• Keine Ergebnisse gefunden

Erpressung – Rechtswidrigkeit der Bereicherung

BGH, Urteil vom 28.10.2010, Aktenzeichen 4 StR 402/10, NStZ 2011, 519-520

1. Rechtswidrig ist ein Vermögensvorteil, wenn auf diesen kein rechtlich be-gründeter Anspruch besteht. Allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig.

2. Die Abgrenzung von (räuberischer) Erpressung und Raub erfolgt nach dem äußeren Erscheinungsbild (Nehmen: § 249 StGB; Geben: § 253 StGB).

3. Bei einem zweiaktigen Geschehen steht der Annahme von Tateinheit zwi-schen versuchtem Raub und der versuchten schweren räuberizwi-schen Erpressung nichts entgegen.

Sachverhalt (vereinfacht):

A hat „Zechschulden“ in der Bar des T in Höhe von etwa 570,- EUR. Nachdem A in den Morgenstunden des 29.2.2008 wiederum in der Bar des T war und kurz vor dem Gehen erneut erklärt, er könne auch die bei diesem Besuch ent-standenen Kosten in Höhe von rund 100,- EUR nicht begleichen, entschließt sich T, A dieses Mal nicht gehen zu las-sen, ohne ihm Geld und Wertsachen abgenommen zu haben. T bedroht A zu

diesem Zweck mit einer Pistole und schlägt ihm diese mehrfach wuchtig auf den Kopf. Daraufhin befiehlt T dem A, ihm alle mitgeführten Wertgegenstände auszuhändigen – unabhängig davon, ob A Eigentümer von diesen sei oder nicht.

Wie von T geplant, händigt A unter dem Eindruck der vorangegangenen Gewalteinwirkung 30,- EUR Bargeld und die EC-Karte seiner Freundin K samt zugehöriger PIN aus. Die EC-Karte hatte A mitgenommen, um den Abend zu finanzieren; mangels Kontodeckung

misslingt dieses Vorhaben allerdings. T geht davon aus, die EC-Karte gehöre nicht A, sondern A habe diese gestoh-len. Da T bei A noch weitere Wertge-genstände vermutet, „durchsucht“ er A unter Gewaltanwendung; er findet al-lerdings nichts.

I. Strafbarkeit des T nach §§ 253 I, 255 StGB (30,- EUR Bargeld)?

1. Tathandlung (Gewaltanwendung und vorliegend insbesondere auch die An-drohung weiterer Gewaltanwendung) ist zu bejahen.

2. Fraglich ist, ob der für § 253 StGB notwendige Nötigungserfolg eingetre-ten ist. Hierzu macht der BGH keine Ausführung; erst in den Konkurrenzen kommt er en passant in anderem Zu-sammenhang auf das Problem zu spre-chen. Es treffe zu,

… dass für die Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs allein das äußere Erscheinungs-bild des vermögensschädigenden Verhal-tens des Verletzten maßgeblich ist…

3. Ein Vermögensschaden in Höhe von 30,- EUR liegt vor. T handelte auch vor-sätzlich hinsichtlich dieser objektiven Tatbestandsmerkmale.

4. Problematisch ist vorliegend die von

§ 253 I StGB geforderte Absicht einer rechtswidrigen Bereicherung. T wollte sich bereichern; Absicht im technischen Sinne (dolus directus ersten Grades) ist gegeben. Fraglich ist allerdings, ob der erstrebte Vermögensvorteil auch rechtswidrig war:

Der Täter will sich dann zu Unrecht berei-chern, wenn er einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen rechtlich be-gründeten Anspruch hat […] Allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig […]Entsprechendes gilt für das Tatbestandsmerkmal der Rechtswid-rigkeit der Zueignung beim Tatbestand des Raubes im Sinne des § 249 StGB…

Ein einredefreier und durchsetzbarer zivilrechtlicher Anspruch in Höhe von 670,- EUR (570,- EUR „Altschulden“

sowie 100,- EUR Anspruch aus dem ak-tuellen Barbesuch) bestehen. Die

Rechtswidrigkeit der erstrebten Berei-cherung ist daher abzulehnen.

II. Strafbarkeit des T nach §§ 253 I, 255, 22, 23 I StGB (EC-Karte der Freundin)?

1.-3. Die Tat ist nicht vollendet; ein Vermögensnachteil ist nicht entstanden (Abhebungen mit der EC-Karte blieben erfolglos); ansonsten ist auf die Prüfung unter I. zu verweisen.

4. Problematisch ist wiederum die Rechtswidrigkeit der erstrebten Berei-cherung. Ausreichend ist nach Wortlaut des § 253 StGB, dass dem Vermögen eines Dritten (hier der K) ein Schaden zugefügt wird.

Zwar hatte der Angeklagte gegenüber dem Geschädigten nach den Feststellungen zwei fällige und einredefreie Forderungen in Höhe von insgesamt etwa 670 € aus Zechschulden. Auch blieb der vom Ange-klagten unter dem Druck der Misshand-lungen herausgegebene Geldbetrag mit 30

€ deutlich unter der im Ergebnis berechtig-ten Gesamtforderung. Die Strafkammer hat jedoch ferner festgestellt, dass sich der Angeklagte von dem Geschädigten die EC-Karte sowie die auf einem Zettel vermerkte

PIN der Zeugin K. aushändigen ließ, um sie zur Abhebung von Geldbeträgen in nicht näher festgestellter Höhe einzuset-zen, und dabei in der Vorstellung handelte, der Geschädigte habe diese Karte einer unbekannten Berechtigten zuvor entwen-det. Damit ist die Absicht rechtswidriger Bereicherung hinreichend dargetan, da der Angeklagte, wie das Landgericht weiter ausgeführt hat, sich darüber im Klaren war, dass er keine Berechtigung hatte, sich durch Abhebung von einem nicht dem An-geklagten gehörenden Konto im Hinblick auf seine Forderungen gegen diesen schad-los zu halten.

Eine versuchte (räuberische) Erpres-sung ist mithin zu bejahen.

III. Strafbarkeit des T nach §§ 249, 22, 23 I StGB („Durchsuchen“ des A)?

Ein versuchter Raub nach § 249 StGB ist zu bejahen (durch Gewalteinwirkung erzwungene und erfolglose Durchsu-chung des A nach Wertgegenständen).

IV. Problematisch werden hier so-dann die Konkurrenzen

Auch die Annahme von Tateinheit zwi-schen dem Tatbestand des versuchten

Raubes und dem der versuchten schweren räuberischen Erpressung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Es trifft zwar zu, dass für die Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs allein das äußere Erscheinungs-bild des vermögensschädigenden Verhal-tens des Verletzten maßgeblich ist […] und der Tatbestand des (versuchten) Raubes hinter dem der vollendeten räuberischen Erpressung zurücktreten kann, wenn die erzwungene Herausgabe der verlangten Sache und nicht die Duldung ihrer Weg-nahme das Tatbild prägt […] Das Landge-richt hat indes im vorliegenden Fall ein – rechtsfehlerfrei als Tateinheit bewertetes – zweiaktiges Geschehen festgestellt, bei dem der Geschädigte zunächst unter dem Eindruck von erheblichen Misshandlungen verlangte Sachen herausgab und im An-schluss (zusätzlich) die – erfolglose – Durchsuchung seiner Kleidung nach wei-teren Wertgegenständen durch den Ange-klagten und den Mittäter G. dulden muss-te.

Hinweise:

1. Das Urteil spricht viele Standardprob-leme von Raub und (räuberischer)

Er-pressung an. Durchaus anspruchsvoll ist es, das auch im Langtext sehr knap-pe Urteil in ein ordentliches Gutachten zu überführen. Zur Übung sei dies durchaus empfohlen.

2. Im Rahmen der Prüfung des Nöti-gungserfolges wäre in einer Klausur das Problem anzusprechen, ob das Tun, Dulden oder Unterlassen die Qualität einer Vermögensverfügung, also eines Handelns, Duldens oder Unterlassens mit unmittelbar vermögensmindernder Wirkung, haben muss oder nicht. Der BGH folgt hier seiner Linie, wonach das Geschehen nach seinem äußeren Er-scheinungsbild zu beurteilen sei (A gibt die Wertgegenstände, daher Strafbar-keit aus § 253 StGB; würden A die Wertgegenstände genommen, wäre ei-ne Strafbarkeit aus § 249 StGB zu beja-hen). Nach anderer Ansicht ist auch die innere Willensrichtung des Opfers ab-zustellen, insbesondere darauf, ob er sich in einer „Schlüsselstellung“ wähnt, in dem ihm Handlungsalternativen bleiben; das wäre auf der Grundlage des vom BGH berichteten Sachverhalts kei-neswegs eindeutig zu beantworten.

3. Das Urteil gibt auch Anlass, sich dem leidigen Thema „Konkurrenzen“ zu widmen. Abgesehen vom Hinweis man-ches Repetitors, möglichst nichts oder zumindest nur wenig zu den Konkur-renzen in der Klausur zu sagen, weil man eh nur falsch liegen könne, sind die Konkurrenzen ein unterschätztes Gebiet. Wer gerade am Ende einer Klausur mit ordentlichen Ausführungen zu den Konkurrenzen Überblick und Wissen beweist, kann sich sicher sein, dass dies von jedem Korrektor positiv verbucht wird.

(Akad. Mit. Alexander Baur, M.A.)

Tötung zur Verdeckung einer unbefugten Verfügung