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Grundsätzliche Überlegungen zur Prognose vorhabensbedingter

In Unterlage H.4a wurde bereits ausgeführt, dass als Grundlage der Auswirkungsprognose zur voran-gegangenen Fahrrinnenanpassung (PÖUN 1997) die Schwelle der Erheblichkeit von Beeinträchtigun-gen über den Anstieg des mittleren Tidehochwassers (MThw) definiert worden ist. Die damalige UVU prognostizierte eine vorhabensbedingte „Verlagerung“ von Ufer-Biotopen, die sich relativ zur MThw-Linie anordnen. Es wurden „erhebliche Auswirkungen“ auf die terrestrische Flora (Beeinträchtigungen von Weidengebüsch, Auwäldern, Röhrichten und Uferstaudenfluren) angenommen und damit begrün-det, dass eine Verlagerung der terrestrischen Biotope aufgrund landseitiger Begrenzungen (Deich, bewirtschaftete Flächen, Randgräben etc.) nicht immer möglich sei. Maßgeblicher Standortfaktor war die relative Lage z. B. eines Biotoptyps zu einer als stabil angenommenen MThw-Linie als bestim-mender Faktor. Dies war seinerzeit eine Setzung, um Auswirkungen quantifizieren zu können.

Dieser Sicht- und Vorgehensweise wurden im Teilgutachten zur terrestrischen Flora (H.4a, Kap.

3.1.2.3.1, S.151ff, Exkurs, S. 152-156) grundsätzliche Überlegungen zur Prognose der Auswirkungen auf die terrestrische Flora entgegen gehalten. Diese Überlegungen gelten für die hier vorliegende Unterlage gleichermaßen, denn eine monokausale Abhängigkeit einzelner Pflanzensippen oder Bioto-pe von vorhabensbedingten Veränderungen der Tidewasserstände im geringen unteren Zentimeterbe-reich ist den rein theoretischen Befürchtungen (BVerwG 9 A 20.05, Leitsatz 8) zuzuordnen, wie nach-folgend erläutert wird.

Die vorhabensbedingt zu erwartende Erhöhung des MThw8 beträgt im UG bis zu 3 cm (Unterlage H.1a, Anlage 2, Bild 2, S. 4). Das bedeutet, die Änderungen nehmen dort im Bereich des MThw auch den größten Wert an. Das zu beurteilende Vorhaben ist schon deshalb nur sehr eingeschränkt geeig-net, die terrestrische Flora im Vorland zu beeinflussen. Bezogen auf mögliche Beeinträchtigungen liegt der Fokus daher auf Vorkommen von Pflanzensippen, die um und unter MThw wachsen, dies sind vor allem

• Tide-Röhrichte,

• Uferstaudenfluren,

• Binsen- und Simsenrieder sowie die

• Pflanzensippen der Begleitflora dieser Lebensräume.

Sippen des Vorlandes werden vorsorglich mitbetrachtet.

Damit diese Prognose darüber hinaus angemessen eingeordnet werden kann, muss ein Blick auf die Entwicklung des MThw in der Vergangenheit geworfen werden. Diese ist durch ein umfangreiches Datenkollektiv aus Pegelaufzeichnungen gut bekannt. Diese Aufzeichnungen zeigen, dass das MThw in der Vergangenheit erhebliche interannuelle Schwankungen aufwies. Dies wird auch in Zukunft, unabhängig von der Realisierung des Vorhabens, so sein.

Abbildung 5-1 zeigt die Schwankungen des MThw von 1960 bis 2013 am Pegel Glückstadt. Die Ände-rungen des MThw von Jahr zu Jahr erreichen zwischen 1995 und 1996 (MThw 1995: 168 cm ü. NHN;

1996: 139 cm ü. NHN) fast drei Dezimeter. Am Pegel Glückstadt ist der Einfluss des Oberwasserzu-flusses, abgesehen von Extremereignissen, gering, der tidebedingte Durchfluss überwiegt sehr

8 Eine Auseinandersetzung mit Änderungen des mittleren Tideniedrigwassers erübrigt sich, da im Bereich der MTnw-Linie keine terrestrische Flora vorkommt, sondern Wattflächen ohne Vegetation höherer Pflanzen.

lich. Die Grafik zeigt somit den überwiegenden Einfluss exogener witterungsbedingter Faktoren, näm-lich die stark fluktuierende Häufigkeit von Wind- und Sturmfluten (deren erhöhte Tidescheitel in die MThw-Ermittlung eingehen) ebenso wie ausgeprägte Ostwindwetterlagen (deren erniedrigte Tide-scheitel ebenso in die MThw-Ermittlung eingehen).

Zudem ist, abgesehen von den interannuellen Schwankungen, ein Anstieg des MThw seit etwa 1970 erkennbar. Für die letzten 25 Jahre ist in der Abbildung ein Trend von +0,18 cm MThw-Anstieg/Jahr angegeben.

Abbildung 5-1: Interannuelle Schwankungen und Anstieg des MThw am Pegel Glückstadt zwischen 1960 und 2014

Erläuterung: GWKJ = Gewässerkundliches Jahr (01.11. bis 31.10. des Folgejahres), GLM = Gleitendes Mittel, Nodalzyklus = beträgt 18,6 Jahre; damit wird die Modulation des Tidehubs aus der Nodaltide eliminiert (Quelle: Hamburg Port Authority: pegelbezogene Daten und Auswertungen wurden von HPA vorge-nommen)

Davon ausgehend gibt es verschiedene Möglichkeiten für eine Prognose vorhabensbedingter Verän-derungen der terrestrischen Flora oder einzelner Pflanzensippen. Unter Bezug auf die nachstehend zitierten Ausführungen in Unterlage H.4a (siehe oben) gilt für den vorliegenden Fall der UVU-Prognose zu gefährdeten Pflanzensippen, dass

1. das Heranziehen und damit die „Betrachtung eines Präzedenzfalles“, nämlich die Übertragung beobachteter/untersuchter und dokumentierter Auswirkungen ähnlicher Vorhaben im gleichen Na-turraum (Analogieschluss), eine geeignete Methode ist. Dabei sind die Erkenntnisse aus der Be-weissicherung zur sog. 1999er Fahrrinnenanpassung verwendet worden,

2. eine fachliche „Abschätzung der zu erwartenden Reaktion“ z. B. einer ökologischen Gruppe ge-fährdeter Pflanzensippen oder einzelner Arten auch aus dem vorhandenen Wissen über Verände-rungen relevanter Standortfaktoren und deren Auswirkungen auf die entsprechenden Pflanzen-sippen/Arten heraus erfolgen kann. Diese Vorgehensweise der „Extrapolation“ setzt hinreichende

fachliche und empirische Kenntnisse über die Wirkungen der natürlichen Einflussfaktoren auf das betreffende Schutzgut und hier auf gefährdete Pflanzensippen voraus. Entsprechende historische und aktuelle Kenntnisse und Erfahrungen an den drei deutschen Ästuaren sind gutachterlich vor-handen, die Methode ist somit ebenfalls anwendbar (Expertenmeinung).

Im vorliegenden Fall geht es im UG insbesondere um die Standortfaktoren „Feuchte“ und „Salinität“.

Der Feuchte-Faktorenkomplex ist der wichtigste ökologische Faktorenkomplex, weil dieser direkt über den Wasserpfad bestimmt wird. Für die Auswirkungsprognose werden daher die grundsätzlich in der Vegetationskunde anerkannten Zeigerwerte nach Ellenberg & Leuschner (2010)9 herangezogen, um

• Artengruppen mit ähnlichen Standortansprüchen herauszuarbeiten und

• die vorhabensbedingten Auswirkungen hinsichtlich der Empfindlichkeit einer Pflanzensippe und ihrer Standortansprüche einzuordnen.

Die Feuchtezahl „F“ gibt Hinweise zum „Vorkommen im Gefälle der Bodenfeuchtigkeit vom flachgründig–trockenen Felshang bis zum Sumpfboden sowie vom seichten bis zum tiefen Wasser“.

Ellenberg & Leuschner (2010) geben als empirische Basis „eigene Beobachtungen und Angaben in der Exkursionsflora von Oberdorfer“ an. Empirisch weitergehend hinterlegte Angaben anderer Autoren und eigene Naturdaten (der Autoren dieses Papiers) insbesondere aus den Tide-Ästuaren Nordwest-deutschlands werden, soweit eine bessere empirische Basis gegeben war, fallweise verwendet. Die Skalierung der Feuchtezahl in 12 Stufen ist wie folgt (Ellenberg & Leuschner 2010):

1 Starktrockniszeiger, an oftmals austrocknenden Stellen lebensfähig und auf trockene Böden beschränkt 2 zwischen 1 und 3 stehend

3 auf feuchten Böden fehlend 4 zwischen 3 und 5 stehend

5 Frischezeiger, Schwerpunkt auf mittelfeuchten Böden, auf nassen sowie auf öfter austrocknenden Böden fehlend

6 zwischen 5 und 7 stehend

7 Feuchtezeiger, Schwerpunkt auf gut durchfeuchteten, aber nicht nassen Böden 8 zwischen 7 und 9 stehend

9 Nässezeiger, Schwerpunkt auf oft durchnässten (luftarmen) Böden

10 Wasserpflanze, die längere Zeiten auch ohne Wasserbedeckung des Bodens überlebt

11 Wasserpflanze, die unter Wasser wurzelt, aber zumindest zeitweilig mit Blättern über dessen Oberfläche aufragt, oder Schwimmpflanze, die an der Wasseroberfläche flottiert

12 Unterwasserpflanze, ständig oder fast dauernd untergetaucht

~ Zeiger für starken Wechsel (z. B. 3~: Wechseltrockenheit, 7~: Wechselfeuchte o. 9~: Wechselnässe zeigend)

= Überschwemmungszeiger, auf mehr oder minder regelmäßig überschwemmten Böden

x bedeutet indifferentes Verhalten, d. h. weite Amplitude o. ungleiches Verhalten in verschiedenen Gegenden

Die Salzzahl „S“ gibt Hinweise zum „Gefälle der Salz–, insbesondere Chloridkonzentration im Wurzel-bereich“. Ellenberg & Leuschner (2010, S. 4) geben als empirische Basis an: „vorwiegend nach einer Zusammenstellung von Scherfose 1990, in der er eigene Untersuchungen sowie die vorliegende Lite-ratur ausgewertet hat; seine Skalierung von I bis VI wurde in eine 9–skalige umgewandelt. Die einge-klammerten Ziffern bedeuten maximale Chlorid–Ionengehalte der Bodenlösung nach einer brieflichen Zusammenstellung von Scherfose“. Diese Basis erscheint nicht unbegründet schwach. Empirisch weitergehend hinterlegte Angaben anderer Autoren liegen jedoch – auch speziell zum UG – vor und werden ebenso wie eigene Daten (der Autoren dieses Papiers) insbesondere aus den Tide-Ästuaren Nordwestdeutschlands, ebenfalls verwendet. Die Skalierung der Salzzahl ist wie folgt (aus Ellenberg &

Leuschner 2010):

9 http://www.utb-shop.de/downloads/dl/file/id/27/zusatzkapitel_zeigerwerte_der_pflanzen_mitteleuropas.pdf

0 nicht salzertragend, Glykophyt (bei Durchschnittsberechnungen mit zu verwenden!)

1 salzertragend, meist auf salzarmen bis salzfreien Böden, gelegentlich aber auf etwas salzhaltigen Böden vorkommend (0–0,1 % Cl–)

2 oligohalin (I), öfter auf Böden mit sehr geringem Chloridgehalt (0,05–0,3 % Cl–) 3 β–mesohalin (II), meist auf Böden mit geringem Chloridgehalt (0,3–0,5 % Cl–)

4 α/β–mesohalin (II/III), meist auf Böden mit geringem bis mäßigem Chloridgehalt (0,5–0,7 % Cl–) 5 α–mesohalin (III), meist auf Böden mit mäßigem Chloridgehalt (0,7–0,9 % Cl–)

6 α–meso/polyhalin (III/IV), auf Böden mit mäßigem bis hohem Chloridgehalt (0,9–1,2 % Cl–) 7 polyhalin (IV), auf Böden mit hohem Chloridgehalt (1,2–1,6 % Cl–)

8 euhalin (IV/V und V), auf Böden mit sehr hohem Chloridgehalt (1,6–2,3 % Cl–)

9 euhalin bis hypersalin (V/VI), auf Böden mit sehr hohem, in Trockenzeiten extremem Salzgehalt (> 2,3 % Cl–

x bedeutet indifferentes Verhalten, d. h. weite Amplitude o. ungleiches Verhalten in verschiedenen Gegenden Arten mit Salzzahlen >5 kommen nach Ellenberg & Leuschner (2010) nur „ausnahmsweise auf chloridfreien Böden“ vor.

In dieser Unterlage werden die behandelten Pflanzensippen wie folgt gruppiert:

Glykophyten (Pflanzensippen, die im Gegensatz zu Halophyten nicht auf deutlich salzbeeinflussten Böden vorkommen) S = 0, leichte Versalzung ertragende Sippen S = 1 3, Brackwassersippen S = 4 6 und echte Halophyten (Salzpflanzen) S = 7 - 9 und dabei Stiller (2015) gefolgt:

Die Übergänge zwischen den Stufen sind fließend. Arten mit Salzzahlen 3(4) bis 5(6) können auch den salztoleranten fakultativen Halophyten zugeordnet werden, die in Ästuaren deutlich in das marin geprägte Milieu vorgeschoben wachsen können, ihr Optimum aber im salzärmeren Milieu haben (je-doch konkurrenzbedingt dort nicht erreichen können). Arten mit Salzzahlen 1 bis 3 werden den indiffe-renten Halophyten zugeordnet.

Im Übrigen ist das Vorkommen UG-spezifischer genetisch fixierter Ökotpyen im Blick zu behalten.

Stiller (2015) weist nach sieben Untersuchungsjahren an der Tideelbe10 darauf hin, dass in dem von ihr untersuchten Abschnitt (Elbe-km 675-690) „die mittleren Salzzahlen - entgegen den Erwartungen - keine kontinuierliche Zunahme im Längsverlauf des Elbestroms zeigen“ und begründet dies damit, dass „nicht nur der Salzgehalt selbst, sondern auch andere standortspezifische Faktoren die Vertei-lung von Süßwasserarten und Salzpflanzen im Bearbeitungsgebiet beeinflussen können“. Gleichwohl belegen die u.a. von Stiller (div. Jahrg.) vorliegenden umfangreichen empirischen Befunde einmal mehr, dass an Ästuaren keine starren Grenzen für einzelne Standortfaktoren existieren. Die beständi-ge Systemdynamik und das variable Zusammenwirken diverser Faktoren bewirken wie oben ausbeständi-ge- ausge-führt beständige Fluktuationen des Vorkommens der Arten einerseits sowie die Herausbildung und Etablierung angepasster Ökotypen andererseits.