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10 Interpretation

10.2 Die Rezeption der sportlichen Aspekte des WM-Turniers

10.2.1 Vor dem Turnier

10.2.2.2 Frankreich aus französischer Sicht

Wie bereits beschrieben, schätzten die untersuchten französischen Medien das eigene Team im Vorfeld eher schwach ein. Schon ein Weiterkommen in das Viertelfinale wurde dort als großer Erfolg bezeichnet. Ob aufgrund dieser Skepsis oder weil die Partien zeitlich nicht in die sonntägliche Erscheinungsweise des Blattes passten, bleibt ungeklärt, Tatsache ist aber,

638 Daily Mail, 28. Juni 1954, 7.

639 The Daily Telegraph and Morning Post, 28. Juni 1954, 4.

640 Vgl. Daily Mail, 28. Juni 1954, 7.

641 Daily Worker, 28. Juni 1954, 4.

642 Vgl. Daily Worker, 28. Juni 1954, 4.

643 Daily Worker, 28. Juni 1954, 4.

dass sich L’Humanité Dimanche praktisch gar nicht mit der eigenen Nationalmannschaft beschäftigt.

Nach der Auftaktniederlage gegen Jugoslawien beklagt Le Monde vor allem, dass die gleichen Fehler gemacht worden seien wie bei einem Freundschaftsspiel gegen denselben Gegner im Oktober 1953. Die Mannschaft habe zwar stark gekämpft und wenigstens in Teilen der ersten Halbzeit gut gespielt, danach sei das Team aber wieder eingebrochen. „[L]eur supporters, […], retrouvaient bientôt les mêmes faiblesses, décelaient les mêmes erreurs.”644 Wenn diese Fehler vermieden worden wären, sei ein Sieg gegen die Jugoslawen nicht außerhalb der Reichweite gewesen.

Besonders starke Kritik wird an den beiden französischen Stürmern und Vereinskameraden Kopa und Glovacki geübt. Die Aussage, die Le Monde über ihre Leistung macht, liest sich entsprechend:

C’était oublier que devant les mêmes adversaires les deux mêmes joueurs n’avaient, à l’automne, pratiquement rien fait de bon. Hier les deux compères se cherchèrent pendant toute la partie sans se trouver. Cette mésentente grave, ce divorce total entre deux footballeurs qui jouèrent toute la saison côté à côté, et qui brusquement se comportent comme s’ils ne s’étaient jamais vus, préludèrent à la faillite de nos attaque.645

Le Figaro lobt das Team für das Auftreten und erkennt im Gegensatz zu Le Monde eine Leistungssteigerung zum Ende des Spiels hin. Dies sei, laut dem Blatt, auch von den neutralen Zuschauern gewürdigt worden, die dadurch begonnen hätten, die französische Auswahl anzufeuern. Die Zeitung schließt ihren Bericht mit einer klaren Prognose: „En tout cas, équipe courageuse mais aux moyens limités, la sélection française paraît en mesure de vaincre, croyons-nous, le Mexique.“646 Vergleichbar mit den untersuchten englischen Zeitungen finden also auch die französischen Pendants Gefallen an eindeutigen Prognosen.

Mutiges Auftreten, aber keine koordinierten Aktionen: So beschreibt L’Équipe das erste Auftreten der Franzosen. Die Jugoslawen seien keineswegs brillant gewesen, Kopa und Glovacki, die damit erneut hart kritisiert werden, dafür jedoch noch viel schwächer. Die Zeitung gibt das Team jedoch noch nicht auf, sondern setzt auf ein Relegationsspiel erneut gegen Jugoslawien, was auch durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte, wenn Jugoslawien im zweiten Gruppenspiel wie allgemein erwartet gegen Brasilien verloren hätte.647 Für den Autor von L’Équipe liegt in einem erneuten Aufeinandertreffen die Chance

644 Le Monde, 18. Juni 1954, 11.

645 Le Monde, 18. Juni 1954, 11.

646 Le Figaro, 17. Juni 1954, 7.

647 Vgl. L’Équipe, 17. Juni 1954, 10.

zur Revanche. „Et cette joie de la victoire difficile, je l’attends de vous tous, mes copains du Club France!“648 Noch können sich die Spieler in Augen der Zeitung also rehabilitieren.

Vor dem entscheidenden Gruppenspiel gegen Mexiko zieht Le Monde vor allem aus der Rückkehr der Spieler Mahjoub und Marche Optimismus.649 Im Bericht des Figaro werden wenig Zweifel an einem französischen Sieg angemeldet. „Sans témoigner d’une confiance exagérée, les Français espèrent en effet battre le Mexique.“650 Wenigstens hätten die Franzosen laut L’Équipe nicht überrascht werden können, da sie während eines dreiviertelstündigen Vortrags alles Wissenswerte über Stärken, Schwächen und Spielweise der Mexikaner gehört hätten.651

Nach dem unglücklichen Ausscheiden der Franzosen trotz des 3:2-Sieges gegen Mexiko erkennt Le Monde ohne Umschweife an, dass „nos joueurs sont moins bons que les Brésiliens et les Yougoslaves“652. Wenigstens werde man durch den Sieg nicht mit leeren Händen zurückkehren.653 Die Spieler müssen sich trotzdem heftiger Kritik stellen. „Rien n’est plus douloureux en effet que de voir des joueurs dont on sait la valeur et les qualités se montrer maladroits, lourds et empruntés, et apparâitre comme des novices dans un jeu qui est aussi leur métier.“654 Die Mannschaft habe darüber hinaus trotz eines zweitklassigen Gegners wieder für eine Enttäuschung gesorgt.

Auch Le Figaro spielt im Bericht vor allem auf die Schwäche der Mexikaner an. Sie seien zwar gute Techniker, insgesamt habe sich ihr Spiel allerdings als äußerst limitiert herausgestellt. Dies hätte von den Franzosen besser ausgenutzt werden müssen, wozu sie jedoch nicht in der Lage gewesen wären. Der Mannschaft wird auf diese Weise die internationale Klasse abgesprochen.655

Libération hat sogar festgestellt, dass durch die schwache Leistung der eigenen Mannschaft animiert, gegen Ende des Spiels selbst die französischen Fans auf Seiten der Mexikaner gestanden hätten. Auch hier fehlt nicht die Anmerkung, das Spiel sei nur durch die Schwäche des Gegners siegreich verlaufen.656 Deutliche Kritik äußert die Zeitung allerdings am Modus des Turniers, der den Franzosen, die eigentlich noch eine weitere Chance verdient hätten, das Weiterkommen gekostet hätte.657 Ein direkter Hinweis darauf, dass sich die Brasilianer und

648 L’Équipe, 17. Juni 1954, 10.

649 Vgl. Le Monde, 20. Juni 1954, 7.

650 Le Figaro, 19./ 20. Juni 1954, 6.

651 Vgl. L’Équipe, 19. Juni 1954, 1.

652 Le Monde, 22. Juni 1954, 11.

653 Vgl. Le Monde, 22. Juni 1954, 11.

654 Le Monde, 22. Juni 1954, 11.

655 Vgl. Le Figaro, 21. Juni 1954, 11.

656 Vgl. Libération, 21. Juni 1954, 8.

657 Vgl. Libération, 21. Juni 1954, 8.

Jugoslawen eventuell auf ein Unentschieden, das im Endeffekt beiden nutzte, geeinigt haben könnten, fehlt jedoch. Dieser naheliegende Schluss ist dem Blatt offenbar etwas zu gewagt.

Von einem Unentschieden zwischen den hoch favorisierten Brasilianern und den höchstens als Geheimfavorit gehandelten Jugoslawen konnte im Vorfeld jedenfalls nicht ausgegangen werden. Le Monde und Le Figaro hatten die Probleme des Modus stattdessen gar nicht erst benannt oder bewusst nicht in ihre Spielberichte integriert, um nicht als schlechte Verlierer dazustehen.

L’Équipe versucht gar nicht erst, Entschuldigungen für das Ausscheiden der Franzosen zu finden. „L’équipe de France est morte, vive le Championnat du monde!“658, leitet die Zeitung ihren Leitartikel nach dem 3:2-Sieg gegen Mexiko ein. Trotz des Sieges sei die Leistung gegen Mexiko noch schlechter als diejenige gegen Jugoslawien gewesen. „Devant une formation qui aurait du mal à jouer un rôle moyen dans notre Division II, nos internationaux ont opéré sans flamme, sans organisation, sans talent.“659 Die Kritik wird noch vernichtender:

Die einzige Ungerechtigkeit hätte darin bestanden, wenn Frankreich erneut gegen die starken Jugoslawen hätte antreten dürfen. Aufgrund der Tatsache, dass die Mannschaft vor dem Turnier gesetzt worden sei und damit Brasilien während der Vorrunde aus dem Weg gehen konnte, habe das Team bereits genug von dem fragwürdigen Modus profitiert. Von nun an müsse das Hauptaugenmerk auf der WM 1958 liegen.660 Der komplette französische Fußball müsse auf den Prüfstand gestellt werden.661