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Wenn das Gedächtnis nachlässt – Demenz als häufige Ursache für Pflegebedürftigkeit

Im Dokument OPUS 4 | Gesund alt werden - (Seite 70-75)

4.3 Auf Hilfe angewiesen – Pflegebedürftigkeit und Behinderung im Alter

4.3.4 Wenn das Gedächtnis nachlässt – Demenz als häufige Ursache für Pflegebedürftigkeit

Demenz ist ein Oberbegriff für unterschiedliche Krank-heiten, deren Gemeinsamkeit in einem fortschreiten-den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit und der Persönlichkeit liegt. Etwa 90 % aller Demenzerkran-kungen sind nicht heilbar, aber schreiten im Verlauf unterschiedlich schnell voran (primäre Demenzerkran-kungen). Bei etwa 10 % der Erkrankungen treten die Symptome als Folge anderer Erkrankungen auf. Diese können oft geheilt werden. Mit zunehmendem Alter tre-ten Demenzerkrankungen häufiger auf. In der Alters-gruppe der über 80-Jährigen wird Pflegebedürftigkeit in mehr als 35 % der Fälle durch eine demenzielle Erkrankung begründet (Pick et al. 2004, S. 14).

Bei der Demenz vom Typ Alzheimer, die ca. zwei Drittel der primären demenziellen Erkrankungen aus-macht, werden Nervenzellen und Gehirnstrukturen all-mählich zerstört. Der Beginn der Krankheit ist gewöhn-lich schleichend, wobei Gedächtnisprobleme als erstes bemerkt werden. In über Jahre gehenden Prozess wer-den Gedächtnisleistungen, Orientierungsvermögen und Aufmerksamkeitsfähigkeit zunehmend beeinträchtigt.

Depressive Symptome, Gleichgültigkeit und Unruhe sowie Verlust von Sprachfähigkeit und Sprachverständ-nis sind psychische Veränderungen, die vom Patienten und Angehörigen als besonders ängstigend erlebt wer-den. Im Verlauf der Erkrankung verlieren die Kranken die Fähigkeit, ihren Alltag selbständig zu organisieren.

Im letzten Stadium treten Harn- und Stuhlinkontinenz, Schluckstörungen, häufiges Fallen, Gliederstarre,

zere-brale Krampfanfälle auf. Die Patienten werden bettläge-rig und sind absolut pflegebedürftig.

Etwa ein Fünftel der primären Demenzerkrankungen geht auf Hirngefäßerkrankungen zurück. Durchblu-tungsstörungen führen zu Versorgungsmängeln im Gehirn, was zu Zerstörungen (Infarkten) von einzelnen Hirnarealen führen kann. Nur ganz wenige Formen der Demenz sind erblich. Experten schätzen 3 % aller Demenzerkrankungen vom Alzheimer-Typ als erblich bedingt. Familienmitglieder erkranken hier über meh-rere Generationen hinweg schon vor Erreichen des Rentenalters. Für die übrigen Fälle der Alzheimer-Krankheit wird eine Kombination von Erbfaktoren, ent-zündlichen Vorgängen und Umwelteinflüssen ange-nommen (Lämmler et al. 2001).

Definition der Demenz nach ICD-10

Demenz (Kapitel V, F00-F03) ist ein Syndrom als Fol-ge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kor-tikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Den-ken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähig-keit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der emotio-nalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Moti-vation begleitet, gelegentlich treten diese auch eher auf. Dieses Syndrom kommt bei Alzheimer-Krank-heit, bei zerebrovaskulären Störungen und bei ande-ren Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn betreffen.

Typisch für demenzielle Erkrankungen sind:

• Gedächtnisstörung

• Abbau des Denkvermögens

• Veränderungen der Persönlichkeit

• deutliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit im Alltag

• Dauer der Symptomatik länger als 6 Monate.

Behandlung der Demenz: Primäre Demenzerkrankun-gen können bisher nicht geheilt werden. Aber medizi-nische, soziotherapeutische und psychotherapeu-tische Maßnahmen können eine Verlangsamung und Abmilderung des Prozesses erreichen. Um so eher eine Demenz fachgerecht diagnostiziert und so

erkannt wird, um so größer sind die Möglichkeiten und Chancen den Abbauprozess hinaus zu zögern. Medi-kamente können zu einer Milderung von psychischen Begleiterscheinungen der Demenz wie Depressionen, Wahn, Unruhe oder Halluzinationen beitragen.

Mit sozio- und psychotherapeutischen Maßnahmen werden vorhandene Ressourcen unterstützt. Wichtig ist, ein vertrautes Milieu aufrecht zu erhalten bzw. zu schaffen. Dazu gehören kontinuierliche Bezugsperso-nen, ein strukturierter Tagesablauf, eine klar geglieder-te, wenig unfallträchtige Wohnumwelt und eine biographiebezogene Unterstützung im Tagesablauf.

Psychotherapeutische Methoden können die Lebens-qualität lange erhalten. Im Einzelnen geht es um:

• Realitätsorientierung: Eine Förderung, die auf Ereignisse, Orte und Personen gerichtet ist, aber auch Zeitgefühl, die Erinnerung an die eigene Per-son sowie Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn anregen und solange wie möglich erhalten soll

• validierendes Verhalten: Eine Therapieform, die die Sicht des Demenzkranken auf die Welt respek-tiert, auch wenn sie nicht mit der Realität überein-stimmt

• Erinnerungstherapie: Arbeit mit alten Fotos, be-kannten Musikstücken, Tönen, Licht und Gerüchen

• kognitive Förderung (in frühen Phasen der Demenz): Gedächtnistrainings, „Gehirn-Jogging“

• Kunst- und Musiktherapie

• Verhaltenstherapie in frühen oder mittleren Stadien der Demenz, um die Selbständigkeit so lange wie möglich zu erhalten (MASGF 2003b).

Der zunehmende geistige Abbau und die Persönlich-keitsveränderungen sind für die Angehörigen wie auch das Pflegepersonal eine große Belastung.

Wie viele demenziell erkrankte Menschen gibt es in Brandenburg und wie viele werden es in einigen Jahren sein?

Mit der gestiegenen Lebenserwartung und der Alte-rung der Gesellschaft ist abzusehen, dass die Zahl der demenziell erkrankten Menschen in den nächsten Jah-ren steigen wird. Damit wird auch der Hilfebedarf stark steigen. Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen steigt mit zunehmendem Alter stark an, wobei die Gruppe der Hochaltrigen, die in den nächsten Jahren in der Gesamtbevölkerung einen größeren Anteil ein-nehmen wird, besonders betroffen ist (vgl. Tabelle 18 mit den altersspezifischen Prävalenzraten).

Im Jahr 2003 lebten in Brandenburg insgesamt etwa 27.000 demenziell erkrankte Menschen (Gust 2005).

Für das Jahr 2015 rechnet man auf der Basis der jüng-sten Bevölkerungsprognose mit etwa 41.000 Erkrank-ten (LDS/Landesumweltamt 2003). Das bedeutet einen jährlichen Zuwachs von mehr als 1.000 Erkrank-ten. Die hier genannten Schätzungen entsprechen weitgehend den Zahlen aus dem Bericht des MASGF zur Demenzproblematik auf der Grundlage von Bevöl-kerungsdaten von 1999 (MASGF 2003b).

Die Herausforderung für die Sozial- und Gesundheits-politik wird noch deutlicher, wenn man nicht nur den unausweichlichen Zuwachs betrachtet, sondern auch soziale Wandlungsprozesse berücksichtigt:

• die Zahl der Einpersonenhaushalte nimmt auch bei den älteren Bürgern zu

• die sozialen Bezugssysteme aus Familie und Nachbarschaft verlieren an Bindungskraft

• die Zahl der Hauptsorgepersonen, in der Praxis vor allem Töchter und Schwiegertöchter, die bislang für die Pflege zur Verfügung stehen, nimmt ab.

Tabelle 18: Prävalenz von Demenz (mittlere und schwere Formen) nach dem Alter (Bickel 2000) Altersgruppe Mittlere Prävalenzrate in %

65 – 69 1,2

70 – 74 2,8

75 – 79 6,0

80 – 84 13,3

85 – 90 23,9

90 und älter 34,6

Ausgehend von der Bevölkerungszusammensetzung um die Jahrtausendwende und der Bevölkerungs-prognose wird die Zahl demenziell erkrankter Men-schen in den Landkreisen verschieden stark steigen (Abbildung 41).

Versorgung für demenziell erkrankte Menschen Da demenziell erkrankte Menschen keine homogene Gruppe bilden und ihre Bedürfnisse und der Versor-gungsbedarf wechseln, wird für die Betreuung ein differenziertes und aufeinander abgestimmtes System benötigt. Man unterscheidet das informelle Hilfesystem (Familie, Freunde, Nachbarn), Altenhilfe und -pflege mit ambulanten, teilstationären und stationären Ange-boten und das System gesundheitlicher Versorgung.

Etwa 60% der Kranken leben in der vertrauten Umge-bung zu Hause, ca. 40% in Heimen (MASGF 2003b).

Die Betreuung in privaten Haushalten erleichtert den Kranken die Orientierung in Zeit und Raum. Die Anfor-derungen an die pflegenden Angehörigen sind aber beträchtlich. Hierbei werden die pflegerischen Anforde-rungen weniger als Problem erlebt als die Persönlich-keitsveränderungen im Verlauf der Krankheit. Unter-stützung für pflegende Angehörige besteht aus:

• Beratung über Hilfsmöglichkeiten und Vermittlung von Hilfen

• Beratung für den pflegerischen Alltag (Pflege und Interaktionsstrategien)

• soziale und psychologische Unterstützung

• stundenweise Entlastung.

Die Pflegekassen bieten kostenlose Schulungskurse an (SGB XI, § 45). Freie Einrichtungen, darunter insbe-sondere die Alzheimer-Gesellschaft

(www.alzheimer-Abbildung 41: Anzahl demenziell erkrankter Menschen nach Kreisen in Brandenburg für 2000 und Prognose für 2015.

Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Bevölkerungsprognose des LDS und eigene Berechnungen

brandenburg.de) bieten Kurse, Kontaktgruppen und Beratung für pflegende Angehörige.

Die Alzheimer-Gesellschaft Brandenburg e. V.

wurde 1997 gegründet. Sie wird durch die Landesre-gierung unterstützt. Ihre Ziele sind:

• Unterstützung und Entlastung pflegender Ange-höriger durch Aufklärung, Beratung und Förde-rung von Selbsthilfegruppen

• Aufbau und Förderung regionaler Beratungs- und Anlaufstellen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten Brandenburgs

• Durchführung von Tagungen und Fortbildungen

• Förderung von Initiativen zur Verbesserung der Angebote der ambulanten teilstationären und sta-tionären Pflege

• Aufbau einer Datenbank mit Adressen, Einrich-tungen und Initiativen in Brandenburg, die hilf-reich für Demenzkranke und ihre Angehörigen sind. Auf dieser Grundlage können Ratsuchende schnell Auskunft erhalten.

Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Pflege-leistungs-Ergänzungsgesetz, hat der Gesetzgeber Leistungsverbesserungen der Pflegeversicherung für spezielle Personengruppen eingeführt. Dies sind pfle-gebedürftige Menschen in der häuslichen Pflege mit einer demenzbedingten Funktionsstörung, einer gei-stigen Behinderung oder psychischen Erkrankung, die neben dem Hilfebedarf im Bereich Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung einen erheblichen Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung haben. Ein wichtiges Ziel des Gesetzes ist die Entla-stung pflegender Angehöriger.

Das Gesetz eröffnet den Betroffenen zum einen die Möglichkeit der Kostenerstattung von bis zu 460 € durch die Pflegekassen pro Kalenderjahr für die Inan-spruchnahme von

• Leistungen der Tages- oder Nachtpflege

• der Kurzzeitpflege

• der zugelassenen Pflegedienste, sofern es sich um besondere Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung und nicht um Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versor-gung handelt oder

• der nach Landesrecht anerkannten niedrigschwel-ligen Betreuungsangebote.

Darüber hinaus stellen die Pflegekassen für den Auf-bzw. Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote sowie für Modellvorhaben zur Erprobung neuer Versor-gungsstrukturen 10 Millionen Euro pro Kalenderjahr zur Verfügung, vorausgesetzt eine Kofinanzierung durch kommunale Gebietskörperschaften oder das Land oder die Arbeitsverwaltung ist gewährleistet. Im Land Brandenburg hat sich seit dem Inkrafttreten des Gesetzes ein Netz an anerkannten niedrigschwelligen Betreuungsangeboten entwickelt, das sind sowohl Angebote zur stundenweisen Betreuung in Gruppen als auch Helferkreise für die Betreuung zu Hause.

Mit Stichtag 22. Dezember 2004 gab es im Land Bran-denburg insgesamt 94 Angebote, die vom LASV aner-kannt wurden, darunter 67 Angebote für demenzkran-ke pflegebedürftige Menschen, 18 für geistig behinder-te pflegebedürftige Menschen (Familienentlasbehinder-tende Dienste – FED) und 9 Zielgruppen übergreifende Angebote. Die anerkannten Angebote umfassen zum Teil mehrere Betreuungsgruppen oder Betreuungs-gruppe und Helferkreis kombiniert in einer Träger-schaft. Daraus resultierend ergibt sich zum genannten Zeitpunkt die Anzahl von 66 anerkannten Betreuungs-gruppen und 71 Helferkreisen (Betreuung in der Häus-lichkeit).

Insbesondere für allein lebende Kranke leisten ambu-lante Dienste Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Unterstützung. So wird ein längeres Wohnen im eigenen Haushalt möglich gemacht und die Angehörigen werden entlastet. Experten schätzen, dass die Nachfrage nach ambulanten Diensten in den nächsten Jahren stark steigen wird. Dies wird nicht nur mit der steigenden Zahl Kranker begründet, sondern auch mit den Versorgungswünschen der Bürger.

Fachkraft für gerontopsychiatrische Betreuung und Pflege

Um die Qualität der professionellen Betreuung und Pflege demenziell erkrankter Menschen zu sichern und zu verbessern, hat das Land Brandenburg im Februar 2004 eine Weiterbildungsverordnung zur

„Fachkraft für gerontopsychiatrische Betreuung und Pflege“ erlassen. Die Weiterbildung soll den in den Pflegeeinrichtungen tätigen Fachkräften die er-forderlichen pflegerisch-therapeutischen, geronto-psychiatrischen, rechtlichen, psychosozialen sowie kommunikativen Kompetenzen vermitteln. Die Weiterbildung umfasst 720 Stunden und kann berufsbegleitend oder in Vollzeitform an den dafür zugelassenen Bildungseinrichtungen absolviert wer-den. Die ausgebildeten Fachkräfte für

geronto-psychiatrische Betreuung und Pflege sollen als Multiplikatoren insbesondere in den stationären Pfle-geeinrichtungen zeitgemäße Pflege- und Betreu-ungsangebote entwickeln, ihre praktische Anwen-dung vor Ort planen, begleiten und qualitativ sichern. Die Pflegeheime werden mit den speziell ausgebildeten Fachkräften in die Lage versetzt, die Pflege demenzkranker Menschen auf fundierter fachlicher Grundlage neu zu strukturieren und zu gestalten.

In der medizinischen Versorgung älterer Menschen werden verschiedene strukturelle Probleme des deut-schen Gesundheitswesens besonders deutlich:

• Im Alter dominieren Multimorbidität und chronische Erkrankungen (vgl. Kap. 4), denen eine eher auf Akutversorgung und spezifische Krankheiten aus-gerichtete medizinische Versorgung gegenüber-steht.

• Dieses Krankheitsbild von älteren Menschen erfor-dert zudem die gezielte Kooperation verschiedener medizinischer Disziplinen und pflegerischer Tätig-keiten. Die Betreuung älterer Menschen sieht aber immer noch eine institutionelle Trennung von ärzt-licher Behandlung und sozialer Betreuung vor, wie sie z. B. in der Unterscheidung in Grund- und Behandlungspflege ihren sozialrechtlichen Nieder-schlag findet.

• Die Geriatrie, d. h. die auf die Versorgung hoch betagter Menschen spezialisierte medizinische Fachrichtung, hat in Deutschland praktische Defizi-te, vor allem in der Kooperation der stationären und ambulanten Einrichtungen.

• Verschärft werden diese strukturellen Probleme durch die demographische Entwicklung, die nicht nur mit einer Abwanderung jüngerer Menschen aus strukturschwachen Regionen verbunden ist, sondern dort auch in zunehmendem Maß mit einer Ausdünnung der sozialen Infrastruktur verbunden ist. Für ein dünn besiedeltes Flächenland wie Brandenburg ergibt sich daraus insgesamt ein unter dem Stichwort Ärztemangel öffentlich disku-tiertes Problem, das für die medizinische Versor-gung älterer Menschen eine besondere Dimension gewinnt.

5.1 Ambulante Versorgung

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