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Kapitel III: Präferenzen und Information

3.4. Hypothesenbildung

Die Zusammenfassung der Implementationsforschung hat einige Fragen aufgeworfen, die allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden können. Wie auch bei der Schwerpunktsetzung des Theorieteils, werden sich die folgenden Kapitel auf die Analyse konzentrieren, die vom Rahmen der Agenturtheorie vorgegeben wird. Dieser Ansatz hilft unter anderem das Verhältnis von Kommission und Rat zu verstehen. Außerdem gibt sie an, welche Möglichkeiten beide Akteure haben, ihre Interessen gegen den anderen durchzusetzen. Die Delegationstheorie erklärt wie viele Kompetenzen delegiert werden und welcher Grad an Kontrolle der Principle wählt. Es ist hier nicht das Ziel zu zeigen, wie der Gesetzgeber auf die Implementation wirkt, wie dies in den Arbeiten von Franchino (2000a, b, 2001) der Fall ist. Vielmehr soll der Spielraum der Kommission erklärt werden, den diese in den unterschiedlichen Verfahren hat, d.h. es gilt die Frage zu beantworten, ob die formellen Unterschiede zwischen den Verfahren wirklich unterschiedliche Auswirkungen auf den Spielraum der Akteure haben, wie von Franchino angenommen. Dabei gilt es zu klären, wie groß der tatsächliche Spielraum der Kommission ist und ob es ihr gelingt, diesen auch auszunutzen.

Dieser Theoriediskussion zufolge ergeben sich folgende Erklärungsvariablen für den Spielraum der Kommission: die institutionellen Einschränkungen der verschiedenen Verfahren und in deren Abhängigkeit die Präferenzstruktur der beteiligten Akteure sowie die Informationsverteilung zwischen den Akteuren. Während bei der Gesetzgebung die MS die entscheidenden Akteure sind, die die Menge der delegierten Kompetenzen und das Kontrollverfahren festlegen, reagieren sie in der Implementationsphase nur auf die Vorschläge der Kommission.

28 Zur Erinnerung: ein Verwaltungsausschuss benötigt eine qualifizierte Mehrheit, um die Entscheidung der Kommission zu verändern; siehe Kapitel 2.1.

Aus den beschriebenen Modellen der Agentur- und Delegationstheorie sowie den Implikationen der formalen Regeln der Komitologie ergeben sich für diese Arbeit folgende Annahmen:

ƒ Akteure sind die Mitgliedstaaten der EU und die europäische Kommission.

ƒ Der Politikraum ist eindimensional, die Akteure haben euklidische Präferenzen29.

ƒ Die Ergebnisse hängen von der implementierten Politik der Kommission und dem Punkt (Status Quo ex ante) im Politikraum ab, der das Ergebnis ohne Einigung der Akteure repräsentiert.

ƒ Der Handlungsspielraum ist ein Teil des Politikraums. Er begrenzt die möglichen Politiken, die die Kommission umsetzen kann. Der Abstand der maximal von der Kommission umsetzbaren Politik (Umkehrpunkt) zum SQ ex ante definiert dabei die Größe des Handlungsspielraums, da die Kommission ansonsten von einem anderen Akteur (z.B. qualifizierte Mehrheit im Rat30) überstimmt und man zum SQ zurückkehren würde.

ƒ Sowohl die Präferenzen, die Nutzenfunktionen, als auch die Struktur des Spiels und der SQ ex ante sind den Akteuren bekannt.

ƒ Innerhalb eines Kontrollverfahrens, gibt es zwei MS, die entscheidend sind, je nachdem, ob man das Politikergebnis nach links oder rechts verschieben will.

ƒ Die nationalen Mitglieder dieses Kontrollausschusses repräsentieren die Präferenz des Staates und stimmen streng nach diesen Präferenzen ab. Es findet kein „logrolling“ statt31.

Zunächst sollen die daraus resultierenden theoretischen Schlussfolgerungen für die Variable der Präferenzstruktur beschrieben werden. Die Ergebnisse der Implementationsverhandlungen und der Einfluss der Kommission darauf, werden theoretisch durch die Stellung der Präferenzen zueinander und die Mehrheitsanforderungen in den verschiedenen Verfahren bestimmt.

29 Euklidische Präferenzen: Akteure wollen Ergebnisse, die so nah wie möglich bei ihrer Idealpolitik liegen, unabhängig davon ob dies auf der einen oder der anderen Seite der Politik ist und sie sind indifferent zwischen Vorschlägen die gleich weit von ihrer Idealposition entfernt liegen (Hix 1999).

30 Auch EuGH oder EP können die Kommissionentscheidung ändern, wenn sie über die ihr delegierten Kompetenzen hinaus Entscheidungen trifft.

31 „Logrolling“ oder „Vote Trading“ bezeichnet die Möglichkeit, durch Nebengeschäfte Stimmen gegen Ausgleichszahlungen zu bekommen. Dies bedeutet, dass einzelne Akteure nicht nach ihrer eigentlichen Präferenz abstimmen. Eine Diskussion der Rolle von „Vote Trading“ im Entscheidungsfindungsprozess des Rates findet sich in Mattila, Lane 2000.

Hypothese 1: Der Kommissionsvorschlag richtet sich nach den Mehrheitserfordernissen des jeweiligen Verfahrens. Je restriktiver ein Verfahren für die Kommission desto kleiner wird ihr Spielraum gegenüber den MS.

Für die betreffenden Verfahren bedeutet dies folgendes:

H1a: Im Verwaltungsverfahren kann die Kommission eine Position durchsetzen, die der MS, der ihr eine Blocking Minority sichert, dem SQ vorzieht.

H1b: Im Regelungsverfahren kann die Kommission eine Position vorschlagen, die der MS, der ihr eine qualifizierte Mehrheit sichert, dem SQ vorzieht.

Diese Abstimmungsregeln bestimmen welcher Akteur für die Kommission entscheidend ist, weil er ihr die Zustimmung des Ausschusses sichern kann. Die Bedeutung dieser Regeln wird deutlich wenn man das Beratungsverfahren32 mit dem Regelungsverfahren vergleicht. Während die Kommission im Regelungsverfahren eine qualifizierte Mehrheit der Stimmen (62) hinter sich wissen muss um eine Einschaltung des Rates zu verhindern33, ist der Spielraum der Kommission im Beratungsverfahren ungleich größer, und das Ergebnis wird nahe der eigenen Idealposition liegen, da die MS keine Vetomöglichkeit haben.

IE1 Spielraum 2

Spielraum 1

IE2

1 SQ K2 Key 15 RP K1

1...15: Bereich der Positionen der MS

Key: Schlüsselspieler, der über Annahme oder Ablehnung entscheidet K: Kommissionspositionen

SQ: Ergebnis bei Nicht-Einigung (SQÆKey = KeyÆRP) RP: Umkehrpunkt

IE: Implementationsergebnis

Figur 2: Präferenzstrukturen und Implementationsergebnisse

32 Leider konnte kein Fall mit Beratungsverfahren gefunden werden, der die Kriterien erfüllt hätte, um in dieser Arbeit genutzt werden zu können. Auf diese Kriterien wird im folgenden Kapitel genauer eingegangen.

33 Wie bereits in Kapitel 2 besprochen, werde ich die Auswirkungen einer Übergabe an den Rat ausschliessen.

Funktionieren die Kontrollverfahren, so wird die Kommission die Präferenzen der MS antizipieren und es sollten keine Konflikte auftreten. Allerdings können die Auswirkungen der Verfahren nur in den Fällen abgeschätzt werden, in denen es zu einem Konflikt kommt. Dies führt zu der Frage, wann die Kommission den ihr zugestandenen Spielraum ausnutzt. In Figur 2 ist zu erkennen, dass dies von der Position ihrer eigenen Präferenz abhängt.

Besitzt die Kommission eine Position K1, die jenseits des Umkehrpunktes RP liegt, so wird sie den ihr zugestandenen Spielraum voll ausnutzen. Wenn ihre Position jedoch innerhalb dieses Raumes, d.h. innerhalb des Spielraums 1 liegt (K2), so kann sie ihre Idealposition durchsetzen und wird deshalb den Spielraum nicht voll ausnutzen. Wenn die Position auf der anderen Seite des SQ liegen sollte, gelten dieselben Überlegungen, da dann ein anderer MS für die Bildung einer Mehrheit entscheidend wird. Ob die Kommission den ihr zugestandenen Spielraum nutzt, hängt somit von ihrer eigenen Position ab. Das heißt auch, dass verschiedene MS aufgrund ihrer Idealposition versuchen werden, ihre Vorstellungen einzubringen. Es ist zu erwarten, dass MS besonders dann aktiv werden, wenn ihre Position entscheidend für die Annahme eines Vorschlages ist oder wenn sie eine ähnliche Meinung wie die Kommission vertreten.

Hypothese 2: Je extremer also die Position der Kommission im Vergleich zum entscheidenden MS ist, desto besser kann sie ihren potentiellen Spielraum ausnutzen.

Da die meisten Entscheidungen weder Konflikte auslösen (Falke 1996, Pollack 1997) geschweige denn an den Rat weitergeleitet werden, kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Kommission bei den ihr delegierten Aufgaben selten extreme Positionen vertritt.

Wie oben diskutiert hat auch die Komplexität eines Politikfeldes einen Einfluss auf die Wahl des Verfahrens. Überträgt man diese Unsicherheit der Gesetzgeber auf die Implementationsverhandlungen, so ist es nicht mehr die Unsicherheit über den „state of nature“ wie bei Franchino (2000b) und Epstein und O’Halloran (1994), sondern darüber welche Auswirkungen eine bestimmte Entscheidung hat. Es handelt sich um ein „hidden action“ Problem, wobei dann von einem Informationsvorsprung der

Kommission gesprochen werden kann, wenn sie diese Auswirkungen besser einschätzen kann als die MS.

Hypothese 3a: Je größer der Informationsvorsprung der Kommission, desto größer wird ihr Spielraum gegenüber den MS.

Diese Informationsasymmetrie spielt jedoch nicht in allen Fällen eine Rolle. Wie in Figur 2 zu sehen war, nutzt die Kommission den Handlungsspielraum nicht vollständig, wenn ihre Position zwischen SQ und Umkehrpunkt liegt. In diesen Fällen ist es für sie nicht notwendig einen etwaigen Informationsvorsprung einzusetzen, da er nach H3a nur den potentiellen Spielraum vergrößert. Außerdem muss die Kommission dieses Wissen nicht einsetzen, da sie ausreichend viele MS auf ihrer Seite weiß. Der Informationsgrad der Akteure sollte in Abhängigkeit der Struktur ihrer Präferenzen gesehen werden.

Hypothese 3b: Je extremer die Präferenz der Kommission im Vergleich zu den MS, desto größer wird der Einfluss der Informationsasymmetrie zwischen den Akteuren auf ihren Spielraum.