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Häresie und die Angst vor der Apokalypse

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 122-127)

Josefine Kroll

4. Häresie und die Angst vor der Apokalypse

Darüber hinaus sei nun im Folgenden auf eine weitere Darstellungstradi-tion aufmerksam gemacht, die für die RezepDarstellungstradi-tion und Wirkungsweise der Kompositionen Schiavones und insbesondere der Figur der Häresie von zentraler Bedeutung ist. So ist offensichtlich, dass die vertikal ausgerichte-te und antithetische Gesamtkomposition an die Bildtradition vom Erzen-gel Michael als Bezwinger des Teufels anknüpft, denn auch hier befinden sich zwei Opponenten miteinander im Kampf, wobei der Sieger den Be-siegten mittels einer langen Waffe zu Boden ringt. Diese wiederum stützt sich auf die neutestamentliche Schrift der Johannesoffenbarung, die soge-nannte Apokalypse. Dem letzten Buch der Bibel wohnt dabei ein prophe-tischer Charakter inne, da dessen Verfasser Johannes Visionen empfängt und niederschreibt, die in der Zukunft stattfinden werden. Dort erscheint im zwölften Kapitel eine gebärende, sonnenbekleidete Frau, die vor einem siebenköpfigen Drachen mit zehn Hörnern in die Wüste flieht, um sich und ihren Sohn zu schützen.52 Daraufhin entbrennt ein Kampf im Him-mel, bei dem Michael und seine Engel gegen den Drachen kämpfen und dieser schließlich hinausgeworfen wird: »Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.«53

51 Vgl. ebd., S. 205, Anm. 47.

52 Offb. 4,1–12,6.

53 Offb. 12,7–9.

Abb. 6: Albrecht Dürer: Michaels Kampf mit dem Drachen, 1498, Holzschnitt, 39,5 × 28,5 cm (Platte), Washington, D. C., National Gallery of Art, Inv.-Nr. 2008.109.12 Quelle: Courtesy National Gallery of Art, Washington.

Der apokalyptische Sturz und die Niederlage Satans in Gestalt eines Dra-chens sowie die entscheidende Rolle, die der Erzengel Michael dabei spiel-te, indem er seinen Widersacher mit Schwert, Lanze oder Kreuz gen Boden stößt, fanden früh Eingang in die Bildtradition.54 Die wohl bekannteste und vor allem im venezianischen Raum äußerst populäre Bearbeitung des The-mas ist vermutlich der Apokalypse-Zyklus Albrecht Dürers (1471–1528), eine Holzschnittfolge, die in den Jahren 1496 bis 1498 nach dessen Venedigreise entstand.55 Sie stellt zugleich den Höhepunkt der Apokalypse-Ikonographie

54 Der Typus von Michael als Drachentöter entfaltete sich bereits im 9. und 10. Jahrhun-dert, wobei der Erzengel als Töter des teuflischen Drachens bzw. als Teufelsbezwinger seit dem Mittelalter besonders beliebt war. – Vgl. hierzu den Artikel Michael, Erzengel in: Kirschbaum 1990, S. 255–265.

55 Vgl. hierzu Germanisches Nationalmuseum 2002, S. 59–105, bes. S. 94–96; Hess/Eser 2012, bes. S. 434–453.

dar und diente meines Erachtens explizit als Folie für Schiavones Bildkom-positionen.56 Dürer illustrierte den Kampf Michaels mit dem Drachen als Ein-zelblatt (Abb. 6), doch im Gegensatz zu anderen Blättern der Serie, die ver-schiedene Einzelereignisse in einem Bild zusammenführen, konzentrierte er sich hier auf das Hauptgeschehen – den himmlischen Kampf gegen Satan – und die monumental ausgeführte Gestalt des Erzengels. Das dramatische Ge-schehen im Himmel, das durch dichte, horizontale Schraffuren verdunkelt ist, kontrastiert dabei mit der friedlichen, lichten Landschaft im unteren Teil des Holzschnitts. Im Himmel stößt der Erzengel Michael dem Drachen eine lange Lanze, die sogar das Bildformat sprengt, in die Kehle und blickt dabei grimmig in die Ferne. Heller erleuchtet als seine Mitstreiter und mit weit aus-gebreiteten Flügeln ragt er aus dem Gewirr der Kämpfenden hervor und steht an vorderster Front des Engelkampfes. Mit hoch erhobenen Armen umfasst er die Lanze und steht mit beiden Beinen fest auf dem Drachen, dessen Keh-le von der Waffe aufgespießt wird und der dadurch jeden Moment gen Bo-den fallen wird. Michael ist als übermächtiger Sieger des Kampfes abgebildet, was auch durch die leichte Untersicht auf seine im Verhältnis zum Drachen große Gestalt verdeutlicht wird. Auch in den beiden Radierungen von Schia-vone ist der Bildraum seiner vertikalen Kompositionen vollständig ausgefüllt, ja er wird in der späteren Fassung sogar gesprengt, indem der Künstler das überdimensionale und massive Kreuz der Religion aus dem Bild ragen lässt.

Zudem verweist das stark ausgeprägte chiaroscuro der Radierungen ebenfalls auf Dürers Apokalypse-Blatt des kämpfenden Erzengels. Darüber hinaus er-hebt Dürer die Vision des himmlischen Kampfes und Drachensturzes in eine zeitlose Gültigkeit, indem er den Drachen nicht – wie im Text der Johan-nesapokalypse beschrieben – als siebenköpfiges Untier darstellt, sondern ihn mit vier schlangenartigen Tierköpfen abbildet.57 Michael Koch hat diesbe-züglich überzeugend ausgeführt, dass der Drache der Apokalypse aufgrund seiner im Text beschriebenen äußeren Gestalt sowohl einzigartig als auch viel-gestaltig und facettenreich ist und daher »eine eindeutige Identifikation des Drachen […] unmöglich [ist]«.58 Im Anschluss an die formulierte Analogie zwischen der Bildtradition Michaels als Drachenbezwinger und den Kompo-sitionen Schiavones bedeutet dies, dass die personifizierte Häresie im über-tragenem Sinne mit dem Drachen und somit mit Satan gleichgesetzt werden kann. Ähnlich wie Dürer konzentriert sich Schiavone außerdem, zumindest

56 Vgl. hierzu den Artikel Apokalypse des Johannes in Kirschbaum, Engelbert u. a. 1990, S. 136.

57 Vgl. Schiller 1990, S. 338.

58 Vgl. Koch 2004, S. 244 f.

in der ersten Graphik, auf den Kampf zwischen seinen Opponenten – die metaphorisch das Gute und Böse repräsentieren  – sowie auf die Hässlich-keit der Häresie als Charakteristikum des Bösen. Der himmlische Kampf Micha els mit dem Bösen in mannigfaltiger Gestalt sowie auch dessen zen-trale Bedeutung für den weiteren Verlauf und das Gelingen der apokalypti-schen Geschehnisse, die letztlich in der Errichtung einer neuen und besseren Welt münden,59 erheben den Drachensturz zu einem Endkampf kosmischen Ausmaßes und den Erzengel zu einer zentralen Figur der Apokalypse. Damit erhält auch das antithetische Bildkonzept des venezianischen Künstlers vom Kampf und Triumph über die Häresie einen kosmisch-apokalyptischen Cha-rakter. Der wachsenden, wenn nicht gar zentralen Bedeutung des Erzengels entsprechen in Schiavones Graphiken, insbesondere in der späteren Version, die Allegorie der Religion, die durch den Rückgriff auf die Galatea Raffaels und den Auferstandenen Christus Michelangelos zudem eine außerordentliche Nobilitierung und Heroisierung erfährt. Dieser Umstand könnte auch erklä-ren, weshalb die Häresiefigur in der finalen Radierung nicht hervorstechend negativ oder hässlich charakterisiert wurde. Sie wird relativ schlicht abgebil-det und tritt dem Betrachter lediglich als besiegte, gefesselte Alte ohne Attri-bute entgegen. Der Fokus liegt nicht mehr auf der hässlichen Häresie, son-dern auf der Allegorie des wahren Glaubens – nicht zuletzt auch durch den Rückgriff auf und die Kombination von zwei kunsthistorischen Werken, die in ganz Italien berühmt waren und daher einen hohen Wiedererkennungs-wert besaßen. Der Häresiefigur hingegen mangelt es in der zweiten Fassung an einer spezifisch affektiven Botschaft, die sie hervortreten lässt. Dies war wahrscheinlich beabsichtigt, denn im Rahmen gegenreformatorischer Theo-logie sollte vor allem die Rechtgläubigkeit der eigenen, einzig wahren Religi-on betReligi-ont werden, sodass es logisch war, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die allegorische Religion zu lenken.

So bleibt vorläufig festzuhalten, dass die allegorische Häresie bei Schia-vone vor allem in der ersten Version der beiden Bildkompositionen invektiv wirkte, indem sie als hässliche Frau im Kontext von Hexerei und unter Hin-zunahme der apokalyptischen Bildtradition dargestellt wurde. Ihr körperli-ches Erscheinungsbild – das in diesem Zusammenhang mit den Kategorien weiblich, nackt, alt, deformiert, verdreht, verzerrt und am Boden kriechend

59 Vgl. Apk 21,1–2: »Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der ers-te Himmel und die ersers-te Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, berei-tet als eine geschmückte Braut ihrem Mann.«

operiert – wirkt abstoßend und charakterisiert die Häresie als hässlich und schlecht, äußerlich wie innerlich. Ihre Hässlichkeit tritt zudem besonders im Kontrast mit dem idealisierten, jugendlich-schönen Körper der wahren Reli-gion zutage. Der alte, grotesk-deformierte Körper verleiht der allegorischen Häresie eine aggressive Expressivität, die für sich spricht, und macht die Dar-stellung damit per se zu einem agens eines invektiven Prozesses, der sich allge-mein gegen das Phänomen religiöser Devianz im 16. Jahrhunderts und im Be-sonderen gegen das zeitgenössische Ketzertum in Venedig richtet. In diesem Sinne agiert vor allem die erste Fassung Schiavones als »Schlagbild«, da sie den Betrachter in spezifischer Weise emotional mobilisierte, indem es die Angst vor zeitgenössischen Hexen und Ketzerei gleichermaßen schürte, und sie zu-dem im Medium der Druckgraphik ausgeführt wurde, wodurch das Bildsu-jet vielfach, schnell und daher meinungsbildend verbreitet werden konnte.60 Besonders die in der ersten Radierung noch stärker zutage tretende Assoziati-on mit dem noch schwelenden, ausstehenden Endkampf der Apokalypse rief bei den Rezipienten sicherlich ein gewisses Angstempfinden und Unwohlsein bzw. Unruhe hervor, was vermutlich ganz im Sinne der beginnenden venezia-nischen Inquisition war. In der finalen Fassung des Themas wird durch die antithetische Gegenüberstellung von Gut und Böse in Anlehnung an den Kampf zwischen Michael und Satan zwar ebenfalls der apokalyptische End-kampf assoziiert, doch ist nun der unvermeidliche Ausgang des Konfliktes als Triumph über die Häresie abgebildet. Dadurch wird dem Betrachter ein Ausblick auf den Beginn einer neuen, christlich rechtgläubigen Welt vermit-telt, in der nur noch die einzig wahre – sprich altgläubige – Religion besteht, sowie letztlich auch Hoffnung auf ein unmittelbares Bevorstehen dieses Er-eignisses geschürt. Die allegorische Häresie wird daher nur noch wenig affi-zierend dargestellt. Ihre vergleichsweise zurückhaltende Hässlichkeit »stört«

den Betrachter weitaus weniger, denn sie beschränkt sich nun nur noch auf ihre weiblichen und alten Körperattribute. Anhand beider Kompositionen Schiavones, die vom Künstler innerhalb kürzester Zeit abgewandelt wurden, vollzieht sich somit auch ein Wandel der affizierten Emotionen – von Furcht bzw. Unruhe zu Hoffnung – was schlussendlich auch die mehr oder weniger hässlichen Körper der allegorischen Ketzerei widerspiegeln, da deren invekti-ves Poten zial eindeutig an das äußere Erscheinungsbild geknüpft ist. Anhand eines weiteren Beispiels aus dem bekanntesten Emblembuch des 17. Jahrhun-derts soll dies nun nochmals genauer aufgegriffen werden.

60 In diesem Sinne vgl. auch Diers 1997, S. 7 (wie Anm. 3).

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 122-127)