• Keine Ergebnisse gefunden

Ikonoklasmus als Kriegsverbrechen

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 144-148)

Jonas Bens

1. Ikonoklasmus als Kriegsverbrechen

Al Mahdi war der erste Angeklagte, der sich vor dem IStGH schuldig be-kannte. Nachdem es zu einer Verständigung mit der Anklage über das Straf-maß gekommen war, verurteilte ihn das Gericht zu neun Jahren Haft.2 Das Römische Statut, der multilaterale völkerrechtliche Vertrag, der die rechtli-che Grundlage für das Bestehen und die Arbeit des Gerichtshofs bildet,

be-wie die beiden Mausoleen, die der Djingareyber Moschee angefügt sind, nämlich das Ahamed Fulane Mausoleum und das Bahaber Babadié Mausoleum (14. Jahrhundert), außerdem das Sheikh Mohamed Mahmoud Al Arawani Mausoleum. Bis auf das zu-letzt aufgeführte Mausoleum stehen alle diese Gebäude auf der UNESCO-Welterbeliste.

2 Das Verfahren war bislang das kürzeste in der Geschichte des noch jungen Gerichtshofs. Es umfasste ein initial appearance hearing am 30. September 2015, ein confirmation of charges hearing am 01. März 2016 und ein dreitägiges Hauptverfahren vom 22. bis zum 24. August 2016. Die Urteilsverkündung fand am 27. September 2016 statt. Ich habe als Zuhörer so-wohl am confirmation of charges hearing als auch an der Hauptverhandlung teilgenommen.

schränkt die Zuständigkeit des IStGH auf »die schwersten Verbrechen … , welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren«.3 Gegenwärtig

erfüllen drei Arten von Verbrechen diese Qualifikation: Völkermord (Arti-kel 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Arti(Arti-kel 7) und Kriegsverbre-chen (Artikel 8).4 Als Kriegsverbrechen zählt Artikel 8 unter anderem auf:

»vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst … gewidmet sind [und] auf geschichtliche Denkmäler … , sofern sie nicht militärische Ziele sind«.5 Al Mahdis Verurteilung erfolgte aufgrund dieser Strafvorschrift.

Wie sich aus der Formulierung des Artikel 8 ergibt, definiert das Römi-sche Statut die Zerstörung von Stätten, die in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen sind, nicht per se als Kriegsverbrechen. Die Zerstörung kann nur dann unter die Vorschrift subsumiert werden, wenn es sich bei den Welt-kulturerbestätten zugleich um dem Gottesdienst gewidmete Gebäude oder um geschichtliche Denkmäler im Sinne des Römischen Statuts handelt. Die Regel, dass im Krieg keine religiösen Gebäude und historischen Stätten zer-stört werden dürfen, gehört bereits zu den frühesten Schichten des huma-nitären Völkerrechts. Ein solches Verbot war schon in den ersten Haager Konventionen von 1899 enthalten und wurde seitdem mehrfach in völker-rechtliche Verträge wiederaufgenommen. Bereits vor dem Al Mahdi-Fall gab es hierzu völkerstrafrechtliche Rechtsprechung aus dem Jugoslawientribunal (ICTY) – ein Sondergerichtshof, der in den 1990er Jahren als Reaktion auf die Kriege im Kontext des Zusammenbruchs von Jugoslawien eingerichtet wurde. In diesen Fällen ging es unter anderem um die Bombardierung der Altstadt von Dubrovnik. Das Jugoslawientribunal, das noch auf Grundlage der Genfer Konventionen urteilte (das Römische Statut gab es noch nicht), entschied damals, dass die Aufnahme in die UNESCO-Liste ein starker In-dikator dafür sei, dass es sich dabei um ein »geschichtliches Denkmal« im Sinne der Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen handele.6 In seiner Al Mahdi-Entscheidung hat der IStGH diese Indikatorfunktion für das Rö-mische Statut sogar noch gestärkt.

3 Art. 5, Abs. 1, Römisches Statut.

4 Im Jahre 2010 einigten sich die Mitgliedstaaten des Römischen Statuts auf die De-finition eines vierten Verbrechens, das Verbrechen der Aggression (Vorbereitung und Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges). Doch diese Regelung gilt nur für die ratifizierenden Staaten einzeln, und nur wenige Mitgliedstaaten haben den Zusatz ratifiziert.

5 Art. 8, Abs. 2, lit. e, iv, Römisches Statut.

6 Das ICTY hat dies in seinen Urteilen zu den beiden Fällen The Prosecutor v. Strugar und The Prosecutor v. Jokic ausgeführt.

Diese strafrechtliche Fokussierung auf die UNESCO-Welterbeliste ist nicht unproblematisch. Stimmen aus der anthropologischen Literatur haben darauf hingewiesen, dass kulturelles Erbe das Ergebnis eines komplexen Fa-brikationsprozesses innerhalb rechtlicher Regime ist.7 In Mali war die Auf-nahme der Mausoleen von Timbuktu in die Welterbeliste im Jahre 1988 das Resultat langer Verhandlungen darüber, was kulturellen Wert hat, und was nicht. Diese Verhandlungen wurden damals auf höchster Ebene zwischen der UNESCO und den politischen Eliten in Malis Hauptstadt Bamako ge-führt.8 Wie anthropologische Studien hervorgehoben haben, ist die Rolle der UNESCO für den Schutz kulturellen Erbes nicht nur die eines objektiven Bewahrers. Die Organisation ist vielmehr an der Hervorbringung dieser kul-turellen Werte nicht unmaßgeblich selbst beteiligt.9 UNESCO schützt nur die »richtige« Art von Kultur, also diejenigen Dinge, die den dort geltenden Regeln entsprechen, die zum großen Teil auf den Denktraditionen der euro-päischen Kunstgeschichte beruhen.10

Innerhalb der europäischen geisteswissenschaftlichen, insbesondere der kunsthistorischen Debatte hat die Frage nach der Zerstörung von Weltkul-turerbe daher auch großes Interesse erfahren. Dabei spielt die Überschrift

»Ikonoklasmus als Kriegswaffe« eine Rolle. Die Zerstörung der Buddha-Sta-tuen von Bamiyan in Afghanistan durch die Taliban oder von Palmyra in Sy-rien durch den Islamischen Staat werden oft als weitere Beispiele angeführt.

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat diese Fragen in seinem Essay Das Beispiel Palmyra umfassend theoretisiert.11 Darin interpretiert er eine Er-schießungsszene einiger vom Islamischen Staat gefangener syrischer Soldaten vor der Kulisse eines der Anfang der 1990er Jahre restaurierten antiken The-aters in Palmyra. Bredekamp führt dazu aus: »Der antike Theaterbau diente jedoch nicht als historische Absicherung der im Video festgehaltenen Mas-senerschießung, sondern als Beteiligter, dem, stellvertretend für die anderen Monumente der Antike, seinerseits die Vernichtung prophezeit wurde«.12 Er argumentiert, dass »in und mit der Architektur […] Menschen gleichnishaft mitbetroffen« würden.13 Damit verweist Bredekamp auf die kulturellen

7 Murphy 2004.

8 Joy 2016; 2012.

9 Meskell/Brumann 2015.

10 Nielsen 2011.

11 Bredekamp 2016.

12 Ebd., S. 15–16.

13 Ebd., S. 23.

rikationsprozesse, die dem Ikonoklasmus innewohnen. Wie Menschen und Dinge angeordnet und bewertet werden, wird in der ikonoklastischen Praxis reorganisiert. Die öffentlichkeitswirksame Tötung eines für die Stätten von Palmyra zuständigen Archäologen und Kunsthistorikers interpretiert Brede-kamp als eng verbunden mit der Zerstörung der Stätten selbst: »An dem Konservator der ›Götzen‹ wurde eine Idolenschändung vollzogen als wäre er deren Inkorporation.«14 Genau diese spezifische Vermengung von menschli-chen und nichtmenschlimenschli-chen Körpern, diese Praxis »Kunstwerke wie Men-schen und reziprok MenMen-schen wie Kunstwerke zu behandeln« sieht Brede-kamp als den Wesenszug eines »gesteigerten Ikonoklasmus«.15

Bredekamp wendet sich in aller Deutlichkeit gegen diese Form des Iko-noklasmus und fordert, ihm die Werte der europäischen Aufklärung entge-genzustellen. In der Konsequenz kritisiert er heftig eine von ihm diagnosti-zierte falsche westliche Selbstkritik. Islamistische Bilderstürmer dadurch zu relativieren, dass man auf die Geschichte europäischer Bilderstürme verwei-se, führe zu einer Art westlicher Selbstentwaffnung. Dadurch verkenne man die europäische Kulturleistung, den gewaltsamen Ikonoklasmus überwun-den zu haben. Es sei der »westliche Selbstzweifel […] ein Teil des Waffenar-senals, mit dem der IS vorgeht«.16 Konsequenterweise fordert Bredekamp in seinem Text daher auch die Einrichtung einer internationalen Armee zum Schutz von Kulturgütern. Darüber, dass er mit dieser Forderung beim UN-ESCO Weltkongress nicht auf größere Resonanz gestoßen sei, zeigt er sich bestürzt.17

Auf Bredekamps Armee zum Schutz von Kulturgütern werde ich am Ende dieses Textes noch einmal zu sprechen kommen. Zunächst geht es mir aber um eine Vorfrage. Wie kommt es überhaupt dazu, dass die Buddha-Sta-tuen von Bamiyan, die römischen Tempel von Palmyra oder die Mausoleen von Timbuktu als solch schützenswerte Körper angesehen werden, dass es Manchen plausibel erscheint, Soldat*innen zu ihrem Schutze abzustellen?

Wie kommt es, dass diesen nichtmenschlichen Körpern derselbe Schutz vor Schändung, Kränkung und Zerstörung zuteil werden soll, wie menschlichen

14 Ebd., S. 17.

15 Ebd., S. 22. Bredekamp führt seine Analyse noch weiter, indem er betont, dass getöte-te und gefolgetöte-tergetöte-te Menschen in einem »substitutiven Bildakt« selbst zu Bildern gemacht werden, die über global zirkuliert werden, um seinerseits als eine »bildnerische Waffe«

über das Internet zirkuliert zu werden (ebd., S. 24).

16 Ebd., S. 26.

17 Ebd., S. 29.

Körpern – oder möglicherweise sogar noch ein höherer? In diesem Text geht es mir also um die Bestimmung des Verhältnisses von Menschen, Dingen und Wert  – genauer über die kulturellen Produktionsbedingungen dieses Verhältnisses. Hierbei, so glaube ich, bietet eine Perspektive auf Affekt und Emotionen einen privilegierten Zugang.

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 144-148)