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Kapitel V: Operationalisierung

5.3. Erklärende Variablen

Im Theorieteil wurden die beiden Hauptfaktoren herausgearbeitet, die den Spielraum der Kommission bestimmen. Nachdem nun die Datengrundlage geklärt ist, werden sich die folgenden Abschnitte mit der Operationalisierung der Präferenzstruktur und des Informationsgrades der Akteure beschäftigen.

Die Präferenzstruktur oder –konfiguration muss in Verbindung mit den Abstimmungsregeln im jeweiligen Ausschuss gesehen werden. Der Vorschlag der Kommission zu einem Thema wird mit dem Ergebnis verglichen, wobei gezeigt werden soll, dass es die MS sind, die zu einer eventuellen Verschiebung beitragen.

Leider kann der Informationsgrad der Akteure nur indirekt geschlossen werden. Die Analyse muss sich hier auf Aussagen aus den Interviews stützen, die geführt wurden, sowie die Protokolle für eine genauere Betrachtung heranziehen.

5.3.1. Präferenzstruktur und Abstimmungsregeln

Franchino und Rahming (2001) benutzen zwei Arten die Positionen der MS zu operationalisieren. Zum einen wird die Regierungspräferenz aus dem prozentualen Ministeranteil der verschiedenen an einer Regierung beteiligten Parteien errechnet, zum anderen ziehen sie die Parteipräferenz der zuständigen Minister heran um deren Position im Rat zu operationalisieren.

Da für die vorliegende Arbeit nur die zuständigen Ministerien interessant sind, ist im wesentlichen die zweite Variante von Bedeutung49. Welche Ministerien zuständig sind, wurde den Teilnehmerlisten der Ausschusssitzungen entnommen, die den Protokollen beigefügt sind. Es müssen allerdings folgende Punkte beachtet werden:

Im Unterschied zum Verwaltungsausschuss gibt es im Regelungsausschuss Staaten die sich durch die „Competent Bodies“ vertreten lassen. Inwieweit dies zu einem weiteren Principle-Agent Problem führt, soll hier nicht diskutiert werden, sondern es wird angenommen, dass dieses Problem zu keinem „agency drift“ führt, da das zuständige Ministerium sich ansonsten nicht vertreten lassen würde.

Es kommt in mehreren Fällen vor, dass zwei Ministerien an den Beratungen im Komitologieausschuss beteiligt sind. Für das Aktionsprogramm haben sowohl die Niederlande als auch Finnland Ministeriumsvertreter entsendet, die verschiedenen Parteien angehören50. In diesen beiden Fällen wird die Position des Staates als der Mittelwert der beiden Positionen operationalisiert.

Der Amtszeit der einzelnen Regierungen kommt ebenfalls Bedeutung zu. In den Zeitraum, in dem die hier untersuchten Ausschusssitzungen stattfanden, fiel ein Regierungswechsel in Italien, weshalb die Untersuchung geteilt werden musste. Bis zum Zeitpunkt der Amtsübernahme am 10.06.2001 sind die Positionen der Ministerien der Regierung Amato und danach die der Regierung Berlusconi relevant.

Für die Analyse bedeutet dies, dass drei Sitzungen des Programmausschusses und vier des Regelungsausschusses vorher und zwei bzw. drei danach stattfanden. Im Unterschied zu Franchino und Rahming (2001) ist der hier zu untersuchende Zeitrahmen sehr eng und entspricht nicht den zur Verfügung stehenden Daten. Es wird deshalb auf die jeweils neuesten Daten zurückgegriffen werden, die sich leider zum Großteil51 nicht auf die letzten Wahlen in den betreffenden Ländern beziehen.

Um abschätzen zu können, welche Bedeutung die Positionen der MS haben, werden aber auch die Präferenzen der Kommission benötigt. Leider existiert kaum Literatur, die sich mit den Präferenzen der Kommissionsbeamten beschäftigen. Ein Beispiel ist Hooghe (1999), die allerdings untersucht, ob die Kommissionsbeamten eher

49 Die Parteizugehörigkeit der Minister wurde den Internetseiten der 15 Regierungen entnommen, wobei die Lebensläufe derjenigen Minister untersucht wurden, die während der Ausschusssitzungen im Amt waren. Eine Zusammenstellung der zuständigen Ministerien findet sich in Anhang B.

50 Im Fall der NL sind das Innenministerien (D66) und das Arbeit- und Sozialministerium (PvdA), bei FIN das Arbeits- (SDP) und das Sozial- und Gesundheitsministerium (KoK) zuständig.

51 In folgenden Ländern spiegeln die Daten die Positionen bei den letzten relevanten Wahlen wieder: Dänemark, Frankreich, Deutschland, Irland, Schweden.

intergouvernemental oder eher supranational eingestellt sind, also ob sie mehr oder weniger Integration vorziehen. Auch die Annahmen die normalerweise getroffen werden, um die Gesetzgebungsverfahren theoretisch nachzuzeichnen, beziehen sich hauptsächlich auf diese Dimension. Eine Ausnahme bildet ein Artikel von Tsebelis und Garrett (2000), in dem sie die Auswirkungen der Positionswechsel einzelner Akteure auf die Ergebnisse der Gesetzgebungsverfahren untersuchen.

Hervorzuheben ist das „regulation scenario“, in dem die Kommission sich aufgrund einer anderen Entscheidungsdimension, nämlich Regulierungs- anstatt Integrationsgrad, in ein rechts-links Raster einordnen lässt (Tsebelis, Garrett 2000:

30f.). Dies bestätigt auch das Ergebnis von Hooghe, die Einstellungen der Kommissionsbeamten entsprächen den Einstellungen der Eliten ihres Landes, da sie dieselben politischen Erfahrungen teilen:

„Top commission officials reflect the orientations of the elite of their country of origin.

They do so not because they have been sent by their national governments to defend national interests but because they share political experiences with elites in their home country.” (Hooghe 1999: 458)

Der Vertrag von Amsterdam gibt dem Kommissionspräsidenten die politische Führung der Kommission (EGV Art. 219, S. 1). Es ist zu erwarten, dass er aufgrund der Vielschichtigkeit der Aufgaben der Kommission keinen Einfluss auf Detailfragen hat. Deshalb muss auf die Positionen der zuständigen Kommissare zurückgegriffen werden, obwohl auch diese wahrscheinlich die Vorschläge nicht entscheidend genug prägen (ENV/E/4, 25.03.2002; Empl/D/4, 25.03.2002), sondern vielmehr die Abteilungen die tatsächliche politische Führung bei der Ausarbeitung der Kommissionsvorschläge inne haben. Leider war es nicht möglich, die Parteizugehörigkeit, sofern sie Mitglied einer Partei sind, der Abteilungsleiter oder ihrer Vorgesetzten zu erfahren. Für Präferenz der Kommission auf einer Dimension wird also die Parteipräferenz des zuständigen Kommissars genommen52.

In den Fällen, die den Einfluss oder die Stellung der Kommission betreffen, wenn es also um ihre Entscheidungsbefugnisse oder prozedurale Bestimmungen geht, sollen die Annahmen der Public Choice Theorie bezüglich der Eigeninteressen von Bürokraten im Vordergrund stehen. In diesen Fällen wird die Annahme getroffen,

52 Für die Generaldirektion Umwelt ist dies die schwedische Kommissarin Margot Wallström, die der Sozialdemokratischen Partei angehört. Anna Diamantopoulos, für Arbeit und Soziales zuständig, gehört der griechischen Pasok an.

dass sich die Entscheidungsdimension auf den Integrationsgrad bezieht und die Kommission mehr Integration vorzieht als alle anderen Akteure.

5.3.2. Informationsgrad der Akteure

Wie bereits angedeutet, kann der Einfluss dieser Variable nur qualitativ überprüft werden. Zu diesem Zweck wurde in jedem der Interviews die Frage nach dem Informationsgrad der Akteure gestellt bzw. gefragt, ob die Kommission einen Informationsvorsprung in Bezug auf die zukünftigen Auswirkungen einer bestimmten Entscheidung hat. Zusätzlich dazu werden erneut die Protokolle herangezogen.

Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Passagen, in denen die identifizierten Konfliktthemen verhandelt werden. Allerdings finden sich auch zu anderen Diskussionsthemen Anfragen der MS oder der Kommission, die der Informationsbeschaffung zu einem Thema dienen. Ein Vergleich der beiden Ausschüsse die Menge dieser Anfragen betreffend, kann also für die Deutung des Verhältnisses zwischen Kommission und MS aufschlussreich sein.

Ob das Wissen um die Auswirkungen einer Entscheidung zu einer Veränderung des Spielraums führt, kann dann abgeschätzt werden, wenn die Präferenz der Kommission, wie im theoretischen Modell diskutiert, rechts des Umkehrpunktes liegt (siehe Figur 2, Abschnitt 3.4.) und wenn das Implementationsergebnis außerhalb des Spielraums liegt, der von SQ und Umkehrpunkt begrenzt wird.

5.3.3. Alternative Erklärungen

Die Aufgabe der Kontrollvariablen ist es zu zeigen, inwieweit die hier präsentierten Erklärungen anderen Variablen überlegen sind und ob die Erklärungen kohärent und stimmig sind.

Bevor jedoch alternative Theorien auf ihre Erklärungskraft hin überprüft werden, sollen einige endogene Kontrollen besprochen werden, um die Annahmen des theoretischen Modells zu untermauern. Neben allgemeinen Kontrolldimensionen, die die Richtigkeit der angenommenen Entscheidungsmotive prüfen, sollen hier vor allem die Annahmen über die Kommissionspräferenzen hinterfragt werden.

In einem zweiten Schritt werden externe Erklärungen herangezogen, um die Stimmigkeit des theoretischen Modells zu prüfen.

Nach Moravcsik (1998) sollten in erster Linie die Verhandlungsmacht und die Entschiedenheit eines Akteurs bei Verhandlungen ausschlaggebend sein. Das bedeutet, dass besonders darauf geachtet werden muss, wie wichtig den Akteuren ein Thema ist (salience), wobei in erste Linie die wirtschaftlichen Interessen eines Landes entscheidend sind. Die Daten aus den Parteiprogrammen beinhalten bereits eine Gewichtung nach der Bedeutung eines Themas für einen Akteur, es wird also auf Fälle zu achten sein, bei denen die Stärke eines Staates mit einer hohen Bedeutung dieses Falls für diesen Akteur zusammenfallen. Verhandlungsmacht wird Hayes-Renshaw und Wallace (1997) folgend durch die gewichteten Stimmen der Ratsmitglieder operationalisiert. Für die wirtschaftlichen Interessen dient der Anteil eines Landes am gesamten Bruttosozialprodukt der EU-Länder. Es wird erwartet, dass die großen starken Staaten sich immer dann durchsetzen können, wenn sie eine Änderung des Kommissionsvorschlags verlangen, insbesondere wenn eine Thema für sie eine große Bedeutung hat.

Folgt man der Logik der in Abschnitt 2.2. erwähnten normativen Erklärungen (Joerges, Neyer 1997, Wessels 1997), so müssten Faktoren eine Rolle spielen, die eine konsensorientierte Einstellung vermuten lassen. Variablen die zur Bestimmung einer solchen Einstellung dienen, sind: Korporatismus (nach Siaroff (1999) Grad der wirtschaftlichen Integration), institutionelles Lernen (Indikator ist die Länge der Mitgliedschaft) und die öffentliche Meinung (operationalisiert als Meinung zur EU Mitgliedschaft und zu Demokratie). Diese Variablen werden in einem Index zusammengefasst auf die Konflikte angewandt. Stimmt die Hypothese, dass die Entscheidungen im Ausschuss auf Konsens basieren, so müssten vor allem die Staaten bereit sein nachzugeben, bei denen eine starke Konsensorientierung festzustellen ist.