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Erklärungsmodelle für die Parknutzung

7. E RGEBNISSE

7.11. Erklärungsmodelle für die Parknutzung

Die Erklärungsmodelle beruhen auf den Kernaussagen der Expert*inneninterviews. Die zentralen Fragestellungen lauten, wie folgt:

• „Warum besteht in den Parkanlagen in Ottakring im Vergleich zu den Parkanlagen in der Josefstadt im Beobachtungszeitraum ein statistisch gesicherter Männerüberhang?“

• „Warum sind Kinder in den Parkanlagen in der Josefstadt im Vergleich zu den Parkanlagen in Ottakring im Beobachtungszeitraum überrepräsentiert?“

• „Warum sind junge Erwachsene in den Parkanlagen in Ottakring im Vergleich zur Altersstruktur in Ottakring im Beobachtungszeitraum überrepräsentiert?“

Eine Hypothese, die versucht, die intensive Nutzung der Parkanlagen in Ottakring von jungen Menschen zu erklären, bezieht sich auf die beengten Wohnverhältnisse im 16.

Bezirk. Frau Dipl.-Ing.in Eva Kail erläutert in einem schriftlichen Statement, dass im Vergleich zum achten Bezirk die Wohnqualität im 16. Bezirk sehr niedrig ist, weshalb die Parkanlagen eine „Wohnzimmerfunktion“ [Hervorheb. d. Verf.] (Kail/ 2020/ Schriftliches Statement) für die Bewohner*innen haben.

Auch Dipl.-Ing. Dr. nat. techn. Florian Reinwald, Senior Scientist am Institut für Landschaftsplanung, erläutert, dass der überfüllte Wohnraum in Ottakring zu intensiver Parknutzung führt. Darüber hinaus illustriert er, dass gerade junge Menschen den Austausch mit Freund*innen suchen, welcher zu Hause während des Lockdowns nicht stattfinden konnte (vgl. Reinwald/ 2020/ 40-45; 48-49).

Bei Berücksichtigung der dritten Fragestellung macht Reinwald in einem Interview auf das tendenziell stark ausgeprägte Risikoverhalten von jungen Männern aufmerksam. Das Risikoverhalten ist, laut Reinwald, bei jungen Männern eher stärker ausgeprägt als bei jungen Frauen. Die Hypothese lautet daher, dass junge Männer in Ottakring aufgrund des tendenziell niedrigeren Risikobewusstsein die Parkanlagen im Beobachtungszeitraum stärker nutzten als junge Frauen. Somit könnte, laut Reinwald, auch ein vorherrschendes Risikoverhalten in Corona Zeiten die Häufigkeit der Parknutzung beeinflussen (vgl.

Reinwald/ 2020/ 12-16).

Die nächste Hypothese lautet, dass die starke Nutzung der Parkanlagen von jungen Menschen, vor allem von jungen Männern, im Beobachtungszeitraum in Ottakring mit der steigenden Arbeitslosigkeit in Lockdown Zeiten von meist migrantischen und schlecht ausgebildeten Bewohner*innen zusammenhängen könnte. Demgegenüber könnten gut ausgebildete junge Menschen, die sich laut Sozialraumatlas überwiegend im Forschungsgebiet in der Josefstadt befinden, während des Lockdowns eher Home-Office betreiben (siehe S.43).

Die Vermutung der hohen Arbeitslosigkeit in der sozioökonomisch schwachen Region in Ottakring wird mit der Annahme von Kail verstärkt, die in einem mündlichen Gespräch auf die hohe Arbeitslosigkeit in Lockdown Zeiten sowie auf die steigende Kurzarbeit aufmerksam macht. Davon betroffen könnten, laut Kail, zu einem hohen Ausmaß auch migrantische Männer in Ottakring sein. Auch Kail verweist auf das Home-Office, das gut ausgebildete junge Männer in der Josefstadt genutzt haben könnten (vgl. Kail/ 2020/

mündliches Gespräch).

Frau Dipl. -Ing. Dr.-Ing. Gesa Witthöft, die an der Technischen Universität Wien am Institut für Raumplanung im Forschungsbereich Soziologie arbeitet, spricht von einem unterschiedlichen „Klassenlager“ [Hervorheb. d. Verf.] (Witthöft/ 2020/ 14-18; 20-22) zwischen dem 16. Bezirk und dem achten Bezirk.

„Wenn man dann im 8. versus dem 16. ich sag mal (.) einen relativ HOHEN Anteil an migrantischen (.) weniger privilegierten migrantischen (.) Anteil an Familien hat (.) also auch im 8. hat man viele migrantische Familien (.) aber das sind dann eher die gut ausgebildeten hoch Qualifizierten (.) viele Deutsche (---) ich ja auch ((lacht)) (…) man merkt eben sozusagen doch unterschiedliche (--) Klassen:lager ( ) zwischen den Bezirken (.) und ähm (.) das muss man natürlich ein Stück weit vor diesem Hintergrund diskutieren.“ (Witthöft/ 2020/ 14-18; 20-22)

Eine Analyse der Agenda Austria zur Arbeitslosigkeit im Lockdown in Österreich illustriert, dass vor allem junge Personen während des Lockdowns von hoher Arbeitslosigkeit betroffen waren (vgl. Kucsera et al. 2020: 2). Folgende Abbildung, die von der Agenda Austria erstellt wurde, zeigt die Veränderung der Arbeitslosenquote zwischen Februar und April 2020 nach Altersgruppen. Dabei wird deutlich, dass vor allem Personen zwischen 20- und 24 Jahren deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Personen über 40 Jahre (vgl. Abbildung 20).

Abbildung 20: Arbeitslosigkeit zwischen Februar und April 2020 (Kucsera et al. 2020: 2)

Gleichzeitig ist, laut der Agenda Austria Analyse, nicht nur das Alter ausschlaggebend für die hohe Arbeitslosigkeit im Lockdown, sondern auch der Grad der Ausbildung (vgl.

Kucsera et al. 2020: 2). „Unterschiede lassen sich aber nicht nur nach dem Alter, sondern auch nach dem Ausbildungsstand festhalten. Im April 2020 stieg die Arbeitslosenquote gegenüber dem Vormonat, insbesondere bei den Geringqualifizierten, sprunghaft an.“

(ebd.: 2)

Die Agenda Austria bestätigt die Annahme von Kail, dass gut ausgebildete Menschen während des Lockdowns die Möglichkeit hatten, ihre Arbeit im Home-Office weiterzuführen. „Generell lässt sich festhalten: Je höher das Bildungsniveau, desto höher der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice.1“ (Kucsera et al. 2020: 2) Der Sozialraumatlas zeigt, dass im Forschungsgebiet im 16. Bezirk vermutlich eher schlecht ausgebildete Bewohner*innen leben (siehe S. 45).

Eine Hypothese, die sich an die Erklärung für die starke Nutzung von Frauen in den Parkanlagen in der Josefstadt heranwagt, ist die Rückkehr zu den traditionellen Rollenbildern auch in höheren Bildungsschichten.

Während Frauen mit ihren Kindern die Parkanlagen nutzten, befanden sich Männer eventuell im Home-Office. Witthöft erwähnt, dass Frauen auch in privilegierten Familien im achten Bezirk wieder stärker die Betreuungsfunktionen für ihre Kinder übernommen haben.

„Im 8. [ist] der Anteil an gut situierten Persone:n (.) die dann=eigentlich relativ modern sind (.) also Frau arbeitet=Mann=arbeitet (…) aber trotzdem ist die Zeit in der Pandemie die Frau (.) wieder in die Versorgungsrolle zurück gerutscht (.) und geht dann halt mit den Kids raus (.) und ist in höherer Anzahl dort zu beobachten.“ (Witthöft/ 2020/ 58-64)

Der „Projektbericht zur Arbeitsmarktpolitik in COVID-19 Zeiten“, der von dem Institut für höhere Studien Wien publiziert wurde, verstärkt die Annahme, dass der Lockdown auch in bildungsnahen Schichten traditionelle Rollenbilder hervorruft. Dies wird vor allem auf die Schließung der Betreuungseinrichtungen folgendermaßen zurückgeführt:

„Die De-facto-Schließungen von Kindergärten und Schulen haben vermehrten Betreuungsaufwand für berufstätige Eltern verursacht. Es ist davon auszugehen, dass die Kinderbetreuung zum Großteil auf die Frauen entfallen ist, mit der Konsequenz eines Rückgangs bei den angebotenen Arbeitsstunden.“ (Hofer et. al 2020:18)

Die hohe Inanspruchnahme der Parkanlagen von jungen Menschen in Ottakring, im Vergleich zu den Parkanlagen in der Josefstadt, könnte auch mit den anfänglich sehr lückenhaften Übersetzungen von relevanten Informationen zu den Maßnahmen in anderen Sprachen zusammenhängen. Reinwald erwähnt, dass das Ministerium Informationen zur COVID-19 Pandemie erst relativ spät in weitere Muttersprachen übersetzt hatte, weshalb im untersuchten Beobachtungszeitraum die Bewohner*innen in Ottakring, die häufig Türkisch, Bosnisch, Kroatisch und Serbisch als Muttersprache haben, nicht rechtzeitig in ihrer Muttersprache informiert wurden. Dies könnte auch ein weiterer Grund für den Aufenthalt von vielen jungen Menschen in den Parkanalagen sein (vgl. Reinwald/ 2020/

31-34, 36-41).

In einem Standard Artikel, der am 20.03.2020 publiziert wurde, wird auf die lückenhafte Übersetzung der Corona Informationen zu Beginn der Pandemie aufmerksam gemacht.

Brunnbauer, der Autor des Artikels, illustriert, dass die Maßnahmen nur von allen Bewohner*innen getragen werden, wenn sie auch wirklich verständlich und nachvollziehbar sind. Er erwähnt, dass die Informationen zu den Corona Maßnahmen schon in der eigenen Muttersprache sehr komplex sind. Ein Versäumnis der Regierung war es, diese komplexen Informationen rasch auch auf Türkisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und in weitere Sprachen zu übersetzen (vgl. Brunnbauer 2020: o.A.).

Brunnbauer bezieht sich auf die Kulturwissenschaftlerin Kohlenberger. Kohlenberger erläutert, dass migrantische Communities trotz sprachlicher Barrieren auch österreichische Medien konsumieren, sobald sie sich in Österreich wohlfühlen. Der mangelhafte Wohlfühlfaktor hänge, laut Kohlenberger, stark mit strukturellen Problemen zusammen.

Migrant*innen ohne österreichischen Pass leben häufig in beengten Wohnverhältnissen, wobei sie gleichzeitig als Systemerhalter*innen dienen. Laut Kohlenberger trägt die strukturelle Ungleichheit dazu bei, dass migrantische Communities Medien aus dem Herkunftsland konsumieren. Diese sind für eine Erklärung der österreichischen Realpolitik jedoch unzureichend (vgl. Brunnbauer 2020: o.A.).

Eine weitere Hypothese, welche versucht, die hohe Inanspruchnahme der Parkanlagen von Kindern im achten Bezirk, im Vergleich zum 16. Bezirk, zu erklären, lautet, dass im Vergleich zum Untersuchungsgebiet in Ottakring, in der Josefstadt viel weniger Freiflächen vorhanden sind. Dadurch konzentriert sich die Nutzung der Parkanlagen in der Josefstadt nur auf diese wenigen Freiflächen. Kinder nutzen somit die wenig vorhandenen Freiflächen umso stärker. Diese Hypothese wird sowohl von Witthöft, wie auch von Reinwald, als Erklärungsmodell für die starke Nutzung der Parkanlagen von Kindern im achten Bezirk herangezogen (vgl. Reinwald/ 2020/ 61-63; 65, Witthöft/ 2020/ 76-80).

Laut Witthöft gibt es im Vergleich zu den Parkanlagen in Ottakring zwar einen statistischen Überhang an Kindern in den Parkanlagen in der Josefstadt, jedoch verstreut sich der Anteil an Kindern in den Parkanlagen in Ottakring aufgrund der vielen Freiflächen stärker.

„Ich denke einfach dass (.) der HOHE Anteil an kindlichen Nutzer=Nutzerinnen (.) in den Parks daraus resultiert (.) dass es einfach so wenige Parks sind (--) ja also die sind im Prinzip im öffentlichen Raum dort überrepräsentiert (.) aber=aber statistisch überrepräsentiert (.) aber nicht faktisch (.) weil es ja im Prinzip diese drei Parkanlagen gibt (.) und nicht me:hr.“ (Witthöft/

2020/ 76-80)

Auch Reinwald erläutert, dass die Josefstadt einer der grünflächenärmsten Bezirken Wiens ist, weshalb ein hoher Nutzungsdruck in den Grün- und Freiflächen vorhanden ist. „G’rad im achten Bezirk glaub das ist ja nach dem sechsten und siebten Bezirk (--) derjenige Bezirk mit den wenigsten grünen Freiräumen (…) und natürlich ä:hm wenn weniger Platzangebot ist (--) konzentriert sich’s natürlich me:hr.“ (Reinwald/ 2020/ 61-63; 65)