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Frauenbewegungen im Westen

2. Hanımlara Mahsus Gazete (1895–1908)

2.2. Frauenbewegungen im Westen

Dem Brief folgt die Antwort der Direktion, die besagt, dass dieser Vorschlag angenommen worden sei und dass es wichtig sei, dass die Zeitschrift auch in Paris bekannt werde. Aus diesem Brief ist zu schließen, dass dieGazetein Paris bekannt wurde und aktive Frauengruppen und Journalistinnen in Paris die Zeitschrift als ein Dienst für die Emanzipation der Frauen wahrnahmen.

Die Gazete blieb also nicht nur auf die Osmanisch lesenden Kreise be-schränkt, vielmehr müssen ebenso Frauen in Europa die Entwicklungen der Stellung der Frauen im Osmanischen Reich beobachtet haben. Die Verö ffentli-chung der Briefe von europäischen Frauen zeigt, dass die Gazete von einem europäischen Publikum rezipiert wurde. Diese Rezeption hatte insofern eine öffentlichkeitswirksame Wirkung für dieGazeteim Osmanischen Reich, als sie der Stärkung der Position derGazetediente. Ebenso bestätigte die Vorstellung des Gründers der Zeitschrift Mehmet Tahir, eine Frauenzeitschrift trage zur Emanzipation der Frauen bei, was die französische Journalistin Dorani Montilla schrieb.

Es ist als Verdienst der Gazetezu bewerten, dass internationale Frauenor-ganisationen gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die Aktivitäten der Frauen im Osmanischen Reich aufmerksam wurden. DieGazeteist die erste osmanische Frauenzeitschrift, die in einem Bericht einer internationalen Frauenorganisa-tion, nämlich desInternational Council of Women, im Jahre 1899 erwähnt wird, worauf im Kapitel 5.2. näher eingegangen wird.

gering war.268 Im anderen Artikel werden ebenfalls Statistiken über Arbeite-rinnen in den untersten Sektoren aufgeführt. Zusätzlich hebt dieser Artikel die Bemühungen der ersten schweizerischen Anwältin, Anna Mackenroth (1861–

1936)269, während ihrer beruflichen Laufbahn hervor:

»In der Schweiz wurde zum ersten Mal eine Frau Anwältin. Die Anwältin, namens Mademoiselle Mackenrot, ist ursprünglich Deutsche und hat in der Schweiz studiert.

Sie arbeitete sehr früh als Lehrerin in der Schule für Kleinkinder, die Kindergarten heißt, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Tätigkeit betrachtete sie als ihren Wünschen und ihrem Erfolgswillen nicht entsprechend. Deshalb gab sie diese Tätigkeit auf und begann in Zürich Rechtswissenschaft zu studieren. Obwohl sie arm und Waise war, bemühte sie sich fünfzehn Jahre lang am Schultisch, was vielen Männern nicht vergönnt ist (…). Schließlich bestand sie die Doktoratsprüfungen mit Erfolg und er-warb das Diplom. Als sie das Studium abschloss, arbeitete Mademoiselle Mackenrot eine Weile in einem Anwaltsbüro, weil in der Schweiz Frauen zu dieser Zeit noch nicht Anwältinnen sein durften. Als in der Schweiz die Anerkennung der Anwältinnen be-schlossen wurde, begann sie sogleich vor dem Gericht mit ihrer Arbeit als Pflichtver-teidigerin.«270

Der Artikel führt weiter aus, dass in Russland eine Institution für die Ausbildung der Frauen in Gemüsebau und Gartenarbeit gegründet worden sei, dass in Brüssel eine Frau in Literaturwissenschaften promoviert habe und in Berlin eine in Philosophie usw. In diesen Ausführungen werden auch spezielle Fälle auf-gelistet. Diese beiden Artikel sollten zeigen, dass Frauen jeden Beruf ausüben könnten, wenn sie die Möglichkeit dazu erhalten würden. Statistikenüber die Arbeitstätigkeiten von Frauen im Osmanischen Reich finden sich nicht in der Zeitschrift. Dass solche Statistiken Daten aus Europa und den USA enthalten, 268 Feminist.Feminist Havadisi (Feminismus-Nachrichten).In: Hanımlara Mahsus Gazete, 87–

289, 16 Tes¸rin-i Sani 1316 (29. November 1900), S. 6.

269 Es handelt sich hier um Anna Mackenroth (1861–1936), die erste schweizerische Anwältin.

Ludi, Regula. Mackenroth, Anna. In: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D31801.php, Zugriff am 18.06.2016.

270 Feminist.Feminizm Havadisi (Feminismus-Nachrichten).In: Hanımlara Mahsus Gazete, 89–291, 30 Tes¸rin-i Sani 1316 (13. Dezember 1900), S. 5–6: »Bütün Almanya hükümeti dahilinde müteehhil olmaküzere 175000 kadın amele mevcud imis¸. § I˙sviÅre mahkeme-sinde ilk defa olmak üzere bir kadın dava-i vekili bulunmus¸dur: Madmazel Magenrot isminde olan bu avukat kız, an-asıl Almanyalı olub I˙sviÅre tahsil etmis¸tir. Ekmeg˘ini ka-zanmak iÅun erkenden mualimelikle Kindergarten denilen ufak Åocuklar mektebinde ve-rilmis¸ ise de bu hidmeti, arzu ve istedadine muvaffak görmedig˘i cihetle biraz sonra terk ederek Zürih’de ilm–i hukuk tahsiline bas¸lamıs¸tır. Fakir ve kimsesiz bulundug˘u halde pek Åok erkeklere nasib olmayan bir gram metin ile rahle-i ta’limde on bes¸ sene sa’i ve sebat eylemis¸ (…). Mektebten hurucu senesinde I˙sviÅre’de kadınların dava-i vekaleti makbul olmadıg˘ından Matmazel Magenrot, bir müddet de bir erkek avukatın yazıhanesine devam ederek ameliyat görmüs¸ ve son sene zarfında dahi I˙sviÅre’de vek.let-i nisvanın kabulune karar verilmekle derakab huzur-u mahkemede vazife-i müdafaaya giris¸mis¸tir. (…) Femi-nist.«

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erklärt sich dadurch, dass diese Informationen in verschiedenen europäischen Zeitschriften und Zeitungen zugänglich waren, derer sich die Korresponden-tinnen und Korrespondenten derGazetebedienten, ohne ihre Quellen anzuge-ben. Diese Informationen stammten wahrscheinlich aus feministisch orien-tierten Zeitungen und Periodika, weil diese als »feministische Nachrichten« im Titel bezeichnet wurden. Statistiken und Informationen über die Erwerbstä -tigkeit von Frauen im eigenen Land waren für die Redaktion derGazetenicht zugänglich oder gar nicht vorhanden.

Um zu verstehen, wie die Gazete»Feminismus« verstand und wie sich die Autorinnen und Autoren damit auseinandersetzten, ist der folgende Artikel repräsentativ. Dieser Artikel beschreibt ausführlich die Emanzipation der Frauen, die Erfolge und die Misserfolge der Feministinnen und die über die rechtliche Emanzipation der Frauen hinausgehenden Forderungen in den westlichen Ländern. Außerdem liefert er eine Stellungnahme zu westlichen Frauenbewegungen und zu kulturellen Differenzen zwischen osmanischen Frauen und euro-amerikanischen Frauen. Dieser Artikel, der den Titel »Medeni Kadınlar« (»Zivilisierte Frauen«) trägt, ist anonym verfasst. Er beginnt mit der Schilderung, dass in Europa und den USA seit 40 bis 50 Jahren Bemühungen von Frauen und Männern für die Gleichberechtigung von Frauen mit Männer be-züglich der universitären Bildung existierten und dass Anhängerinnen und Anhänger der Frauenemanzipation Kongresse und Vereine organisierten und Bücher und Periodika publizierten.271

»In Europa und in Amerika wird seit vierzig, fünfzig Jahren für die Ausweitung der Rechte und Privilegien der Frauen und die Gleichstellung der Frauen und Männer in der Zivilverfassung und für die Garantierung, dass Frauen frei sein sollen, sich ihren Talenten und Fähigkeiten entsprechend zu betätigen und einen Beruf auszuüben, ge-arbeitet. Diese Bemühungen verfolgen teilweise wiederum Frauen und teilweise Männer, die dieser Idee anhängen. Diese Klasse, die Anhängerinnen und Anhänger der Frauenemanzipation genannt wird, führt Konferenzen durch, veröffentlicht Schriften und Bücher, und befördert die Verbreitung dieser Idee durch die Gründung von Ver-einen und durch regelmässige Diskussionenüber Frauenemanzipation. (…)

Wir können sagen, dass Amerikanerinnen und Amerikaner in der Idee der Frau-enemanzipation am meisten fortgeschritten sind. In einigen europäischen Regionen wird zwischen Frauen und Männern im Rahmen der wissenschaftlichen Bildung und der Fähigkeiten für die Kunst kein Unterschied gesehen und in Wissenschaftsdiszi-plinen und in der Industrie sind sie gleichgestellt. Wenn heute in Europa eine Frau ihrem Wunsch nachkommt, kann sie wie ein Mann Wissenschaftlerin werden, und dies ist ihr Recht, dieses Recht ist anerkannt und niemand kann es ihr wegnehmen.

271 Medeni Kadınlar (Zivilisierte Frauen).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 117, 19 Haziran 1313 (1. Juli 1897), S. 1–2.

Heute werden Frauen in Europa und den USA zu vielen Universitäten zugelassen.

Sie werdenÄrztinnen und Anwältinnen, indem sie Medizin und Rechtswissenschaften studieren. Vom Dienst derÄrztinnen profitiert die Menschheit. In der Behandlung von frauenspezifischen Krankheiten kann man den Dienst derÄrztinnen schätzen, denn eine Frau ist zweifellos gegenüber einer Frau offener als gegenüber einem fremden Mann und kann sich ohne Bedenken untersuchen lassen (…).«272

Die Bemühungen von frauenemanzipatorischen Kreisen sind gemäßdem Ar-tikel nicht erfolglos geblieben. Die USA seien in Bezug auf die Frauenemanzi-pation Europa voraus, was im Artikel nicht weiter begründet wird. Der Artikel nennt weitere Berufe, in denen Frauen erwerbstätig sind, als Beweis der Emanzipation. Durch die Bemühungen der Anhängerinnen und Anhänger der Frauenemanzipation dürften nun Frauen die Berufe ausüben, die zuvor nur für Männer bestimmt waren. Nicht nur das Medizinstudium und die Rechtswis-senschaften, sondern auch die Mathematik und die damit verbundenen Berufe stünden den Frauen nun offen. Die Zahl der erwerbstätigen Frauen steige; und dies auch bei der Post und in Telegraphenhäusern, bei der Gemeinde und bei den Steuerbehörden. Frauen seien in allen Sektoren tätig.273 Diese wirtschaftliche Emanzipation der Frauen sei gemäßdem Artikel dank der frauenemanzipato-rischen Bemühungen erfolgt. Zu diesen Bemühungen gehöre auch die Forde-rung nach bequemer Kleidung für Frauen:

»Aufgrund des Einstiegs der Frauen in Männerberufe war eine Zeit lang in Amerika die Änderung der Kleidung ein Thema. Für die Verwirklichung derÄnderung von Frau-enkleider in Amerika wurde ein Verein gegründet und es wurden lange Diskussionen geführt. Man wollte kurze und breite Hosen anstelle von jetzigen Röcken einführen.

Aber dieses Ziel konnte nicht erreicht werden. Die Idee, Frauen bis auf ihre Kleidung zu 272 Ebd., S. 1: »Avrupa ve Amerika’da kırk elli seneden beri nisvanın hukuk ve imtiyazının tevsi’ etmek ve kanun-ı medeniyete kars¸ı kadınlarla erkeklerin bir ayarda bulunmalarını ve kadınların da erkekler kadar ulumve fünundan hissedar ve hüner-u maarefetleri nisbetinde müs¸agil ve mesalikde bulunmag˘a serbest olunmalarını te’min eylemek hususuna Åalıs¸ılmaktadır. Bu gayrette bulunanlardan bir kısmı yine kadınlar ve bir kısmı da bu fikri mürevvic olan erkeklerdir. Terakkiyat-ı nisvaniye tarafdarı denilen bu sınıf kongreler, konferanslar tertib ediyorlar, risaleler, kitablar nes¸r eyliyorlar, heyetler tes¸kiline ve bu heyetlerde daima terakkiyat-i nisvaneyi müzakere ederek te’amim-i fikire hadem bulu-nurlar. (…) Diyebiliriz ki terakkiyat-ı nisvaniye fikrinde en ziyade ileriye ve ifrata giden Amerikalılardır. Avrupa’nın bazı cihetlerinde yalnız ric.l ile nisvan arasında tahsil-i ilim ve maarefete kabiliyet-i fıtriye cihettinde bir fark görülemiyerek s¸uab.t-ı ulum ve sanayide iki sınıf-ı bes¸erde siyy.n tutulmus¸tur. Bu gün Avrupa’da bir kadın arzusuna tev.fuk ederse bir erkek kadar alim olabilir, hakkıdır, bu hak müsellemdir ve kimse kendinden bunu nez’

etmez. S¸imdi Avrupa ve Amerika’nın bir Åok darülfünunlarına kadınlar kabul edilmektedir.

Tıb ve hukuk-ı tahsil ederek tabib ve avukat oluyorlar. Tabibelerin hidmetinden alem-i insaniyet müstefid olmaktadır. Kadınlara mahsus hastalıkların tedavisinde tabibelerin hidmeti takdir olunabilir. C¸ünkübir kadın elbet yabancı bir erkekden ziyade bir kadına kes¸f-i raz eder ve rahat kalble vücudunu muayene ettirir.«

273 Ebd., S. 1f.

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ändern, konnte sich nicht verbreiten.

Bis zu einem Grad blieben die Leistungen der Bloomeristinnen und Bloomeristen ohne Resultate. Vor allem in Europa fand manüberhaupt keine Anhängerinnen. Feine Frauen in Paris, die die Mode verfolgten, nahmen diese Kleidung nicht an.«274 Irritierend wirkt die Wortverwendung »die Idee, Frauen bis auf ihre Kleidung zu ändern« (»Kadının kadınlıg˘ını libasına varıncaya kadar deg˘istirmek«). Wö rt-lich übersetzt heißt das Original »die Weiblichkeit der Frau zu ändern«. Die Vorstellung, die mit dieser Redewendung zum Ausdruck kommt, ist, dass Emanzipation die Frau verändert, ihre »Weiblichkeit« (kadınlık) aufhebt, das heißt, die Frau müsse nicht mehr den Pflichten nachkommen, die ihr von Natur aus auferlegt seien, nämlich den Pflichten der Mütterlichkeit. Wie diese Vor-stellung unterstützt wird, zeigen die weiteren Ausführungen, mit denen die Autorin/der Autor begründet, warum die Emanzipation der Frauen wie im Fall der USA und Europas nicht zum Fortschritt der Gesellschaft beitrage:

»Vernunft und Weisheit befehlen, dass Emanzipation in jedem Punkt auch immer der Situation und dem Status entsprechend akzeptabel und den Bedürfnissen und Ge-wohnheiten angepasst sein muss. Eine Frau kann die Beschaffenheit ihrer physischen Eigenschaften, Veranlagung und Gefügen, kurz gesagt, ihrer natürlichen Eigenschaften und die Angelegenheiten, die aus den Vorschriften und Gegebenheiten ihrer Religion und nationalen Sitten bestehen, nicht ignorieren. Emanzipation in diesem Rahmen ist ein unvermeidlicher Befehl. Emanzipationen, denen dies nicht gelingt, werden nicht zum erforderlichen Vorteil, sondern ein Grund für Ausrede und vielleicht für Reue sein.

Die Natur hat der Frau einige lebenswichtige Pflichten gegeben. (…) Die Frau aus diesem Status und aus diesem Rahmen der Pflichten herauszubringen, ist zwecklose Arbeit. Vielleicht widerspricht es den zivilen und natürlichen Gesetzen.«275

274 Ebd., S. 2: »Nisvanın mesalik-i ricale sül0kuüzerine lib.sın tebdili de bir aralık Amerika’da mevzu-u bahis edilmis¸ idi. Amerika’da kadın lib.slarının tebdili maksadını istihsal iÅin bir heyet tes¸kil ederek vaktiyle uzun müzakerelerde bulunmus¸ ve kısa ve bol s¸alvarı s¸imdiki etekler yerine ka%m etmek istemis¸ idi. O senede bir c.ket libası itm.m edecek ve kulus¸

etekler, Å.der biÅimi fest.neler ortadan kalkacak idi. Lakin bu maksad istihsal edilemedi.

Kadının kadınlıg˘ını libasına varıncaya kadar deg˘istirmek fikri heryerde tervic olunmadı.

Bloomeristlerin emeg˘i bir dereceye kadar neticesiz kaldı. Hele Avrupa’da heman hiÅ ta-rafdar bulamadı. Paris’in modaya meraklı is¸ve-b.z kadınları bu kıyafete girmeg˘e katiyen razı olmadılar.«

275 Ebd., S. 2f.: »Akıl ve hikmet s¸uunu emr ederki her hangi noktada olursa olsun terakki hal ve mevkiye münasib olmalı ve ihtiyacat ve.d.t ile tev.fuk eylemelidir. Bir kadın tes¸kil.t-ı bedeniyesinin miz.c ve bünyesinin velhasıl ahval-ı tab%iyesinin sevkiy.tından ve dininin ve .d.t-ı milliyesinin emr ve ic.bından olan husus.tı da müs.maha edemez. Terakki bu daire dahilinde olmak bir emr-i zaruridir. Buna muvaffak olmayan terakkiyat m0ceb-ı menfaat deg˘il d.%mazaret ve belki müstelzim-i nedamet olur. Tabiyat kadına bir takım vezaif-i mühimme-i hayatiye tevdih eylemis¸tir. (…) Kadını bu mevk%den ve bu daire-i vezaiften tebaiyyet ve ihrac etmek abesdir. Belki kanun-ı ehliye ve kanun-ı tabiiye muhalifdir.«

Die Grundüberzeugung, dass die Tendenz in westlichen Ländern der Ge-schlechterdifferenz, die als natürliche Gegebenheit betrachtet wird, zuwider-laufe, reflektiert eine antiwestliche Haltung, die in einem weiteren anonym verfassten Artikel deutlicher wird. Dieser Artikel kritisiert die Frauenemanzi-pation in westlichen Ländern und bemüht sich um die Rechtfertigung der tra-ditionellen Rolle der Ehefrau.276Die Stellung der Frauen in Europa wird derje-nigen in China gegenübergestellt. Die Stellung der Frauen in China sei viel besser als in Europa, denn in China taste der Ehemann den Besitz und die Aussteuer seiner Frau, die sie in die Ehe mitbringt, nicht an. Eine verwitwete Frau erbe das Vermögen ihres Mannes und ihr Einkommen werde von der Familie des Ehe-mannes garantiert, bis sie eine neue Ehe eingehe. Dies sei vergleichbar mit der Stellung der Frau im Islam. Diese Rechte der Frau seien in Europa immer noch nicht garantiert, weshalb sich eine Frauenbewegung formiert habe.

»Um den Grad der Rechte und der Freiheiten, der Bedeutung und Wertschätzung, welche der Islam sowohl den Männern als auch den Frauen geschenkt hat, zu zeigen, ist es nötig, dicke Bände zu schreiben, und dies in einer sehr detaillierten Art und Weise.

Ebenso ist auch die Untersuchung und die Analyse der Frauenrechte gemäß den starken islamischen Regeln und das vollständige und gebührende Aufzeigen dieser Rechte eine Pflicht, die wir [gemeint sind Autoren und Autorinnen derGazete] nicht übernehmen können. Gott sei Dank, dass wir sagen dürfen, dass die Freiheiten, die der Islam den Frauen gibt, in keiner Religion und bei keinem Volk gesehen wurden.

Die höchsten und erstklassigen Rechte und Pflichten sind für Frauen der musli-mischen lobenswerten Buchreligion gesichert, während sich Europäer in diesem Jahrhundert der Zivilisation noch um die Erzeugung der Gesetze für Frauen bemü-hen.«277

Laut dem Artikel bemühen sich Frauenrechtlerinnen in Europa, die gegenüber dem Islam und China sehr rückständige Stellung der Frauen zu verbessern. Die bessere Stellung wird mit der Garantie des Eigentums, des Erbrechts und des Anspruchs auf Schutz und Alimente im Fall des Todes des Ehemannes be-gründet. Im Artikel findet sich der Vorschlag, hierzu die chinesische Gesetz-gebung zuübernehmen.

276 C¸in’de ve Avrupa’da Hukuk-ı Nisvan (Frauenrechte in China und Europa).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 141, 4 K.nun-i Evvel 1313 (16. Dezember 1897), S. 1–3, S. 1.

277 Ebd., S. 1: »I˙slamın gerek rical ve gerek nisvana bahs¸ ettig˘i hukuk ve müsaidatın/müsaa-datın derecesini, ehemmiyetini ve kıymetini göstermek iÅin cildler dolusu yazıyı – hemde müdekkik-.ne bir surette – yazmak icab edeceg˘i gibi hukuk-ı nisvanı kavaid-i metine-i islamiyeye göre tedkik ve tetebbu’ edip tamamıyla ve hakkıyla meydane koymak da bizim deruhde edemiceceg˘imiz bir vazifedir. Cenab-ı hakka s¸ükür olarak s¸unu söyleyebiliriz ki I˙slamiyetin nisvana kars¸i gösterdig˘i müsaadat/müsaidat hiÅ bir dinde, hiÅ bir kavimde görülmemis¸tir. Avrupalıların hala s¸u asr-ı medeniyette kadınlar iÅin kanunlarda istihsalına s.’%oldukları hukuk ve imtiy.zın bil.derecesine, fevkaladesine nisvan-ı müslümin din-i mübin-i ahmedi ihkamınca naildir.«

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»In Europa gibt es so viel Bemühung für Frauenrechte. Falls Anhängerinnen und Anhänger der Frauenemanzipation in Europa Erfolg haben würden und von Neuem in Richtung der Verfassung von Gesetzen, die die zivilen Rechte der Frauen erweitern, gehen würden, dann wäre dieÜbernahme der chinesischen Gesetze am einfachsten und dem Zweck entsprechend. Gemäßder Beschaffenheit dieser Gesetze können diese einer armen, verwitweten Frau im Hinblick auf ihre Rechte als Ehegattin, der Müt-terlichkeit und der Weiblichkeit (kadınlık), die innerhalb der sozialen Ordnung im umfassenden Sinn gegebene Privilegien sind, von Vorteil sein. (…) Wenn europäische Männer ernsthaft den Frauen Schutz und Güte gezeigt hätten, in der Ehe mit ihnen keinen einzigen Vorteil zu sehen, wenn sie sie als Ehegattin genommen hätten und auf deren Bemühungen und Verdiensten [kein Auge geworfen hätten], die Arbeit für Ruhe und Glück als menschliche Pflicht angenommen hätten, dann hätten Frauen sich nicht gezwungen gesehen, nach einer Arbeit zu suchen, um sich menschenwürdig (namus-karane) zu ernähren, in Männerberufe einzudringen und genauso wie Männer Wis-senschaft und Kunst zu betreiben, um ihr Leben zu sichern.«278

Gemäßdiesem Zitat sei es das Bedürfnis der Frauen nach einem menschen-würdigen Leben, das sie zur Erwerbsarbeit führe. Die im Vergleich zur chine-sischen und islamischen Tradition als menschenunwürdig betrachtete Stellung der Frau in der europäischen Kultur wird als Grund für Bemühungen der Frauen nach wirtschaftlicher Emanzipation gesehen. Der Vorschlag einerÜbernahme des chinesischen Gesetzes resultiert aus derÜberlegung, dass das chinesische Gesetz auf der moralischen Lehre des Konfuzianismus basiere, welche für sä -kulare politische Systeme in Europa akzeptabler wäre als die islamische Rechtsprechung.

Die bisherigen Befunde zeigen, dass Feminismus als Gleichstellung von Mann und Frau verstanden wird, bei der Rollen und Pflichten nicht verteilt seien, sondern dass Frauen diejenigen des Mannes übernähmen. Mit dieser Gleich-stellung wird auf eine Entweiblichung geschlossen, wodurch Aufgaben der Er-ziehung und Haushaltsführung nicht mehr wahrgenommen würden. Mit dieser Argumentation wird Frauenemanzipation als Gefahr der sozialen Ordnung und als Ursache für Chaos präsentiert. Das Zurückweisen von Frauenemanzipation

278 Ebd., S. 2f.: »Avrupa’da hukuk-ı nisvan iÅin bu kadar gayret var. S¸ayet tedkikat-ı nisvaniye tarafdaranı Avrupa’da na’il-i muvafakkiyat olurlarsa ve yeniden medeni nisvanın tevs%’-i hukukunu mütekeffil kanunlar tanzimi cihetinde giderlerse o zaman C¸in kanunlarını aynen kabul ede vermek hem kolay hem da maksada kafi olur ve bu kanun icabınca bir bi-pare dul kadına zevcelik, validelik, ve kadınlık hukukunun heyet-i ictimaiye arasında en vas%’ ma-n’alarınca bahs¸ ettikleri imtiyazatdan müstefid olabilir. (…) Eg˘er Avrupalı erkekler cidden kadınlara himaye ve s¸efkat göstermis¸ ve onların izdivacına hiÅ bir menfaat gözetmeksizin talib olarak zevcelig˘e aldıg˘ı kadını da s.’%ve emeli ile, (…) istirahat ve saadete Åalıs¸mayı bir vazife-i insaniye bilmis¸ olsalar idi, kadınlar kendi kendilerini namuskarane beslemek iÅin is¸

güÅ aramag˘a ve ricalin salik oldukları mesleklere salik olarak ve onlar kadar ilim ve hüner kesb ederek te’min-i ta’yis¸ etmeye mecbur bulunmazlardı.«

aus der osmanischen Kultur kommt im Artikel von Ahmet Res¸it folgendermaßen zum Ausdruck:

»Bei uns gibt es keinen Platz für Feminismus. Feminismus ist die Frage von Europa und von Amerika, die bei uns nicht richtig verstanden wird. Unsere Frauen müssen le-diglich ihre grundsätzlichen Pflichten der Kindererziehung, der Haushaltsführung lernen. Und wenn wir Männer uns unserer Pflicht bewusst sind, wird die Ordnung im Leben sichergestellt werden.«279

Res¸it trifft diese Schlussfolgerung nach seinen Beschreibungen eines Vortrages des französischen Schriftstellers und Anhängers des Okkultismus Jules Bois (1868–1943)280in Paris. Der Vortrag befasste sich mit der vorangekommenen Frauenemanzipation in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und im Haus. Res¸it sei zusammen mit seiner Ehefrau bei diesem Vortrag gewesen und habe aus diesem Anlass mit ihrüber den Inhalt diskutiert. In dieser Diskussion seien er und seine Ehefrau zu dem Schluss gekommen, dass Feminismus nicht für die islamische Welt geeignet sei.

In der Zeitschrift gibt es Positionen, die dieser Haltung widersprechen. Ein Artikel, derüber die französische FrauenzeitungLa Frondeberichtet, sieht diese Zeitung als Beweis für den Erfolg der frauenemanzipatorischen Bewegungen.281 Diese Zeitung wurde im Jahre 1896 in Paris von der französischen Schauspie-lerin und Journalistin Marguerite Durand (1864–1936)282gegründet. Die Zeitung wurde ausschließlich von Frauen verwaltet und setzte sich für die Rechte der Frauen ein. Der anonym verfasste Artikel weist auf die hohe Bedeutung der Zeitung auch für osmanische Frauen hin. Sie sei ein Dienst für alle Frauen in der Welt und werde eine Begleiterin (refika) derGazetesein.

»Die Verwaltung, das Schreiben, die Regelung und sogar die ganze Produktionsarbeit dieser Zeitung wird von Frauenübernommen und in der Verwaltung und im Druck der Zeitung wird nie eine Manneshand dabei sein. In der in Zeitungen aufgegebenen Ausschreibung (…) ist [Folgendes] geschrieben:

›Frauen sind die Mehrheit in der Bevölkerung in Frankreich. Millionen von un-verheirateten und verwitweten Frauen führen hier ihr Leben ohne unter dem legalen 279 Res¸it, Ahmet.Monsieur Jules.In: Hanımlara Mahsus Gazete, 86–288, 9 Tes¸rin-i Sani 1316 (22. November 1900), S. 1–3, S. 3: »Bizde feminizmin yeri yoktur. Feminizm, bizde pekde dog˘ru anlas¸ılmayan s¸u mesele-i Avrupa’nındır, Amerika’nındır. Bizim kadınlarımız ancak aileye terbiye-i etfale, idare-yi beytiyeye mutlak vazaif-i esasiyelerini bihakkin ög˘renme-lidirler. Biz erkekler de vazifemizi bilince intiz.m-ı hayat te’min olunmus¸ olur.«

280 Dubois, Dominique. Jules Bois (1868–1943) : le reporter de l’occultisme, le poHte et le f8ministe de la belle8poque, Marseille 2006.

281 La Fronde: Paris’te Nisvana Mahsus Yevmi Bir Gazete (La Fronde: Eine Zeitung für Frauen in Paris).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 141, 4 K.nun-i Evvel 1313 (16. Dezember 1897), S. 3.

282 Rabaut, Jean.Marguerite Durand (1864–1936). » La Fronde « feministe, ou, »Le Temps « en jupons.Paris 1996.

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