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80 Absatz 6 VwGO ist eine nicht nachholbare Zugangsvoraussetzung

VGH BW, Beschluss vom 28.02.2011, 2 S 107/11, VBlBW 2011, 238-239

Die Voraussetzung des § 80 Absatz 6 VwGO (Durchführung eines erfolglosen behördlichen Aussetzungsverfahrens) ist eine Zugangsvoraussetzung, die im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht erfüllt sein muss.

Sachverhalt (zu Ausbildungszwe-cken vereinfacht):

Die Verfahrensbeteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines Wasserversorgungsbeitrags. Der An-tragsgegner hat gegenüber der Antrag-stellerin mit Bescheid einen Wasserver-sorgungsbeitrag erhoben. Der Bescheid enthielt die formularmäßige Ankündi-gung, man werde die Vollstreckung nach Ablauf einer Zahlungsfrist einlei-ten. Konkrete Vollstreckungshandlun-gen erfolgten aber nicht. GeVollstreckungshandlun-gen diesen Bescheid hat die Antragstellerin Wider-spruch eingelegt und gleichzeitig um einstweiligen Rechtsschutz beim waltungsgericht nachgesucht. Das

Ver-waltungsgericht hat den Antrag als un-zulässig abgelehnt. Die hiergegen durch die Antragstellerin erhobene Beschwer-de beim Verwaltungsgerichtshof blieb ohne Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe A. Zulässigkeit

I. Statthafte Antragsart

Statthafte Antragsart ist hier gemäß der Abgrenzungsnorm des § 123 Absatz 5 VwGO das Verfahren nach § 80 Absatz 5 VwGO, da in der Hauptsache gegen den Wasserbesorgungsbeitrag als Ver-waltungsakt im Sinne des § 35 LVwVfG eine Anfechtungsklage statthaft wäre.

Statthaft ist - wegen des gesetzlichen

Entfalls des Suspensiveffekts (vgl. dazu sogleich unten II.) - ein Antrag auf An-ordnung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs.

II. Entfall des Suspensiveffekts

Bei der Erhebung des Wasserversor-gungsbeitrags handelt es sich um eine Anforderung von öffentlichen Abgaben im Sinne von § 80 Absatz 2 Nummer 1 VwGO, so dass der grundsätzlich durch den Widerspruch ausgelöste Suspensiv-effekt (vgl. § 80 Absatz 1 VwGO) kraft Gesetzes entfällt.

III. Vorheriger Aussetzungsantrag bei der Behörde

1. § 80 Absatz 6 Satz 1 VwGO als Zu-gangsvoraussetzung

Nach § 80 Absatz 6 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Absatz 2 Nummer 1 VwGO der Antrag nach § 80 Absatz 5 VwGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Voll-ziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Einen solchen Antrag hat die An-tragstellerin aber gerade nicht gestellt.

Bei der Voraussetzung nach § 80 Absatz 6 VwGO handelt es sich nicht um eine bloße

Sachentscheidungsvorausset-zung, die noch im Laufe des einstweili-gen Rechtsschutzverfahrens nachgeholt werden kann, sondern gemäß der ratio legis der Vorschrift um eine Zugangs-voraussetzung, die im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht erfüllt sein muss. Mit § 80 Absatz 6 Satz 1 VwGO wird zum einen ein Vorrang der verwal-tungsinternen Kontrolle und zum ande-ren eine Entlastung der Gerichte be-zweckt. Beide Zwecke werden nur er-reicht, wenn § 80 Absatz 6 Satz 1 VwGO konsequent als Zugangsvoraussetzung und nicht nur als nachholbare bloße Sachentscheidungsvoraussetzung aus-gelegt wird.

Der VGH führt dazu aus:

„Denn die mit der Bestimmung verfolgte Zielrichtung - einerseits Vorrang der verwaltungsinternen Kontrolle und an-dererseits Entlastung der Gerichte - ist nur zu verwirklichen, wenn § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht lediglich als - im Lau-fe des gerichtlichen Verfahrens nachhol-bare - Sachentscheidungsvoraussetzung interpretiert wird. Dagegen spricht auch nicht, dass ein gerichtlicher Eilantrag wegen Nichtvorliegens der behördlichen

Entscheidung als unzulässig abgelehnt wird und es danach noch zu einem zwei-ten gerichtlichen Aussetzungsverfahren kommen kann. Zum einen ist eine der Antragstellerin günstige Entscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO nicht von vornherein ausgeschlossen. Zum ande-ren bewirkt nur eine konsequente Hand-habung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO, dass die Vorschrift ernst genommen wird und zu der beabsichtigten Entlastung der Gerichte führt“

2. Keine Ausnahme nach § 80 Absatz 6 Satz 2 VwGO

Eine Ausnahme nach § 80 Absatz 6 Satz 2 VwGO liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt das Erfordernis eines vorherigen behördlichen Aussetzungs-antrags nicht, wenn

1. die Behörde über einen Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder

2. eine Vollstreckung droht.

Allein in Frage kommt hier eine Aus-nahme nach § 80 Absatz 6 Satz 2 Nummer 2 VwGO. Von einer drohen-den Vollstreckung ist auszugehen, wenn eine konkrete

Vollstreckungs-maßnahme eingeleitet oder der Beginn der Vollstreckung behördlich angekün-digt worden ist. Wenigstens müssen aus der Sicht eines objektiven Dritten konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchset-zung des Bescheids vorliegen. Dem ge-nügt die bloß formularmäßige Ankün-digung der Vollstreckung nicht, da es hier dem Schuldner zumutbar ist, sich zunächst an die Behörde zu wenden.

Mit den Worten des VGH:

„Die Festsetzung eines Säumniszu-schlags oder der Erlass einer Mahnung genügen hierfür ebenso wenig wie die in einem Bescheid enthaltene formularmä-ßige Ankündigung, man werde die Voll-streckung nach Ablauf einer Zahlungs-frist einleiten. Denn aus der Sicht eines objektiven Betrachters steht die Vollstre-ckung in diesen Fällen zeitlich nicht so unmittelbar bevor, dass es dem Abga-benschuldner unzumutbar wäre, sich zunächst an die Behörde zu wenden“

IV. Ergebnis

Der Antrag auf Anordnung der auf-schiebenden Wirkung nach § 80 Absatz 5 VwGO ist wegen Nichterfüllung der

Zugangsvoraussetzung nach § 80 Ab-satz 6 VwGO unzulässig. Das Verwal-tungsgericht hat diesen daher zu Recht abgelehnt und die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers wurde ebenfalls zu Recht zurückgewiesen.

Hinweise

1. Fragen des einstweiligen Rechts-schutzes sind sowohl im ersten als auch im zweiten juristischen Staatsexamen klassische Prüfungsmaterie und müssen beherrscht werden. Die besprochene Entscheidung ist vor allem für Rechts-referendare unentbehrlich.

2. Der Verwaltungsgerichtshof weist in seiner Entscheidung noch darauf hin, dass es auf eine Begründetheit des An-trags bei Fehlen der Zugangsvorausset-zungen nach § 80 Absatz 6 VwGO nicht mehr ankommt. In einer Examensklau-sur wäre in einer solchen Fallgestaltung dann aber hilfsgutachterlich die Be-gründetheit des Antrags zu untersu-chen.

(RD Jochen Heinz)