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10 Interpretation

10.2 Die Rezeption der sportlichen Aspekte des WM-Turniers

10.2.1 Vor dem Turnier

10.2.1.2 Die Einschätzung der Teams

10.2.1.2.4 Das österreichische Team im Spiegel österreichischer Medien

Die Wiener Zeitung strotzt bereits einige Wochen vor Turnierbeginn vor Selbstbewusstsein bezüglich der eigenen Mannschaft. Vor dem Testspiel gegen Wales ist der Tenor deutlich:

Wir glauben, daß unser Team wieder im Kommen ist. Wir brauchen uns weder vor Wales noch vor Schottland [einer der österreichischen Gruppengegner bei der Endrunde – Anm. d. Verf.] zu fürchten.

Spieler wie Happel, Stotz, Ocwirk und Hanappi würden jeder Nationalmannschaft zur Zierde gereichen.

Wer diese Spieler hat, muß bei richtigem Spielaufbau auch imstande sein, gegen den schwersten Gegner zu gewinnen.476

467 L’Équipe, 7. Mai 1954, 5.

468 Vgl. L’Équipe, 19. Mai 1954, 6.

469 Vgl. L’Équipe, 25. Mai 1954, 12.

470 Vgl. L’Équipe, 29. Mai 1954, 1.

471 Vgl. L’Équipe, 31. Mai 1954, 1.

472 L’Équipe, 1. Juni 1954, 6.

473 Vgl. L’Équipe, 1. Juni 1954, 6.

474 Vgl. L’Équipe, 11. Juni 1954, 9.

475 L’Équipe, 16. Juni 1954, 11.

476 Wiener Zeitung, 7. Mai 1954, 6.

Umso heftiger fällt nach dem Spiel trotz eines 2:0-Sieges die Kritik aus. Wenn die Teambetreuer keine starken Stürmer hervorbrächten, müsse die Mannschaft in der Schweiz als chancenlos bezeichnet werden.477 Die Abschlussschwäche der Mannschaft prägt – wie auch das Pendeln zwischen emotionalen Extremen – die Berichterstattung der folgenden Wochen. Nach einem 7:0-Sieg im Testspiel gegen den AC Mailand lobt das Blatt beispielsweise die „weitere Leistungssteigerung des Angriffs“478. Fünf Tage später sieht die Zeitung das Team „für die WM gut vorbereitet“479. Die Stürmer hätten ihre Schussschwäche abgelegt, die Taktik sei den Gegebenheiten des modernen Fußballs angepasst worden, und zum richtigen Zeitpunkt scheine die Mannschaft wieder in Form zu kommen.480 „Den energischen Maßnahmen der Verantwortlichen ist es zu verdanken, daß unsere Nationalelf […] fast über Nacht zum gefährlichen Rivalen der favorisierten Weltmeisterschaftskandidaten geworden ist.“481

Für die Salzburger Nachrichten sind die Waliser im Testspiel nur ein „Aufbaugegner“, Österreich ist „turmhoher Favorit“482. Danach kritisiert auch diese Zeitung insbesondere den Sturm – und dies bereits im Hinblick auf die Weltmeisterschaft. „Wenn Österreich nur einen Teil jener Chancen, die am Sonntag nicht verwertet wurden, in der Schweiz zu Toren umsetzen kann, braucht uns um das Abschneiden des Teams nicht bange zu sein.“483 Ausgedient habe außerdem das zwar schön anzusehende, aber uneffektive sogenannte Scheiberl-Spiel der Österreicher, die zu diesem Zeitpunkt noch ausschließlich aus Spielern Wiener Mannschaften bestehen. „Der Killerstil hat den Ball-verliebten Zauberern den Rang abgelaufen. Überall. Nur in Wien will man es einfach nicht glauben.“484 Umso verwunderlicher erscheint da im selben Artikel, der fachlich hervorragend die taktischen und spielerischen Anforderungen des 1954 modernen Fußballs analysiert, die Forderung nach einer „wienerischen Note“485 im Sturm. Aufgeklärt wird dies zum Schluss. Die Wiener Fußballer sollten auch weiterhin „scheiberln“, nur eben in doppeltem Tempo, fordert die Zeitung.486 Auch in den weiteren Wochen vor Beginn der WM glänzt die Zeitung mit fachlich herausragenden Taktikanalysen. So wird beispielsweise im Detail das neue WM-System der

477 Vgl. Wiener Zeitung, 11. Mai 1954, 6.

478 Wiener Zeitung, 6. Juni 1954, 6.

479 Wiener Zeitung, 11. Juni 1954, 6.

480 Vgl. Wiener Zeitung, 11. Juni 1954, 6.

481 Wiener Zeitung, 11. Juni 1954, 6.

482 Salzburger Nachrichten, 8. Mai 1954, 7.

483 Salburger Nachrichten, 10. Mai 1954, 4.

484 Salzburger Nachrichten, 11. Mai 1954, 8.

485 Salzburger Nachrichten, 11. Mai 1954, 8.

486 Vgl. Salzburger Nachrichten, 11. Mai 1954, 8.

Österreicher vorgestellt und Varianten der Mannschaftsaufstellung werden abgewogen.487 Im Gegensatz zur Wiener Zeitung analysieren die Salzburger Nachrichten auch vermeintlich von der Wichtigkeit untergeordnete Testspiele wie ein 3:3 des WM-Kaders gegen Jahn Regensburg im Detail.488 Ein 5:0 im Testspiel gegen Norwegen Ende Mai sorgt dann auch dafür, dass sich die Zeitung von Technik und Kondition der Nationalmannschaft im Hinblick auf die Weltmeisterschaft überzeugen lässt. Bemängelt werden die Fehler und Schwächen während der ersten Halbzeit.489 Gern nimmt das Blatt jedoch das Ergebnis einer WM-Prognose unter jugoslawischen Journalisten auf, die Österreich als Kandidat für das Halbfinale sehen.490 Eine gute Woche später folgt erneut die Kehrtwende. Nun heißt es in einem Bericht über mögliche Favoriten „Österreich wird nicht allzu hoch eingeschätzt“491. Diese Extreme bei der Betrachtung der Mannschaft waren bereits bei der Analyse der Wiener Zeitung aufgefallen. Prinzipiell scheinen die Salzburger Nachrichten auf die Qualifikation für das Viertelfinale mit dem geringsten Aufwand zu liebäugeln. Mehrmals wird vorgerechnet, dass ein Sieg im Auftaktspiel gegen Schottland genüge, um im zweiten Gruppenspiel gegen die Tschechoslowakei bereits auf Unentschieden spielen zu können und damit sicher weiter zu sein. Nur so viel Anstrengung wie nötig – diese verbreitete Einstellung im österreichischen Fußball wird auch von Experten weiterhin transportiert. „Ein schön verlorenes Spiel ist immer noch besser als eine peinliche Willensanstrengung von Natur aus Minderbegabter […]. Wenn der Weg zum Erfolg mit Qual verbunden ist, wählt der Österreicher lieber den moralischen Sieg.“492

Die bereits mehrmals angeführte Verspieltheit des österreichischen Fußballs schlägt sich auch auf die beobachtenden Medien nieder. Da titeln die Salzburger Nachrichten über das Norwegen-Testspiel vom „Wiener Walzer im Schnürlregen“493. Die Presse beschreibt vor dem Testspiel gegen Wales den Gegner als einen „unterlegenen Boxer, der durch seine Wucht und Schlagkraft auch einen eleganten, dominierenden Gegner überraschend k.o. zu schlagen vermag“494. Nach dem Sieg, der nach Meinung des Blattes höher hätte ausfallen können495, wird dieser verschnörkelte, bildhafte Sprachstil fortgesetzt.

Nach dem Länderkampf gegen Ungarn [gemeint ist die 0:1-Niederlage Österreichs am 11. April des Jahres in Wien, bei dem ein Eigentor Ernst Happels für den knappen ungarischen Sieg sorgte – Anm. d.

487 Vgl. bspw. Salzburger Nachrichten, 19. Mai 1954, 8.

488 Vgl. Salzburger Nachrichten, 28. Mai 1954, 8.

489 Vgl. Salzburger Nachrichten, 31. Mai 1954, 4.

490 Vgl. Salzburger Nachrichten, 4. Juni 1954, 10.

491 Salzburger Nachrichten, 12. Juni 1954, 7.

492 Adrian/Schächtele 2008, 83.

493 Salzburger Nachrichten, 31. Mai 1954, 4.

494 Die Presse, 6. Mai 1954, 10.

495 Vgl. Die Presse, 11. Mai 1954, 10.

Verf.] wuchs das schlanke Bäumchen unserer Fußballhoffnungen zu einem festen Baum heran. Wie ein warmer Frühlingsregen sorgte unser Optimismus dafür, daß er stark wurde. Gegen Wales zeigte er die ersten Früchte. Aber es fehlten Männer, die diese Früchte mutig heruntergeschüttelt hätten. Das 2:0 war eine magere Ernte.496

Trotz aller Abschlussschwäche sei der Sieg jedoch verdient gewesen. Kritik muss sich hier jedoch auch die österreichische Abwehr – „wir nennen sie selbstgefällig gerne die beste Europas“497 – gefallen lassen.498 Vor allem das Trainingslager der Mannschaft sollte nach Meinung des Blattes genutzt werden, die Schwächen im Abschluss abzulegen. „Forcierung der Schusskraft!“499, lautet das Motto, das sich Die Presse auch von Trainer Edi Frühwirth bestätigen lässt.500 Das Testspiel gegen die CSSR bekommt dann auch den „Charakter einer wichtigen Generalprobe“501. Offensiv versucht die Zeitung im Anschluss mehrmals die Arbeit der Trainer zu beeinflussen.502 „Es wird Zeit, daß man mit den Experimenten bei der Mannschaftsaufstellung aufhört!“503 und „Das Technikerkomitee muss nun endlich ein klares Konzept für die Bildung der österreichischen Nationalmannschaft finden“504, lauten die Forderungen. In den Angriff fasst die Zeitung nach den Testspielen wieder einiges Vertrauen.

„Österreichs Angriff zerbombte den FC Milan“505, titelt das Blatt in martialischer Sprache nach dem Testspielsieg gegen den italienischen Verein. Die Abwehr bleibt nach dem Testspiel gegen Norwegen aber in der Kritik. „Auch in diesem Spiel gaben sich unsere Verteidiger wieder einige Blößen.“506 Wohlgemerkt hatte Österreich das Aufeinandertreffen mit 5:0 gewonnen. Ähnlich wie die Salzburger Nachrichten übernimmt auch Die Presse mit Freude Experteneinschätzungen aus dem Ausland, die Österreich bei der WM weit vorn sehen. „Ungarns Sportfunktionäre bezeichneten […] Österreichs Elf erneut als den gefährlichsten Gegner der Magyaren.“507 Kurz vor Beginn der Endrunde verortet die Zeitung die österreichische Mannschaft als einen großen Außenseiter. Eine ehrenvolle Platzierung sei möglich.508 Trotzdem baut Die Presse wie zum Selbstschutz bereits vor:

Es wäre aber falsch, die Ergebnisse der Weltmeisterschaft zu überschätzen. Sicher, unser gutes Team hat Aussichten, die zwei Spiele des Achtelfinales erfolgreich zu beenden und in das Viertelfinale aufzusteigen. Sollte es aber scheitern, dann werden wir uns hüten, von einem nationalen Unglück zu

sprechen. Im Fußballsport entscheidet nicht nur das Können. Dem Tüchtigen muß auch das Glück beistehen, soll ein Erfolg sichtbar werden. Österreich war in den vergangenen Monaten nicht gerade vom Glück begünstigt. Vielleicht stellt es sich jetzt ein.509

Erneut wird hier eine offensichtliche Eigenart des österreichischen Fußballs deutlich. Das Glück wird in der Textstelle zwar vorsichtig beschworen, verlassen will man sich darauf jedoch nicht. Das Glück zu erzwingen, gelte österreichischen Fußballern als deutsche Eigenart – und damit nicht nacheifernswert. Sie setzen stattdessen auf ihr Genie.510 „Man darf es sogar verschlampen, man muss es vielleicht gar!“511 Das bereits angeführte Zitat mit dem schön verlorenen Spiel, das der peinlichen Willensanstrengung Minderbegabter vorzuziehen sei512, entfaltet hier erneut seine Wirkung. Genau in diesem Zusammenhang sind auch die vorsichtigen Äußerungen der Presse im Bezug auf Österreichs Chancen bei der WM 1954 einzuordnen. Vor dem ersten Spiel gegen Schottland – dem „ersten Waffengang“513 – äußert sich Die Presse trotz des starken Gegners jedoch wieder sehr optimistisch, was die Siegchancen des eigenen Teams angeht.514

10.2.1.2.5 Das schweizerische Team im Spiegel der schweizerischen Medien

Insbesondere im Bezug auf die eigene Nationalmannschaft aber auch auf die deutsche Nationalmannschaft im Umfeld der WM 1954 ist ein Vergleich von deutsch- und französischsprachigen Zeitungen aus der Schweiz von besonderem Interesse, gelten doch traditionell die Westschweizer eher Frankreich zugewandt, die Deutschschweizer zumindest kulturell eher Deutschland. Dieses Konfliktpotenzial zeigte sich über Jahrzehnte auch immer wieder beim Fußball.515 „Den Unterschied zwischen welschem und deutschem Temperament gab es immer, je besser aber der Ausgleich funktionierte, desto stärker präsentierte sich der Schweizer Fußball.“516

Zunächst fällt in der NZZ in den Wochen vor der Weltmeisterschaft die geradezu sprichwörtliche Neutralität der Schweizer auf. Bei der Bekanntgabe des vorläufigen Kaders der Schweizer für die Endrunde fehlen Analysen und Kommentare über die Wahl der

509 Die Presse, 15. Juni 1954, 8.

510 Vgl. Adrian/ Schächtele 2008, 83.

511 Adrian/ Schächtele 2008, 83.

512 Vgl. Adrian/ Schächtele 2008, 83.

513 Die Presse, 16. Juni 1954, 8.

514 Vgl. Die Presse, 16. Juni 1954, 8.

515 Vgl. Bortlik 2008, 15.

516 Bortlik 2008, 15.

Selektionäre vollständig.517 Wenn wir uns erinnern, nahmen beispielsweise die untersuchten österreichischen Zeitungen zum ähnlichen Zeitpunkt bereits deutlicher Stellung. Auch das der für die WM ausgewählte Ball ohne Firmenaufschriften und stattdessen mit „anonymen Bezeichnungen“518 bedruckt sei, ist dem Blatt eine ganze Meldung wert. Nahezu euphorisch erscheinen da bereits die Einlassungen zum Testspiel der Schweiz gegen Uruguay zur offiziellen Eröffnung des Stadions in Lausanne. „Eine eindrucksvollere Ouvertüre hätte sich Lausanne für das bevorstehende nationale Sportereignis nationalen Formats wirklich nicht ausdenken können.“519 Das Spiel selbst wird von der Zeitung dann jedoch als „eine leicht verunglückte Hauptprobe für das Weltmeisterschaftsturnier“520 bezeichnet. Die Gründe:

Beide Mannschaften hätten nur gut eine halbe Stunde in ihren Standardformationen gespielt, die Uruguayer nach einem Platzverweis fast eine Halbzeit mit zehn Mann. Die Leistung der Schweizer, die immerhin ein 3:3 gegen den noch amtierenden Weltmeister erreichten, sei entsprechend schwer einzuschätzen. Bis zur Pause habe sich die Mannschaft jedoch gut geschlagen, sei danach wegen der vielen Laufarbeit während der ersten 45 Minuten aber womöglich müde gewesen.521 Abgeschlossen wird der Bericht mit einem Appell an die Trainer: „Und nun möchte man nur noch wünschen, daß die schweizerischen Selektionäre am kommenden Sonntag endlich ihre Karten aufdecken und uns die schweizerische Mannschaft sehen lassen werden, die wirklich für das Weltmeisterschaftsturnier in Aussicht genommen ist.“522 Die Endrunde rückt näher, und das Blatt legt seine Zurückhaltung entsprechend ab.

Bezüglich der Chancen der ‚Nati‛ bei der Endrunde verhehlt die Zeitung jedoch kaum ihre Skepsis. „Wird sie einigermaßen in Ehren bestehen?“523, fragt die Zeitung nach einem 3:1-Testspielsieg gegen Holland. Immerhin habe sich die Mannschaft spielerisch besser aus der Affäre gezogen, als zu erwarten gewesen sei.524 Einen Tag später ist die Skepsis noch offensichtlicher. In den Länderspielen seit vorhergegangenem Herbst sieht das Blatt eine

„rückläufige Bewegung“525. Die Mannschaft bräuchte zur „Rekuperierung ihrer geistigen und physischen Kräfte dringend eine Kampfpause“ zum „Wiederaufladen“ ihrer „ausgebrannten Motoren“526 bis Endrundenbeginn. Die Generalprobe für die Weltmeisterschaft sei nicht

517 Vgl. NZZ, 8. Mai 1954, Blatt 5.

518 NZZ, 15. Mai 1954, Blatt 8.

519 NZZ, 24. Mai 1954, Blatt 6.

520 NZZ, 25. Mai 1954, Blatt 8.

521 Vgl. NZZ, 25. Mai 1954, Blatt 8.

522 NZZ, 25. Mai 1954, Blatt 8.

523 NZZ, 31. Mai 1954, Blatt 6.

524 Vgl. NZZ, 31. Mai 1954, Blatt 6.

525 NZZ, 1. Juni 1954, Blatt 8.

526 Alle NZZ, 1. Juni 1954, Blatt 8.

geglückt.527 Kurz vor WM-Beginn beruft sich die NZZ auf die Vergangenheit der Schweizer bei den bisherigen Endrunden. Die Gruppengegner Italien und England seien zwar auf dem Papier Favoriten, 1938 habe die Schweiz jedoch überraschend gegen Deutschland gewonnen, 1950 gegen Brasilien Unentschieden gespielt.528 „Ein Schweizer Team, dem man wenig Chancen gab, landete vor 30 Jahren beim Pariser Olympiaturnier im Final, und diese Tatsache gibt dem Team der Rotweißen vielleicht den Ansporn zu einer neuen Sonderleistung.“529 Von echter Überzeugung, dass die eigene Mannschaft im Turnierverlauf weit vorrücken könnte, sprechen diese Erinnerungen an zum Teil weit zurückliegende Begebenheiten jedoch nicht.

Für die Basler Nachrichten ist die WM im eigenen Land zuallererst auch Verpflichtung für das eigene Team. Alles, was der Leistung der Nationalmannschaft schaden könnte, wird dementsprechend kritisch beäugt. Auf ein Testspiel gegen Deutschland vom 25. April bezogen, das die Schweiz nach 0:4-Halbzeitrückstand am Ende mit 3:5 verlor, kritisiert die Zeitung – offenbar angetrieben von diversen Leserzuschriften – die Experimentierfreude des Schweizer Trainers Karl Rappan. Die Zeitung formuliert die Sorge, dass die Schweiz vielleicht doch nicht so schlagkräftig sein könnte, wie allgemein erwartet worden war.530 Es bestehe aber auch der Wunsch,

der alle Freunde unserer Sache erfüllt, daß unser Land besonders diesmal, wo ja in unserer Heimat um die Weltmeisterschaft gekämpft wird, mit einer Nationalelf antreten möge, die für das rotweisse Banner Helvetiens ebenso viel Ehre einzulegen wie würdigen Erfolg einzuheimsen vermag – eine Nationalmannschaft, auf die wir als veranstaltende Nation […] stolz sein können531.

Das Druckszenario, das die Zeitung damit aufbaut, ist kaum zu überhören und verträgt sich kaum mit den Einlassungen, „alles zu vermeiden, was eine konzentrierte Vorbereitung unserer Nationalmannschaft irgendwie stören könnte“532. In die Pflicht genommen werden allerdings auch die Schweizer allgemein – „und wir meinen wirklich ausnahmslos jedermann“533, damit es „Spiele der Freude“534 werden.

Für das Testspiel gegen Uruguay wird die Mannschaft von der Zeitung in einer ausführlichen Taktikanalyse noch gelobt, weil sie gutes Teamwork gezeigt hätte. „Grosse Distanzen zwischen Verteidigern und Läufern und zwischen diesem und unserem Sturm gab es nicht allzu oft.“535 Die Leistung gegen Holland erntet allerdings Kritik. Zwar sei ein festes

527 Vgl. NZZ, 1. Juni 1954, Blatt 8.

528 Vgl. NZZ, 15. Juni 1954, Blatt 3.

529 NZZ, 15. Juni 1954, Blatt 3.

530 Vgl. Basler Nachrichten, 6. Mai 1954 (Tagesausgabe), 4.

531 Basler Nachrichten, 6. Mai 1954 (Tagesausgabe), 4.

532 Basler Nachrichten, 6. Mai 1954 (Tagesausgabe), 4.

533 Basler Nachrichten, 6. Mai 1954 (Tagesausgabe), 4.

534 Basler Nachrichten, 6. Mai 1954 (Tagesausgabe), 4.

535 Basler Nachrichten, 3. Juni 1954 (Tagesausgabe), 4.

taktisches Konzept vorhanden, es fehle jedoch am „letzten Mann und insgesamt wohl auch an der letzten Kraft“536. Einmal mehr wird hier deutlich, dass die Kommentatoren der damaligen Zeit zwar taktisch analysieren können, von effektiver Trainingssteuerung jedoch wenig bis gar nichts verstehen. Nicht zum ersten Mal wird Mannschaften einige Wochen vor Beginn der Endrunde unterstellt, nicht in körperlicher Topform zu sein. Dass sich ein effektiver Formaufbau jedoch nicht an Testspielen, sondern am ersten Turnierspiel orientiert, scheint zu diesem Zeitpunkt offenbar höchstens Trainern bewusst gewesen zu sein. Mit der endgültigen Auswahl des 22-köpfigen Kaders der Schweizer für die Endrunde zeigt sich das Blatt dann aber „im grossen und ganzen“537 zufrieden. Mit den Namen der Spieler, die die Zeitung nicht ausgewählt hätte, will sie jedoch nicht aufwarten. Dafür gebe es auch nach den Turnierspielen noch Zeit, was nichts anderes bedeutet, als dass salopp gesagt billiges Nachkarten bereits vorher angekündigt wird. Außerdem sei nicht sicher, dass diese Spieler am Ende wirklich auf dem Platz stehen.538 Drittens, und dies sei am wichtigsten, wird erneut das Nationalgefühl betont. Die Weltmeisterschaft wird geradezu zur nationalen Aufgabe erklärt:

Drittens – und das ist bisweilen der Hauptpunkt – ist es außerordentlich wichtig, dass jetzt die gesamte schweizerische Fussballgemeinde mit allen ihren Kräften und vorab mit ihrem guten Willen dazu beitragen muss, ein Vertrauensverhältnis mit unsern Akteuren herzustellen, aus dem diese jene Kraft schöpfen können, die sie bei der Schwere ihrer Aufgabe zu besonderen, gehobenen Leistungen befähigt!

Unsere Mannschaft soll es zu spüren bekommen, dass unsere gesamte Bevölkerung hinter ihr steht; sie soll sich von einem Fluidum der Begeisterung erfasst fühlen, das sie über sich selbst hinaushebt zu jener hohen Spielfreude – die uns allen die schönste Erlebnisfreude verspricht!539

Die Gazette de Lausanne entdeckt im Vorfeld der WM zunächst ihre kritische Seite. So werden die Organisatoren für ihren Umgang mit der Presse kritisiert. Pressekonferenzen und -mitteilungen – heute gang und gäbe – würden zu einer Uniformität des Denkens und Schreibens führen.540 Später fordert das Blatt Gratiskarten für Kinder. Die Eintrittspreise seien für deren Taschengeld einfach zu hoch.541 Für das Testspiel gegen Uruguay erwartet die Zeitung nicht viel von der Schweizer Mannschaft. „Il serait fol, dès lors d’attendre un miracle.“542 Nach dem Spiel schreibt das Blatt von einer glücklichen Überraschung. Die Schweiz habe sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Uruguay geliefert. Trotzdem ist die Zeitung weit davon entfernt, beide Mannschaften von ihrer Spielstärke her auf Augenhöhe einzuschätzen. Die Uruguayer, obwohl eigentlich in allen Belangen besser, hätten nie zu

536 Basler Nachrichten, 3. Juni 1954 (Tagesausgabe), 4.

537 Basler Nachrichten, 10. Juni 1954 (Tagesausgabe), 4.

538 Vgl. Basler Nachrichten, 10. Juni 1954 (Tagesausgabe), 4.

539 Basler Nachrichten, 10. Juni 1954 (Tagesausgabe), 4.

540 Vgl. Gazette de Lausanne, 4. Mai 1954, 5.

541 Vgl. Gazette de Lausanne, 19. Mai 1954, 7.

542 Gazette de Lausanne, 22. Mai 1954, 7.

ihrem Spiel gefunden. Entsprechend seien die Schweizer Tore nur aus Fehlern des Gegners entstanden.543 Ähnlich verhalten reagiert die Gazette de Lausanne auf den Testspielsieg gegen Holland. Der Sieg sei zwar verdient, der Gegner aber auch sehr schwach gewesen.544 Kurz vor Turnierbeginn verweist die Zeitung in ihrer alle Mannschaften umfassenden, aus Stichworten bestehenden WM-Prognose dann wiederum auf die gute Vorbereitung und die exzellente Moral der Schweizer Nationalmannschaft. Die Spieler seien ungeduldig, dass es endlich losgehe und könnten in der ihnen freundlich gesinnten Atmosphäre im Heimatland für positive Überraschungen sorgen.545 Am selben Tag titelt die Zeitung selbstbewusst: „Les Suisses sont en forme!“546 Die Mannschaft habe beschlossen, das Beste aus ihren Möglichkeiten zu machen. Was bleibt, ist die Hoffnung auf ein gutes Abschneiden: „Le reste, c’est l’avenir qui nous l’apprendra…“547

Das Journal de Genève ruft bereits das Testspiel gegen den noch amtierenden Weltmeister Uruguay zum Spiel des Jahrhunderts aus. Dieses Freundschaftsspiel würden die sportbegeisterten Schweizer niemals vergessen, kündigt die Zeitung an. Festgestellt wird außerdem, dass ein offensivstarkes Team (Uruguay) gegen den Schweizer Riegel („verrou“) anzutreten habe, was als idealer Test für die WM angesehen wird.548 Nach dem Spiel bezeichnet das Blatt die Schweizer – zumindest in der Aufstellung während der ersten Halbzeit – als gefährlichen Außenseiter für die Endrunde. Ihr System sei intelligent, die Kondition gut. Vor allem vor dem heimischen Publikum sei das Team für sensationelle Überraschungen („sensationelles surprises“) gut. Im Gegensatz zu einigen der anderen untersuchten Zeitungen aus der Schweiz unterstreicht das Journal de Genève weniger die Schwäche der Uruguayer, sondern die Stärke der Schweizer, die sich nicht vom großen Namen des Gegners hätten einschüchtern lassen.549 Der Optimismus der Zeitung setzt sich auch vor dem Testspiel gegen Holland fort, das prompt zur nächsten „Gala“550 auf dem Weg zum WM-Turnier ausgerufen wird. Die Prognose: „Nous pouvons avoir confiance.“551 Positiv für die Schweizer wird außerdem gedeutet, dass die Holländer nicht für die WM qualifiziert seien. Deswegen würden sie alles für einen Sieg geben und die Schweiz entsprechend fordern.

Das Journal de Genève ruft bereits das Testspiel gegen den noch amtierenden Weltmeister Uruguay zum Spiel des Jahrhunderts aus. Dieses Freundschaftsspiel würden die sportbegeisterten Schweizer niemals vergessen, kündigt die Zeitung an. Festgestellt wird außerdem, dass ein offensivstarkes Team (Uruguay) gegen den Schweizer Riegel („verrou“) anzutreten habe, was als idealer Test für die WM angesehen wird.548 Nach dem Spiel bezeichnet das Blatt die Schweizer – zumindest in der Aufstellung während der ersten Halbzeit – als gefährlichen Außenseiter für die Endrunde. Ihr System sei intelligent, die Kondition gut. Vor allem vor dem heimischen Publikum sei das Team für sensationelle Überraschungen („sensationelles surprises“) gut. Im Gegensatz zu einigen der anderen untersuchten Zeitungen aus der Schweiz unterstreicht das Journal de Genève weniger die Schwäche der Uruguayer, sondern die Stärke der Schweizer, die sich nicht vom großen Namen des Gegners hätten einschüchtern lassen.549 Der Optimismus der Zeitung setzt sich auch vor dem Testspiel gegen Holland fort, das prompt zur nächsten „Gala“550 auf dem Weg zum WM-Turnier ausgerufen wird. Die Prognose: „Nous pouvons avoir confiance.“551 Positiv für die Schweizer wird außerdem gedeutet, dass die Holländer nicht für die WM qualifiziert seien. Deswegen würden sie alles für einen Sieg geben und die Schweiz entsprechend fordern.