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Häresie und hässliche Hexen

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 116-122)

Josefine Kroll

3. Häresie und hässliche Hexen

Abb. 3: Marcantonio Raimondi (nach Raffael): Triumph der Galatea, um 1515–1516, Kupferstich, 40,3 × 28,6 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-P-OB-12.139

Quelle: Amsterdam, Rijksmuseum, public domain.

Abb. 4: Nicolas Beatrizet (nach Michelangelo Buonarotti): Der auferstandene Christus, ca. 1540–1566, Kupferstich, 44,1 × 21,4 cm, British Museum, Inv.-Nr. 1856,0712.1031 Quelle: The Illustrated Bartsch, Bd. 29: Italian masters of the Sixteenth century (Bonasone contin-ued, Master of the Die, Beatrizet), hg. von Suzanne Boorsch, New York 1982, S. 266.

Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei Schiavones zweiter Radie-rung um die finale Fassung handelt, rekurriert die Figur der Religion auf-grund ihrer in sich verdrehten Körperhaltung einer figura serpentinata, des angewinkelten, nach vorne tretenden Beins und dem ungewöhnlich propor-tionierten Kreuz meines Erachtens auf zwei berühmte Werke der bekann-testen zeitgenössischen Renaissancekünstler: Zum einen auf den Triumph der Galatea von Raffael (1483–1520) und zum anderen auf Michelangelos

(1475–1564) Auferstandenen Christus.40 So erinnern vor allem das Spiel zwi-schen Stand- und Spielbein sowie auch das aufgebauschte Gewand hinter der allegorischen Religion an die bewegliche Lebendigkeit der raffaelesken Nymphe (Abb. 3). Die Ähnlichkeit zur Galatea klingt besonders in der spä-teren Radierung Schiavones an, da die Figur der Religion dort aufgrund ih-rer gefassten, ruhigeren Körperhaltung würdevoller auftritt und damit die einzig angemessene Reaktion auf die besiegte Häresie vermittelt, indem sie sich von der allegorischen Ketzerei abwendet, ja sie kaum wahrzunehmen scheint. Auch in Raffaels Fresko wirkt die Nymphe selbstvergessen und zeigt sich von den sie umgebenden amourösen Verführungen, Wollust und nack-ten Körpern unbeeindruckt. Der Auferstandene Christus (Abb. 4) Michelan-gelos weist ebenfalls eine größere Nähe zur finalen Fassung Schiavones auf, da die allegorische Religion in der späteren Radierung das Kreuz nun ebenso auf ihrer rechten Seite hält und nach links blickt. Und ebenso wie der trium-phierende, nicht erduldende Christus in Michelangelos Skulptur das mas-sive, proportional ungewöhnliche Kreuz wie eine Waffe nutzt,41 vermittelt auch Schiavones Allegorie der Religion den Eindruck eines Triumphators, bei der das Kreuz als Waffe und Symbol des wahren Glaubens zu interpre-tieren ist.

40 Das Fresko wurde um 1512 von Raffael als Teil eines großen Zyklus im Auftrag von Agostino Chigi (1466–1520) für die Villa Farnesina in Rom ausgeführt. Die Zeitge-nossen bewunderten vor allem die Schönheit der Galatea und so wurde deren Figur schon bald mittels zahlreicher graphischer Reproduktionen verbreitet und berühmt.

Ein früher Stich von Marcantonio Raimondi (um 1475–1534) entstand bereits um 1515/16. – Die 1519 bis 1521 ausgeführte Skulptur Michelangelos hinterließ bei des-sen Aufstellung in S. Maria sopra Minerva ebenfalls einen tiefen Eindruck und wur-de ebenso schnell wie die Galatea mittels graphischer Reproduktionen in ganz Itali-en bekannt. So ist zum Beispiel ein Kupferstich von Nicolas Beatrizet (1515–65) in der Bibliotheca Hertziana überliefert, der den Auferstandenen Christus Michelangelos zeigt.

41 Der Auferstandene Christus ist in der kunsthistorischen Forschung verschieden in-terpretiert worden; die bisherigen Deutungen zum Sujet der Skulptur identifizier-ten den Dargestellidentifizier-ten zum Beispiel als Schmerzensmann oder Auferstandenen, der mithilfe der arma christi über den Tod triumphiert. Einen guten Überblick über die bisherigen Auslegungen liefert noch immer die Publikation von Panofsky 1991, S. 166–169.

Abb. 5: Hans Baldung Grien: Vorbereitung des Hexensabbats, 1510, Holzschnitt, 37,8 × 25,7 cm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-P-OB-4121 Quelle: Amsterdam, Rijksmuseum, public domain.

Durch den Rückgriff auf diese äußerst bekannten Kunstwerke erfährt die Figur der Religion eine ungemeine Aufwertung, wodurch die Komposition Schiavones einerseits kunsttheoretisch nobilitiert wird. Andererseits geht die Aufwertung und Heroisierung der wahren Religion auch zwangsläufig mit der Abwertung ihrer Gegenspielerin, der allegorischen Häresie, einher. Die-se Die-sei nun genauer in den Blick genommen: So erinnert der Typus der häss-lichen Alten mit hängenden Brüsten und einem fratzenartigen Gesicht, die sich – zumindest in der ersten Version des Bildsujets – zudem unnatürlich verdreht und deren hässliche Gliedmaße verzerrte Proportionen aufweisen, in allgemeiner Weise zunächst an »klassische« Darstellungen des Hexenwe-sens der frühen Neuzeit und ist damit im Kontext der im 16. Jahrhundert vorherrschenden Misogynie verankert. Man denke beispielsweise an Hans Baldungs, genannt Grien (1484/85–1545), zahlreiche Graphiken, von de-nen die im Jahr 1510 ausgeführte Darstellung des Hexensabbats exemplarisch

herangezogen werden kann (Abb.  5), zeigt sie doch im Bildzentrum eine hässliche Hexe mit stark verzerrter Grimasse und tiefen Runzeln darin. Sie reißt ihre unnatürlich langen Arme in die Höhe, hält mit einer Hand eine Schale mit Opfertieren nach oben, hat dabei den Mund  – ob in Ekstase oder zu einem Schrei – geöffnet und beugt sich zusammen mit zwei wei-teren Hexen über ein Gefäß. Ihr hohes Alter wird besonders im Gegensatz zu den anderen Frauen des Holzschnitts anhand ihrer hageren Figur und der hängenden Brüste mit den langen Brustwarzen deutlich. Im Vergleich zu früheren Hexenillustrationen wirkt die Nacktheit der Frauen hier »na-turhaft und wild, aber auch fremd und bedrohlich«.42 Die aufbegehrende, hässliche Alte Schiavones verweist somit offensichtlich auf das Stereotyp der unheilstiftenden Hexe, welches sich in einer umfassenden Abbildungstradi-tion niederschlägt.43 Die Hexen-Ikonographie entwickelte sich dabei parallel zum Aufkommen und zur Verbreitung von Hexenprozessen im 15. Jahrhun-dert.44 Dass Schiavone seine Häresiefigur an das Stereotyp einer alten und hässlichen Hexe knüpft, hängt sicherlich mit der zunehmend in den Vorder-grund tretenden Gegenreformation in Venedig zusammen, die darauf ab-zielte, die Häresie zu bekämpfen und dafür bekanntlich auch die Inquisition instrumentalisierte.

Schon die sogenannte Hexenbulle aus dem Jahr 1484, die von Papst nozenz VIII. (reg. 1484–92) verfasst worden war und mit der er die In-quisitoren Heinrich (Institoris) Kramer (um 1430 bis um 1505) und Ja-kob Sprenger (1435–95) zur Hexenverfolgung ermächtigte, hatte eindeutig einen Zusammenhang von Hexerei und Häresie festgestellt, wenn es da-rin heißt, dass »Personen beiderlei Geschlechts, ihres eigenen Heiles ver-gessend und vom katholischen Glauben abirrend, mit männlichen und weiblichen Dämonen Unzucht treiben, […] Zaubersprüche, Lieder,

Be-schwörungen und andre verruchte abergläubische und zauberische

42 Vgl. Mensger 2017, S. 120.

43 Weitere Beispiele sind Dürers Hexe von 1500, Graphiken von Albrecht Altdorfer (um 1480–1538) oder Abbildungen im Traktat De lamiis et phitonicis mulieribus [Von den Unholden oder Hexen] des Ulrich Molitor (1442–1507/08) von 1489, das Hexerei zudem auf das weibliche Geschlecht bezog und diese als Ketzerinnen bezeichnete. Im italieni-schen Raum ist vor allem ein Stich nach Parmigianino bekannt, der zeigt, wie eine alte Hexe einen Phallus reitet.

44 Dies ist insofern logisch, als dass auch – entgegen der verbreiteten Auffassung – die Hochphase der Hexenprozesse nicht in das Mittelalter fällt, sondern in die Frühe Neu-zeit. Vgl. Rummel/Voltmer 2008.

schreitungen, Vergehen und Verbrechen [begehen]«.45 Spricht die He-xenbulle noch neutral von männlichen und weiblichen Personen, so ist dennoch eindeutig festzuhalten, dass die Inquisition vor allem Frauen als Hexen verdächtigte und verfolgte. Wie bereits angedeutet, war dieser Umstand der tief verwurzelten Misogynie im 16. Jahrhundert geschuldet.

Auch der sogenannte Hexenhammer Kramers aus dem Jahr 1486 bezeugt dies eindeutig, wenn der Autor darin schreibt, es sei »folgerichtig, die Ket-zerei nicht als die der Zauberer, sondern als die der Hexen zu bezeich-nen«.46 Weiterhin führt Kramer aus, dass die Frau prinzipiell anfälliger für Hexerei sei als Männer: »Schlecht also ist die Frau von Natur aus, da sie schneller am Glauben zweifelt, auch schneller den Glauben ableugnet. Das ist die Grundlage für Hexen.«47 Im Bild der hässlichen Alten – sei es bei Grien oder Schiavone – manifestiert sich daher die traditionelle, schon seit der Antike verbreitete und im Mittelalter fortgeführte Vorstellung, dass deren äußere Hässlichkeit auf innere Schlechtigkeit, Sünde und christliche Untugend zurückzuführen ist. Das Motiv der vituperatio vetulae, sprich die Beschimpfung bzw. der Tadel der alten Frau, setzte sich bis zum Zeitalter des Barocks fort, auch wenn ab der Renaissance weitere Bedeutungsebe-nen hinzukamen. Patrizia Bettella stellt in ihrer Arbeit mit Blick auf poeti-sche Texte der italienipoeti-schen Literatur der Vormoderne fest, dass es drei gro-ße Entwicklungsphasen der vituperatio von Frauen gibt: Basierend auf der antik-frauenfeindlichen Tradition, die Beispiele von Horaz (65 v. Chr. bis 8 v. Chr.), Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) oder Juvenals (1.–2. Jh. n. Chr.) Sechster Satire kennt, sowie auf biblischen und frühchristlichen Texten un-ter anderem von Tertullian (um 150–220 n. Chr.) fußend, die Frauen als lüstern, betrügerisch, körperlich ekelhaft und im Allgemeinen minder-wertiger als Männer charakterisieren, überwiegen im Mittelalter vor allem Texte der hässlichen Alten als Symbol moralischen Verfalls.48 Im Hinblick

45 Zitiert nach Eco 2010, S. 206.

46 Vgl. Institoris, Heinrich 2000, S. 238. – Die erstmals 1486 in Speyer publizierte Schrift war zugleich das erste Hexentraktat, das im Buchdruck erschien und daher schnell Ver-breitung fand: Bis 1523 erschienen bereits 13 Auflagen, doch besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entfaltete die Schrift ihre Wirkung. Die systematische Zu-spitzung auf die Schlechtigkeit der Frau in Bezug auf Hexerei und Ketzerei wird dabei schon im Titel deutlich, wenn mithilfe der weiblichen Form des Begriffs »maleficarum«

auf schädliche Zauberei durch Frauen angespielt wird. Vgl. Mensger 2017, S. 22–23.

47 Vgl. Institoris 2000, S. 231

48 Einen guten Überblick bietet Eco 2010, Kapitel VI, S. 158–177. In der Renaissance wird dies durch ironische Lobpreisungen mit dem Ziel humorvollen Vergnügens

er-auf Schiavones Allegorie der Häresie im Gewand einer hässlichen Alten, die implizit Vorbilder der Hexen-Ikonographie aufgreift, seien in diesem Zusammenhang außerdem exemplarisch zwei Gedichte des florentinischen Poeten Domenico di Giovanni, genannt Burchiello (1404–49), herangezo-gen, in denen der Autor den bösartigen Charakter einer alten Frau – die deshalb augenscheinlich eine Hexe sein müsse –, offenbart:

lasterhafte, treulose und bösartige Alte, Feindin alles Guten, neidische, Hexe und Zauberin,

traurig, verdreht und grindig.

[…]dein Atem ist faul, zahnlose verrückte Frau,

wenn du lachst, siehst du aus wie ein Teufel, der mit den Zähnen knirscht.

Dein Anblick ist so giftig, dass du alles verdirbst, was du anschaust […].49 Burchiello begründete mit seinen Sonetten eine literarische Schule, die in Italien große Verbreitung und viele Nachahmer fand. In einem weiteren So-nett macht der florentinische Dichter zudem die bereits erwähnte Relation zwischen einer alten, hässlichen Hexe und häretischen Praktiken deutlich, wenn er diese unter anderem wie folgt angreift:

Möge das Feuer dich verbrennen, altes stinkendes Weib, du hörst nie auf, schlecht zu denken,

du verteilst Ketzerei mit [all] deinen Schritten, weil du von den Menschen kein Geld bekommst. […]50

Auch in Venedig und im Veneto waren solche Vorstellungen bezüglich alter Frauen und vermeintlich häretischer Hexen verbreitet, hier vor al-lem durch die volkssprachlichen canzonette des venezianischen Politikers und Humanisten Leonardo Giustinian (1388–1446). So warnt dieser bei-spielsweise in einem seiner Gedichte jüngere Frauen vor den älteren, in-dem er deren Mängel und Laster aufzählt. Das Werk endet ebenfalls mit

gänzt, während es im Barock schließlich auch zu einer positiven Neubewertung der al-ten und hässlichen Frau kommt. Vgl. auch Belletta 2005.

49 Übersetzt nach Bettella 2005, S. 68f. Dort heißt es im Original: »Vecchia ritrosa, perfida e maligna, / inimica d’ogni ben, invidiosa, / e strega incantatrice e maliosa, / trista, stra-volta, che se’ pien di tigna. […] puzzati el fiato, sdentata rabbiosa / se ridi pari un diavol che digrigna.«

50 Übersetzt nach ebd., S. 69f. Dort heißt es im Original: »Ardati il fuoco, vecchia puzo-lente, / che non ti resti mai di pensar male, / di [e]resia seminando le tuo scale, / poiché moneta non trai dalle gente. […]«

dem Wunsch, alle alten Frauen wie Hexen zu verbrennen.51 Es ist davon auszugehen, dass Schiavone diese und ähnliche Texte kannte sowie auch bildliche Hexendarstellungen vor Augen hatte, als er seine Figur der Hä-resie konzipierte und umsetzte, zumal – wie bereits ausgeführt – die Ge-genreformation in Venedig durch Giovanni Della Casa zunehmend spür-bar wurde.

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 116-122)