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5 EUROPARECHTLICHE GRUNDLAGEN

5.1.2 Schutz geistiger Eigentumsrechte in der EU

5.1.2.3 EU und TRIPS

Das TRIPS-Abkommen ist für alle Mitgliedsstaaten der EU verbind-lich. Der EuGH hatte in seinem Gutachten 1/94 geklärt, dass die Zu-ständigkeit für den Abschluss des Abkommens zwischen den Mit-gliedsstaaten und der EU geteilt ist, so dass es als gemischtes Ab-kommen unterzeichnet wurde502. Es existierte also weder eine ausschliessliche noch eine implizite503Gemeinschaftskompetenz zum Abschluss des TRIPS-Abkommens, da in den meisten Regelungsbe-reichen des TRIPS keine oder nur teilweise gemeinschaftsrechtliche Vorschriften bestanden. Insofern gilt zwischen den EU-Staaten auch das TRIPS-Abkommen als Mindestschutz für Immaterialgüterrechte, sofern die Richtlinien nicht weitergehende Bestimmungen enthalten.

Insbesondere was die Bestimmungen zur Durchsetzung der Immate-rialgüterrechte (Verfahren vor nationalen Behörden und Gerichten) betrifft, regelt das TRIPS-Abkommen einen Bereich, der in den Richtlinien weitgehend ausgeklammert ist.

Bisher hat der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit der GATT-Regeln für natürliche und juristische Personen und für die Mitgliedsstaaten abgelehnt504. Der EuGH begründete seine Ableh-nung insbesondere mit der Rechtsnatur, der Struktur, dem Sinn und Zweck des GATT sowie namentlich der Unverbindlichkeit des Streit-beilegungsverfahrens und dem weitgehend unbedingten Charakter der Vorschriften505. Die gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der GATT-Vorschriften vorgebrachten Argumente treffen auf die WTO ___________

502 Das Gutachten ist auch abgedruckt in GRURInt. 1995, S. 239. Zum TRIPS-Abkommen siehe oben 4.2.

503 Eine implizite Vertragsschlusskompetenz kommt der Gemeinschaft nur zu, wenn dies im Einzelfall zwingend notwendig sein sollte, um eine bestehende interne Regelungskompetenz umzusetzen. Im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten wird diese zu einer ausschliesslichen Kom-petenz, wenn und soweit von der internen Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht worden ist und ein in Frage stehendes völkerrechtliches Abkommen mit Drittstaaten das interne Vertrags-bzw. Sekundärrecht beeinträchtigen könnte. Diese Argumentation führte beim TRIPS-Abkommen zu einem negativen Ergebnis, da die Regelungsbereiche des TRIPS-TRIPS-Abkommens intern nicht vollständig harmonisiert sind und die bestehenden internen Regelungen nicht not-wendigerweise durch Abkommen mit Drittstaaten begleitet sein müssen. Dazu m.w.Nachw.

auch Oliver Dörr, Die Entwicklung der ungeschriebenen Aussenkompetenzen der EG, EuZW 2/1996, S. 39ff, 42, 43.

504 Die Rechtsprechung des EuGH, die im Urteil “International Fruit Company” begründet ist, wurde insbesondere von Ernst-Ulrich Petersmann kritisiert (siehe etwa 20 CMLR (1983), S.

397ff., 424ff.). Petersmann argumentiert, dass die unmittelbare Anwendbarkeit im Interesse der Gemeinschaft läge, weil sie dem Grundsatz des effet utile entsprechend eine effiziente Durch-setzung von Völkerrecht vor den nationalen Gerichten fördert (S. 435ff.).

505 Siehe dazu m.w.Nachw. Astrid Becker-Celik, Unmittelbare Anwendbarkeit der GATT-Vorschriften durch den EuGH, EWS 1997, S. 12ff.

nicht mehr zu506. Eine ganze Reihe von Bestimmungen des TRIPS-Abkommens erfüllen die Kriterien der unmittelbaren Anwendbar-keit507.

Der EuGH hat sich bereits mit der Auslegung des TRIPS-Abkommens befasst508, dabei aber nicht zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit Stellung genommen509. Was der EuGH mit seiner missverständlichen Feststellung, wonach die für die Gemeinschafts-marke zuständigen Gerichte “im Rahmen des Möglichen” verpflich-tet seien, den Wortlaut und Zweck von Art. 50 TRIPS zu berücksich-tigen, gemeint hat, bleibt ungeklärt510. Es ist bedauerlich, dass der EuGH die Chance nicht ergriffen hat, die unmittelbare Anwendbar-keit des TRIPS-Abkommens grundsätzlich festzustellen, zumal es sich im vorliegenden Fall zweifellos um eine unmittelbar anwendbare Bestimmung handelt511.

5.1.2.4 Fazit

Im Bereich des Immaterialgüterrechts bestehen zwischen der EU und ihren Mitgliedsstaaten konkurrierende Kompetenzen. Rechtsverein-heitlichungen bedürfen der Zustimmung einer qualifizierten Mehr-heit der EU-Staaten, seit sie gestützt auf den in der EinMehr-heitlichen Eu-ropäischen Akte eingefügten Art. 100a EGV durchgeführt werden.

Seit der Maastrichter Vertragsrevision wird das Mitbestimmungsver-fahren zwischen Europäischem Rat und Parlament gemäss Art. 189b EGV angewendet. Neue supranationale Schutzrechte können laut der Rechtsprechung des EuGH unter Berufung auf die in Art. 235 EGV enthaltene Gemeinschaftskompetenz mit einstimmigem Beschluss erlassen werden.

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506 A.a.O., S. 16. Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS befürwortet auch Drexl, TRIPS-Abkommen, S. 777ff., 787.

507 Bereits vor dem Abschluss des Abkommens erörterte Petersmann, Functions, S. 49ff., die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des TRIPS-Abkommens.

508 Hermès International/FHT Marketing Choice BV, EuGH vom 16. Juni 1998, C-53/96 (publiziert in GRURInt. 1998, S. 698ff.). Siehe auch die Besprechung von Aschenbrenner, ELR 7/98, S.

345f.

509 Der Gerichthof erwähnt in seinem Urteil zwar, dass diese Frage verhandelt wurde, lehnt aber eine Entscheidung aus prozeduralen Gründen ab, da die unmittelbare Anwendbarkeit nicht Be-standteil der Vorlagefrage ist (Erw. 35).

510 Erw. 28. Völkerrechtliche Verträge gehen aber dem sekundären Gemeinschaftsrecht vor.

511 Art. 50 regelt die Befugnis der Gerichte zur Anordnung einstweiliger Massnahmen.

Trotz des dualistischen Kompentenzsystems, das eine Anglei-chung der Rechtsvorschriften nicht einfach gemacht hat, konnten die Grundsteine für ein europäisches Immaterialgüterrecht gelegt wer-den. In verschiedenen Bereichen, insbesondere im Patentrecht, fehlen die entscheidenden Schritte noch.

Die neueren Richtlinien machen deutlich, dass Immaterialgü-terrechte immer weniger als Handelshemmnisse im Sinne der Aus-nahmebestimmung von Art. 36 EGV verstanden werden. Als Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung werden die einzelnen Immaterialgüter-rechte als Rechte gesehen, die der Erhaltung und Förderung von Kreativität und Innovation von Personen und Unternehmen dienen und einen Beitrag zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung leisten. Markenrechte stellen in der stark diversifizierten Wirtschaft mit einer immer unüberschaubareren Produktepalette ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal dar und sind auch für europäische Unter-nehmen entscheidende Wettbewerbsfaktoren.

Auf der anderen Seite stehen die nationalen (und europäi-schen) Immaterialgüterrechte im Spannungsfeld zwischen den grundlegenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts für den Bin-nenmarkt und den Grundsätzen des freien Waren- und Dienstlei-stungsverkehrs sowie des Wettbewerbsrechts, da sie monopolistische Strukturen schaffen und handelsbeschränkende Auswirkungen ha-ben können, indem sie zur Begründung von Importverboten herhal-ten oder Gegenstand einer marktbeherrschenden Position oder einer wettbewerbsrechtlich problematischen vertraglichen Absprache sein können. Innerhalb der EU sind diese Spannungsfelder recht geschickt ausgeglichen worden, beispielsweise mit dem Grundsatz der ge-meinschaftsweiten Erschöpfung, da der EuGH die Immaterialgüter-rechte seit Beginn seiner Rechtsprechung an den Grundsätzen des EGV gemessen hat512. Eine weitere Möglichkeit des Ausgleichs des Spannungsfelds zwischen nationalen immaterialgüterrechtlichen Vorschriften und den gemeinschaftsrechtlichen Marktfreiheiten bil-det ihre Harmonisierung und die Schaffung gemeinschaftsrechtlicher Schutztitel. Die Harmonisierung ist besonders im marken- und urhe-berrechtlichen Bereich schon weit fortgeschritten. Bereits geschaffene (Gemeinschaftsmarke) und noch geplante (Gemeinschaftspatent, Gemeinschaftsmuster) supranationale Schutztitel sollen (vorerst) die nationalen Schutzrechte nicht verdrängen. Sollten die Mitgliedsstaa-___________

512 Zur Rechtsprechung des EuGH im Fall Magill und Ideal Standard vgl. Ebenroth/Bohne, S.

397ff. und Tritton, S. 422ff.

ten an der Vollendung eines europäischen Immaterialgüterrechts in-teressiert sein, so wird dies wohl nur oder mindestens am leichtesten mit durch die Aufnahme einer entsprechenden Gemeinschaftskom-petenz in den EG-Vertrag erreicht werden können.

Die neueren Entwicklungen zeigen, dass die EU Sinn und Zweck der Immaterialgüterrechte in Bezug auf die EU- bzw. EWR-Mitgliedsstaaten und gegenüber dem Rest der Welt unterschiedlich beurteilt. Immaterialgüterrechte dienen zunehmend als handelspoli-tisches Argument und Instrument der Gemeinschaft. Mit dem jüngst ergangenen Urteil im Fall “Silhouette”513, der das Verbot von Paral-lelimporten aus Drittstaaten unter Berufung auf ein Markenrecht und damit die Unzulässigkeit des von einigen Mitgliedsstaaten vertrete-nen handelsliberalen Prinzips der internationalen Erschöpfung sta-tuiert, wurde eine Form der Abschottungspolitik höchstrichterlich sanktioniert. In den jüngeren Richtlinien ist die ausdrückliche Be-schränkung auf den Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöp-fung ohnehin schon enthalten.

5.1.3 Immaterialgüterrechtliche Regelungen des EWRAbkommens