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Hausfrauisierung des Einkaufens » Bürgerliche Aufgabenteilung

Im Dokument Auf Schritt und Tritt (Seite 170-175)

Der Umbau der Schweiz, der sich seit dem 19. Jahrhundert vollzog, zeitigte zahlreiche Begleit- und Folgeerscheinungen — nicht zuletzt in Sachen Ge-schlechterverhältnisse.28 Die tonangebenden politischen und wirtschaftlichen Eliten propagierten ein dualistisches Modell mit funktional unterschiedlichen, normativ aber gleichwertigen Betätigungsfeldern. Der Mann fungierte als Allein ernährer der Familie und hatte sich in der Öffentlichkeit, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu bewähren. Das Private dagegen war die Domäne der Frau. Entbunden von öffentlichen Verpflichtungen sollte sie sich in der Rolle der Mutter um das Wohl der Familie und die Erziehung der Kinder, in derjeni-gen der Hausfrau um die Belange von Ernährung, Konsum und Pflege kümmern.

Anders ausgedrückt stellte sie informelle Öffentlichkeiten her. Die im Rahmen der familiären Hauswirtschaft verrichteten produktiven Arbeiten fielen in den letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts weg, da Arbeitsteilung und Kommer-zialisierung weit gediehen waren und die Selbstversorgung mit Alltagsdingen obsolet machten. Im Pflichtenheft der Hausfrau verblieben zeitraubende und körperlich anstrengende Tätigkeiten wie die Zubereitung der Speisen, Reini-gungsarbeiten oder die Pflege von Kleidung und Schuhen. Unterstützung er-fuhren vermögende Frauen aus dem bürgerlichen Stand von einer Heerschar von Bediensteten ( Kindermädchen, Köchinnen, Stubenmädchen, Wäscherin-nen, Gärtner ), seit den 1920er-Jahren wurden sie auch von Staubsaugern, Wasch automaten und Nähmaschinen entlastet. Die eigene Energie sollten die Frauen vorzugsweise in familiäre Beziehungsarbeit, Sinnstiftung und Selbst-darstellung stecken. Indem sie sich auf die Rolle der « Nur-Konsumentin » be-schränkten, konnten Frauen das Familienansehen steigern. Im Sinn der « geis-tigen Mütterlichkeit » konnten sie darüber hinaus auch erziehungs- und fürsorge politische Tätigkeiten wahrnehmen und in die männlich dominierte Öffentlichkeit hineinwirken.

Dieses holzschnittartig skizzierte Rollenmodell diente freilich nur dem wohlhabenden Bürgertum als Ideal. Frauen aus dem Mittelstand, der Ange-stellten- und Arbeiterschichten sahen sich einer Mehrfachbelastung ausge-setzt. Neben der Hausarbeit gingen sie, um das karge Familieneinkommen

aufzubessern, einer Lohnarbeit in Fabriken oder Dienstleistungsbetrieben nach. Geradezu unentbehrlich war die Mitarbeit weiblicher Familienmit-glieder im Landwirtschaftssektor. In der Schweiz erreichte die weibliche Er-werbsquote einen Spitzenwert : 1910 waren 47 Prozent der Frauen zwischen dem 15. und 64. Altersjahr berufstätig, 1920 betrug ihr Anteil 45 Prozent und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs etwa 35 Prozent.29 Nichtsdestotrotz began-nen sich die meisten Arbeiterinbegan-nen mit dem bürgerlichen Familienmodell zu arrangieren.30

Zur Kernaufgabe der Hausfrau zählte der Einkauf von Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs. Eine « Hausfrauisierung des Einkaufens » ist für fast alle Länder Europas konstatiert worden.31 Den Leiterinnen familiärer Ver-brauchergemeinschaften oblag es, das Einkommen zu verwalten und die physiologischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse sämtlicher Familien-mitglieder zu befriedigen. Hierbei waren bürgerliche Konsumnormen wie Ord-nung, Reinlichkeit und Sparsamkeit handlungsleitend. Nahrungsmittel, Haus-ratsgegenstände und Alltagsdinge bezogen die Hausfrauen im 20. Jahrhundert hauptsächlich über den Markt. Ihre volkswirtschaftliche Potenz verfestigte sich zu einem Allgemeinplatz, mitunter wurde die Hausfrau als « Endstation des Welthandels » bezeichnet.32 Je nach herangezogener Quelle soll der von den Hausfrauen verantwortete Anteil am Volksvermögen zwischen 75 und 90 Pro-zent betragen haben. Umgerechnet in Schweizer Franken tätigten sie Einkäufe in der Höhe von 20 Millionen pro Tag.33

Als die produzierenden Betriebe in den 1920er-Jahren ihre Wertschöp-fungsketten zu analysieren begannen, wollten die konsumierenden Haushalte nicht nachstehen. In Nachahmung der USA schickten sich europäische Ratio-nalisierungs-ApologetInnen an, die Einkaufsheuristiken und -praktiken einer gründlichen Kritik zu unterziehen ;34 in der Forschung hat sich hierfür der Be-griff Sozialrationalisierung eingebürgert.35 Den Hausfrauen wurde vermittelt, dass es für jede Tätigkeit eine beste Art der Verrichtung gebe : « Dies alles zu ermitteln ist aber nur möglich durch sorgfältiges Überdenken der gemachten Erfahrungen. »36 Die Ratgeberliteratur redete dem Merksatz « Spare Zeit, Geld und Kraft » das Wort.37 Auf den Zielkonflikt, der sich zwischen Konsumgebot auf der einen und Sparzwang auf der anderen Seite auftat, hatten die Erzie - he r Innen allerdings keine Antwort. Ein weiteres Problemfeld, das in den

Schrif-ten der Sozialrationalisierung anklingt, bestand in der Unvereinbarkeit von ver-meintlich naturgegebenen weiblichen Charaktereigenschaften mit den ökono-misch-rationalen Verhaltensrichtlinien.38 Positiv zu werten seien die « Empfäng-lichkeit », « Gefühlsbetontheit » und der « Schönheitssinn », wodurch Frauen eine den Männern überlegene Urteilsfähigkeit im Umgang mit Lebensmitteln und Alltagsdingen erreichten. Negativ würden die häufig zu beobachtende « Irratio-nalität », « Eitelkeit » oder « Putzsucht » zu Buche schlagen. Schon so manche un-nütze Anschaffung hätten diese « niederen Triebe » nach sich gezogen. Ungeach-tet der geschlechterbedingten Störquellen wurde die weibliche Warenkunde und Einkaufsexpertise hoch gewertet : « Glücklich der Mann, glücklich die Fami-lie, die eine tüchtige Hausfrau und Hausmutter ihr eigen nennen ! Und glücklich das Volk, bei dem die Hauswirtschaft auf hoher Stufe steht ! »39

Welche Bedeutung kam hierbei dem Markt zu ? Das Gros der verfügbaren Quellen behandelt den konkreten, im Stadtraum verorteten offenen Wochen- beziehungsweise Jahrmarkt, auf dem vorwiegend, aber nicht ausschliesslich, Lebensmittel verkauft und gekauft wurden.40 Dieser ist als « halböffentlicher Raum » zu begreifen, auf dem sich Personen beider Geschlechter, unterschied-licher sozialer Schichten und ländunterschied-licher wie städtischer Herkunft begegneten.41 Beim Marktgang wurden die funktional differenzierten Konsumrollen bekräf-tigt, in Momenten der Krisen und Konflikte aber auch in Zweifel gezogen. Dass der Markt wichtig war, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass er im Rahmen der gesetzlich geregelten und staatlich geförderten hauswirtschaftlichen Ausbil-dung auftaucht.42 Ein einschlägiges Lehrbuch stammt aus der Feder von Emma Coradi-Stahl ( 1846 — 1912 ), Mitbegründerin des Schweizerischen Gemeinnützi-gen Frauenvereins und vom Bundesrat ernannte eidGemeinnützi-genössische Expertin für das gewerbliche und hauswirtschaftliche Bildungswesen, und trägt den Titel Wie Gritli haushalten lernt : eine Anleitung zur Führung eines bürgerlichen Haus-halts.43 Als Beilage zur Familienzeitschrift Schweizer Frauenheim konzipiert, kleidete Coradi-Stahl den hauswirtschaftlichen Lernstoff in die « Form einer einfachen Erzählung ».44 Die Leserin blickt über die Schultern eines einfachen, auf dem Land aufgewachsenen Mädchens, das zur Erlernung der Haushalts-führung in die Stadt Zürich geschickt wird. In zehn in sich abgeschlossenen Episoden macht sich Gritli mit dem vertraut, was sich seit Generationen be-währt hat und erprobt, « was die neue Zeit uns an Fortschritten gebracht hat ».45

Angeleitet wird sie von Frau Professor, der Vorsteherin des bürgerlichen Haus-halts, und ihrer Bediensteten Rosine.

Die charakterfeste und lernbegierige 16-Jährige meistert die hauswirt-schaftlichen Aufgaben mühelos. Einer Bewährungsprobe sieht sich Gritli gegen-über, als sie das herrschaftliche Anwesen verlassen und im Stadtzentrum ihren ersten Marktgang besorgen soll. Der freitags abgehaltene Wochenmarkt wird als ein Ort der Erwachsenen geschildert, auf dem sich Stand an Stand reiht und es von Bauern, Marktweibern und Besorgungen erledigenden Hausfrauen wim-melt. « [O]rdentlich dreist und keck » müsse man sein, um sich in diesem Taumel schadlos halten zu können.46 Im aufklärerischen Ton wird der Leserin beschie-den, dass qualitativ einwandfreie Marktware von Ramschartikeln nur zu unter-scheiden vermöge, wer über warenkundliches Wissen und Verhandlungs-geschick verfüge : Um die hauswirtschaftliche Budgetdisziplin einzuhalten, seien auch rationale Operationen wie das Entpersonalisieren, Abstrahieren oder Kalkulieren vonnöten. Gritlis Lehrmeisterin, so gab Coradi-Stahl zu verstehen, tauge nicht als Vorbild : « Frau Professor war in Rosinens Augen einfach unge-eignet, um den Markt ‹ zu machen › ; sie war viel zu schwach und nachsichtig und liess sich oft bestimmen, einen etwas weniger festen Kohlkopf oder etwas weniger zarten Salat zu kaufen, wenn das Burefraueli ihr gefiel und ihr erzählte, wieviel Mühe, Arbeit und Plage von früh bis spät man mit dem Garten habe und wie arg es ihm wäre, wenn es sein ‹ Wärli › nicht verkaufen könnte. »47

Gritli lässt sich von den Marktweibern nicht einlullen und bringt die ihr aufgetragenen Lebensmittel nach Hause. Mit Ausnahme von Brachsen, die der Fischhändler für Karpfen ausgegeben hat, quittiert Frau Professor die Einkäufe und das retournierte Marktgeld mit einem Lob. Daraufhin verlangt sie : « Nun schreibst du alles in das Haushaltungsbuch ein, das wir für die Küche einge-führt haben. Es ist ein nach amerikanischem System eingerichtetes, mit senk-rechten Kolonnen. Da sind eine Menge Rubriken für Fleisch, Brot, Spezereien, Obst und Gemüse, Butter, Milch, neue Kleider, neue Schuhe, Reparaturen, Steuern usw. »48 Mit dem zeitnahen Verzeichnen der Einkäufe werde zum Vorteil von Haus oder Geschäft Ordnung geschaffen. Und weiter : « Da lernt man nachdenken über die täglichen Bedürfnisse, man lernt Notwendiges vom Entbehrlichen unterscheiden und Einnahmen und Ausgaben in Einklang bringen. »49 Hausarbeit war eben immer auch Kopfarbeit.

Zugegebenermassen ist Coradi-Stahls Schrift eine in didaktischer Absicht geschaffene Erzählung und darf nicht mit einer authentischen Einkaufspraxis verwechselt werden. Wenngleich einflussreich — zwischen 1902 und 1919 er-schienen sieben Auflagen, Zehntausende junger Frauen dürften sich in das Stu-dium des Büchleins vertieft haben — blieb sie ein Ideal.50 Ein Ideal, das mit der prächtigen Villa und der Hausbediensteten Rosine einen unverkennbar bürger-lichen Einschlag aufwies, wie von mancher Seite kritisch eingewendet wurde.51 Gegen solche Relativierungen liesse sich zweierlei vorbringen : Einerseits gibt es Indizien, dass Haushaltslehrerinnen die ihnen anvertrauten Schülerinnen zu Übungszwecken regelmässig auf den Wochenmarkt begleiteten. Eine solche Annäherung an das zürcherische Marktgeschehen hielt 1934 der renommierte

« Fotoreporter »52 und « Alltagstramp »53 Hans Staub ( 1894 — 1990 ) fest.

Die Fotostrecke erschien in seinem Hausblatt, der Zürcher Illustrierten,54 einer Chronik des Alltäglichen.55 Wie die praktische Unterweisung ausgestaltet war und ob die Marktnovizinnen mit dem leuchtenden Vorbild Gritlis gleich-ziehen konnten, darüber ist leider nichts bekannt. Andererseits streicht Fabian Brändle heraus, dass die erstmaligen Marktbesuche schichtübergreifend ein einschneidendes Kindheitserlebnis darstellten. Der Historiker hat viele Lebenserinnerungen von StadtzürcherInnen, die in den 1920er- und 1930er-

Abbildung 28 Eine Klasse der Zürcher Haushaltungsschule bricht 1934 in Richtung Wochenmarkt auf. Das richtige

« Markten » war weniger eine Frage der abstrakten Theorie denn der lebensnahen Praxis.

Jahren geboren wurden, ausgewertet. Er kommt zum Schluss, dass Wochen- und mehr noch Jahrmärkte bei der kindlichen Konsumsozialisierung eine ent-scheidende Rolle spielten : « Der Jahrmarkt sprach sämtliche Sinne an, er lockte mit Attraktionen und einer bunten, auch auf kindliche Kundinnen und Kunden zugeschnittenen Warenpalette, so mit Spielzeug oder mit Kinderkleidern so-wie allerhand Leckereien. […] Andererseits war das Erleben des Jahrmarkts auch geprägt von mehr rationalen Elementen. Das wenige Geld musste sorg-sam eingeteilt werden, wollte man sich etwas Bleibendes erstehen. »56 Markt-veranstaltungen boten eine spielerische Gelegenheit, Geld einzuteilen, Waren zu begutachten, und, sofern für kaufwürdig befunden, darum zu « markten ».

Ein erstes Mal lernten die Kinder Marktverantwortung zu übernehmen.

Wie man die Repräsentativität von Coradi-Stahls Schrift auch beurteilen mag, bleibt festzuhalten, dass der Marktgang problematisiert und praktiziert wurde. Der Ethnologe und Spezialist für ( historische ) Ratgeberliteratur Timo Heimerdinger fordert dazu auf, die letztlich unentscheidbare Frage, inwiefern Ratgeber als Vorbild oder Abbild gelebter Praktiken aufzufassen seien, auf den Kopf zu stellen. Anstelle der Folge- und Begleiterscheinungen gelte es die Vor-bedingungen dieser Literaturtitel zu analysieren : « Ratgeber enthalten viel-leicht auch Lösungen, doch in noch viel höherem Mass enthalten sie Hinweise auf Ungelöstes. »57

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