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Ersatz für eigenes Hörvermögen

Texttelephon, Videophon und synthetische Sprache

8.4 Ersatz für eigenes Hörvermögen

8.4.1 Texttelephone

Ein Texttelephon (auch Schreibtelephon, engl.: text-telephone) ist ein alternative Telekommunikationsgerät, mit dem gehörlose (bzw. sprechbehinderte) Menschen über das herkömmliche Telephonnetz (PSTN) kommunizieren können. Es handelt sich dabei um ein mit einem Fernschreiber vergleichbares Gerät, das eine Anzeige (üblicherweise LCD), eine Schreibmaschinentastatur sowie ein Modem (eventuell auch mit Akustikkoppler) beinhaltet.

Abb. 8.8 zeigt ein Texttelephon für den stationären Betrieb. Der Anschluß erfolgt ohne Koppler direkt an das Telephonnetz.

Abb. 8.8: Texttelephon mit direktem Anschluß

Die meisten Schreibtelephone werden jedoch so gebaut, daß sie mobil (mit Batteriebetrieb) eingesetzt werden können und somit bei Bedarf mit jedem bestehenden Telephonapparat (öffentlicher Fernsprecher, Telephonapparat im Hotel etc.) über Akustikkoppler verbunden werden können. Abb. 8.9 zeigt ein Texttelephon, das sich wegen des eingebauten Akustikkopplers sowohl stationär als auch mobil einsetzen läßt. Ausschließlich für den mobilen Einsatz ist das in Abb. 8.10 gezeigte Miniatur-Gerät gedacht.

8.HILFSMITTEL FÜR TELEPHON-ANWENDUNGEN

Abb. 8.9: Texttelephon mit Akustikkoppler (stationär und mobil)

Abb. 8.10: Texttelephon für den mobilen Einsatz

Wichtig bei Texttelephonen ist auch, daß alle sonst auditiv vermittelten Zustandssignale (Wählaufforderungston, Freizeichen, Besetztzeichen) auf optischem Wege wiedergegeben werden.

Zwei Probleme haben (zumindest in einigen Ländern) die Verbreitung von Texttelephonen stark eingeschränkt.

 Bei der Entwicklung von Texttelephonen wurde kaum länderübergreifende (bzw.

sprachgruppenübergreifende) Zusammenarbeit gepflegt. So existieren derzeit allein in Europa sechs unterschiedliche Übertragungsprotokolle, die miteinander nicht kompatibel sind (Details siehe Kapitel 8.4.2). Das verhindert einerseits internationale Texttelephongespräche, andererseits ist der jeweilige Markt gering, was sich auf die Preisgestaltung auswirkt. Erst in letzter Zeit wurde an einem neuen, internationalen Standard (V.18) gearbeitet, der nicht nur alle Vorteile bisheriger Protokolle vereint, sondern auch zu allen bisherigen Normen abwärtskompatibel ist.

 Texttelephone wurden kaum im öffentlichen Bereich (also Behörden, Exekutive, Rettungsdienste, Ärzte, Bildungseinrichtungen, Postämter) installiert. Die Zahl der möglichen Gesprächspartner beschränkt sich daher praktisch auf andere gehörlose Menschen. Das macht die Anschaffung und den Betrieb eines Texttelephons verständlicherweise wenig attraktiv.

8.4.2 Texttelephon-Standards einzelner Länder

Wie bereits erwähnt, wurden in einzelnen Ländern vollkommen unterschiedliche Übertragungsprotokolle für Texttelephonie eingeführt, was auch zur Verwendung sehr verschiedener Gerätetypen geführt hat:

 In Frankreich hat "BTX" im Gegensatz zu Österreich wegen der vollkommen anderen Marketingstrategie von France Telecom unter der Bezeichnung Minitel von Anfang an einen durchschlagenden Erfolg gehabt. Das hat dazu geführt, daß in sehr vielen

Haushalten Telephone mit eingebauter Tastatur und Bildschirm vorhanden sind. Im Prinzip erfüllt jedes Minitel die Grundanforderungen für ein Texttelephon. In Frankreich verwendet man daher V.23 auch als Übertragungsprotokoll für Texttelephone.

 Die skandinavischen Länder haben den aus der EDV bekannten V.21 Standard für Texttelephone eingeführt. Das bedeutet aber, daß zwischen käuflichen Computermodems und Texttelephonen leicht eine Verbindung hergestellt werden kann. In Skandinavien wird daher oft anstelle von "echten" Texttelephonen einfach ein PC oder Notebook-PC mit entsprechender Software und einem Modem für die Texttelephonie verwendet.

 Eines darf dabei aber nicht vergessen werden: Ein Telephon ist immer auf Empfang geschaltet und macht sich (akustisch oder optisch) bemerkbar, wenn ein Anruf kommt. Computer sind meistens nicht permanent in Betrieb.

 In Holland und Dänemark wurde das Tonwahlverfahren (DTMF = dual tone multiple frequency) früh und flächendeckend eingeführt. Für die in diesen Ländern verwendeten Schreibtelephone hat man daher Kombinationen aus den Wähltönen als Übertragungsprotokoll genommen. Texttelephone dieser Länder erzeugen beim Schreiben automatisch diese DTMF-Kombinationen. Die gleichen Kombinationen lassen sich aber auch von jedem Telephonapparat aus über die Wähl-Tastatur erzeugen. Auch wenn es relativ mühsam ist, Texte durch Mehrfachanschläge auf der Telephon-Tastatur zu erzeugen, so kann man doch von jedem Telephonapparat eine (einseitige – also zum gehörlosen Teilnehmer hin) Texttelephonverbindung aufbauen.

Die Codierung erfolgt unter Zuhilfenahme einer Schablone, die über die Tastatur gelegt wird (Abb. 8.11).

Abb. 8.11: Schablone zum Erstellen von Texten über DTMF Codierung

 Die deutschsprachigen Länder (aber auch Italien, Spanien und Malta) haben einen vollkommen eigenständigen Texttelephon Standard entwickelt, der leider mit keinem käuflich erhältlichen Computermodem erzeugt werden kann. In der vergeblichen Hoffnung auf eine weiter Verbreitung wurde er EDT (European Deaf Telephone) Standard benannt.

 In den USA hat die Texttelephonie damit begonnen, daß gehörlose Personen gratis mit ausgedienten Fernschreibern bedacht wurden. Daher hat sich dort bis heute der aus dem Telexverkehr übliche Standard (Baudot und Bell Code) gehalten.

Tabelle 8.1 zeigt eine Zusammenstellung der in Europa und in den USA gebräuchlichen Übertragungsprotokolle für Texttelephone:

8.HILFSMITTEL FÜR TELEPHON-ANWENDUNGEN

Standard Verbreitung Anmerkung

V.23 - (1200/57 bit/s) Frankreich Minitel Standard, BTX

EDT - (110 bit/s) Deutschland, Schweiz, Österreich,

Italien, Spanien, Malta Träger nur während der Sendung V.21 – Nordic - (300 bit/s) Schweden, Norwegen, Finnland Vollduplex, 7 bit, even parity

V.21 – British - (300 bit/s) Großbritannien Vollduplex

DTMF - (Mehrfrequenzwahl) Dänemark, Holland Kombination aus zwei Wähltönen Baudot/TDD - (45.45 bit/s) USA, Irland, Island, Teile von

Großbritannien FSK 1400/1800 Hz

Bell - (300 bit/s) USA Vollduplex

Tabelle 8.1: Texttelephonstandards

8.4.3 Der Internationale Texttelephon-Standard V.18

Nach mehrjährigen Vorbereitungen, die stark durch die Arbeiten der EU Forschungsprogramme COST 219 und 220 stimuliert wurden, hat die ITU (International Telecommunication Union, früher CCITT) im Frühjahr 1998 die Empfehlung für den V.18 Standard herausgegeben. Diese Empfehlung schreibt fest, welche Modem-Prozeduren in Zukunft für das automatische Zusammenspiel zwischen Texttelephonen weltweit eingehalten werden sollen.

Das Besondere an V.18 ist, daß es mit allen in Tabelle 8.1 genannten bestehenden Standards abwärtskompatibel ist. Das heißt, ein mit V.18 ausgestattetes Endgerät ist in der Lage, mit jedem anderen bestehenden Texttelephon eine Verbindung aufzubauen. Dabei bildet V.21 die Basis, auf der ein Verbindungsversuch unternommen wird. Gelingt das nicht, fällt V.18 Schritt um Schritt auf die anderen Normen herunter, bis ein gemeinsames Protokoll gefunden wird.

Gleichzeitig ist in V.18 auch die Verwendung der Zeichensätze der ITU Empfehlung T.140 festgeschrieben, sodaß nicht nur die fernmeldetechnischen Grundlagen für internationale Texttelephonie gelegt wurden, sondern es auch sichergestellt ist, daß internationale Zeichensätze richtig verarbeitet werden können.

Weiters wurden Vorkehrungen für "multi-mode text telephony" getroffen, bei der die gleichzeitige Übertragung von Sprache und Text möglich ist.

8.4.4 Relay Service (Text und Gebärde)

Zur telephonischen Verständigung zwischen gehörlosen und hörenden Personen ist es entweder erforderlich, daß beide Seiten ein Schreibtelefon verwenden oder daß eine Vermittlungsstelle eingeschaltet wird, die als Übersetzer zwischen Schrift und Sprache agiert (Abb. C 3.12). In einigen Ländern werden derartige Dienste von der Post oder von privaten Einrichtungen betrieben. In den USA ist den Netzbetreibern die Errichtung von Texttelephone-Relay-Services (TRS) per Gesetz (ADA) vorgeschrieben (Abb. 8.12).

Abb. 8.12: Arbeitsweise eines Vermittlungsdienstes (Relay Service)

Die Vermittlung über den „Operator“ erfolgt üblicherweise in beiden Richtungen. Bei sprechbehinderten (aber hörenden) Personen, kann der Ton in der Richtung vom nichtbehinderten Teilnehmer zur sprechbehinderten Person auch direkt durchgeschaltet werden. Auch der umgekehrte Fall wird praktiziert, wenn die gehörlose Person über ausreichende Lautsprachkompetenz verfügt (VCO = Voice Carryover).

In einigen Jahren ist es zu erwarten, daß Vermittlungsdienste unter Verwendung von Spracherkennung und Sprachsynthese auch teil- oder vollautomatisch arbeiten können, was sich stark auf die Rentabilität auswirken wird.

8.4.5 Faxgerät und Internet

Aufgrund der geringen Verbreitung von Schreibtelefonen (vor allem bei nicht-hörbehinderten Personen) ist diese Technik in den letzten Jahren besonders in jenen Ländern, in denen keine Vermittlungsdienste angeboten werden, mehr und mehr ins Hintertreffen geraten. Die starke Verbreitung von Faxgeräten hat viele gehörlose Personen veranlaßt, ihre Telekommunikationsbedürfnisse mittels Fax zu befriedigen.

Wenngleich eingeräumt werden muß, daß eine vorhandene Fax-Verbindung in jedem Fall besser ist, als ein beim gewünschten Gesprächspartner nicht vorhandenes Schreibtelefon, so darf nicht vergessen werden, daß das Fax kein dialogfähiges Gerät ist. Beim Telefonieren ist echte Interaktion mit dem Gesprächspartner möglich. Jede Antwort beim Fax bedingt die Beendigung einer Verbindung, das Schreiben und Einlegen der Antwort-Nachricht und den Aufbau einer neuen Verbindung in der Gegenrichtung.

Die Verwendung von Verbindungen über das Internet bietet sich ebenfalls als Alternative zum Schreibtelephon an. Programme und Dienste wie ICQ, Pow-Wow, Netmeeting, Skype bieten die Möglichkeit zum "Chat", das heißt zu Schreibverbindungen zwischen zwei über das Internet verbundene Computer.

Zwei Dinge dürfen aber dabei nicht vergessen werden: Erstens steht nicht überall dort, wo ein Schreibtelephon leicht angeschlossen werden kann ein Computer zur Verfügung (z.B.

Telephonzelle, Hotelzimmer). Zweitens ist ein Telephon immer auf Empfang geschaltet und macht sich (akustisch oder optisch) bemerkbar, wenn ein Anruf kommt. Computer sind meistens nicht permanent in Betrieb oder permanent am Internet, sodaß sie den Teilnehmer nicht rufen können, wenn ein "Chat" eintrifft.

Es bleibt also abzuwarten, ob die momentan stark forcierte Verwendung von Fax-Geräten nicht doch nur eine notgedrungene Zwischenlösung bleibt, bis entweder Vermittlungsdienste auf breiter Basis angeboten werden oder neue Kommunikationstechniken wie Internet-Chat oder Videotelephonie die Oberhand gewinnen.

8.HILFSMITTEL FÜR TELEPHON-ANWENDUNGEN