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1 Einleitung

3.4 Der Fußball in Österreich von 1945 bis 1954

Die Geschichte des österreichischen Fußballs nach dem Zweiten Weltkrieg begann am 19.

August 1945 – knapp vier Monate nach dem Ausrufen der zweiten österreichischen Republik.

Zu den ersten beiden Länderspielen nach Kriegsende reiste die österreichische Nationalmannschaft nach Budapest, um dort gegen die Ungarn anzutreten. „Die Österreicher nutzten den Ausflug, wie viele Geschichten es glaubhaft versichern, hauptsächlich zur Kalorienzufuhr.“166 Die Ungarn, bei denen Ferenc Puskás debütierte, gewannen mit 2:0 und

163 Vgl. Delaunay u. A. 1993, 181.

164 Vgl. Delaunay u. A. 1993, 178.

165 Vgl. Wahl/ Lanfranchi 1995, 114.

166 Skocek/Weisgram 2004, 81.

5:2. Entsprechend langjähriger Traditionen bei Aufeinandertreffen der beiden Staaten reiste eine ungarische B-Auswahl nach Wien, um dort zeitgleich gegen die österreichische Reserve anzutreten.167

Politisch weitaus brisanter war hingegen das erste Heimspiel der Österreicher nach dem Krieg am 6. Dezember 1945 gegen den ehemaligen Kriegsgegner Frankreich, das nun als Besatzungsmacht im Land agierte, in Wien. „Mehr als jede Debatte […] bestimmte dieses Ländermatch die Zukunft der Republik. Frankreich hatte, indem es dem Spielverkehr seiner Fußballer mit Österreich schon so früh zustimmte, Österreich deutlich den Sonderweg in der Frage der Kriegsschuld gewiesen.“168 Den 4:1-Erfolg der Gastgeber verfolgte unter anderem FIFA-Präsident Jules Rimet von der Tribüne aus. Wie konsequent sich der österreichische Fußball mit seinem nationalsozialistischen Erbe auseinandersetzte, ist heute jedoch zumindest umstritten.169

Die ersten Jahre nach dem Krieg wurden in Österreich auch durch eine große Systemdebatte geprägt. Österreichische Mannschaften spielten traditionell in der Grundformation der sogenannten schottischen Furche, also mit zwei Verteidigern und drei Läufern hinter der fünfköpfigen Sturmreihe. Auf diesem System gründeten die größten Erfolge der Nationalmannschaft Anfang der dreißiger Jahre, als sogar vom Wunderteam gesprochen wurde. International hatte sich nach dem Krieg aber bereits das auf den ersten Blick defensivere sogenannte WM-System mit drei Verteidigern, zwei Läufern, zwei Halbstürmern und drei Stürmern etabliert. Die Österreicher verweigerten sich diesem „allein der Effizienz verpflichteten stupiden Betonfußball“170 zunächst offiziell, wohl auch weil die deutsche Nationalmannschaft in diesem System operierte, der österreichische Fußball sich jedoch nicht ausschließlich über den Erfolg, sondern auch über die Schönheit seines Spiels definierte.171

„Ganz Wien schwor, dieses System […] nicht übernehmen zu wollen: es sei zu unwienerisch, beschränke bloß die Genialität durch ein stures Konzept, an dessen Kette die Wiener Schule verdorre wie Rosen abseits der Vase.“172 Nichtsdestotrotz traten bereits wenige Jahre nach Kriegsende Vereinsmannschaften und auch die Nationalmannschaft wegen der besseren Erfolgsaussichten im WM-System an. Die Offiziellen nannten es nur anders, zum Beispiel brasilianisches System, um sich dem Vorwurf, zu deutsch zu spielen, nicht stellen zu müssen.

167 Vgl. Skocek/Weisgram 2004, 81.

168 Skocek/Weisgram 2004, 82.

169 Vgl. Adrian/Schächtele 2008, 66.

170 Skocek/Weisgram 2004, 86.

171 Vgl. Skocek/Weisgram 2004, 86.

172 Skocek/Weisgram 2004, 86.

Nicht nur taktisch und strategisch begründeten die Nachkriegsjahre eine vorsichtige Öffnung des österreichischen Fußballs. Auch fand eine sogenannte „Verösterreicherung“173 statt.

Hintergrund war, dass seit Ausspielung der ersten österreichischen Vereinsmeisterschaft 1911 nur Mannschaften aus Wien in der obersten Spielklasse vertreten waren. Der Stolz auf die Erfolge der sogenannten Wiener Schule und des damit einhergehenden Spielsystems wird so verständlicher. Erst 1949 öffnete sich die Liga nach einem Streit auf Verbandsebene auch für Mannschaften aus dem gesamten Staatsgebiet.174 Trotzdem war noch 1951 jeder vierte österreichische Vereinsfußballer in Wien zu Hause. Zum Vergleich: Knapp 30 Jahre später lebte nur noch jeder Zwanzigste in der Hauptstadt.175 Erste Teams aus der Provinz waren Sturm Graz, SC Gloggnitz und Vorwärts Steyr. Trotzdem dauerte es noch bis 1965, als der Linzer ASK die Dominanz der Wiener Vereine wie Rapid, Austria, Wacker, Vienna oder dem Sportclub durchbrechen und Meister werden konnte. Erster österreichischer Meister nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1946 Rapid Wien. 1945 war kein Meister ausgespielt worden.

Allgemein erlebte der österreichische Vereinsfußball von 1945 bis zum Ende der fünfziger Jahre einen Boom. Diverse Klubs gründeten sich neu oder wieder, nachdem sie in der Zwischenkriegszeit aufgelöst worden waren. Die Zuschauerzahlen der Nachkriegsjahre erreichten viele Vereine seitdem nie wieder.176

In der Nationalmannschaft begann die ‚Verösterreicherung‛ schon 1946. Beim 3:2-Sieg im Wiener Stadion stand mit Ernst Melchior vom SV Villach aus Kärnten erstmals ein Spieler im Team, der nicht für einen Wiener Verein aktiv war. Auch das nächste Länderspiel gegen Frankreich bestritt Melchior noch als Villacher. Danach wechselte er zur Austria in die Hauptstadt. Erst 1952 bei einem 1:1 in der Schweiz stand das nächste Mal ein Nicht-Wiener in der Nationalelf. „Aber allmählich gewöhnte man sich daran, die Bundesländer zu berücksichtigen bei der Aufstellung der Nationalmannschaft.“177

Obwohl die Nationalmannschaft wegen Streitereien über Entschädigungszahlungen zwischen der neu gegründeten Staatsliga und dem Österreichischen Fußball-Verband (ÖFB) nicht an der Weltmeisterschaft 1950 teilnahm, verliefen die frühen fünfziger Jahre doch recht erfolgreich für die Auswahl. Unter anderem schlug die Mannschaft 1950 Ungarn mit 5:3 und fügte dem späteren Topfavoriten auf den WM-Titel 1954 damit die letzte Niederlage bis zum Endspiel in der Schweiz vier Jahre später gegen Deutschland zu. Als erster Mannschaft überhaupt gelang es den Österreichern am 13. Dezember 1950 überdies, eine britische

173 Skocek/Weisgram 2004, 86.

174 Vgl. http://www.bundesliga.at/blinfo/index.php (Zugriff am 02.02.2010).

175 Vgl. Skocek/Weisgram 1994, 52.

176 Vgl. Skocek/Weisgram 1994, 51.

177 Skocek/Weisgram 2004, 87f.

Nationalmannschaft auf der Insel zu schlagen. Die Österreicher gewannen in Glasgow mit 1:0 gegen Schottland. Weitere Ausrufezeichen setzte die Mannschaft 1953 bei einem 1:1 gegen Ungarn in Budapest und mit einem 2:2 gegen England in London im November 1951, wobei die Österreicher nur knapp und wohl auch mithilfe der schottischen Schiedsrichter178 daran scheiterten, als erste Mannschaft England auf dessen eigenem Territorium zu schlagen.