Neben den bereits unter "Behinderungen des Sprechens" erwähnten Einschränkungen kommen noch Auswirkungen von motorischen Behinderungen auf die Fähigkeit zu
4.7 Auge und visuelle Wahrnehmung
4.7.1 Aufbau des Auges
Das Sinnesorgan zur Wahrnehmung optischer Reize ist das Auge. Der menschliche Augapfel (Bulbus) ist kugelförmig und hat einen Durchmesser von ca. 25 mm.
Der aus einer durchsichtigen, gallertartigen Substanz bestehende Glaskörper (Corpus vitreum), der den gesamten Innenraum ausfüllt, wird von drei Hautschichten umgeben und in seiner Form gehalten (Abb. 4.16).
Die äußerste Augenhaut, die Lederhaut (Sclera), weist nur geringe Elastizität auf und ist für die Formgebung verantwortlich. Im vorderen Teil des Auges geht die Lederhaut vor der Linse in die durchsichtige Hornhaut (Cornea) über.
Die mittlere Schicht setzt sich aus drei Abschnitten zusammen. Drei Viertel des Augapfels umschließt die von zahlreichen Gefäßen durchzogene Aderhaut (Choroidea). Vorne, um die Linse herum, geht die Aderhaut in den Strahlenkörper (Corpus ciliare) über, der den Ziliarmuskel enthält, welcher durch Veränderung der Krümmung der Linse für die Akkommodation (Scharfstellung) sorgt. Im Strahlenkörper wird auch das Kammerwasser gebildet. Das Verhältnis aus Produktion und Resorption des Kammerwassers bestimmt den Augeninnendruck. Noch weiter vorne schließt sich die Regenbogenhaut (Iris) an, die durch Veränderung des Sehlochs (Pupille; lat. Pupilla) die in das Auge einfallende Lichtmenge bestimmt ("Irisblende" in der Photographie).
Die innerste, auf dem Glaskörper aufliegende Augenhaut ist die Netzhaut (Retina), die wiederum aus mehreren Schichten besteht.
Abb. 4.16: Schnitt durch das menschliche Auge
4.7.2 Physiologie des Auges
a) Die Netzhaut
Die Netzhaut ist sowohl Träger der Photorezeptoren als auch mehrerer Nervenschichten, die eine erste Verarbeitung der visuellen Reize vornehmen. Sie ermöglicht die Wahrnehmung von Intensität, Wellenlänge und räumlicher Zuordnung einfallender optischer Reize. Die Erfassung der optischen Reize beginnt in der dem Licht abgewandten Schicht der Netzhaut, die die Photorezeptoren trägt ("inverses" Auge). Die ca. 120 Mio. Stäbchen (engl. rods) ermöglichen das schwarz/weiß (hell/dunkel) Sehen, während die auf drei unterschiedliche Wellenlängen ausgelegten 6 Mio. Zäpfchen (engl. cones) der Farbenwahrnehmung dienen (Abb. 4.17.
Abb. 4.17: Schnitt durch die Netzhaut – Lichteinfall von links;
Reizleitungsrichtung von rechts nach links; nach [MÖR 81]
b) Intensitätsbereich und Adaptation
Der Intensitätsbereich, in dem das Auge Reize verarbeiten kann erstreckt sich über einen Bereich von 1:1012 und wird durch verschiedene Mechanismen der Adaptation bewältigt:
Verwendung von zwei unterschiedlich empfindlichen Rezeptor-Typen (Stäbchen und Zäpfchen)
Veränderung der einfallenden Lichtmenge durch die Pupille (Verhältnis 1:16 – schneller Vorgang7)
Aufbau und Abbau von Sehfarbstoff in den Rezeptoren (langsam) Adaptive räumliche und zeitliche Reizintegration in der Netzhaut.
Die Empfindlichkeit der Stäbchen ist etwa 2.000 mal höher als die der Zäpfchen. Bei geringen Leuchtdichten (Dämmerung) liefern die Zäpfchen daher keinen Beitrag, was zur Folge hat, daß die Farbenwahrnehmung nur bei ausreichender Beleuchtung möglich ist.
7 Dieser Wert bezieht sich auf das jugendliche Auge; für die Verhältnisse im Alter.
4.KOMMUNIKATIONSBEHINDERUNGEN
Beleuchtungsstärke [lx] 10
-5 10-4 10-3 10-2 10-1 100 101 102 103 104 105 106 Stäbchen
Zäpfchen
Bereich skotopisch mesopisch photopisch
Tabelle 4.4: Absolute Empfindlichkeit von Stäbchen und Zäpfchen [ZAG 97]
Fehlen durch eine Schädigung des Auges die Stäbchen8, ist nur Tagessehen (mesopisches und photopisches Sehen) möglich und es kommt zur Nachtblindheit (kein skotopisches Sehen). Das Auge ist mit einer absoluten Intensitätsschwelle von 8·10-18 W/cm2 im Vergleich zum Ohr um den Faktor 10 empfindlicher.
c) Akkommodation (Scharfstellung)
Die Scharfstellung des Auges (Akkommodation) erfolgt durch die Veränderung der Brechkraft der Linse. Das fernakkommodierte Auge (Einstellung auf unendlich) hat eine Brechkraft von rund 60 Dioptrien9 ( = 17mm Brennweite). Bei maximaler Nahakkommodation (Einstellung auf 10 cm) erhöht sich die Brechkraft um rund 12 Dioptrien10.
Durch eine Kontraktion des Ziliarmuskels werden die Zonulafasern entspannt. Die Linse wird zufolge ihrer Elastizität dicker, die Brechkraft wird erhöht und das Auge akkommodiert auf die Nähe (Abb. 4.18).
Abb. 4.18: Augenlinse und Akkommodation [MÖR 81]
8 Da im peripheren Bereich der Retina fast ausschließlich Stäbchen vorkommen, führt ein Ausfall dieses Rezeptortyps neben der Nachtblindheit auch zum Verlust des peripheren Gesichtsfeldes, es kommt zum sogenannten Tunnelblick.
9 Dioptrie = Reziprokwert der (vorderen) Brennweite in Meter; Abkürzung dpt
10 Gilt für das jugendliche Auge und ist stark vom Alter abhängig.
4.7.3 Lichttechnik und Kenngrößen für das Auge
a) Photometrie und Lichttechnik
Lichtstärke Candela cd
Lichtstrom Lumen ( = Candela ∙ Steradiant11) lm ( = cd∙sr)
Leuchtdichte (Luminanz) Candela / m2 cd / m2
Beleuchtungsstärke (Illuminanz) Lux ( = Lumen / m2) lx ( = lm/m2) Typische mittlere Leuchtdichte der
natürlichen Umwelt Bei bewölktem Nachthimmel 10 –6 cd/m2
Bei klarem Sternenhimmel 10 –3 cd/m2
Bei Vollmond 10 –1 cd/m2
Bei Sonnenschein und hellen Flächen 10 7 cd/m2
Typische Beleuchtungsstärken Beleuchtung durch Vollmond 1 lx
Wohnraumbeleuchtung 100 ... 200 lx
Lesebeleuchtung 300 lx
Beleuchtung durch indir. Sonnenlicht 2.000 ... 10.000 lx Beleuchtung durch dir. Sonnenlicht 70.000 ... 100.000 lx
Sichtbares Licht Spektraler Bereich 380 ... 760 nm
Umrechnung in US Größen Leuchtdichte: candela / ft2 1 cd/m2 = 9,29∙10-2 cd/ft2 Leuchtdichte: foot-lamberts 1 cd/m2 = 0,292 fL Beleuchtungsstärke: footcandles 1 lx = 0,0929 fc
1 fc = 10,76 lx
Umrechnung in Strahlungsgößen Watt / cm2 bei 555 nm 1 W/cm2 = 6,83∙106 cd/m2 Tabelle 4.5: Kenngrößen der Photometrie und Lichttechnik
11 1 Steradiant ist jener Raumwinkel, der aus einer Kugel vom 1 m Radius eine Kalotte mit eine Fläche vom 1 m2 herausschneidet
4.KOMMUNIKATIONSBEHINDERUNGEN
b) Auge
Augenabstand 6 cm
Brechungsindizes Luft 1,00
Glas 1,52
Wasser 1,33
Hornhaut 1,37
Augenlinse (äquivalent) 1,40
Chromatische Aberration über gesamtes sichtbares Spektrum 2 Dioptrien
Größe der Retina 50 mm x 50 mm
Dicke der Retina 0,4 mm
Abbildungsverhältnisse Blickwinkel 1° 0,3 mm auf der Retina
Makula Größe 1,5 mm
Gesichtsfeld 5°
Fovea centralis Größe 0,5 mm
Gesichtsfeld 1° 40'
Foveola (innerster Bereich d. Fovea) Größe 0,1 mm
Gesichtsfeld 20'
Blinder Fleck Größe 1,5 mm x 2,1 mm
Gesichtsfeld 5° hor., 7° vert.
Lage auf der Netzhaut 15° nasal
Abmessungen der Zäpfchen foveal: Durchmesser 1 bis 4 µm
Länge 50 bis 80 µm
Abmessungen der Zäpfchen sonst: Durchmesser 4 bis 10 µm
Länge 40 µm
Abmessungen der Stäbchen: Durchmesser 1 µm
Länge 60 µm
Saccaden (beim Fixieren) Zeitabstände 0,3 bis 5 s
Auslenkung 1 bis 20'
Akkommodation Einstellzeit 0,5 bis 1 s
Geschwindigkeit 5 dpt/s
Lidschlag Frequenz (Grenzwerte) 0,1 bis 3 Hz
Schließdauer unwillkürlich < 100 ms Schließdauer willkürlich > 250 ms Tabelle 4.6: Kenngrößen für das Auge
c) Reizschwellen, Bereiche
Maximale wahrnehmbare
Ortsfrequenz photopisch 50 bis 60 Linien/Grad
skotopisch 20 - 30 Linien/Grad
Maximal wahrnehmbare
Frequenz photopisch 80 Hz
skotopisch 40 Hz
Absolute Reizschwelle 810-8 W/cm2
Dynamikbereich 1 : 1012
Diskriminationsschwelle für
aufeinanderfolgende Lichtimpulse 15 bis 20 ms
Kontrastschwelle photopisch, für statische Kante L/L = 0,01
Reaktionszeit auf optische Reize 150 bis 170 ms
Schädigungsschwelle Reversibel 230 bis 600 Ws/m2
Dauernd > 600 Ws/m2
Tabelle 4.7: Kenngrößen für Reizschwellen und Funktionsbereiche des Auges
Quellen: [WAN 95, PÖP 85, GUS 96, SCH 97, SCH 77, MIS 98, RYE 97, Bro 94, MET 96]