigenschaften ist der Funktionstest des funktionalen Prototyps. Der Austausch an Informationen und Wissen zwischen den Entwicklungspfaden der beiden Teilsysteme bezieht sich im Wesentlichen auf die Abstimmung der lokal vorhandenen Ressourcen mit der Gestaltung des Produktes. Weiterhin muss das Anwendungsfeld der Anlage durch die Kunden mit der erzielbaren Nennleistung abgeglichen werden.

Begleitende Analysen

Als begleitende Analysen werden eine Marktanalyse und eine Analyse der technischen, ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen durchgeführt [BCE-PA, S. 38 ff.]. Im Ergebnis wird Tansania als Land für den Markteintritt ausgewählt. Die Mehrheit der Bevölkerung in Tansania lebt in ländlichen Gebieten ohne Strom. Die politischen Rahmenbedingungen zur Entwicklung und Bereitstellungen von elektrischer Energie sind eher ungünstig. Es fehlt an öffentlichen Investitionen zur Unterstützung von Elektrifizierungsprojekten. Das Stromnetz in Tansania ist nicht in der Lage, alle ländlichen Gebiete mit Strom zu versorgen. Das führt zu hohen volkswirtschaftlichen Verlusten sowie zu hohen Ausfällen in der Wertschöpfung. Dezentrale, technische Lösungen zur Energiegewinnung besitzen daher ein großes Potenzial, den steigenden Bedarf der Bevölkerung und Unternehmen an stabiler Elektrizität zu decken. Haushalte und kleine Unternehmen verwenden häufig wieder aufladbare Blei-Säure-Batterien, um die Energie für den Eigenbedarf bereitzustellen. Nach Einführung des Elektrizitätsgesetzes 2008 änderte sich die politische Situation zugunsten der Versorgung ländlicher Gebiete mit Strom [IREA-18]. Dazu wurden Fördermittel zur Finanzierung privater Projekte eingerichtet, die bisher nicht vollständig

investiert wurden. Die größten Teile des Landes besitzen eine höhere durchschnittliche Windgeschwindigkeit als 3 bis 4m/s. Dies ist die kritische Mindestwindgeschwindigkeit für die wirtschaftliche Energieernte mit Wind-energieanlagen.

Abschließend definiert das EET für einen sich anschließenden, neuen Durchlauf des Diamant-Models einige Schwerpunkte zur Verbesserung der Innovation. Die Effizienz der Mikrowindenergieanlage soll wesentlich erhöht werden. Als Teil des Wertangebotes sollen die Schulungsunterlagen für die Ausbildung der lokalen Entrepreneure ausgearbeitet werden. Für den Markteintritt soll ein Pilotprojekt in Tansania zusammen mit Anspruchsgruppen durchgeführt werden. Dazu bieten einige der befragten Experten Kooperationen an. Zur Unterstützung der Umsetzung in Tansania bietet z. B. der tansanische Befragte an, Kontakt zur University of Dar es Salaam aufzunehmen. Ein Experte von Windmobile, ein Mitglied der Wind Empowerment mit Sitz in Ettelbruck, bietet technische Hilfe von seinen Studenten an. Die Ingenieure ohne Grenzen in Braunschweig offerieren, im Rahmen ihres Projektes „Wasser für Balanka“ zusammen-zuarbeiten. Darüber hinaus schlagen die Ingenieure ohne Grenzen in Berlin vor, Kontakte und Beratung innerhalb ihres Partnernetzwerks von Organisationen in mehreren ostafrikanischen Ländern zur Verfügung zu stellen.

6.4 Weitere Anwendungsfälle