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Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Organisation der gesetzlichen

3 Besonderheiten des deutschen und österreichischen Gesundheitswesens

3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Organisation der gesetzlichen

In Deutschland und in Österreich ist die Gesundheitsversorgung Teil des Sozialversiche-rungssystems (Schölkopf, 2010, S. 3). Das wichtigste Merkmal der Gesundheitswesen in Deutschland und Österreich ist die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Diese wird im Folgenden beschrieben. Anschließend werden die Unterschiede der GKV in Deutschland und Österreich herausgearbeitet. Auf die detaillierte historische Entwicklung der Sozialstaaten Deutschland und Österreich kann an dieser Stelle nicht gesondert eingegangen werden. Dies würde den Umfang der vorliegenden Arbeit überlasten. Ferner ist das Wissen über diese Ent-wicklungen nicht notwendig, um den empirischen Teil dieser Arbeit nachvollziehen zu können.

Zur historischen Entwicklung und der Finanzierungsstruktur der Sozialversicherungssysteme in Deutschland und Österreich existieren einige Arbeiten, auf die an dieser Stelle verwiesen wird (zur historischen Entwicklung in Deutschland z. B.: Schmidt, 1998; zur historischen Ent-wicklung in Österreich z. B. Tálos, 2002).

3.1.1 Deutschland Versichertenkreis

Im deutschen Gesundheitswesen wurde die GKV 1883 durch Reichskanzler Otto von Bis-marck eingeführt (Schölkopf, 2010, S. 2 und 5). Es existiert eine Versicherungspflicht – mit Ausnahmen. In der GKV sind nach § 5 SGB V Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Arbeits-lose, Familienangehörige24, Rentner und Studenten versichert. Allerdings können sich Ange-stellte mit einem Jahresarbeitsentgelt oberhalb der jährlich vom zuständigen Bundesministeri-um festgelegten Grenze statt gesetzlich auch privat versichern – in der privaten Krankenversi-cherung (PKV) – oder nicht versichern (Sozialgesetzbuch 1). Beamte, Richter, Soldaten, Geistliche, alle Selbstständigen25 sowie eine Reihe weiterer besonderer Personengruppen, wie etwa die geringfügig Beschäftigten sind ausdrücklich von der Versicherungspflicht befreit (§ 6 SGB V).

24 Kinder und Ehepartner sind beitragsfrei mitversichert, sofern sie kein eigenes Einkommen erzielen.

25 mit Ausnahme der Landwirte und der Künstler

Finanzierung

Die Finanzierung der GKV erfolgt aus Beiträgen der Mitglieder. Sie finanziert sich durch Bei-träge auf die Arbeitseinkommen der Mitglieder (Gerlinger/Burkhardt, 2012a). Dabei wird ein Teil des Versicherungsbeitrags vom Arbeitnehmer26 und der andere Teil vom Arbeitgeber leistet. Erst seit Einführung des Gesundheitsfonds im Januar 2009 – und somit nach der ge-setzlichen Einführung der eGK (siehe Kapitel 3.3.2) – wird das Krankenversichertensystem in Deutschland auch mit Steuermitteln finanziert (mehr zum Gesundheitsfonds bei Gerlinger, 2012).

Krankenkassenwahl

In Deutschland kann jeder Versicherte seine Krankenkasse frei wählen. Es herrscht demnach Wettbewerb um Versicherte zwischen den Kassen. Besonders junge, gesunde und gut ver-dienende Personen sind bei den Kassen beliebt. Um diese Personengruppe werben die Kas-sen mit Wettbewerbsinstrumenten, z. B. mit einer höheren Leistungsqualität, einem besseren Leistungsumfang oder Boni für gesundheitsbewusstes Verhalten.

Aufteilung von Geldern für Leistungen

Die Aufteilung der Gelder für Gesundheitsleistungen an niedergelassene Ärzte, Krankenhäu-ser, Apotheker oder Physiotherapeuten und andere Leistungserbringer übernehmen die Kran-kenkassen. Die Honorare für die Vertragsärzte gehen an die zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) (Rebscher/Kaufmann, 2009, S. 14ff).27 Die Vertragsärzte sind dazu verpflichtet, einmal im Quartal ihre Patientenunterlagen bei ihrer KV einzureichen. Dabei sind die Namen der Patienten verschlüsselt. Die zuständige KV überprüft die Leistungen jedes Arztes und erstattet erst dann die Honorare (Gerlinger/Burkhardt, 2012).

3.1.2 Österreich Versichertenkreis

In Österreich wurde die GKV 1888 durch das Krankenversicherungsgesetz eingeführt (Schölkopf, 2010, S. 5 und 54).28 Alle unselbständigen und selbständigen erwerbstätigen Ös-terreicher sind darin pflichtversichert. In Österreich ist deshalb der Versichertenkreis – im Ver-gleich zu Deutschland – größer. Denn "Arbeiter, Angestellte, Beamte, Gewerblich Selbständi-ge, Bauern, Freie DienstnehmerInnen und Neue Selbständige … (sowie) Familienangehörige (als Mitversicherte), Selbstversicherte und EmpfängerInnen der Sozialhilfe" sind mit einbezo-gen (Tálos, 2005, S. 1). Im Geeinbezo-gensatz zur Ausgestaltung der deutschen Krankenversicherung haben Bezieher höherer Einkommen nicht die Möglichkeit aus der gesetzlichen Versicherung

26 Entsprechend dem Solidaritätsprinzip richtet sich der Versicherungsbeitrag in der GKV nach der Einkommens-höhe – bis zu einem bestimmten Höchstbeitrag (Beitragsbemessungsgrenze).

27 Die Vertragsärzte rechnen ihre Leistungen über ein spezielles Vergütungssystem (einheitlicher Bewertungsmaß-stab – EBM) mit den KVen ab. Als Privatversicherte leisten Personen die Kosten von medizinischen Leistungen durch Behandlungen etc. selbst. Diese Kosten werden ihnen dann im Nachhinein von ihrer Privatkasse erstattet (Rebscher/Kaufmann, 2009, S. 16).

28 Seit Januar 1956 wurden durch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung für die Arbeiter und Angestellten in Industrie, Bergbau, Gewerbe, Handel, Verkehr und der Land- und Forstwirtschaft zusammengefasst (Kärntner Gebietskrankenkasse, 2014).

auszutreten (Tálos, 2005, S. 2). PKVen existieren nur in Form privater Zusatzversicherungen.

Diese umfassen hauptsächlich Leistungen in Krankenanstalten (Hofmarcher, 2013, S. X).

Finanzierung

Finanziert wird die österreichische Krankenversicherung über Versichertenbeiträge (Schölkopf, 2010, S. 54). Dabei wird ein Teil des Versicherungsbeitrags vom Arbeitnehmer und der andere Teil wird vom Arbeitgeber geleistet. Ein weiterer Teil der Krankenversicherung – z. B. die Krankenhausfinanzierung – wird über öffentliche Mittel und durch Selbstbehalte finanziert. Die österreichische Krankenversicherung ist eine umfassende Solidargemeinschaft.

Der Versicherungsbeitrag richtet sich nach der Einkommenshöhe – bis zu einem bestimmten Höchstbeitrag.29 Demgegenüber sind alle Sach- und Geldleistungen der Krankenversicherung einkommens- bzw. beitragsunabhängig, unabhängig vom Familienstand, Krankheitsrisiken oder der Erwerbsdauer (Tálos, 2005, S. 2; Schölkopf, 2010, S. 54f).

Krankenkassenwahl

Die Mitgliedschaft bei einer GKV ist von der Berufsgruppe des Versicherten abhängig. Sie

"kann aber auch zusätzlich durch den Beschäftigungsort oder Wohnort des/der Versicherten determiniert sein" (Hofmarcher, 20013, S. 289). "Die Krankenkassen sind nach Berufsgruppen

… regional gegliedert." Es besteht keine Möglichkeit zur freien Kassenwahl (Schölkopf, 2010, S. 54). Somit stehen die Kassen nicht im Wettbewerb um Mitglieder (Hofmarcher, 2013).

Aufteilung von Geldern für Leistungen

Die Aufteilung der Gelder für Gesundheitsleistungen erfolgt über vertragliche Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern bzw. deren Ärztekammern (Heitzmann/Österle, 2008, S. 55). Es wird über die Bereitstellung und Honorierung der Leis-tungen verhandelt (Schölkopf, 2010, S. 55f). Die soziale Krankenversicherung bezahlt die vom

„Sozialversicherungssystem finanzierten Krankenanstalten und Ambulanzen, die Versorgung durch Ärzte/Ärztinnen im niedergelassenen Bereich, den Bezug von Arzneimitteln und die Erbringung spezifischer pflegerischer und therapeutischer Leistungen im niedergelassenen Bereich“ (Heitzmann/Österle, 2008, S. 48).

3.1.3 Zusammenführung

Die Strukturen der Krankenversicherung in Deutschland und Österreich sind sehr ähnlich.

Beide Systeme haben eine GKV, die hauptsächlich durch Versicherungsbeiträge der Mitglie-der finanziert wird. Bei Mitglie-der konkreten Ausgestaltung Mitglie-der GKV sind allerdings nicht unwesentli-che Unterschiede erkennbar. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden in Tabelle 1 gegenübergestellt.

29 Durch die Höchstbeitragsgrundlage wird der umverteilende Effekt abgeschwächt.

Tabelle 1: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Ausgestaltung der GKV in Deutschland und Österreich

Aspekte der GKV Deutschland Österreich

Versichertenkreis Gesetzliche Versicherungspflicht

Nachdem nun die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherungen im deutschen und österreichischen Gesundheitswesen gegenübergestellt wurde, folgt nun eine Darstellung der Entscheidungsstrukturen und Steuerungsformen sowie der jeweiligen empirisch vorhandenen Akteursnetzwerke in den beiden Gesundheitswesen. Die Kenntnis dieser Ausprägungen der Gesundheitssysteme der zwei Staaten ist zum Verständnis der empirischen Analyse in Kapitel 7 – bzw. der Reformprozesse "Einführung eines elektronischen Kartensystems" im deutschen und österreichischen Gesundheitswesen – notwendig.

3.2 Eine netzwerkanalytische Betrachtung der Entscheidungsstrukturen und