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Den »grossen Kasten« ordnen: Die Architekturtheorie des Stefan Bretschneider

Theorie und Profession

2.  Theorien der Architekturzeichnung 1500–1650

2.1  Den »grossen Kasten« ordnen: Die Architekturtheorie des Stefan Bretschneider

Der Maler Stefan Bretschneider, aus der Dresdner Hofkünstlerfamilie Bretschneider stammend, übermittelte wohl Ende des Jahres 1585 Kurfürst August von Sachsen einen Vorschlag zur Verfertigung einer Architekturtheorie.124 Diese in zwei große Bücher unterteilte Theorie, »alle khunst die zuo der ArchitecTur vnd Baukhunst gehörig ist, Inn Bucher abgetheÿlett«,125 soll, so der potentielle Autor, Aufschluss über das geben, was weder Vitruv noch Euklid verständlich formulierten.126 Hierbei handelt es sich allerdings um ein Werk, das ursprünglich von Bretschneiders Vater, dem Hofmaler und Architekten Andreas Bretschneider,127 konzipiert wurde und das Bretschneider der Jüngere in einem »grossen Kasten« nach dem Tod seines Vaters 1585 erbte, den er nun in eine systematische Ordnung bringen will.128 »Das Erste Buch. Vonn der Geometria«

wird von Bretschneider in zwölf Kapitel untergliedert und thematisiert ausgehend von Punkt, Linie, Kuben und Winkel schließlich die Grundlagen der Arithmetik.129 Das zweite Buch, »Inn 11. theill getheillet vonn der PerspecTiua sampt ihre Nachuslegun-gen.«, rekurriert hingegen auf ein einzelnes Darstellungsdispositiv, die Perspektive.130

123 Hiervon unberührt die bekannten Traktate von Lorenz Stöer, Geometria et Perspectiva HierInn Etli-che Zerbrochne Gebew den Schreiner[n] In eingelegter Arbait dienstlich auch vil andern Liebha-bern Zu sonder[n] gefallen geordnet vnnd gestelt Durch Lorentz Stöer Maller Burger Inn Augspurg, Augspurg 1567, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000002738 (Zugriff vom 21.07.2014) oder Wenzel Jamnitzer, Perspectiva corporum regularium …, [Nürnberg] 1568, Permalink:

http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-db-id2717023705 (Zugriff vom 22.07.2014).

124 Das Schreiben ist nicht datiert. Hier wird eine Datierung gegen Ende des Jahres 1585 vorgeschlagen, die sich aus dem Umstand ergibt, dass Stefan Bretschneider in dem Schreiben auf das Erbe seines Vaters, Andreas Bretschneider, eingeht, der am 20.08.1585 in Dresden verstarb. Das Sterbedatum nach Robert Bretschneider, Chronik der Familie Bretschneider, 4. Aufl., [Münster] 2012, 16, URL:

http://www.academia.edu/2300519/Chronik_der_Familie_Bretschneider_1360-2012_ (Zugriff vom 21.07.2014). Eine Datierung auf 1580 wie von Schmidt, Beiträge zur Kunstgeschichte (wie Anm. 121), 121–169 und Dombrowski, Dresden–Prag (wie Anm. 121) vertreten ist daher zurückzuweisen.

125 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 24r.

126 Ders., Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Geheimer Rat (Gehei-mes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 24r.

127 Bislang Rudolf Mielsch, Beiträge zur Sächsischen Kunstgeschichte, in: Wissenschaftliche Beilage vom Dresdner Anzeiger 7 (1930), 126f.

128 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 27v.

129 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 25v.

130 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 26v–28v.

Diese dient im Folgenden aber nicht nur der zeichnerischen Befähigung, »alle Gebeude wunderlicher arth abtheillung, Inn zier und Starcke zugebrauchen«, sondern bildet den Ausgangspunkt für Unterkapitel, die sich dem Festungsbau, den menschlichen und tie-rischen Proportionen wie auch den Astrolabien widmen.131 So heterogen die Unterka-pitel, vor allem für das zweite Buch, sind, ist es doch bemerkenswert, dass die »khunst die zuo der ArchitecTur vnd Baukhunst gehörig ist«132 hier maßgeblich über Darstel-lungstechniken gegliedert und systematisiert ist, welche zugleich das theoretische Fundament bilden: Neben den Grundlagen der Geometrie ist es die zur Anwendung gebrachte Perspektive, die Architektur (hier im Sinne einer Theorie) und Baukunst (hier als Baupraxis definiert) verständlich machen soll. Zugleich ist festzuhalten, dass zwar Vitruv als Theoretiker mit seiner »Einlaittung ArchitecTur«133 genannt wird, allerdings weder seine Begriffe zur Zeichnung auftauchen, noch seiner grundlegenden Systematik der De architectura libri decem gefolgt wird. Andererseits wird ein theoretischer Maßstab greifbar, nämlich die angedeutete grundsätzliche Kenntnis von Vitruvs De architectura libri decem oder zumindest der durch Walther Ryff kommentierten Fassung.134

Dass laut Bretschneider dabei weder Vitruv noch Euklid verständliche Theorien, im Besonderen auch zur Zeichnung, lieferten, scheint wohl eher eine topische Wendung zu sein, die den Nutzen des eigenen Werks hervorheben sollte.135 Grundsätzlich findet sich die Nennung von Euklid und Vitruv als wichtige Vorbilder auch in Sebastiano Serlios zweitem Buch von 1545, ebenso wird dort und in seinem ersten Buch zudem die Bedeutung der Geometrie dargelegt.136 Da Stefan Bretschneider jedoch lediglich auf Material seines Vaters zurückgreift, lässt sich kaum feststellen, inwiefern hier etwa die Traktate von Serlio oder gar Alberti für seine Theorie Verwendung fanden.

Aufschlussreich ist ferner, dass in dem ausführlichen Schreiben neben der Darle-gung eines möglichen Traktats auch weitere Aussagen Bretschneiders des Jüngeren zu den Anforderungsprofilen eines jungen Architekten gemacht werden. Das Professions-bild des beginnenden »Architectus« ist vor allem durch ingenieurtechnische Aspekte bestimmt, die besonders das Vermessungswesen mit einschließen. Zudem weist sich Bretschneider maßgeblich als im Festungsbau kundig aus. Nicht nur habe er verschie-dene Darstellungsverfahren und Entwürfe von Festungen angefertigt, vielmehr sei er von seinem Vater im Festungsbau unterwiesen worden. Weiterhin stellt Bretschnei-der auch sein baupraktisches Wissen für die Errichtung eines nicht leicht brennbaren Schütthauses in der Nähe des Zeughauses zur Disposition, welches er im Auftrag Kur-fürst Augusts realisieren zu dürfen hofft.

131 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 26v–28v.

132 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 24r.

133 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1585], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 24r.

134 Zu Ryff siehe Julian Jachmann, Die Architekturbücher des Walter Hermann Ryff (Cultural and Inter-disciplinary Studies in Art, 1), Stuttgart 2006.

135 Grundsätzliche Kenntnisse könnten natürlich gegeben sein. Beide Werke befanden sich in der kur-fürstlichen Bibliothek in Annaburg. Vgl. Registratur der bucher (wie Anm. 97), Bl. 85r, 87r, 87v.

136 Sebastiano Serlio, Le premier livre d’architecture  … Le second livre de perspective, de Sebastian Serlio …, mis en langue françoise, par Jehan Martin …, Paris 1545, URL: http://architectura.cesr.univ-tours.fr/Traite/Images/LES1736Index.asp (Zugriff vom 21.07.2014).

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Die von dem Maler Bretschneider umrissenen eigenen Fähigkeiten als »anfangen-der archiTectus« zielen insbesondere auf militärtechnische Aspekte. Ergänzend dient Bretschneider das Manuskript seines Vaters als weitere Qualifizierung. Hierbei ist anzu-nehmen, dass der Nutzen des heterogenen Manuskripts für Bretschneider vor allem in der Zusammenführung und Abfassung (»Ordinire, Reisse, Beschreibe vnd Demons-Trire«) der verschiedenen textlichen wie bildlichen Fragmente liegt und weniger in der Tatsache, ein kongruentes Traktat zu verfassen. Dennoch macht die Inhaltsangabe eindringlich deutlich, wie das Wissen eines Architekten im 16. Jahrhundert – aus der Perspektive eines Hofmalers und Baumeisters – idealerweise zu bestimmen war: Der Architekt hatte auf Grundlage von Geometrie und Arithmetik die Befähigung zur zeich-nerischen Darstellung und dem grundlegenden Verständnis von ingenieurtechnischen Belangen: Landvermessung, Berechnung des Wasserdrucks, Messwagen, Handhabung des Zirkels und des Quadranten sowie die Berechnung von Geschossflugbahnen. Dem aus heutiger Sicht engeren Feld der Architektur sind hingegen lediglich vier Kapitel gewidmet, wobei drei wiederum den Festungsbau thematisieren. Der Profanbau inte-ressiert hier allein in der Möglichkeit seiner stilistischen Ausgestaltung – sprich seines Formenapparats – mittels Säulenordnungen und der »Khünstlichen abtheillung Anti-quiteteit, Maniren, zierlichen Rollenwercken, Fenstern, Caminen, dhürgerichtten vnd Pfetten«.137 Gerade die kunstvolle Auszierung des Äußeren und Inneren eines Gebäu-des mit Rollwerken, Fenstern, Kaminen und Türaufzügen deutet eindringlich auf die Kenntnis von »Säulen- und Vorlagenbüchern«, die auch noch im frühen 17. Jahrhun-dert diese Aufgabengebiete bereits in ihren Titeln kommunizieren.138

Der Vorrang der Grundlagen der Zeichnung für die Architektur – der Theorie – und Baukunst – der Baupraxis –in diesem »Exposé« mag der Tatsache geschuldet sein, dass es sich um ein Werk handelt, das ursprünglich von Bretschneiders Vater als Hofmaler und Architekt konzipiert wurde. Somit finden sich neben einem Kapitel zu den Farben der Malerei eine Darlegung der menschlichen Proportion wie auch Darstellungen vier-füßiger Tiere.139

Deutlich wird auch, dass die Profession des Architekten keinem klar definier-ten Anforderungsprofil unterlag, was die Beobachtungen von Michael Lingohr zum Architekten-Begriff hier nun um ein weiteres Beispiel ergänzen kann.140 Hier fungiert die Formel des »Architectus« als Ausweis einer förderungswürdigen Qualifikation des anfangenden Architekten und ausgebildeten Malers. Zugleich wird deutlich, dass der »Architectus« Bretschneider in spe besonders das komplexe Feld des

Festungs-137 Vgl. Fitzner, Quellen zur Geschichte der Architekturzeichnung (wie Anm. 99), Transkription 2.

138 So etwa Daniel Mayer, Architectura. Vonn Außtheylung der fünff Seülen, und aller darausz folder kunst und arbeit, von Fenstern, Camin, Thürgerichten, Portale, Brunnen und Epitaphien; Ausz den fürnemsten Büchern der Architectur, mit grosser mühe zusammen, In diese geschmeidige form bracht, allen kunstliebenden nutz und dienlich, Frankfurt am Main 1612. Vgl. auch Kap. 10.4.

139 Stefan Bretschneider, Schreiben an Kurfürst August von Sachsen [um 1586], in: SHStAD, 10024 Gehei-mer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 4418, fol. 24r–29r, hier fol. 27r. Auch Vitruv schreibt über die Her-stellung und Verwendung von Farben, vor allem aber in Bezug zur Wandmalerei: Vitruv, Zehn Bücher über Architektur (wie Anm. 91), 338–353, sowie zur menschlichen Proportion 137–143.

140 Michael Lingohr, Architectus – ein Virtus-Begriff der Frühen Neuzeit?, in: Joachim Poeschke/Thomas Weigel (Hg.), Die Virtus des Künstlers in der italienischen Renaissance (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, 15), Münster 2006, 13–30.

baus zeichnerisch beherrscht und dieses auch entsprechend hervorhebt. Allerdings weist Bretschneider an keiner Stelle in diesem Katalog der Anforderungen an einen Architekten auf seine Italienreise hin, die ihm Kurfürst August im Jahr 1568 mit einem Reisepass ermöglichte.141

Das geplante Traktat gibt damit maßgeblich Aufschluss über das Wissen Andreas Bretschneiders; für dessen Sohn ist das in dem »grossen Kasten« enthaltene Wissen darstellerischer Verfahren von Architektur (dies meint vor allem Ingenieurtechnik und Festungsbau) zugleich hinreichende Qualifikationsmöglichkeit für eine beginnende Architekten-Karriere –  die allerdings von Kurfürst August aus bislang noch nicht geklärten Gründen unbeantwortet blieb. Auch wenn sich aus den Kapitelüberschriften keine konkrete Theorie der Architekturzeichnung ableiten lässt, wird dennoch deutlich, dass gerade in der grundlegenden Kenntnis der Theorie der Zeichnung – Arithmetik und Geometrie, die eben auch in Ryffs Architectur von zentraler Bedeutung für die Künste der Architektur sind – der Nachweis der Befähigung zu Architektur und Bau-kunst liegt.142

2.2  Vitruv als Vorbild: Zur Theorie der Architekturzeichnung bei