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des Bauchtopos in einigen reformatorischen Invektiven

Im Dokument Frankfurt /New York (Seite 197-200)

Albrecht Dröse

1. Einleitung

Der Bauch bildet (zumindest in der westlichen Kultur) auch in geistlicher Hinsicht eine Problemzone. In der Topographie des Körpers markiert er den Ort der sinnlichen Freuden und Begierden und damit die fortdauernde Bin-dung an die Immanenz, die der Ausrichtung auf die Transzendenz entgegen-steht.1 In seiner Epistel an die Philipper warnt etwa der Apostel Paulus daher vor gewissen »Feinden des Kreuzes Christi«, deren Ende ist Verderben, deren Gott der Bauch und deren Ehre in ihrer Schande ist, die auf Irdisches sin-nen.« (Phil 3,19).2 Diese Warnung vor einer »Vergötzung« des Bauches ver-bindet sich also mit einer ironischen Volte gegen jene, die ihre Ehre in der

»Schande« suchen was vielleicht als Anspielung auf ein enthemmtes

1 Zur Kulturgeschichte des Bauches im Allgemeinen vgl. Ebbing 2008, die allerdings auf religiöse Aspekte nicht vertiefend eingeht. Siehe auch Benthien/Wulf 2001, S. 20f. so-wie Wulf 2001, S. 196–199. Die hier angesprochene Topographie des Körpers steht in Zusammenhang mit anthropologischen Vorannahmen, die u. a. Platon ausformuliert hat. Platon geht bekanntlich aus von einer werthierarchischen Anordnung der drei See-lenkräfte Vernunft (Logistikon), Mut (Thymoeides) und Begierden (Epithymetikon):

Die Vernunft wird im Kopf, der Mut in der Brust und der triebhafte Seelenteil im Un-terleib bzw. im Bauch verortet. Vgl. Platon, Politeia 434d–445e. Vgl. zur impliziten so-zialen Logik dieser Einteilung Guldin 2000, S. 46f.

2 Zitiert nach der Elberfelder Bibel; vgl. auch den griechischen Text (Novum Testamentum Graece, NA 28): ὧν τὸ τέλος ἀπώλεια, ὧν ὁ θεὸς ἡ κοιλία καὶ ἡ δόξα ἐν τῇ αἰσχύνῃ αὐτῶν, οἱ τὰ ἐπίγεια φρονοῦντες. Vulgata: quorum finis interitus quorum deus venter et gloria in confusione ipsorum qui terrena sapiunt. Dieser Satz steht in Spannung zu antiasketischen Tendenzen im frühen Christentum, dazu eingehend Grimm 1996; des Weiteren Böttrich 1998. Bezeichnend ist ja, dass Jesus, wohl aufgrund seiner öffentlich zelebrierten Mahlge-meinschaften, in Differenz zum Asketen Johannes als »Fresser und Weinsäufer« wahrge-nommen worden ist, wie er selbst spöttisch kommentiert (Matth 11,19): »Des Menschen Sohn ist gekommen, ißt und trinkt; so sagen sie: Siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle! Und die Weisheit muß sich rechtfer-tigen lassen von ihren Kindern.«

alverhalten zu verstehen ist.3 Zumindest verweist die Metonymie des Bau-ches nicht nur auf kulinarische, sondern auch auf sexuelle Lustformen, de-ren Zusammenhang seit der Antike einschlägig ist. Karl Olov Sandnes hat gezeigt, dass Paulus hier und in den Parallelstellen Röm 16,18 (»sie dienen nicht Christus, sondern ihrem Bauch«) sowie Tit 1,12 (»die Kreter sind faule Bäuche«) auf einen Topos der antiken Moralphilosophie rekurriert: Seinem Bauch zu dienen, die Gastrolatrie, bezeichnet eine Lebensform, die allein von sinnlichen Vergnügungen bestimmt ist.4 Sandnes’ Ausführungen ließen sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht dahingehend ergänzen, dass die Funk-tionsweise dieses Topos satirisch ist, nicht nur im Sinne einer ›strafenden‹

moralischen Bewertung, sondern der Verspottung einer solchen Figuration:

Der Topos inszeniert eine beschämende Unterordnung unter niedere Impul-se und gewinnt daraus Impul-seine appellative Evidenz. Wer sich von Impul-seinem Bauch bestimmen und leiten lässt, der »Bauchsklave«, ist eine unwürdige und lä-cherliche Figur.5

Paulus verschärft diese Topik, indem er sie mit dem biblischen Konzept der Idolatrie verbindet, und damit die satirische Kennzeichnung in eine reli-giöse Stigmatisierung verwandelt. Damit grenzt er nicht nur einfach den neu-en Glaubneu-en gegneu-en zeitgneu-enössische hedonistische Vorstellungneu-en und Praktikneu-en ab, sondern konturiert vor diesem Hintergrund eine christliche Lebensform.6 Der Bauchtopos ist Element einer umfassenderen Kontrastierung, der Bauch-knecht steht gegen den Athleten, der von Paulus als Leitfigur für das christli-che Leben herausgestellt wird (1 Kor 9,24; Phil 1,27; Phil 3,12–13).7 Welche

3 So lautet zumindest die geläufige Lesart dieser Passage; der Terminus αἰσχύνῃ ist aller-dings sehr vage, Sandnes schlägt daher vor, ihn allgemein als selbstbezogene, »schändli-che Lebensführung« (»shameful living«) zu übersetzen; Sandnes 2002, S. 153f. Eine al-ternative Interpretation bezieht diese Aussage auf die Beschneidung.

4 Sandnes 2002, S. 57. Diese Topik findet auch in der jüdischen Theologie und Moralistik in ihre Entsprechungen. Zum literarischen Hintergrund vgl. Lynwood Smith 2018 für die Antike; des Weiteren Wulf 2001, S. 201–203 mit Verweis auf das Motiv bei Rabelais.

5 Der »Bauchsklave« ist in der griechisch-römischen Antike eine gängige Ausdrucksform dieses Topos, vgl. Sandnes 2002, S. 23; Belege ebenda, S. 35–58. Zur satirischen Verwen-dung dieser Topik vor allem in Bezug auf Festmähler vgl. ebenda, S. 84–86. Zur Satire als invektive Gattung, die auf eine Exposition des Lächerlichen abzielt vgl. Münkler 2021.

6 Vgl. die Affektinszenierung in Phil 3,18: »Denn viele – von denen ich oft zu euch gespro-chen habe, doch jetzt unter Tränen spreche – leben als Feinde des Kreuzes Christi.«

7 1 Kor 9,24–25: »Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz emp-fangen, wir aber einen unvergänglichen.« Sandnes 2002, S. 141–149.

historische Opponenten Paulus in seinem Brief an die Philipper im Blick hatte, kann hier offen bleiben,8 wichtiger ist, dass diese Topik seit den Kir-chenvätern herangezogen worden ist, um Vorstellungen einer asketischen vita perfecta zu plausibilisieren und zu stabilisieren, durch die sich eine spirituelle Elite legitimiert.9 Der Bauch wird zum bevorzugten Ansatzpunkt asketischer Negation oder zumindest der Disziplinierung, das heißt des Fastens. Daran schließen moraltheologische Unterscheidungen an, wonach die Gelüste des Bauches als Sünde disqualifiziert werden und der Verzicht als Tugend; diese Topik erscheint in der mittelalterlichen Tradition regelmäßig mit den

Todsün-den der Völlerei (gula) und der Wollust (luxuria) verknüpft.10

Bemerkenswert ist, dass dieser Topos im reformatorischen Konflikt einer erneuten Verschiebung unterliegt. Er verschwindet keineswegs mit der refor-matorischen Ablehnung des Fastens aus dem Sprachgebrauch der Reformato-ren, sondern wird nunmehr gegen den Klerus und die römische Kirche ge-wendet. Luther etwa beschimpft seine Gegner als »bauchknechte« und spottet beispielsweise über die Bemühungen zur Heiligsprechung Bennos von Meißen 1524, »wie man dem volck wird das maul schmiren, das sie ja den Abgott hoch achten und den beuttel weyt aufthun sollen dem lieben S. Benno, das ist yhrem bauch [das heißt dem Bauch der bischöflichen Geistlichkeit in Meißen] zu gut und ehren.«11 Das ist kein Einzelfall: Friedrich Lepp identifizierte in seinen nach wie vor lesenswerten ›Schlagwörtern des Reformationszeitalters‹ von 1908 eine eigene »Formgruppe« ›Bauch‹, die sich u. a. in den Neubildungen von

»Bauchpfaffen«, »Bauchdienern« und eben »Bauchknechten«, von »Bauchhei-ligen« und »Bauchleben« manifestiert.12 Nun ist gerade der Klerus im Mittel-alter zur Zielscheibe von Diatriben gegen Völlerei und Genusssucht geworden, unterliegt er doch aufgrund seiner professionellen Transzendenzverpflichtung nicht nur einer besonderen Beobachtung, sondern legitimiert seinen Status

8 Vgl. die Rezensionen von Engberg-Pedersen 2004 und Thompson 2004.

9 Die Diskussion des Bauchtopos in der Patristik fasst zusammen Sandnes 2002, S. 219–

264; zum Hintergrund der Verschiebung »from feasting to fasting« im spätantiken Christentum eingehend Grimm 1996. Zur Funktion des »asketischen Leitideals« für die Konzeptualisierung des Klerus vgl. Hornung 2020.

10 Zu diesem Topos als Motiv in der mittellateinischen Literatur vgl. Grzybowska 2017, u. a. zur satirischen Inversion des Topos in Carmen Buranum 211 (Alte clamat Epi-curus). Für die Unterstützung bei der Erschließung ihres Aufsatzes danke ich Karsten Holste. Vgl. auch die Ausführungen von Forth 2019, S. 82–106.

11 WA 15, S. 195 (Widder den newen Abgott und allten Teuffel der zu Meyssen sol erhaben werden, 1524).

12 Lepp 1908, S. 131–134. Vgl. http://www.controversia-et-confessio.de/projekt/schimpf wort-des-monats/schimpfwort-detail/bauchknecht-bauchprediger.html.

auch über asketische Leitnormen.13 Anspielungen auf eine klerikale Bauchbe-zogenheit lassen sich in unterschiedlichen satirischen Inszenierungen des Mit-telalters nachweisen. Eine der ältesten und zugleich schärfsten antipäpstlichen Satiren des Mittelalters, der Tractatus Garsiae aus dem 11. Jh., stellt Papst Ur-ban II. (1088–1099) – immerhin ein Reformpapst in der Nachfolge Gregors VII. – als goldgierigen und heillos verfetteten Säufer dar, Sinnbild einer durch das ganze Mittelalter hindurch wortreich beklagten römischen Korruption.14 Ein anderes, eher witzig-ironisches Beispiel biete ein Streitgespräch zwischen einem Zisterzienser und einem Cluniazenser, die sich unter anderem wechsel-seitig ihre Gefräßigkeit vorhalten.15 Ein aggressiver Antifraternalismus mani-festiert sich hingegen auf einem vorreformatorischen Holzschnitt, auf dem ein volltrunkener schmerbäuchiger Abt offenkundig bewegungsunfähig auf einem riesigen Kinnbacken von Nonnen über das Eis gezogen wird (Abb. 1).16

Abb. 1: Unbekannter Meister: Der Abt auf dem Eis, um 1470/80

Quelle: Piltz, Georg: Ein Sack voll Ablass. Bildsatiren der Reformationszeit, Berlin 1983, Abb. 1:

Spottbild auf die Völlerei der Äbte, S. 15.

13 Zur asketischen Konzeptualisierung des Klerus vgl. u. a. König 1985; Hornung 2020.

Zur Kirchenkritik im Allgmeinen vgl. Conzemius 2000; zur satirischen Kirchenkritik im Mittelalter nach wie vor Schüppert 1972; Benzinger 1968.

14 Vgl. Benzinger 1968, S. 68–70.

15 Ed. Wright, S. 237–242, hier S. 241f. (V. 133 f.; 147 f.).

16 Spottbild auf die Völlerei der Äbte, in: Piltz 1983, S. 15, S. 114; Scribner 1994, S. 37;

Abb. 26 (Wien, Albertina).

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