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Fluchen und Verfluchen – Legitimation und Institutionalisierung kirchlicher Fluchgewalt

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 179-184)

Christian Jaser

1. Fluchen und Verfluchen – Legitimation und Institutionalisierung kirchlicher Fluchgewalt

›Fluch‹ lässt sich im Allgemeinen als »performative Sprachhandlung« defi-nieren, die einen formelhaften (Unheils-)Wunsch zum Ausdruck bringt und damit entweder aus sich selbst heraus oder durch den Eingriff einer Gottheit den Betroffenen zu schädigen sucht.9 Allerdings kreuzen sich im

6 Vgl. Ellerbrock/Koch/Müller-Mall/Münkler/Scharloth/Schrage/Schwerhoff 2017, S. 3.

7 Ebd, S. 3, 6. Vgl. Hahn 2008, S. 74.

8 Vgl. Ellerbrock/Koch/Müller-Mall/Münkler/Scharloth/Schrage/Schwerhoff 2017, S. 11;

Krämer/Koch 2010; Friedrich/Schneider 2009; Eming/Jarzebowski 2008; Gehring 2007; Butler 2006; Corbineau-Hoffmann/Nicklas 2000.

9 Maier/Veijola/Zager 2000; Belgrader 1984. Siehe auch Oettinger 2007, S. 5–11; Zie-barth 1909; Beth 1929/1930.

schen Feld ›Fluch‹ zwei Bedeutungs- und Handlungsdimensionen, die eine differenzierte Betrachtung verdienen: Erstens sind darunter das »mißbräuch-liche Aussprechen des Namens Gottes, der Namen von Heiligen oder von sakralen Dingen und Einrichtungen in Zorn oder Erregung« oder obszö-ne bzw. skatologische Ausdrücke zu verstehen, die zuweilen die Gestalt von spontanen Interjektionen annehmen und sich in vielfältiger Weise mit der Schimpf- und Schmährede berühren.10 Solche gotteslästerlichen Alltagsres-sourcen und Sprechtaktiken, von mittelalterlichen Theologen als Todsünde gebrandmarkt und in der europäischen Vormoderne vor allem im sozialen Kontext von Trunk, Spiel und interaktiven Konfliktsituationen häufig anzu-treffen11, sind Gegenstand der historischen Blasphemieforschung.12 Zweitens kann ›Fluch‹ als Ver-Fluchung definiert werden, mit der ein Akteur aufgrund von Rachegefühlen, Hass, Neid oder ähnlich Unheil, Schaden oder Vernich-tung auf ein Individuum oder ein Personenkollektiv herabwünscht, wobei der hier zu diskutierende Gegenstand eindeutig dieser zweiten Kategorie zu-zuordnen ist.13

Die bisherige Zurückhaltung der Forschung gegenüber dem Überliefe-rungskorpus kirchlicher Fluch- und Exkommunikationsformulare liegt vor allem daran, dass diese Quellen mit einem der zentralen ethischen Leitwerte des Christentums nur sehr schwer zu vereinbaren sind: dem Gebot der Fein-desliebe. Die Bergpredigt lässt in dieser Hinsicht an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und untersagt den Christen jede Form des Rache- und Ver-geltungsfluches (Luc. 6,27–28): »Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde: tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verflu-chen: betet für die, die euch mißhandeln.«14 Damit war ein neuartiger sitt-lich-religiöser Anspruch formuliert, der im Bewusstsein der Anhänger Jesu durchaus Wurzeln schlug und mithin als Sieg über die iracundia gedeutet wurde.15 Im christlichen Alltag ließ sich der Verzicht auf dieses »Mittel

10 Kiener 1983, S. 211. Vgl. Speyer 1969, Sp. 1162; Labouvie 1993, S. 141; Belgrader 1984, Sp. 1316; Schwerhoff 2005, S. 222.

11 Vgl. Schwerhoff 2005, S. 36–45, 266–281.

12 Siehe vor allem Schwerhoff 2021; Schwerhoff 2005; Schwerhoff 2009; Loetz 2002. Vgl.

auch Holzem 2000, S. 367–372; Cabantous 1999; Leveleux 2001; Burke 1986; van Dül-men 1984; Casa grande/Vecchio 1991; Montagu 1967; Walz 1992; Hoareau-Dodinau 1994; Schmidt 1993.

13 Kiener 1983, S. 211. Vgl. Speyer 1969, Sp. 1161; Labouvie 1993, S. 141; Belgrader 1984, Sp. 1316.

14 Vgl. dazu Speyer 1969, Sp. 1278, und Little 1993, S. 88.

15 1. Cor. 4,12–13; Rom. 12,14. Vgl. dazu Speyer 1969, Sp. 1278.

kraler Selbsthilfe« allerdings nicht durchsetzen. Folgerichtig gab es bereits im frühen Christentum kein prinzipielles Fluchverbot.16 Hierbei spielte sicher auch die Beharrungskraft der alttestamentlichen Tradition eine Rolle, die das Fluchhandeln von Propheten wie Elias oder Elisa ebenso als legitime Vorge-hensweise präsentiert wie die Verwünschungen des bedrängten und armen Frommen gegen seinen mächtigen Widersacher, wie sie in den Fluchpsalmen gang und gäbe sind.17 Selbst Jesus war, wie die Episode von der Verfluchung des Feigenbaums zeigt (Marc. 11,12–14), vor einer derartigen Nutzung seiner charismatischen Sprechmacht nicht völlig gefeit.18 Noch prägnanter erschei-nen die Fluchhandlungen der Apostel im Dienst der Gemeindedisziplin: Pe-trus tötet durch sein Wort die beiden Gottesbetrüger Hananias und Saphira (Act. 5,1–11)19; Paulus schlägt – allerdings zeitlich befristet – auf seiner ersten Missionsreise den jüdischen Zauberer Bar Jesus-Elymas kraft des Heiligen Geistes mit Blindheit, weil dieser den römischen Konsul Sergius Paulus vom christlichen Glauben zurückzuhalten suchte (Act. 13,6–12).20 Noch weit-aus häufiger finden sich in den apokryphen Apostelgeschichten und in der spätantik-frühmittelalterlichen Hagiographie mit ihren Schadens-, Krank-heits- und Strafwundern Belege für eine charismatische Sprechmacht von Aposteln und Heiligen21, deren Berechtigung sich nicht nur in der spiritu-ellen Autorität der handelnden Personen spiegelte, sondern auch zumeist in der sofortigen Erfüllung der Fluchwirkung manifestierte.22 Ähnliche Kon-stellationen liegen auch den »shouting matches« zwischen irischen Heiligen einerseits und Königen und Druiden andererseits zugrunde.23

16 Speyer 1969, Sp. 1278; Wiefel 1969, S. 222 (Zitat); Maier/Veijola/Zager 2000, S. 81–82.

17 Speyer 1969, Sp. 1278f., 1231–1232. Vgl. auch Schreiner 1991, S. 337.

18 Vgl. dazu die Exegese von Augustinus, Sermo XCVIII, cap. 3, Nr. 3, in: Migne, Bd. 38, 1845, Sp. 592. Siehe dazu auch Speyer 1969, Sp. 1253–1254; Wiefel 1969, S. 222; Brun 1932, S. 75–76. In der patristischen Auslegung wird die Verfluchung des Feigenbaums als Machtbeweis, als Beglaubigung der Strafgewalt Jesu oder allegorisch gedeutet (vgl.

Speyer 1969, Sp. 1283).

19 Zu dieser Episode siehe Jaser 2013, S. 211–212. Vgl. Speyer 1969, Sp. 1254–1255; Dos-kocil 1958, S. 46–49.

20 Vgl. Speyer 1969, Sp. 1255; Doskocil 1958, S. 46; Wiefel 1969, S. 222–223.

21 Speyer 1969, Sp. 1255–1256. Vgl. auch Schreiner 1991, S. 338; Brun 1932, S. 74–84.

22 Zu hagiographischen Fluchepisoden und den zeitgenössischen Reflexionen über deren Berechtigung siehe Jaser 2013, S. 63–67.

23 Zum Beispiel der Fluchwettbewerb zwischen St. Ruadán und König Diarmait mac Cer-baill, der »war of words« zwischen St. Patrick und Druiden auf dem Hügel von Temair und das »shouting match« zwischen St. Berach und einem Druiden. Vgl. dazu Bitel 2000, bes. S. 131–134 u. 137–138; Johnson 2018. Vgl. zur Typologie des verbalen Du-ells auch Parks 1990.

Im theologischen Diskurs übte Gregors des Großen Fundamentaldif-ferenzierung zwischen einer illegitimen, auf purer Rache basierenden und einer legitimen, durch einen heiligen Richter auf der Grundlage eines ge-rechten Urteil Gottes im Optativmodus vollzogenen Erscheinungsform des Fluches großen Einfluss aus.24 Waren frommer Eifer und nicht persönliche Rachsucht im Spiel, galt eine Verfluchung auf Geheiß Gottes weithin als le-gitim, wie auch aus der Summa Theologica Thomas von Aquins hervorgeht.25 Nach diesem Kirchenlehrer entschied die – gute oder böse – Intention über die Sündhaftigkeit des Fluchens, mit der Konsequenz, dass sowohl die bibli-schen Exempel als auch die Verfluchung eines Übeltäters durch einen Rich-ter und der Bannfluch der Kirche als zulässige Flüche gewertet werden.26 Nochmals geht Thomas im Kapitel De excommunicatione auf die Frage ein, ob die Kirche eine Exkommunikation, die ja »eine Art Verfluchung« (male-dictio quaedam) sei, angesichts des Fluchverbots von Rom. 12,14 überhaupt aussprechen dürfe27: Nur eine Verfluchung sei verboten, die »bei dem Übel, das sie herabruft oder ausspricht, stehenbleibt«; eine Verfluchung aber, die

»ein Übel […] auf das Heil dessen hinordnet, der verflucht wird«, sei erlaubt und sogar heilbringend, »wie auch der Arzt bisweilen dem Kranken ein Leid zufügt, wie etwa einen Schnitt, durch welchen der Kranke von seinem Lei-den befreit wird«.28

Die Verknüpfung von excommunicatio und maledictio bei Thomas ist be-reits im Überlieferungskomplex der erstmals im Jahr 900 fassbaren Exkom-munikationsformulare vorgeprägt. An dieser Stelle koppelte sich das Her-kommen einer legitimen kirchlichen Fluchpraxis an die geistliche Sanktion der Exkommunikation und des Anathems. Die neutestamentlich autorisier-te Exkommunikation – auch Kirchenbann genannt – wurde im Mitautorisier-telalautorisier-ter als Spiegelbild des Sündenfalls im Sinne eines »Prototyps von Exklusion«

(Alois Hahn) gedeutet und zog den Ausschluss von der Teilnahme am Leben der Kirche, etwa in Form des Gottesdienstes, der Eucharistie und des

24 Gregor der Große 1979, lib. IV, cap. 1–2, S. 164–165. Vgl. dazu Little 1993, S. 98–99;

Ivo von Chartres, 2020a, lib. XIV, c. 4; Ivo von Chartres 2020b, lib. V, c. 82; C. 24 q. 3 c. 12. Siehe zu diesen Kanonessammlungen Jaser 2013, S. 282–286.

25 Schwerhoff 2005, S. 222–223.

26 Thomas von Aquin 1953, quaest. 76, art. 1 u. 3, S. 334, 339. Vgl. dazu Schwerhoff 2005, S. 223; Little 1993, S. 98–99.

27 Thomas von Aquin 1985, quaest. 21, art. 2, S. 75.

28 Ebd., S. 76–77.

lichen Begräbnisses, nach sich.29 Neben excommunicatio kursierte für früh- und hochmittelalterliche Bannflüche auch das ursprünglich hellenistische und später in die Bibel eingegangene Wort anathema – ›Weihe geschenk‹ oder

›Opfergabe‹ –, das die spirituelle Auslieferung des Betroffenen im Sinne von diesseitigem Heilsverlust und jenseitiger Verdammnis noch einmal beson-ders akzentuiert, zuweilen mit excommunicatio aber auch synonym gebraucht wird. Im Rahmen der rituellen, oral-gestischen Exkommunikation überblen-deten sich die Traditionslinien von maledictio, excommunicatio und anathe-ma zu einer genuin kirchlichen Fluchkultur, einer ›Ecclesia anathe-maledicens‹, die kraft spiritueller potestas eine hinreichend legitimierte und – aufgrund der rituellen Rahmung und der Zuständigkeit klerikaler Sprecher  – instituti-onalisierte Sprachgewalt entfaltet. Zugleich erfüllte die alt- und neutesta-mentliche Überlieferung von Fluchformeln und exemplarischen Fluchhand-lungen das kirchliche Verfluchungshandeln mit Legitimation und gab für die Sprechakte und Formulare eine stete Verweis- und Autorisierungsfläche ab.30 Jedenfalls bestehen die überlieferten 50 Exkommunikationsformulare aus einem je spezifischen patchwork aus biblischen – meist aus dem Deute-ronomium 28 und den Psalmen – und an biblischen Mustern angelehnten Formelvarianten. Sie betreffen Aufenthaltsorte, Lebenssituationen,Tätigkei-ten, Besitztümer, Personen, sie geben Auskunft über das zu erwartende, ir-reguläre Begräbnis des Exkommunizierten – »mit Hunden und Eseln sollen sie begraben sein, reißende Wölfe sollen ihre Leichen auffressen [Fiat illorum sepultura cum canibus et asinis: Cadavera illorum lupi rapaces devorent]«,31 heißt es etwa in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im normannischen Lyre –, sie knüpfen dessen Jenseitsper spektive an das Schicksal exemplari-scher Hölleninsassen – Judas, Datan, Abiram –, sie mobilisieren zusätzliche transzendente Erfüllungsgaranten, bis sich der Betroffene zum Einlenken be-reit zeigt und in die kirchliche Heilsgemeinschaft reintegriert.

29 Hahn 2008, S. 74 (Zitat); Hahn 2006, S. 69; Hahn 2003. Zur Exkommunikation all-gemein siehe etwa Jaser 2013; Beaulande 2006; Kloek 1987; Vodola 1986; Logan 1968;

Morel 1926; Kober 1857.

30 Vgl. Vodola 1986, S. 4.

31 Exkommunikationsformular aus Lyre, 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, Rouen, Biblio-thèque Municipale, ms. A, 425, fol. 2v, abgedr. in Martène, Bd. 2, 1736, S. 911. Siehe dazu auch Siuts 1959, S. 92.

2. Den Körper verfluchen – Formeln und narrative

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 179-184)