• Keine Ergebnisse gefunden

Feldbezug des medialen Habitus in Bezug zur Professionalisie-

4.2 Medialer Habitus als Teil des Gesamthabitus

4.2.4 Feldbezug des medialen Habitus in Bezug zur Professionalisie-

Wie oben dargelegt ist für die Hervorbringung von Handlungspraxen die Kapitalaus-stattung immer in Bezug zum Feld relevant. Für die Fragestellung der medienbezo-genen Professionalisierungsentscheidungen von Lehrenden in der Erwachsenenbil-dung muss die Analyse den Feldbezug stark miteinbeziehen. Hierfür wird neben den sechs Analyseeinheiten nach Mutsch (2012) die Formel für die Hervorbringung

Abbildung 9:

100 Medialer Habitus

der Praxis nach Bourdieu auf das Feld der medienpädagogischen Erwachsenenbil-dung übertragen und bei der Analyse miteinbezogen werden. Die EntscheiErwachsenenbil-dung für oder gegen medienbezogene Professionalisierung wird neben der Orientierung am medialen Habitus immer in Bezug zum vorzufindenden Feld ausgerichtet werden.

Die Formel (H x K) + Feld = Praxis (Bourdieu, 1987, S. 175) kann wie folgt auf das Feld der medienbezogenen Erwachsenenbildung übertragen werden:

(Medialer Habitus x medienbezogene Kapitalien) + Feld: Erwachsenenbildung

= Medienbezogene professionelle Handlungspraxis

Unter Handlungspraxis wird an dieser Stelle auch die Entscheidung für medien-bezogene Professionalisierung verstanden. Hierbei ist es in der ersten Betrachtung unerheblich, ob diese Auseinandersetzung mit medienbezogenen Themen zum Zwecke einer Professionalisierung informell, non-formal oder formal stattfinden. Al-lerdings müssen dann die Begründungszusammenhänge, warum bestimmte Wege gewählt wurden, betrachtet werden. Es geht hierbei um eine Auseinandersetzung der/des Lehrenden mit den Anforderungen des Feldes. Das Feld wirkt nicht nur auf das Subjekt ein, sondern das Subjekt kann sich den Anforderungen des Feldes ge-genüber verhalten. Hierbei kann auch eine verweigernde Haltung eingenommen werden und die Anforderungen des Feldes werden nicht erfüllt.

Hier muss, wie in Bezug zur Analysekategorie Motive und Zwecke beschrieben, analysiert werden, warum ein bestimmter Weg gewählt wurde und ob es wirklich eine Wahl gab oder dem/der Lehrenden keine andere Option zur Verfügung stand, wenn er/sie im Feld der Erwachsenenbildung tätig sein möchte.

Auch bei der Wahl des Professionalisierungswegs muss der Begründungszu-sammenhang betrachtet werden. Wenn sich ein Lehrender mit medienbezogenen Themen ‚nur‘ informell auseinandersetzt, weil der Investitionsaufwand an Zeit und ökonomischem Kapital hier geringer ist als bei einer medienpädagogischen Weiter-bildung, spiegelt dies andere mediale Habitusstrukturen wider, als wenn die Wahl auf eine informelle medienbezogene Auseinandersetzung fällt, weil keine passenden Fortbildungsangebote gefunden oder diese als qualitativ nicht gut genug einge-schätzt wurden.

Da durch Medien nicht nur neue Möglichkeitsräume, sondern auch neue An-forderungen an die Akteurinnen und Akteure herangetragen werden (Bettinger, 2018, S. 19 f.), sind gerade diese Bedeutungszuschreibungen im Umgang mit digita-len Medien wichtig, um sich dieser anzunehmen oder um diese abzulehnen. Durch die Hysteresis des Habitus, die auch auf die Habitusfacette des medialen Habitus zu übertragen ist, werden gesellschaftliche Veränderungen nicht sofort in den Habitus integriert, sondern die gesellschaftlichen Anforderungen können nur langsam in die Habitusstrukturen hineinwirken. In diesem Zusammenhang muss das Feld der Er-wachsenenbildung, das durch die Tertiärsozialisation auf die Lehrenden wirkt, mit-betrachtet werden, um den dortigen Möglichkeits- und Erfahrungsraum zusammen mit den medialen Habitus der Lehrenden zu analysieren.

Medialer Habitus als Teil des Gesamthabitus 101

4.3 Zwischenfazit: Der mediale Habitus als System von Grenzen des Medienhandelns Lehrender in der Erwachsenenbildung

In diesem Kapitel wurde das Konzept des medialen Habitus als Teil des Gesamthabi-tus betrachtet. Als Erstes wurde das Konzept des HabiGesamthabi-tus nach Pierre Bourdieu be-schrieben (Unterkapitel 4.1). Der Habitus wird in pädagogischen Zusammenhängen für die Analyse sozialer Ungleichheiten häufig als Erklärung genutzt. Kommer und Biermann (2012) haben darauf basierend den medialen Habitus als Teil des Gesamt-habitus definiert (Unterkapitel 4.2), der sich durch die Mediensozialisation der Trä-ger:innen bildet und als System von Grenzen alles Medienhandeln bedingt.

Für Lehrende in der Erwachsenenbildung gibt es bisher keine Erhebungen des medialen Habitus. Es kann vermutet werden, dass auch bei diesen Lehrenden ein Zusammenhang zwischen medialem Habitus und Medienhandeln vorzufinden ist (Bolten, 2018; Rohs, Bolten, et al., 2020; Rohs & Bolten, 2017, 2020). Diese Vermutung kann auch dadurch unterstrichen werden, dass sich in der medialen Habitusform der „ambivalenten Bürgerlichen“ nach Kommer und Biermann (2012) keine „Early Adopter“ verorten lassen, also keine Personen, die sich schon sehr früh mit techni-schen und medienbezogenen Entwicklungen aufgrund ihrer (Primär-)Sozialisation auseinandergesetzt haben. Dies bestärkt die Vermutung, dass die frühe biografische Auseinandersetzung mit Medien eine Auswirkung auf den medialen Habitus und das Medienhandeln in späteren Lebensphasen hat.

Die Auswirkung des medialen Habitus auf die individuelle medienpädagogi-sche Professionalisierung in der Erwachsenenbildung ist bisher noch nicht unter-sucht worden. Durch die Trägheit des Habitus und die Hysteresis birgt der mediale Habitus die Gefahr für die Lehrenden, die Anschlussfähigkeit an die digitalen Pro-zesse in der Erwachsenenbildung zu verlieren, wenn sie sich aufgrund ihres Habitus und den medienbezogenen Kapitalarten, die sie zur Verfügung haben, nicht mit den digitalen Entwicklungen auseinandersetzen. Die folgenden Kapitel widmen sich einem Forschungsvorhaben, bei dem untersucht wurde, welchen Einfluss der me-diale Habitus auf die medienpädagogische Professionalisierung Lehrender in der Er-wachsenenbildung hat.

102 Medialer Habitus

5 Forschungsdesign und -vorgehen

Im Folgenden wird das Forschungsdesign vorgestellt, das angewendet wurde, um die medialen Habitus von Lehrenden in der Erwachsenenbildung in Bezug zu ihrer medienpädagogischen Professionalisierung zu rekonstruieren.

Es wurden die folgenden zentralen Forschungsfragen verfolgt:

1. Welche medialen Habitusformen finden sich unter Lehrenden in der Erwachse-nenbildung?

2. Welcher Zusammenhang lässt sich zwischen medialem Habitus und individuel-len medienpädagogischen Professionalisierungsentscheidungen feststelindividuel-len?

Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden zwei Forschungszugänge im Zuge einer interviewbasierten Fallstudie mit zehn Fällen miteinander kombiniert. Fallstu-dien bieten die Möglichkeit, einzelne Fälle umfassend zu analysieren und in Bezug zu ihren Umweltverhältnissen zu betrachten. Ziel ist es, ein Tiefenverständnis für die einzelnen Fälle zu entwickeln (Hering & Schmidt, 2014, S. 529). Fallstudien kön-nen unter anderem für Forschungen verwendet werden, die Fallvergleiche und Fall-kontrastierung verfolgen (ebd., S. 530). Um mehr Möglichkeiten des Vergleiches zu haben, wurde keine Einzelfall- oder Vergleichsstudie von zwei Fällen durchgeführt, sondern es wurden zehn Fälle mit theoretisch bedeutsamen Merkmalskombinatio-nen ausgewählt. So sollen neue Aspekte zum theoretischen Diskurs des medialen Habitus identifiziert und im Zusammenhang mit medienpädagogischer Professio-nalisierung beleuchtet werden. Mit zehn Fällen wurde ein Sample generiert, das alle hergeleiteten Merkmale abdeckt und dennoch einen realisierbaren Umfang des Vor-habens gewährleistet (siehe Unterkapitel 5.2). Es wurden episodische medienbio-grafische Interviews geführt. Die Interviews wurden mit der dokumentarischen Methode ausgewertet (Bohnsack, 2000). Für die Auswertung ist es wichtig, dass narrative Passagen in den Interviews enthalten sind, um den Erfahrungsraum des atheoretischen Wissens zu erfassen. Die episodischen Interviews bieten die Möglich-keit, neben episodisch-narrativem Wissen/episodisch-narrativen Erzählungen auch semantisch-begriffliches Wissen zu erfragen, das besonders für Begriffsklärungen wichtig sein kann (Flick, 2011a, S. 273). In den Interviews wurden für die Rekon-struktion des medialen Habitus die Medienaneignung, der familiäre mediale Hinter-grund, die Mediennutzung und der Mediengeschmack erfragt sowie medienbezo-gene Begriffe (z. B. Unterscheidung analoger und digitaler Medien) unter Zuhilfe-nahme eines offenen Interviewleitfadens (siehe Anhang II) thematisiert. Darüber hinaus lag ein Schwerpunkt der Interviews auf der Mediennutzung sowie der Me-dienaneignung in Bezug zur lehrenden Tätigkeit der befragten Lehrenden. Im Rah-men der Erhebung des medialen Habitus wurden, wie in Unterkapitel 2.1 beschrie-ben, sowohl die Aneignungsprozesse und Einstellungen gegenüber klassischen Me-dien (z. B. Bücher, Radio, Fernsehen) als auch digitalen MeMe-dien (z. B. soziale MeMe-dien,

Internet, Computer) betrachtet. Für die Rekonstruktion des medialen Habitus ist eine Betrachtung aller Medien wichtig, da die klassischen Medien die Gegenhori-zonte bzw. Grenzen des medialen Habitus darstellen. Eine Betrachtung von Aus-schnitten der Medienpalette ist nicht sinnvoll, da es bei habituellen Nutzungen ne-ben der alltäglichen Einbettung der Mediennutzung auch um deren Kombinationen und Gewichtung geht:

„So macht es zumindest einen ‚feinen Unterschied‘, ob für die tägliche Information (oder Unterhaltung) lediglich der Fernseher genutzt wird, oder aber ein Ensemble aus Print, Fernsehen und Web 2.0 Diensten etc. Ähnliches gilt für die Frage, ob es ein ‘Leit-medium‘ gibt, das eine zentrale Rolle einnimmt und um das die Nutzung der anderen Medien gruppiert ist.“ (Kommer, 2013, S. 12)

Im Rahmen des Interviews werden auch die formalen und non-formalen Aus- und Weiterbildungen sowie informellen Lernzugänge der Lehrenden erfragt, um die me-dienbezogenen Professionalisierungsentscheidungen rekonstruieren zu können.

Am Ende der Interviews wurden die Lehrenden gebeten, Medienpfade zu zeich-nen (siehe Unterkapitel 5.1.4). Diese Medienpfade sollten neben dem gesprochezeich-nen Wort eine weitere Ebene der Reflexion bei den Lehrenden anregen. Durch die Aktivi-tät des Zeichnens wurde ein Zugang zu einer tieferen, latenten, der Sprache nicht reflexiv zugänglichen medialen Habitusstruktur (Bremer, 2004, S. 211) eröffnet.

Die Vorstellung des Forschungsdesigns (Unterkapitel 5.1) wird die qualitativen Zugänge zum Forschungsgegenstand (Unterkapitel 5.1.1), die Erhebungsform des episodischen Interviews (Unterkapitel 5.1.2), das Vorgehen der Auswertung mittels der dokumentarischen Methode (Unterkapitel 5.1.3) sowie die Medienpfade und de-ren Auswertung (Unterkapitel 5.1.4) beinhalten. Davon ausgehend wird das Sample der Lehrenden, die interviewt wurden, vorgestellt (Unterkapitel 5.2) und die Durch-führung der Interviews inklusive der Medienpfade beschrieben (Unterkapitel 5.3).