• Keine Ergebnisse gefunden

Cesare Ripas Figur der Heresia

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 127-131)

Josefine Kroll

5. Cesare Ripas Figur der Heresia

Abb. 7: Heresia, aus: Cesare Ripa: Iconologia, 1603, Holzschnitt

Quelle: Maffei, Sonia (Hg.), Cesare Ripa. Iconologia (1603), Turin 2012, S. 265.

In der von Cesare Ripa (um 1555–1622) verfassten, bebilderten Ausgabe der

»Iconologia«61 von 1603 tritt die Figur der Heresia nunmehr eigenständig und mit Attributen versehen auf (Abb. 7). Die gleichfalls weibliche Gestalt erscheint hier erneut als alte Frau mit schlaffen Brüsten. Bis auf den Stoff-streifen, der ihre Scham bedeckt, ist die aufrecht Stehende nackt dargestellt, wodurch ihr ausgemergelter Körper mit den vielen Falten, Dellen und

61 Der in Rom lebende und im Dienst des Kardinals Anton Maria Salviati (1537–1602) stehende Schriftsteller Cesare Ripa schuf mit seiner Iconologia ein allegorisches »Bild-wörterbuch«, das für die Kunst des Barocks maßgeblich wurde, wurden darin doch in emblematischer Tradition und alphabetischer Reihenfolge abstrakte Begriffe und Ide-en, die sogenannten concetti, mit illustrierenden Personifikationen und einem beige-fügten Text versehen. Die erste, noch unbebilderte Ausgabe erschien 1593 in Rom, wo schließlich auch die überaus erfolgreiche zweite Edition von 1603 publiziert wurde. Als grundlegende Forschungsliteratur sei empfohlen: Mandowsky 1934; Werner 1977; Lo-gemann/Thimann 2011; Gabriele/Galassi u. a. 2013. – Des Weiteren sei folgende kom-mentierte und bebilderte Neuauflage der Iconologia von 1603 empfohlen: Maffei 2012.

zeln in all seiner Hässlichkeit betont wird. Auch ihre Haare sind wirr und ungepflegt. In ihrer rechten Hand hält die hässliche Alte Schlangen und in ihrer Linken ein Buch, aus dem ebenfalls Schlangen hervorkriechen. Zu-gleich bläst sie offensichtlich ihren schlechten Atem in die Welt. Ripas erklä-rende Beschreibung der Figur fällt in Bezug auf das Äußere sehr genau aus, so spricht er beispielsweise von einem »Mund, aus dem eine verrußte Flam-me hervorschießt« oder den »unordentlichen, borstigen Pferdehaaren« auf ihrem Kopf.62 Zudem seien die »Brustwarzen ausgedörrt und sehr hängend«

darzustellen.63 Durch die schlaffen Brüste wird dem Betrachter suggeriert, dass die Häresie – im Gegensatz zur jugendlich-schönen Gestalt der Recht-gläubigkeit in Anlehnung an die jungfräuliche Gottesmutter Maria – letzt-lich nicht imstande ist, den menschletzt-lichen Geist zu nähren. Mit Rückgriff auf den berühmten Kirchenmann Thomas von Aquin (1225–74)64 heißt es in den dazugehörigen Zeilen, dass die Häresie zudem ein »Fehlschluss des Ver-standes« sei, der nicht nur »alt macht«, sondern auch von dem »dem Häreti-ker innewohnenden, äußersten Grad der Verderbtheit zeugt«.65 Ist die Häre-sie bei Ripa als »Fehlschluss des Verstandes« und somit irrational dargestellt, ist der »wahre« Glauben der Römischen Kurie im Umkehrschluss also an Rationalität und Rechtgläubigkeit geknüpft. Abschließend macht Ripa eini-ge Bemerkuneini-gen zu den Bedeutuneini-gen einzelner Äußerlichkeiten: So gibt der schlechte Atem der Heresia beispielsweise Aufschluss über deren »frevelhafte Überzeugungen«, die Pferdehaare seien den »verräterischen Gedanken« ge-schuldet und die Schlangen gelten ihm als Zeichen der »falschen Glaubens-lehre« und des falschen Handelns im Allgemeinen.66

John B. Knipping hat herausgestellt, dass die Figur zwei weiteren Stich-worten in der Iconologia ähnelt: Zum einen handelt es sich um die Abbildung des Inganno, des Betrugs, und zum anderen um die Invidia, die Missgunst.67 Die Allegorie des Betrugs kommt der Heresia insofern nahe, als dass die Figur

62 Vgl. Maffei 2012, S. 265: »getterà per la bocca fiamma affumicata, averà i crini disordi-natamente sparsi et irti […].«

63 Vgl. ebd.: »le mammelle asciutte et assai pendenti […].«

64 Der Dominikaner wurde vor allem durch seine Schrift Summe gegen die Heiden bekannt, in der er fiktive Dispute mit frühchristlichen Häretikern führt. Das Werk galt als missio-narisches Handbuch gegen die Gesamtheit aller Irrlehren. Vgl. Thomas von Aquin 1996.

65 Vgl. Maffei 2012, S. 266: »L’Eresia, secondo S. Tomasso […], è errore dell’intelletto […].

Si fa vecchia, per dinotare l’ultimo grado di perversità inveterata de l’Eretico.«

66 Vgl. ebd.: »Spira per la bocca […], per significare l’empie persuasioni […]. I crini sparsi et erti sono i rei pensieri, […]. Il libro succhioso con i serpi significa la falsa dottrina, […].«

67 Vgl. Knipping 1974, Bd. 2, S. 380.

Schlangenbeine besitzt, während der beigefügte Textkommentar zur Invidia deren Äußeres ebenfalls als »alte, hässliche, bleiche Frau mit ausgedörrtem Kör-per […] und Schlangen auf dem Kopf, welche die schlechten Gedanken sym-bolisieren,« beschreibt und damit an die Heresia erinnert.68 Des Weiteren hat Sonia Maffei darauf hingewiesen, dass die Beschreibung der hässlichen Alten teilweise der um 1503 verfassten Schrift Polyanthea, einer Anthologie wichti-ger Zitate von Kirchenvätern und italienischen Humanisten, entnommen ist.69

Im Hinblick auf die Frage nach einer konkreten Bildquelle für Ripas He-resia haben jedoch weder Erna Mandowsky, Gerlind Werner noch Maffei Beispielwerke benannt. Allgemein lässt sich diesbezüglich zunächst feststel-len, dass Ripas Allegorie mit ihren zahlreichen Attributen an traditionelle Lasterdarstellungen erinnert. Dies belegt beispielsweise ein Holzschnitt des

68 Vgl. Maffei 2012, S. 295: »Donna vecchia, brutta, e pallida; il corpo sia asciutto […]. Ha pieno il capo di serpi, in vece di capelli, per significazione de’ mali pensieri […].«

69 Vgl. ebd., S. 719.

Abb. 8: Georg Pencz: Invidia, 1534, Holzschnitt, 21,7 × 11,6 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum

Quelle: Die Welt des Hans Sachs. 400 Holzschnitte des 16. Jahrhunderts, hg. von den Stadt-geschichtlichen Museen (Ausstellungskataloge der StadtStadt-geschichtlichen Museen Nürnberg 10), Nürnberg 1976, Kat. 139, S. 157.

Nürnberger Kleinmeisters Georg Pencz (um 1500 bis um 1550) aus der ers-ten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der der Heresia bereits sehr ähnlich ist. Hier erkennen wir das Laster der Invidia als eine verhärmte Frau, deren Brüste nicht mehr nähren können (Abb. 8). Um eines ihrer Beine ringelt sich au-ßerdem eine Schlange. Darüber hinaus trägt sie jedoch Hörner als Zeichen ihrer Bockigkeit und Fledermausflügel verweisen auf ihre Blindheit.70 Neben dem Holzschnitt von Pencz, der in Bezug auf Ripas Heresia implizit auf die assoziative Verknüpfung von Ketzerei und Lastern verweist, scheint der um die Mitte der 1470er Jahre ausgeführte und weithin bekannte Meisterstich Kampf der Meeresgötter (Abb. 9) von Andrea Mantegna (1431–1506) als kon-kretes Vorbild für Ripas Allegorie der Heresia in Frage zu kommen.

So zeigt die linke Bildhälfte der Graphik im Vordergrund den Kampf verschiedener Meeresbewohner, die auf unterschiedlichen, der Fantasie des

70 Auch wird sie von weiteren Tieren begleitet, so zum Beispiel von einem Skorpion zu ihren Füßen und einer Spinne, die sich an ihrer Brust festgebissen hat. Vgl. Blöcker 1993, S. 329.

Abb. 9: Andrea Mantegna: Kampf der Meeresgötter, um 1475, Kupferstich, 28,6 × 42,6 cm (entlang des Plattenrandes beschnitten), Washington, D. C., National Gallery of Art, Inv.-Nr. 1984.53.1

Quelle: Courtesy National Gallery of Art, Washington.

Künstlers entsprungenen Reittieren sitzen und sich mit Stöcken, Lanzen und sogar Fischen gegenseitig schlagen. Im linken Hintergrund tritt die mut-maßliche Ursache des Kampfes zutage: Das Laster der Invidia, dargestellt als alte, ausgemergelte Frau, deren Rippen hervorstechen und Brüste hängen.71 Wie bei Ripas Heresia trägt sie ihre Hässlichkeit mit dem fratzenartigen

Ge-sicht und den wirren Haaren selbstbewusst zur Schau. Anders als Poseidon, der sich im rechten Bildhintergrund abwendet, ist sie selbst augenschein-lich Teil der Auseinandersetzung, steht sie doch einerseits aufrecht auf dem linken Seeungeheuer und beugt sich andererseits nach rechts zu den beiden Kämpfenden. Dabei hält sie eine Tafel mit der Aufschrift »Invid« in ihrer linken Hand, die sie eindeutig als Laster der Missgunst identifiziert. In ihrer Rechten hält sie ein aufgebauschtes Stofftuch, ähnlich wie bei Ripas Abbil-dung. Der Kupferstich ist meines Wissens eine der frühesten Darstellungen, in der das personifizierte Laster der Missgunst als alte Frau mit hängenden Brüsten und nacktem, verhärmten Körper abgebildet wird.72 Darüber hin-aus war die Kunst Mantegnas in Italien weit verbreitet und erfuhr zahlreiche Reproduktionen. So überrascht es nicht, dass die Figur der Invidia hinsicht-lich der hässhinsicht-lichen Physiognomie mit dem alten, ausgemergelten Körper, dem fratzenartigen Gesicht mit den unordentlichen Haaren und sogar in Bezug auf das Stofftuch große Ähnlichkeit mit Ripas Heresia aufweist. Auch der Umstand, dass sich die Meeresgötter untereinander bekämpfen, scheint im Hinblick auf das dargestellte Phänomen der Häresie kein Zufall zu sein, wurden den Reformierten – sprich den Häretikern – von altgläubiger Seite doch immer wieder Uneinigkeit und Zwietracht vorgeworfen, die daher als entscheidende Charakteristika dem Phänomen Ketzerei zugeordnet werden.

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 127-131)