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6 Das methodische Vorgehen

7.4 Erstellung eines Kategoriensystems

7.4.3 Ankerbeispiele

Im Folgenden werden Beispiele gezeigt, unter welcher Kategorie bestimmte Textpassagen codiert werden. Zum Teil mag dafür ein Ankerbeispiel pro Oberkategorie genügen.

Oberkategorie 1 (Spielstärke der deutschen Fußballnationalmannschaft):

Die NZZ schreibt am 2. Juli im Rückblick auf das Halbfinale Deutschland gegen Österreich in Blatt 4319:

Grund zur Begeisterung haben dagegen die deutschen Fußballer, deren Selbstbewusstsein durch die wirklich hervorragende Basler Leistung mächtig gehoben sein dürfte.

Entscheidend in diesem Satz ist die Passage „die wirklich hervorragende Basler Leistung“.

An dieser Stelle wird die Spielstärke der deutschen Mannschaft ohne zusätzliche Spezifizierung als stark beschrieben und kann entsprechend unter die Unterkategorie ‚starke Attribuierung‛ (1.1.) codiert werden.

319 Die Neue Zürcher Zeitung verwendet zu diesem Zeitpunkt keine Seitenzahlen, sondern strukturiert die Zeitung in sogenannte Blätter, die wiederum mehrere, nicht extra gekennzeichnete Seiten umfassen können.

Die Textstelle „[…] niemand wird behaupten wollen, dass der deutsche Sieg nicht in Ordnung gehe“ aus Blatt 3 der NZZ vom 6. Juli würde hingegen unter die Unterkategorie 1.3.

(‚Verdienter Sieger‛) eingeordnet werden.

Oberkategorie 2 (Spielweise der deutschen Fußballnationalmannschaft):

Die NZZ schreibt am 6. Juli in Blatt 3 in einem Rückblick auf das Turnier:

Nun, die deutsche Mannschaft stellte sich in Topform zu den entscheidenden Begegnungen.

Die Nennung des Wortes „Topform“ lässt in diesem Fall die Codierung unter die Unterkategorie ‚Kondition‛ (2.2.) zu. Da der deutschen Mannschaft präzise ausgedrückt eine gute Kondition attestiert wird, kommt die Unter-Unterkategorie 2.2.a. (‚Die deutsche Spielweise lebt von der Kondition‛) zum Tragen.

Der dieser Textstelle folgende Satz

Für ihre ausgezeichnete Kampfmoral spricht die Tatsache, dass sie einen in den ersten Spielminuten erduldeten 0:2-Rückstand bis zur Pause aufholte und den oft gefährlich anrennenden Gegner bis zum Schluß nicht nur in Schach hielt, sondern ihrerseits durch gerissene Angriffe bedrängte.

kann wegen der Nennung einer „ausgezeichneten Kampfmoral“ entsprechend unter die Unter-Unterkategorie 2.1.a. (‚Die Spielweise der Mannschaft wird als kampfbetont beschrieben‛) codiert werden.

L’Équipe zitiert hingegen am 27. Mai auf Seite 8 in einem Artikel über die WM-Vorbereitung der Deutschen Trainer Sepp Herberger, der nach dem viel beachteten Sieg Ungarns gegen England bekannt gab, ein Rezept zu kennen, wie seine Mannschaft in den Gruppenspielen eine Chance gegen die Ungarn haben könnte. Diese Textstelle würde entsprechend unter die Unterkategorie ‚Planung‛ (2.9.) eingruppiert werden, da der deutschen Mannschaft frühzeitig eine Strategie zugebilligt wird. Der folgende kommentierende Satz:

Dans la bouche de Herberger on peut être sûr que cette affirmation n’est pas gratuite et ne constitue pas une sous-estimation de l’adversaire.

Explizit werden an dieser Stelle die Fähigkeiten Herbergers hervorgehoben, weswegen die Textstelle in die Unterkategorie 2.5.a. (‚Einzelne Spieler, Mannschaftsteile oder der Trainer werden individuell hervorgehoben.‛) codiert wird.

Oberkategorie 3 (Prognosen im Bezug auf die deutsche Fußballnationalmannschaft):

In einer WM-Vorschau über das deutsche Team am 9. Juni lässt Libération auf Seite 5 den Schweizer Nationalspieler Jacques Fatton folgendermaßen zu Wort kommen:

Si je m’en tiens à mon expérience pratique de joueur, l’adversaire qui me parait le plus redoutable, c’est l’Allemagne.

Für sich genommen bedeutet diese Aussage nur, dass der Zitierte die deutsche Mannschaft höher schätzt als alle anderen. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Aussage jedoch in einer WM-Vorschau befindet, die sich explizit mit den Chancen der Deutschen auseinandersetzt, kann diese Textstelle unter der Unterkategorie 3.5. (‚Topfavorit‛) codiert werden.

Oberkategorie 4 (Stereotypen in der Berichterstattung über die deutsche Nationalmannschaft):

In seinem Finalbericht vom 5. Juli schreibt der Manchester Guardian auf Seite 3 folgendermaßen über eine Drangperiode der deutschen Mannschaft:

One tremendous German onslaught was a veritable throw-back to the old blitzkrieg.

Das deutsche Spiel wird an dieser Stelle mit wenig schmeichelhafter Kriegsmetaphorik versehen. Wenn auch die Beschreibung wohl positiv im Bezug auf die Stärke des deutschen Spiels in der beschriebenen Periode gemeint ist, bleibt doch eine negative Stereotypisierung der Deutschen stehen. Ein Vergleich des Spiels der deutschen Fußballnationalmannschaft mit einer Kriegstaktik („Blitzkrieg“) der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg mag zwar die Schnelligkeit im Spiel der Deutschen unterstreichen, bleibt jedoch neun Jahre nach Kriegsende eine negativ konnotierte Stereotypisierung, die das Deutschland von 1954 mit dem Deutschland des Naziregimes vergleicht. Die angeführte Textstelle würde dementsprechend unter die Unterkategorie 4.2. (‚Negativ konnotierte Stereotypisierung der Deutschen‛) codiert werden.

Oberkategorie 5 (Querschlüsse zwischen Fußball und anderen Systemen mit Bezug auf Deutschland):

In Blatt 4 der NZZ vom 7. Juli beschäftigt sich die Zeitung mit den ersten Feiern zu Ehren der neuen Fußballweltmeister. Folgende Textstelle soll als Ankerbeispiel für die Oberkategorie dienen:

Der Gesandte der Deutschen Bundesrepublik in Bern, Minister Holzapfel, […] feierte den Sport als willkommenen Bundesgenossen des Diplomaten, dessen Aufgabe darin bestehe, Brücken zu schlagen von Volk zu Volk.

Dem Sport wird an dieser Stelle eine außenpolitische Dimension im Zusammenwirken von Staaten zugebilligt. Die Textstelle würde dementsprechend unter die Unterkategorie 5.2.

(‚Deutscher Fußball und Politik‛) codiert. Im folgenden Satz heißt es:

Als sittliche Werte im Fußball sieht er den Verzicht des einzelnen auf Selbstgeltung, die Ein- und Unterordnung in die Gemeinschaft.

Dieser Satz wiederum beschwört positive Effekte, die das System Fußball für die Gesellschaft besitzen kann und wäre damit unter die Unterkategorie 5.3. (‚Deutscher Fußball und Gesellschaft‛) zu codieren.

Oberkategorie 6 (Fußball und Nationalismus):

Die NZZ beschreibt in Blatt 4 der Ausgabe vom 7. Juli die ersten offiziellen Siegesfeiern der Deutschen folgendermaßen:

Nach dem Nachtessen im Hotel Belvedère wurde die Erringung der Weltmeisterschaft – wie es sich geziemt – in mehreren Reden gewürdigt. Trotz dem glänzenden Erfolg war der Tenor der Ansprachen nicht überschwänglich, eher auf ein sympathisch berührendes Moderato eingestellt.

Die Zeitung gesteht Mannschaft und Offiziellen unter anderem mit dem Einschub „wie es sich geziemt“ eine gewisse Feierstimmung zu und würdigt, dass diese in einem „sympathisch berührenden Moderato“ vonstattengegangen sei. Die Art des Jubels über den Titelgewinn wird also als freudig und trotzdem angenehm zurückhaltend beschrieben. Aufgrund der unüberhörbaren positiven Tendenz müsste die Textstelle unter die Unterkategorie 6.4.

(‚Positiv besetzte Beschreibung deutschen Jubels‛) codiert werden.

Die Times widmet sich hingegen am 10. Juli auf Seite 6 den deutschen Jubelzeremonien. Die Zeitung stört sich offenbar vor allem an der viel diskutierten Rede von Peco Bauwens, dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, der unter anderem das Führerprinzip beschwor.

Folgende Textstelle mag als Illustration dienen:

Responsible Germans in Bonn are hoping that these occasions will see no repetition of Tuesday night’s performance in the Munich Löwenbräukeller. There Dr. Peco Bauwens, the president of the German Football Association, greeted the players and a large company with what can only be called an hysterical nationalist speech.

Die Codierung dieser Textstelle erscheint auf den ersten Blick nicht einfach. Schließlich beschreibt die Zeitung eine Feier zu Ehren der Weltmeister. Rein instinktiv könnte die Passage also unter die Unterkategorien 6.4. bis 6.6. (‚Beschreibung deutschen Jubels‛) codiert werden. An dieser Stelle setzt sich die Times jedoch vor allem mit dem Inhalt der umstrittenen Bauwens-Rede auseinander und bezeichnet diese als „hysterisch“ und „nationalistisch“. Auch mit der Erwähnung, dass „verantwortungsbewusste Deutsche in Bonn“ hofften, entsprechende Entgleisungen mögen nicht wieder vorkommen, äußert die Zeitung ihre Sorge vor einem neuen, überbordenden deutschen Nationalismus. Die Textstelle ist entsprechend dieser Überlegungen unter die Unterkategorie 6.1. (‚Angst vor neuem deutschem Nationalismus‛) zu codieren.