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Kapitel III: Präferenzen und Information

3.3. Delegationstheorie

3.3.5. Delegation an die Europäische Kommission

In seinen Arbeiten über den Handlungsspielraum der Europäischen Kommission in der Komitologie nimmt Franchino (2000b, 2001) diesen Ansatz auf. Er untersucht die Faktoren, die den Spielraum der Kommission und den Einfluss der Komitologie bestimmen, wenn Politikautorität von den MS und dem EP an sie delegiert wird und keiner der Akteure die Auswirkungen ihrer Entscheidungen genau abschätzen kann.

Das Modell basiert auf der Idee von Epstein und O’Halloran (1994), den ex-ante Spielraum (den Grad an Delegation) mit den ex-post Kontrollen zu verbinden, und die Auswirkung der Implementationsverfahren auf den Spielraum und die Kontrollpräferenzen der Akteure zu analysieren. Es handelt sich um ein kooperatives Verhandlungsspiel, in dem beide Parteien ein Interesse daran haben, zu einer Lösung zu kommen. Die Interaktionsregeln sind allgemein bekannt und es geht nur darum, welche Verteilungslösung ausgehandelt wird (Hargreaves Heap, Varoufakis

25 Welche Mehrheiten im einzelnen benötigt werden, siehe Abschnitt 2.1.

1995). Da dem Agendasetzer die Präferenz des anderen Spielers bekannt ist, kann er dessen Vorstellungen in seinen Vorschlag miteinbeziehen und somit seine eigenen Interessen soweit durchsetzen, dass gerade noch eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann.

Der Ablauf des Spiels stellt sich nach Franchino (2000b) wie folgt dar: Die Kommission schlägt eine Politik und damit einen bestimmten Grad an Spielraum (Umfang der delegierten Kompetenzen) vor. Der Rat akzeptiert diesen Vorschlag, gemäß dem jeweiligen Gesetzgebungsverfahren. Die Position des „state of nature“

(w), welcher als die tatsächliche Auswirkung der Politik definiert ist, wird bekannt. Die Kommission beschließt eine Politik (p) innerhalb des Spielraums, den sie je nach Verfahren besitzt, wobei das endgültige Politikergebnis x=w+p ist. Der Rat akzeptiert

„x“ gemäß des gewählten Komitologieverfahrens und unter Berücksichtigung seines Nutzens im Vergleich zu w. Ziel Franchino’s ist es zum einen den tatsächlich gewährten Spielraum zu bestimmen, um damit zum anderen den Grad an Kontrolle vorhersagen zu können. Im Gegensatz zu Franchino konzentriert sich diese Arbeit auf den zweiten Teil des Spiels, da es herauszufinden gilt, wie stark die einzelnen Kontrollverfahren die Kommission bei gegebenem Spielraum einschränken.

Die Kommission wird demnach den ihr zugestandenen Spielraum voll auszunutzen, wobei der Rat den Spielraum idealerweise so einschränkt (also ein entsprechendes Komitologieverfahren wählt), dass er seinen Nutzen im Vergleich zu „w“ maximiert.

Ob er die Entscheidung der Kommission schließlich annimmt oder ablehnt (ex post Veto bzw. Grad an Kontrolle je nach Komitologieverfahren), hängt also auch von der Position des „state of nature“ ab. Die neue Politik muss dem einzelnen Akteur mehr Nutzen bringen als keine Entscheidung (vgl. zum amerikanischen System Epstein, O’Halloran 1994: 703ff.).

Es ist wichtig die Präferenzen der einzelnen Akteure zueinander in Beziehung zu setzen. Die Entfernung der Positionen voneinander bestimmt dann, ob überhaupt ein Anreiz besteht, den vorhandenen Spielraum auszunutzen. Danach ist anzunehmen, dass für Themen mit einem hohen Konfliktgrad unter den Akteuren generell ein die Kommission stärker einschränkendes Komitologieverfahren gewählt wird (Franchino 2000a), und es somit für sie schwerer wird, eine korrekte Umsetzung der Bestimmungen zu gewährleisten. Unterschiedliche Verfahren führen also zu unterschiedlichem Handlungsspielraum für die Kommission bzw. der MS (Franchino 2000b, Steunenberg 1996).

Franchino (2000a) argumentiert, dass zusätzlich zum Konfliktgrad zwischen den Akteuren die Unsicherheit über die optimale Politik die Wahl des Verfahrens bestimmt. Die Rolle von Unsicherheit über die richtige Politik hängt von der Komplexität des Themas bzw. des Politikfeldes ab und eine Erhöhung der Komplexität führt daher zu mehr Delegation. In der EU kann exekutive Macht jedoch auf zwei Arten von Agenten übertragen werden: auf die Kommission und die MS (Franchino 2001). Im ersteren Fall, der hier untersucht wird, ist davon auszugehen, dass aufgrund der meist unterschiedlichen Positionen (Hix 1999) das Risiko eines

„agency drifts“ überwiegt und deswegen eine erhöhte Unsicherheit damit auch zu einer erhöhten Kontrolle führt.

Informationsasymmetrie definiert Franchino (2000b) als die Unfähigkeit der Spieler zukünftige Auswirkungen vorherzusehen, womit er sich auf die Kenntnisse der Akteure über die spezifische Entscheidung konzentriert. Asymmetrische Informationsverteilung bezieht sich also auf die Unsicherheit, welche Auswirkungen eine bestimmte Entscheidung tatsächlich haben wird. Auch in der vorliegenden Studie entspricht der Informationsgrad den Kenntnissen über die spezifische Entscheidung und damit der Fähigkeit vorherzusagen, welche Auswirkungen eine Politik haben wird26. Die beiden Faktoren Präferenzstruktur und Unsicherheit erklären, so Franchino, die Delegation unterschiedlichen Spielraums an die Kommission.

Handlungsspielraum Mit

Kontrolle

Qualifizierte Mehrheit

Ohne Kontrolle

1 2 3 4 SQ 5 RP 6 7 Kom

Figur 1: Spielraum der Kommission mit oder ohne Kontrolle

26 Im Gegensatz dazu gibt es in der Literatur den Informationsvorsprung des Agenten, der sich aus der Unsicherheit des Prinzipalen über die Präferenzen seines Agenten ergibt (Steunenberg 1996: 310).

Bisher wurde aber nur die Einschränkung des Spielraums vor dem Handeln der Kommission thematisiert und es bleibt offen welchen Einfluss die Kontrollverfahren auf den gewünschten Grad an Delegation haben. Es soll jedoch nicht die mathematische Beweisführung Franchinos nachgezeichnet werden, sondern der Zusammenhang zwischen Grad an Delegation, den Idealpositionen der MS und den Kontrollverfahren mit Hilfe von Figur 1 erklärt werden.

Obige Darstellung basiert auf den räumlichen Modellen der Analyse der europäischen Gesetzgebungsprozesse (siehe z.B. Garrett, Tsebelis 199627), wonach die Situation im Rat durch 7 Spieler simuliert wird, eine qualifizierte Mehrheit besteht aus 5 dieser 7 Stimmen. Die einzelnen Idealpositionen sind durch Striche gekennzeichnet, wobei die Position ganz rechts (Kom), die der Kommission ist.

Um die Bestätigung einer Kommissionsentscheidung nachzuzeichnen, werden die Mehrheitserfordernisse zweier Komitologieverfahren verwendet, nämlich des Beratungsverfahrens für den Fall ohne Kontrolle und des Verwaltungsverfahrens für den Fall mit Kontrolle. Im ersten Fall hat die Kommission einen maximalen Spielraum, der es ihr erlaubt, das Politikergebnis bis nahe an ihre eigene Position zu verschieben (rechter Rand des Spielraums).

Im Fall mit Kontrolle kommt Spieler 5 besondere Bedeutung zu. Er ist der Schlüsselspieler, da er entscheidet, ob sich eine Koalition gegen die Kommission bilden kann oder nicht28. Die Kommission schlägt also in diesem Fall eine Politik vor, die für diesen Akteur besser ist als der Status Quo (SQ), da er für alle anderen Punkte rechts des Umkehrpunktes (RP) eine Koalition gegen die Kommission bilden könnte. Auch wenn dies für die Mehrheit der MS von Vorteil ist, so haben doch die Spieler 6 und 7 einen klaren Anreiz sich gegen einen Kontrollmechanismus auszusprechen, da ihnen die Position der Kommission lieber ist als der SQ. Sie werden also gegen jegliche Kontrolle sein. Franchino formuliert das so:

„With multiple principles, the trade-off between implementation control and discretion can disappear as those principles whose preferences are close to the agent’s prefer broad discretion and no control and those whose preferences are far from the agent’s prefer limited discretion and control.” (Franchino 2000b: 172)

Für diese Arbeit bedeutet das, dass es der Kommission einfacher fallen sollte, ihre Position durchzusetzen, je näher ihre Präferenz bei einem oder mehreren MS liegt.

27 Für einen Überblick über diese Literatur siehe Hix 1999: 88ff.

Dieses Modell kann als eine kausale Erklärungskette zusammengefasst werden.

Präferenzstrukturen und in deren Abhängigkeit Informationsungleichheiten bestimmen die Wahl des Komitologieverfahrens. Die Regeln der jeweiligen Verfahren wiederum bestimmen welche Auswirkungen die beiden Variablen auf den Handlungsspielraum der Kommission, als auch auf die Effektivität der Kontrolle der MS, hat.