• Keine Ergebnisse gefunden

2 Literaturübersicht

2.2 Hypoadrenokortizismus

Die von den Nebennieren als Teil des endokrinen Systems synthetisierten Hormone können als lebenswichtig erachtet werden (GUYTON 1991). Infolge dessen haben Erkrankungen dieses Organsystems, die vorwiegend den Kortex betreffen (HERRTAGE 1996), weitreichende Auswirkungen.

Die Unterfunktion der Nebennierenrinde, der Hypoadrenokortizismus, wurde erstmals im Jahr 1853 durch den englischen Arzt Thomas Addison (1793-1860) beschrieben. Der erste Bericht in der Veterinärmedizin über drei erkrankte Hunde stammt von HADLOW (1953). Die Nebennierenrindeninsuffizienz wird zu den seltenen Erkrankungen bei Mensch und Hund gerechnet. BETTERLE et al. (2002) geben für den Menschen eine Inzidenz von 0,04 Erkrankungsfällen pro 1000 Menschen pro Jahr an. Die Inzidenz beim Hund wird von KELCH (1996) mit 0,36 Erkrankungsfällen pro 1000 Hunden pro Jahr beziffert, die Prävalenz soll unter einem (SHAKER et al. 1988) bzw. 1,8 Erkrankungsfällen pro 1000 Hunden (KELCH 1996) betragen. Katzen sind seltener von einem Hypoadrenokortizismus betroffen (DUESBERG u. PETERSON 1997). Auf die erste Beschreibung durch JOHNESSE et al.

(1983) folgten weitere Fallberichte (MAWHINNEY et al. 1989, PETERSON et al. 1989, BERGER u. REED 1993, TASKER et al. 1999, STONEHEWER u. TASKER 2001). Auch das Pferd (DOWLING et al. 1993, KRONEMAN 1997, COUETIL u. HOFFMAN 1998) und das Rind (VAN DER KOLK et al. 1991) können an einer Nebennierenrindeninsuffizienz erkranken; hingegen finden sich in der Literatur keine Fallberichte für das Schwein und Schaf (THUN u. SCHWARTZ-PORSCHE 1994).

Eine Einteilung der Erkrankungsfälle kann entsprechend der krankheitsauslösenden Ursachen (idiopathisch vs. iatrogen), des klinischen Verlaufes (akut vs. chronisch) und/ oder der Organmanifestation (primär vs. sekundär) des Hypoadrenokortizismus erfolgen.

Unter dem Oberbegriff der idiopathischen Nebennierenrindeninsuffizienz werden verschiedene natürliche Krankheitsursachen wie Autoimmunität, Infektion, Blutung, Infarkt, Embolie, Trauma, granulomatöse Erkrankung oder Neoplasie zusammengefasst. Während früher die Tuberkulose als häufigste (infektiöse) Ursache bei Mensch und Tier galt, werden heute autoimmunologische Vorgänge als häufigster Krankheitsauslöser des humanen

(WINQVIST et al. 1996, BETTERLE et al. 2002, LIN u. ACHERMANN 2004, BETTERLE et al. 2005) und kaninen (FELDMAN u. NELSON 1996) Hypoadrenokortizismus angesehen.

Bei den Zielantigenen handelt es sich um spezifische, auf der Zelloberfläche oder im Zytoplasma exprimierte Moleküle; die autoimmunologischen Mechanismen bestehen in einer T-Lymphozyten-vermittelten Zytotoxizität oder einer direkten Antikörperwirkung (BETTERLE et al. 2005). Diese autoimmunologische Form des primären Hypoadrenokortizismus kann auch beim Hund im Sinne eines polyglandulären Syndroms (BOWEN et al. 1986, KOOISTRA et al. 1995, STEPHAN et al. 2006) mit anderen Endokrinopathien vergesellschaftet sein; häufig erkranken nebennierenrindeninsuffiziente Hunde gleichzeitig an einer Hypothyreose oder einem Diabetes mellitus (FELDMAN u.

NELSON 1996).

Der iatrogene Hypoadrenokortizismus kann infolge des Einsatzes verschiedener Arzneimittel oder einer Adrenalektomie auftreten. Arzneimittel mit glukokortikoider Wirkung werden mit zum Teil weiter Verbreitung in der Veterinärmedizin eingesetzt (ROMATOWSKI 1990). Sie üben nicht ausschließlich die beabsichtigten Effekte aus, sondern wirken über die Hypothalamus-Hypophysen-Achse in unterschiedlichem Ausmaß auch auf die Nebennieren.

Ihre systemische (SCHAER u. CHEN 1983, ROMATOWSKI 1990) oder topische Anwendung (ZENOBLE u. KEMPPAINEN 1987, EICHENBAUM et al. 1988) kann über ein Absinken der Konzentration des endogenen Kortikotropen-Releasing-Hormons (CRH) und Adrenokortikotropen Hormons (ACTH) zum Abfall oder vollständigen Erliegen der Glukokortikoidsynthese führen. Da die glukokortikoidsynthetisierenden Schichten infolge der Zufuhr exogener Kortikoide atrophieren (HARDY 1995), kann ein in Belastungssituationen erhöhter Bedarf nicht über die körpereigene Produktion gedeckt werden (ROMATOWSKI 1990, REUSCH 2000). Eine vergleichbare Situation kann auch bei (abruptem) Absetzen von Arzneimitteln mit glukokortikoider Wirkung entstehen. Es kann zur Manifestation eines Hypoadrenokortizismus kommen. Auch die in der Therapie des Hyperadrenokortizismus verwendeten Arzneimittel (Mitotan, Trilostan, Ketokonazol), die eine überschiessende Glukokortikoidsynthese reduzieren sollen, können über verschiedene Mechanismen (PLUMB 2005) zu einer iatrogen bedingten Nebennierenrindenunterfunktion führen. Tumoröse Veränderungen, die von Zellen der Nebenniere selbst ausgehen oder sich infolge einer Metastasierung einstellen, können über eine Adrenalektomie behandelt werden (FELDMAN

LITERATURÜBERSICHT 16

u. NELSON 1996). Das unilaterale Fehlen einer Nebenniere wird zwar in der Regel allmählich durch die Verbleibende ausgeglichen (NELSON 2003a), erfolgt in der Zwischenzeit jedoch keine bedarfsadaptierte Zufuhr exogener Kortikoide (HERRTAGE 1998), kann es ebenfalls zu einem iatrogenen Hypoadrenokortizismus kommen.

Hinsichtlich des klinischen Verlaufs können eine akute und chronische Form unterschieden werden, von denen die Erstgenannte seltener auftreten soll als die Letztgenannte (FELDMAN u. NELSON 1996). Die klinischen Symptome beider Verlaufsformen sind vergleichbar, sie unterscheiden sich lediglich in ihrer Schwere (REUSCH u. HÄHNLE 2004). Ein akut erkrankter Hund kann sich in einer Addison-Krise befinden. Die Symptome umfassen blasse Schleimhäute, verzögerte kapilläre Rückfüllungszeit, schwachen peripheren Puls, herabgesetzten Hautturgor, Bradykardie, abdominalen Schmerz und Verlust der Ansprechbarkeit und Standfähigkeit. Im Gegensatz dazu bestehen bei der chronischen Form unspezifische Krankheitserscheinungen bereits über einen längeren Zeitraum.

Der Hypoadrenokortizismus kann seinen Ausgang von verschiedenen Anteilen der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse nehmen. Bei der primären Erkrankungsform ist das Organ selbst betroffen. Sie kann idiopathisch (autoimmun, vaskulär, infektiös, tumorös, traumatisch) oder iatrogen (Adrenalektomie, medikamentöse Therapie des Hyperadrenokortizismus) bedingt sein. Die Schädigung betrifft die Zellen aller Rindenschichten, so dass die Synthese der Gluko- und Mineralokortikoide verringert ist oder vollständig ausbleibt.

Im Gegensatz dazu sind beim sekundären Hypoadrenokortizismus der Hypothalamus oder die Hypophyse als den Nebennieren übergeordneten Zentren, betroffen. Diese Form kann ebenfalls idiopathisch (infektiös, vaskulär, tumorös, traumatisch) oder iatrogen (Arzneimittel mit kortikoider Wirkung) verursacht sein. Krankheitsauslösend ist der Mangel an endogenem Adrenokortikotropen Hormon, der aufgrund einer verminderten Synthese des Kortikotropen-Releasing-Hormons oder des Adrenokortikotropen Hormons selbst zustande kommt.

Während die Glukokortikoidfreisetzung verringert ist, bleibt die über das Renin-Angiotensin-System regulierte Freisetzung des Aldosterons unbeeinflusst. Das Auftreten der sekundären

Erkrankungsform, wie sie von VOLLMAR et al. (1998) und PLATT et al. (1999) beschrieben wird, ist beim Hund selten (CHURCH 2004).

Der atypische primäre Hypoadrenokortizismus ist eine Sonderform (SCHRADER 1986). In der endokrinologischen Untersuchung bleibt ein Anstieg der Kortisolkonzentration im Nebennierenrindenstimulationstest aus oder ist ungenügend (ROGERS et al. 1981, SADEK u.

SCHAER 1996), die Konzentration des endogenen Adrenokortikotropen Hormons ist erhöht (DUNN u. HERRTAGE 1998). In der klinischen Untersuchung zeigen sich ausschließlich aus einem Glukokortikoidmangel resultierende Symptome, die in Inappetenz, Erbrechen, Gewichtsverlust, Schwäche und Lethargie bestehen (ROGERS et al. 1981, SADEK u.

SCHAER 1996, LIFTON et al. 1996). Die Natrium- und/ oder Kaliumionenkonzentration ist entweder unverändert oder nur eines der Elektrolyte ist verändert, das Natrium-Kalium-Verhältnis liegt im Referenzbereich (LIFTON et al. 1996). KINTZER und PETERSON (1997a) erklären diese atypische Form mit einer graduellen Zerstörung der Nebennierenrinde.

Während anfangs nur die glukokortikoidsynthetisierenden Schichten betroffen sind, kann sich die Schädigung auch auf die mineralokortikoidsynthetisierende Zona glomerulosa ausdehnen (ROGERS et al. 1981, HARDY 1995, LIFTON et al. 1996, HERRTAGE 2005). Ein dauerhaft isolierter Hypokortisolismus, wie er von DUNN und HERRTAGE (1998) beschrieben wird, gilt indessen als sehr selten.

LITERATURÜBERSICHT 18