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2. Hanımlara Mahsus Gazete (1895–1908)

2.4. Frauen im Westen

striellen Sektor aufgekommen waren. Die von einer neutralen Position aus dargestellte Situation des Erwerbslebens der Frauen wird mit an junge Frauen im Osmanischen Reich gerichteten Belehrungen beendet. Diese Belehrungen, die Asım mit der Anrede »Kızım« (meine Tochter) beginnt, sollen an die »wich-tigsten« Pflichten der Frauen in der Erziehung und im Haushalt erinnern. Die Stellungnahme, die der Autor am Ende seiner Artikel bringt, steht im Kontrast zu seinen nahezu objektiven Beschreibungen der Erwerbsarbeit der Frauen in den USA und in Europa. Was er in diesen Beschreibungen auslässt, ist die Frage der Kinderbetreuung und Haushaltsführung, mit der das Publikum erst am Ende des Artikels konfrontiert werden soll. Nochmals wird der Unterschied zum Osmanischen Reich gezeigt, wo die soziale Ordnung Frauen nicht zur Er-werbsarbeit zwinge.

Die Pflichten der Frauen in der Familie werden auch im Artikel von Hamiyet Zehra mit der Frauenerwerbsarbeit in Europa und in den USA kontrastiert.322In ihrer Vorstellung, die sie auf den Islam bezieht, haben Männer und Frauen unterschiedliche Pflichten, die in ihrem Leben im Vordergrund stehen müssten.

Es gebe so viele Berichteüber Frauen in Europa und den USA, die verschiedene Tätigkeiten ausübten, die zum Beispiel Anwältin und gleichzeitigÄrztin seien.

Solche Frauen seien Ausnahmefälle. Mit dieser Beschreibung wirft Zehra den Zeitungen vor, durch solche Berichte osmanische Frauen zur Erwerbsarbeit zu verführen und sie von den »eigentlichen« Pflichten abzuhalten. Zudem richtet Zehra sich an die Familien der Oberschicht, die ihre Kinder sehr früh, nämlich mit sechs und sieben Jahren, dazu zwingen würden, Fremdsprachen zu lernen, statt sie mit den Fähigkeiten auszustatten, die ihren »natürlichen« Rollen ent-gegenkämen.

Die antiwestliche Haltung dieser Position wird in einem weiteren Bericht erkenntlich, der sich ebenfalls mit Pflichten und der Erwerbsarbeit der Frauen beschäftigt, zusätzlich auch Erklärungen bringt, warum immer mehr Frauen in Europa und den USA nicht verheiratet seien:

»Und diese [die unverheirateten Frauen] sind im Vergleich zu früheren Epochen viel mehr mit den bürgerlichen Erfordernissen beschäftigt. Schmuck, Modeüberfordern sie, die Gründe und die Mittel, um gut auszusehen, belasten sie und die ziemlich übertriebenen Bedürfnisse führen dazu, dass eine Frau spät in die Ehe eingeht und die als das Heiligste geltenden Ehen schwinden. Auf diese Weise altern junge Männer, verwelkt die Jugendlichkeit der jungen Mädchen; die Haushaltsführung und der Le-bensunterhalt der Familie sind zwar wichtig, aber aufgrund dieses wirtschaftlichen Umstandes schwindet die Seele des Landes.«323

322 Zehra, Hamiyet. Kadınlarda Vazife (Pflichten bei den Frauen).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 25, 13 Tes¸rin-i Sani 1311 (25. November 1895), S. 2–3.

323 Avrupa’da Kadınlar KaÅ Yas¸ında Teehhül Ediyor? (In welchem Alter heiraten Frauen in Europa?).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 299, 13 S¸ubat 1318 (26. Februar 1903), S. 2,

Frauen im Westen 97

Das Bild von der schwindenden Seele wird auch von Berichten und Artikelnüber den Alkoholkonsum der Frauen in Europa impliziert. Ein Artikel bringt extreme Beispiele von englischen Frauen, wie sie ihren Alkoholkonsum verbergen. Eine Frau, die in Folge eines Unfalls einen Finger verloren habe und nun eine Fin-gerprothese trage, fülle diese Prothese mit Alkohol, um sich daraus gelegentlich zu betrinken. Viele Frauen ließen ihre Hüte mit Trauben aus Kautschuk deko-rieren, die Alkohol enthielten. Diese Übertreibungen und phantastischen Er-findungen gebe es, weil in England Alkoholkonsum bei den Frauen sehr verpönt sei.324

Es gibt auch Artikel, dieüber die schlechte Erziehung der Mädchen durch die Romanliteratur in Europa berichten. Ali Muzaffer schreibt beispielsweise in einem Artikel, dass es in Frankreich deshalb ein Verbot gebe, Romane an Mädchen zu verkaufen.325 Ein weiteres Thema im Zusammenhang mit euro-päischen und US-amerikanischen Frauen ist das Fahrrad, das unter den Frauen in Europa sehr verbreitet sei. Auch in Istanbul gebe es immer mehr Frauen, die mit dem Fahrrad unterwegs seien. Dabei sei der Aspekt der Mobilität ein wichtiger Grund, warum die Frauen es benutzten. Dennoch raten diese Artikel jungen Frauen davon ab, Fahrrad zu fahren, weil die medizinischen Auswir-kungen noch nicht bekannt genug seien.326

Frauen, die in Wohltätigkeitsvereinen tätig sind und die sich für zivilgesell-schaftliche Tätigkeiten engagieren, sind auch ein Thema, mit dem sich die Au-torinnen und Autoren der Zeitschrift beschäftigen. Talat Ali entnimmt einer französischen Zeitung den Berichtüber eine weibliche Freiwilligenfeuerwehr in einem Spital in Chicago.327Ein weiterer Artikel berichtetüber Frauen, die sich im Roten Kreuz in Deutschland engagieren. In Deutschland seien 240 000 Frauen Mitglied von Gesundheits-/Pflegevereinen (sıhhiye cemiyetleri) und arbeiteten auch mit dem Roten Kreuz zusammen. Sie hätten zum Beispiel ein Kinderspital S. 2: »Bunlar da edvar-ı sabıkaya nazaran daha ziyada icabat-ı medeniye ile mes¸gul bu-lunuyorlar. Süs, moda onları h.his¸ kılıyor, iyi görünmek esbab ve vesaiti onları per-ıztırab kılıyor ve gayet f.his¸ olan ihtiyacat-ı mais¸et bir kadının daire-i izdivacın geÅ girmesini, en mukadess ad olunan teehhüllerin tahrini mucib oluyor. Bu surette delikanlı erkekler yas¸lanıyor, taze kızlarında s¸ükufe-i s¸ebabı solmus¸ bulunuyor, idare-i beytiye, mais¸et-i aile gerÅi mühimdir, fakat s¸u hal-ı iktisattan dolayı da ruh-ı memleket gayb olu-yor.«

324 Müskirat ve Londra Kadınları (Alkohol und Londoner Frauen).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 19, 8 Temmuz 1320 (21. Juli 1904), S. 295–298.

325 Muzaffer, Ali.Kadınlar ve Hik.ye Kitapları (Frauen und Geschichtenbücher).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 10, 6 Mayıs 1320 (19. Mai 1904), S. 147–148.

326 Vgl.Velosipit ve GenÅ Kızlar (Fahrrad und junge Frauen).In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 94, 26 K.nun-i Evvel 1312 (7. Januar 1897), S. 7–8.

327 Ali, Talat.Chicago’da Hastane Kadınlarının I˙tfa-yı Harikte Hidematı (Feuerwehrdienst der Frauen im Spital in Chicago). In: Hanımlara Mahsus Gazete, No: 398, 6 S¸ubat 1318 (19. Februar 1903), S. 1–2.

und eine Waldschule gegründet. Sie unterstützten Mütter, die arbeiten müssen, in der Kinderbetreuung.328

Diese letzten Befunde zeigen, dass eine breite Palette von Themen, die den Alltag der Frauen in westlichen Ländern betrafen, in derGazeteaufgenommen und präsentiert wurden. Die Erwerbsarbeit der Frauen bedeutete für die Auto-rinnen und Autoren in erster Linie, gegen die als natürlich verstandene Ge-schlechterordnung zu sein.