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2 LITERATURÜBERSICHT

2.1 Fluorchinolone

Fluorchinolone stellen vollsynthetische, antimikrobiell wirksame Substanzen aus der Gruppe der Chinolone dar und sind durch ihre bakterizide Wirkung charakterisiert, die auf der Inhibition zweier bakterieller Enzyme, der Gyrase und der DNA-Topoisomerase IV (beide Typ II-DNA-Topoisomerasen), beruht (DRLICA u. ZHAO 1997).

1962 wurde die Nalidixinsäure als antibakterieller Wirkstoff eingeführt (LESHER et al.

1962; BALL 2000), deren Wirkungsspektrum sich auf gram-negative Keime der Gruppe der Enterobacteriaceae, zur Behandlung einfacher Infektionen des Uro-Genitaltrakts, beschränkte (WARD-MCQUAID et al. 1963; HOOPER 1998). Niedrige Serumlevel, ein begrenztes Wirkungsspektrum und unerwünschte Nebenwirkungen beschränkten ihren Einsatz (VAN BAMBEKE et al. 2005). Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde die Nalidixinsäure durch strukturelle Modifikationen weiterentwickelt, sodass heute Chinolone der ersten bis vierten Generation unterschieden werden können. Insbesondere das Wirkungsspektrum wurde erweitert, es umfasst heute sowohl gram-negative als auch gram-positive Keime (OLIPHANT u. GREEN 2002).

Allen Chinolonen gemein ist der Naphthyridin-Kern, abgeleitet von der Nalidixinsäure (BALL 2000). In den achtziger Jahren erfolgte die Entwicklung der Fluorchinolone, mit einem 4-Chinolon-Gerüst als Basis, wie in Abbildung 2-1 dargestellt.

Substituenten sind die allen Chinolonen gemeine Carboxylsäure an Position 3, ein basischer Piperazinring an Position 7 und ein Fluoratom an Position 6. Differenzieren kann man die einzelnen Fluorchinolone anhand ihrer Substituenten in para-Stellung zum Piperazinring und an der Nitrogenposition 1 (WOLFSON u. HOOPER 1985;

HEEB et al. 2010).

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Abbildung 2-1: Strukturformeln des Grundgerüsts der 4-Chinolone und von Norfloxacin. Die Substitutionen des Fluoratoms an Position 6 und des Piperazinrings an Position 7 sind zur Kennzeichnung umkreist. Ausschnitt einer Darstellung von WOLFSON u. HOOPER (1985).

Die Einführung des Fluorions und damit der Fluorchinolone stellte eine deutliche Verbesserung der bakteriziden Eigenschaften dar. Die Gyraseinhibition wurde mindestens um einen Faktor 10 verstärkt, womit auch eine deutliche Verminderung (bis zu einhundertfach) der minimalen Hemmkonzentration (MHK) einherging (ANDERSSON u. MACGOWAN 2003). Unter anderem führte dies zu einer enormen Erweiterung des antibakteriellen Spektrums. Während zu Zeiten der Nalidixinsäure lediglich gram-negative Keime, insbesondere Enterobacteriaceae bekämpft wurden, gehören nun auch aerobe und anaerobe gram-positive Bakterien zu den Zielobjekten sowie Pathogene, die aufgrund anderweitig erworbener Resistenzen als schwer zu behandeln gelten (wie zum Beispiel Pseudomonas aeruginosa) (HEEB et al. 2010).

Dementsprechend erweiterte sich auch das Feld zu behandelnder Krankheitsbilder von einfachen Infektionen des Urogenitaltraktes zu komplexeren Infektionen zum Beispiel des Respirationstraktes (HEEB et al. 2010) bis hin zu systemischen Erkrankungen bakteriellen Ursprungs wie zum Beispiel Prostatitis, Osteomyelitis und Pyelonephritis (BALL et al. 1998). Fluorchinolone vereinen eine hohe Bioverfügbarkeit, das Erreichen hoher Serumkonzentrationen, eine gute Verteilung in Körpergeweben und eine geringere Wahrscheinlichkeit auftretender Nebenwirkungen miteinander (BUGYEI et al. 1999; ANDERSSON u. MACGOWAN 2003).

Flumequin war das erste synthetisierte Fluorchinolon (ROHLFING et al. 1976; BALL 2000) und gehört damit der ersten Generation an. Die Substitution des Piperazinrings an Position 7 des Grundgerüsts ermöglichte eine antibakterielle

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5 Wirkung gegen Pseudomonaden (BALL 2000). Darauf folgte die zweite Generation, deren bekanntestes Antibiotikum das in der Humanmedizin verwendete Ciprofloxacin darstellt. Es vereint eine hohe Wirksamkeit gegen gram-negative Bakterien inklusive Pseudomonas aeruginosa mit einer starken bakteriziden Wirkung gegen gram-positive Kokken (ELIOPOULOS et al. 1984). Laut ACAR u. GOLDSTEIN (1997) war Ciprofloxacin zu diesem Zeitpunkt eine der antibakteriellen Substanzen mit der höchsten Nutzungsrate der Welt. Analog dazu wurde Enrofloxacin in der Tiermedizin eingeführt, dessen Hauptmetabolit Ciprofloxacin ist (FLAMMER et al. 1991).

Daraufhin folgten weitere Modifikationen des Wirkungsspektrums bzw. der pharmakokinetischen und -dynamischen Eigenschaften. Nach der

„Ciprofloxacingeneration“ IIa folgte zum Beispiel die in ihrer anti-gram-positiven Wirkungsweise verbesserte Generation IIb, die Streptococcus pneumoniae in ihr Spektrum aufnahm (BALL 2000). Zum heutigen Zeitpunkt sind mittlerweile vier Generationen auf dem Markt (Tabelle 2-1).

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Tabelle 2-1: Auf dem Markt erhältliche Fluorchinolone, aufgeteilt nach Generationen.

Angaben nach VETIDATA (2013b). LM = Lebensmittel.

Wirkstoff Anwendung in der Veterinärmedizin Generation von Bedeutung (VETIDATA 2013b). Welche Fluorchinolone zu den zugelassenen Arzneimitteln der Tiermedizin gehören und welche bei Lebensmittel liefernden Tieren verboten sind, ist Tabelle 2-1 zu entnehmen.

Enrofloxacin war das erste Fluorchinolon für die Anwendung in der Veterinärmedizin und wurde Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts eingeführt (VANCUTSEM et al. 1990). Es wirkt sowohl gegen gram-positive und gram-negative Bakterien als auch gegen Mykoplasmen (KNOLL et al. 1999). In den USA ist seine Anwendung bei Geflügel aufgrund der Resistenzsituation bei Campylobacter 2005 verboten worden (CIDRAP 2005).

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7 2.1.1 Funktion der Topoisomerasen Typ 2 in der Bakterienzelle

Nach Wang (1985) sind Topoisomerasen Enzyme, die die topologischen Stadien der DNA kontrollieren und modifizieren. Unter der Topologie der DNA versteht man die räumliche Anordnung der DNA-Doppelhelix.

Die DNA-Gyrase und die DNA-Topoisomerase IV gehören beide zu den Typ 2-Topoisomerasen (PENG u. MARIANS 1995). Die Gyrase besteht aus jeweils zwei Untereinheiten A und B, codiert durch gyrA und gyrB (FERRERO et al. 1995). Die Topoisomerase IV besteht ebenfalls aus jeweils zwei Untereinheiten: ParC und ParE.

Die genetische Codierung von ParC erfolgt durch das Gen parC, diese Untereinheit ist homolog zur Untereinheit A der Gyrase. ParE wird durch parE codiert und verhält sich homolog zur Untereinheit B der Gyrase (KATO et al. 1990; KATO et al. 1992).

Typ 2-Topoisomerasen führen durch Doppelstrangbrüche zweier komplimentärer Stränge Lücken in einem DNA-Doppelstrangsegment herbei, durch die jeweils ein anderes doppelsträngiges Segment hindurchtritt. Anschließend werden die beiden getrennten Enden, die die Lücke geformt haben, wieder verbunden (WANG 1996).

Dies trägt zur Lösung der topologischen Probleme der zirkulären Bakterien-DNA in der Bakterienzelle, insbesondere bei den Vorgängen der Replikation, Transkription und Rekombination bei, die aufgrund ihrer Länge und des geringen Platzangebots als DNA-Doppelhelix organisiert ist (GELLERT 1981; STECK u. DRLICA 1985;

ROCA 1995). Die DNA-Gyrase und die Topoisomerase IV sind ausschlaggebend an der Replikation und Transkription der DNA (DRLICA u. ZHAO 1997; GROSS et al.

2003) bzw. an Zellwachstum und -teilung beteiligt (DRLICA u. ZHAO 1997). Die Gyrase ist als Einzige fähig, eine negative Überspiralisierung der vorher entwundenen und damit relaxierten DNA nach der Replikation durchzuführen (GELLERT 1981; PENG u. MARIANS 1995; ROCA 1995; CHAMPOUX 2001), während die Topoisomerase IV für die Entwindung der Stränge zuständig ist und allein die Dekatenierung (Trennung) der Tochterchromosomen nach der Replikation katalysiert (PENG u. MARIANS 1993).

Die negative Überspiralisierung der DNA-Doppelhelix durch die Gyrase ist ATP-abhängig (GELLERT et al. 1976). Wenn kein ATP vorhanden ist, wird die Überspiralisierung der DNA gelöst und die DNA relaxiert (GELLERT et al. 1977). Die

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Tatsache, dass die Gyrase als Einzige fähig ist, negative Überspiralisierungen herbeizuführen, ist der Eigenschaft der DNA geschuldet, an die Carboxylendung der Untereinheit A der Gyrase zu binden (KAMPRANIS u. MAXWELL 1996). Diese negativen Überspiralisierungen ermöglichen die Anlagerung der Startproteine der Replikation an die DNA (HOOPER 2001) und sind daher unverzichtbar.

2.1.2 Wirkungsmechanismus der Fluorchinolone

Fluorchinolone wirken über die Inhibition der Typ 2-Topoisomerasen DNA-Gyrase und Topoisomerase IV (DRLICA u. ZHAO 1997). Welches der beiden Enzyme das primäre Ziel des jeweiligen Fluorchinolons darstellt, hängt von der jeweiligen Sensibilität der Enzyme ab. Das Enzym mit der höheren Sensibilität stellt laut HOOPER 2001 das primäre Ziel der Fluorchinolone dar.

Zwischen den einzelnen Generationen der Fluorchinolone gibt es Unterschiede bezüglich der Zielenzyme. Während (in den älteren Generationen) die DNA-Gyrase in den gram-negativen Bakterien das bevorzugte Ziel darstellt, ist das Ziel in den gram-positiven Keimen die Topoisomerase IV (HOOPER 2001, 2002; INTORRE et al. 2007).

Bei den neueren Fluorchinolonen ist der Bindungsmechanismus ausgeweitet auf ein duales Bindungssystem, das für die Inhibition beider Enzyme zuständig ist. Zu diesen Substanzen gehören Gatifloxacin, Moxifloxacin, Pradofloxacin und Trovafloxacin (LU et al. 1999; PETERSON 2001; INTORRE et al. 2007). Letztendlich jedoch hängt das primäre Zielenzym der Inhibition durch Fluorchinolone von der jeweiligen Bakterienspezies ab (INTORRE et al. 2007).

Das jeweilige Zielenzym (DNA-Gyrase/DNA-Topoisomerase IV) lagert sich an die DNA an und es bildet sich ein Enzym-DNA-Komplex. Bindet das Antibiotikum an diesen Komplex, wird dieser stabilisiert und dadurch inhibiert. Die jeweilige Topoisomerase und die DNA sind über eine kovalente Bindung der 5‘-Enden miteinander verbunden. Die Topoisomerasen führen Doppelstrangbrüche herbei, das heißt, in diesem stabilisierten Antibiotikum-Enzym-DNA-Komplex befindet sich eine Lücke im Doppelstrang, die durch eine „Topoisomerasebrücke“ stabilisiert wird. Die

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9 Antibiotikum-Enzym-DNA-Komplexe, sogenannte ternäre Komplexe, gelten als reversibel (HIASA u. SHEA 2000; DRLICA et al. 2009). Diese Reversibilität bleibt solange bestehen, bis Enzyme der Replikation versuchen diese Komplexe zu überschreiten und damit die kovalenten Proteinverbindungen aufheben, sodass vorübergehend angelegte Doppelstrangbrüche zu dauerhaften Unterbrechungen der DNA werden (HSIANG et al. 1989; CHEN u. LIU 1994; M. T. HOWARD et al. 1994;

FROELICH-AMMON u. OSHEROFF 1995). Diese permanenten Doppelstrangbrüche entstehen durch die Verschiebung der Enden der unterbrochenen DNA-Stränge, sodass eine Wiedervereinigung nicht möglich ist (HIASA et al. 1996), bzw. durch die Auflösung der kovalenten Bindung zwischen DNA-Enden und Enzym. Die DNA ist fragmentiert (DRLICA et al. 2009). Insgesamt machen diese Vorgänge den cytotoxischen Effekt aus. Je größer die Anzahl der an der DNA arbeitenden Topoisomerase-DNA-Komplexe ist, desto mehr Angriffspunkte werden den antibakteriellen Substanzen geboten. Die Stärke des cytotoxischen Effekts hängt demnach von der Anzahl der Topoisomerase-DNA-Komplexe ab (FROELICH-AMMON u. OSHEROFF 1995). Dies verhindert die Spaltung der DNA und den Fortschritt der Replikationsgabel (GELLERT et al. 1977; HOOPER 2001). Da diese Vorgänge aber für Zellwachstum und -teilung unentbehrlich sind, erklärt ihr Ausbleiben die bakterizide Wirkung der Fluorchinolone (DRLICA u. ZHAO 1997).

Abbildung 2-2 verdeutlicht noch einmal schematisch die Funktionsweise der Fluorchinolone.

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Abbildung 2-2: Schematische Darstellung der Wirkung der Fluorchinolone auf die Topoisomerasen. Darstellung nach CHEN u. LIU (1994).

2.1.3 Das SOS-Regulon

Fluorchinolone entfalten ihre bakterizide Wirkung über die Inhibition der DNA-Gyrase und der DNA-Topoisomerase IV (DRLICA u. ZHAO 1997). Die daraus entstehenden Doppelstrangbrüche lösen eine Antwort der Zelle aus, die einen letalen Ausgang verhindern soll. Es erfolgt eine Induktion des SOS-Regulons, das letztendlich eine Reparatur der Doppelstrangbrüche durch Rekombination hervorruft (HOWARD et al.

1993). Das SOS-Regulon besteht aus mehr als 40 beteiligten Genen (FERNANDEZ DE HENESTROSA et al. 2000). Jede Zelle verfügt über eine Low-Level-Expression dieser Gene, jede darüber hinausgehende Expression wird durch das Protein LexA unterbunden. Das Vorhandensein von ssDNA (Einzelstrang-DNA) - zum Beispiel

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11 durch DNA-Doppelstrangbrüche - verursacht durch Fluorchinolone induziert ein SOS-Signal. RecA bindet an die ssDNA und löst damit eine autoproteolytische Reaktion des LexA-Proteins aus, es degeneriert und wird wirkungslos. Da es als Repressor des SOS-Regulons fungiert, wird dieses hochreguliert, sodass eine Reparatur der beschädigten DNA-Stränge durch Rekombination stattfindet (WITKIN 1991; HOWARD et al. 1993; DRLICA u. ZHAO 1997). Durch diese Reparaturen werden sogenannte „gezielte Mutationen“ hervorgerufen (KIM et al. 1997). Nachdem die Stränge wiederverbunden wurden, findet keine Signalinduktion mehr statt, LexA zeigt keine autoproteolytische Wirkung mehr und nimmt seine Funktion als Repressor des SOS-Regulons wieder auf (WITKIN 1991).

Durch die Induktion des SOS-Regulons verfügen die Bakterien über natürliche Überlebensmechanismen, die den Ausgang einer Fluorchinolontherapie in vivo beeinflussen könnten. DÖRR et al. (2009) zeigten, dass die, durch eine Ciprofloxacinbehandlung hervorgerufenen SOS-Regulationsmechanismen beteiligt waren an einer Persistenz einer kleinen Anzahl von E. coli.

2.2 Mechanismen der Resistenzentwicklung gegen Fluorchinolone