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ERSTES HALBBYTE

6.1.6 Andere taktile Schriften

a) Blindenschrift nach W. Moon

William Moon lebte von 1818 bis 1894 als blinder Pastor in Brighton (UK). Seine seelsorgerliche und soziale Tätigkeit unter der blinden Bevölkerung von Brighton erstreckte sich auch auf das Unterrichten von damals bereits existierenden taktilen Schriften. Diese Arbeit ließ ihn erkennen, wie schwierig diese Blindenschriften zu erlernen waren und er suchte daher nach einer besseren Lösung. Sein Ansatz war – im Gegensatz zu L. Braille – die möglichst gute Anlehnung an die Formen der Druckschrift.

1844 begann er mit einer hölzernen Druckerpresse, mit der er die von ihm geschaffenen Schriftzeichen in dickes, vorher angefeuchtetes Papier pressen konnte. Die Anfeuchtung ist erforderlich, um ein Reißen des Papiers zu verhindern.

1870 erfolgte die erste Publikation in Moon-Schrift in England und Mitte der 70er Jahre des 19.

Jahrhunderts war "Moon" der Blindenschrift-Standard in England. Obwohl L. Braille seine Punktschrift bereits 1826, also 18 Jahre von W. Moon entwickelt hatte, wurde sie erst rund 10 Jahre nach der Moon-Schrift in England eingeführt (1881). Noch zu seinen Lebzeiten wurden von der von W. Moon ins Leben gerufenen Blindenschrift-Druckerei Bücher in 471 Sprachen für alle fünf Kontinente hergestellt. Seine Druckerei bestand bis 1960.

"God gave me the talent of blindness to use for His glory. Without blindness I should never have been able to see the needs of the blind (Zitat von W. Moon)."

Abb. 6.31 zeigt das Moon-Alphabet. Deutlich ist zu erkennen, daß die meisten Buchstaben sich in vereinfachter Form ganz oder zumindest stark assoziativ an die Formen der lateinischen Schrift anlehnen.

Abb. 6.31: Das Alphabet der Moon-Schrift

Diese Ähnlichkeit zur Schwarzschrift bringt, im Gegensatz zur sonst verwendeten Braille-Schrift, enorme Vorteile für späterblindete Personen. Offenbar haben sich bei späterblindeten Personen die optischen Schriftzeichen bereits so sehr eingeprägt, daß zusammen mit einem allgemein schlechteren Lernvermögen nur sehr selten Braille nutzbringend erlernt werden kann. Tatsache ist jedenfalls, daß das Erlernen von Brailleschrift für eine effektive Nutzung mehr oder weniger auf die Kindheit und Jugend beschränkt ist.

In England ist die Moon-Schrift für die alterserblindete Bevölkerung nach wie vor in Verwendung. Interessanterweise ist das in anderen Ländern, obwohl der gleiche Bedarf besteht, nicht der Fall.

Weil die meisten der Schriftzeichen in mehreren Ausrichtungen vorkommen (z.B. A, X, V und K sind das gleiche Zeichen, jeweils um 90° verdreht) kommt der Moon-Setzkasten mit verhältnismäßig wenigen verschiedenen Typen aus.

Wie bei der Braille-Schrift werden die Ziffern durch die ersten 10 Buchstaben des Alphabets und Voranstellen eines Zahlenzeichens gebildet. Außer den üblichen Satzzeichen gibt es auch einige (wenige) Abkürzungen (Abb. 6.32).

Abb. 6.32: Ziffern, Satz- und Sonderzeichen der Moon-Schrift Grade I

Neben der in Abb. 6.31 und Abb. 6.32 gezeigten Grade I Moon-Schrift gibt es auch noch den Grade II, der weitere Kürzungen vorsieht, aber wesentlich einfacher gestaltet ist als Braille-Kurzschrift.

Bemerkenswert ist außerdem noch, daß die Zeilen eines Textes in Moon in Mäandern gelesen werden. Die erste Zeile wird also wie üblich von links nach rechts gelesen, die zweite Zeile jedoch von rechts nach links usw.. Um die Leserichtung anzuzeigen, befinden sich am linken und rechten Rand des Textes die sogenannten "Guide Lines", die den Lesefinger von einer zur nächstfolgenden Zeile leiten.

Diese Art des Lesens wurde eingeführt, damit insbesondere ältere Menschen weniger Probleme mit dem Finden der nächsten Zeile haben. Das Rückspringen auf den Anfang der nachfolgenden Zeile ist offensichtlich schwieriger zu bewältigen als das auch gewöhnungsbedürftige mäanderförmige Lesen.

Abb. 6.33 zeigt eine Textprobe der Moon-Schrift. Hier wird die Verwendung der Guide Lines besonders deutlich.

6.METHODEN DER ALTERNATIVEN KOMMUNIKATION

Abb. 6.33: Textprobe der Moon-Schrift25

Die geringe Verwendung der Moon-Schrift hängt mit den Nachteilen bei der Produktion zusammen. Während sich Braille bereits mit einfachsten Mitteln (Schreibschablone oder Schreibmaschine) herstellen läßt, wird für Moon zumindest eine Art Setzkasten und eine Presse benötigt. Im Kapitel 10.5 wird die Herstellung von Blindendruck näher besprochen. Dort ist auch ein Beispiel dafür zu finden, wie Moon behelfsmäßig mit einem graphikfähigen Braille-Drucker hergestellt werden kann.

b) Taktile Beschriftungen nach Fishburne

Mit dem Fishburne Alphabet wurde für sehbehinderte und blinde Personen, die Braille nicht erlernt haben oder nicht erlernen konnten oder eine vermindere taktile Wahrnehmung haben (z.B. zufolge Diabetes), ein taktiles Alphabet geschaffen, mit dem zwar keine Schriftstücke verfaßt werden können, das sich aber zum Kennzeichnen von Gegenständen (Kleidungsstücken, Lebensmitteln, Arzneiwaren) und für kurze Notizen (z.B.

Telephonnummern) durchaus eignet. Wie bei einem Setzkasten wird jeder einzelne Buchstabe auf ein 1 inch (25,4 mm) langes Stück eines ½ inch (12,7 mm) breiten selbstklebenden Beschriftungsband (Dymo® – Band) geprägt. Abb. 6.34 zeigt (verkleinert) den Aufbau des Fishburne Alphabets [NEW 88].

Zu beachten ist, daß jede Punkt- oder Strichform entweder nur in der oberen Hälfte oder in der unteren Hälfte oder in beiden Hälften des Etiketts verwendet werden kann. Damit kann für je drei Buchstaben der gleiche Prägestempel verwendet werden. Für „A“ wird z.B. ein Punkt oben, für „B“ ein Punkt unten und für „C“ je ein Punkt oben und unten geprägt.

25 Der dargestellte Text lautet: This is an ink print specimen of Moon type. Isn't it?

Abb. 6.34: Fishburne Alphabet (verkleinert)

Die Prägevorrichtung zur Herstellung von Etiketten (jeder Buchstabe ist ein eigenes Etikett)26 im Fishburne Alphabet zeigt Abb. 6.35.

Abb. 6.35: Herstellung von Fishburne-Etiketten

c) Florian Alphabet

Einen weiteren Versuch, der allerdings bisher keine Verbreitung gefunden hat, taktile Schrift auch nicht Braille kundigen Personen zugänglich zu machen stellt das in den späten 80er Jahren vorgestellte Florian Alphabet dar. Anstelle einer Matrix, die nur mit Übung zu lesen ist, codiert Florian die Zeichen seines Alphabets nur in einer Zeile. Als Codierung wird das Schema der Morsezeichen unverändert übernommen27. Dem kurzen Zeichen des Morsealphabets

26 Es wird empfohlen, zur Herstellung der leeren (ungeprägten) Etiketten eine herkömmliche Prägezange (z.B. Dymo® oder 3M®) ohne eingesetzte Prägescheibe zu verwenden. Nach einem Bandvorschub von 1 inch wird das Band mit der eingebauten Schneidevorrichtung abgeschnitten. Das hat den Vorteil, daß Etiketten gleicher Länge und mit der Kerbung zum leichteren Abziehen der Schutzfolie auf der Rückseite entstehen.

27 Bereits 1856 wurde von Bourseul (Frankreich) der Vorschlag gemacht, Morsezeichen als tastbares Alphabet zu verwenden.

6.METHODEN DER ALTERNATIVEN KOMMUNIKATION

entspricht ein Punkt, dem langen Zeichen ein Strich, der aber wegen der leichteren Herstellbarkeit mit einem Griffel aus zwei übereinander liegenden Einzelpunkten geformt wird (Abb. 6.36)

Abb. 6.36: Das Florian Alphabet, Punktschrift nach dem Schema der Morsezeichen angeordnet28

Florian hat diese Entwicklung genauso wie Fishburne nicht als Konkurrenz oder Ersatz für Braille gedacht. Es sollte damit eine Hilfsschrift eingeführt werden, die auch Personen, die Braille nicht (oder noch nicht) beherrschen, eine Möglichkeit zum Herstellen von Beschriftungen, für kurze Notizen oder zum Anlegen von Adreß- und Telefonverzeichnissen in die Hand zu geben. Das Florian Alphabet kann mit einem Griffel und einer passenden Schablone (eventuell auch mit einer herkömmlichen Braille-Schablone) geschrieben werden.

Der Vorteil liegt unbestritten in der leichteren Lesbarkeit (der Unterschied zwischen einem und zwei Punkten ist auch mit geringer taktiler Wahrnehmungsfähigkeit leicht zu erkennen) und in der platzsparenden Anordnung, da ja das Morsealphabet für häufige Buchstaben kurze Zeichen verwendet.

28 Nach einem undatierten und offenbar unveröffentlichten Manuskript, das dem Autor in Fragmenten vorliegt.