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2. Theorie

2.1. Psychopathie

2.1.5. Epidemiologie

Die Prävalenz der Psychopathie unterscheidet sich innerhalb der Studien. Salekin et. al (2001) untersuchten die Häufigkeit von Psychopathie an einer Stichprobe von 326 männlichen und weiblichen Studenten und fanden dabei eine Prävalenzrate von rund 5 %, wobei sie dabei von einem Geschlechtsunterschied ausgehen, wonach einer von zehn Männer, aber lediglich eine von hundert Frauen als psychopathisch bezeichnet werden können. Sue et al. (2008) berichten dabei eine Prävalenz von rund 3 % in der männlichen und etwa 1 % in der weiblichen Bevölkerung. Eine weitere Studie aus 2008 (Neumann & Hare) fand eine Prävalenzrate von 1.2 % in der gesamten nordamerikanischen Bevölkerung, wobei der Wert positiv mit Gewalt, Alkoholmissbrauch und geringerer Intelligenz korrelierte. Eine etwas neuere Studie von Coid et al. (2009) wies in weiterer Folge eine Rate von 0.6 % der Gesamtbevölkerung nach, hier zeigte sich ein positiver Zusammenhang mit jüngerem Alter, männlichem Geschlecht, Gewalt, bisherigen Suizidversuchen, Inhaftierung, Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit, diversen Persönlichkeitsstörungen (histrionische Persönlichkeitsstörung, Borderline-Persönlichkeitsstörung und antisoziale Persönlichkeitsstörung) sowie Panik- und Zwangsstörungen.

20 2.1.6. Komorbiditäten

In vorangegangenen Studien, welche den Zusammenhang von Psychopathie mit anderen psychischen Störungen untersuchten, konnte gezeigt werden, dass Psychopathie besonders hohe Komorbiditäten mit anderen Persönlichkeitsstörungen des Clusters B aufweist, welcher die antisoziale, die histrionische, die narzisstische sowie die Borderline-Persönlichkeitsstörung beinhaltet (Hart et al., 1991; Stalenheim & von Knorring, 1996; Soderstrom et al., 2005; Huchzermeier et al., 2007), besonders mit der antisozialen Persönlichkeitsstörung (Blackburn & Coid, 1998; Hildebrand

& de Ruiter, 2004), wobei interpersonale und affektive Aspekte der Psychopathie besonders in Verbindung mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung stehen (Harpur et al., 1989). In der oben erwähnten Studie von Salekin et al. (2001) in einer non-forensischen Stichprobe konnte jedoch nachgewiesen werden, dass bei psychopathischen Individuen lediglich eine geringe Überlappung mit anderen Persönlichkeitsstörungen außer der antisozialen Persönlichkeitsstörung besteht. Eine weitere Studie, welche ebenfalls den Effekt der Komorbidität von Psychopathie und antisozialer Persönlichkeitsstörung in einer inhaftierten Stichprobe untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, dass sowohl Personen, welche sowohl eine antisoziale Persönlichkeitsstörung als auch Psychopathie aufwiesen, als auch jene, welche nur an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung litten, ein höheres Ausmaß krimineller Aktivitäten zeigten als Personen der Kontrollgruppe ohne jegliche psychische Störung (Kosson et al., 2006). Dabei konnte des Weiteren gezeigt werden, dass jene Personen, welche sowohl eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufwiesen als auch psychopathisch waren, schwereres kriminelles Verhalten und eine stärkere emotionale Erleichterung aufwiesen als Personen der anderen beiden Gruppen. Es haben sich auch Zusammenhänge mit Entwicklungsstörungen wie Hyperkinesie und Verhaltensstörungen ergeben (Soderstrom et al., 2005). Vorangegangene Studien ergaben außerdem starke Zusammenhänge mit anderen psychisch relevanten Verhaltensweisen wie zum Beispiel Substanzmissbrauch, besonders Drogenmissbrauch beziehungsweise –abhängigkeit (Smith

& Newman, 1990; Hemphill et al., 1994; Stalenheim & von Knorring, 1996; Walsh et al., 2007;

Neumann & Hare, 2008). Dabei haben sich auch negative Zusammenhänge mit der Intelligenz ergeben (Neumann & Hare, 2008). Aufbauend auf einigen dieser Ergebnisse haben sich Wallinius et al. (2012) in ihrer sehr aktuellen Studie die Frage gestellt, inwieweit die vier Facetten der Psychopathie basierend auf der PCL-R mit psychischen Störungen und Persönlichkeitseigenschaften in Verbindung stehen und welchen Zusammenhang die vier Facetten mit dem Rückfallrisiko psychisch gestörter Straftäter aufweisen. Drei der vier Facetten (Affektives Erleben, Lebensstil und Antisozialität) wiesen dabei einen Zusammenhang mit psychischen Störungen in Verbindung mit Substanzmissbrauch, Impulsivität und Kontrollverlust auf, aber auch mit Persönlichkeitseigenschaften, welche als relevant für die Dimensionen der Psychopathie erachtet werden. Die antisoziale Facette übertraf dabei die anderen drei Facetten sowie auch den Gesamtwert

21 der PCL-R im Zusammenhang mit dem Rückfallrisiko in Hinblick auf gewalttätiges Verhalten.

Evidenz für einen Zusammenhang mit gewalttätigem Verhalten gibt auch die Studie von Neumann

& Hare (2008).

2.1.7. Entstehung der Psychopathie 2.1.7.1. Genetische Ursachen

Es gibt bereits Literatur, welche sich in Bezug auf die Entstehung von Aggression und antisozialem Verhalten mit der Rolle der Gene beschäftigt hat (Miles & Carey, 1997; Rhee &

Waldman, 2002). Dabei konnten Heritabilititätsraten zwischen 44 % und 72 % festgestellt werden.

Der genetische Einfluss ist jedoch ein komplexer und es kann davon ausgegangen werden, dass eine Interaktion mit Umweltfaktoren stattfindet und Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Genetik und Psychopathie nimmt (Caspi et al., 2002). In der bisher vorliegenden Literatur zeigt sich Evidenz dafür, dass Genetik einen Einfluss insofern ausübt, als Personen mit emotionaler Dysfunktion, wie sie auch Psychopathen zeigen, eher lernen, antisoziale Strategien zur Erreichung ihrer Ziele einzusetzen (Eysenck, 1964; Blair, 1995; Lykken, 1995; Trasler, 1973). Dies wirft die Frage auf, ob lediglich eine genetische Ursache für die emotionale Dysfunktion hinter dem antisozialen Verhalten psychopathischer Individuen liegt. Diese Hypothese wird durch die Ergebnisse mehrerer Zwillingsstudien an Erwachsenen (Bloningen et al., 2003; Bloningen et al., 2005) und an Kindern (Viding et al., 2005) gestützt.

2.1.7.2. Soziale Faktoren

Im Rahmen des Einflusses sozialer Faktoren auf die Entwicklung von Psychopathie wird besonders Missbrauch als möglicher unspezifischer Vulnerabilitätsfaktor genannt. Diverse Studienergebnisse (Dodge et al., 1995; Farrington & Loeber, 2000; Widom, 1992) weisen darauf hin, dass sowohl physischer als auch sexueller Missbrauch ein erhöhtes Risiko für die spätere Entwicklung von Aggression und Impulsivität darstellt. Ein ähnlicher Effekt auf die Entwicklung von Aggression konnte für häusliche Gewalt und Gewalt in der Nachbarschaft nachgewiesen werden (Miller et al., 1999; Schwab-Stone et al., 1999). Blair et al. (2006) postulieren, dass Missbrauch und Aussetzung anderer extremer Traumata spezifische neuronale Systeme verstärken, welche involviert sind bei Reaktionen auf bedrohende Stimuli, was wiederum zu einem erhöhten Risiko reaktiver Aggression und daraus resultierend zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Verhaltensstörung führt. Blair et al. (2006) gehen jedoch nicht davon aus, dass Missbrauch eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von Psychopathie spielt, da eine maßgebliche Eigenschaft von Psychopathen in der Reduktion, nicht aber in der Erhöhung der Responsivität auf Bedrohungen liegt

22 (Cleckley, 1976; Hare, 1970; Lykken, 1995; Patrick, 1994).

2.1.8. Die Neurobiologie der Psychopathie

Relevante Gehirnregionen im Rahmen der Psychopathie stellen nach den Erkenntnissen vorangegangener Studien besonders die frontalen Areale sowie das limbische System dar (Blair et al., 2006; Marsh et al, 2011; Anderson & Kiehl, 2012), wobei sich die vorliegende Arbeit auf die frontalen Bereiche, im Besonderen den präfrontalen Cortex, konzentriert. Betrachtet man das limbische System, zeigen bei besonders im Bereich der Amygdala, welche besonders für die emotionale Verarbeitung eine Rolle spielt (LeDoux, 1996), sowohl strukturelle als auch aktivitätsbezogene Differenzen zwischen psychopathischen und nicht psychopathischen Individuen.

So weisen Personen mit psychopathischen Tendenzen im Allgemeinen ein geringeres Volumen in der Amygdala auf, was auch mit vermehrter Aggression in Verbindung steht (Pardini et al., 2013).

Auch in der Insula, welche im Allgemeinen an kognitiven, affektiven und regulatorischen Prozessen beteiligt ist, zeigt sich bei Psychopathen ein geringeres Volumen (Yang et al., 2009), und auch im Hippocampus konnten strukturelle Abnormalitäten bei Psychopathen, Straftätern und Mördern beobachtet werden (Kiehl, 2011; Soderstrom, 2000; Critchley, 2000; Raine, 1998). Funktionell zeigt sich bei Psychopathen beispielsweise eine reduzierte Aktivierung in der Amygdala bei der Präsentation emotionaler Wörter im Vergleich zu gesunden Kontrollen (Blair, 2007). Bei Personen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung konnte hingegen eine allgemein erhöhte Amygdala-Aktivierung beobachtet werden (Hyde et al., 2014). Im Hippocampus, welcher besonders eine Rolle in der Emotionsregulation und bei Gedächtnisprozessen spielt, konnte bei Psychopathen eine erhöhte Aktivierung auf emotionale Stimuli beobachtet werden (Davidson et al., 2000).

Bezüglich der frontalen Areale postulierte bereits Damasio (1994), dass Schäden an und neurale Defizite in diesen Bereichen den normalen emotionalen Ausdruck limitieren und Ursache für Abnormalitäten im sozialen Verhalten, wie dies bei Psychopathen der Fall ist, sein können. Weiters konnte in einer aktuellen Studie Nickerson (2014) nachweisen, dass bei Psychopathen in frontalen Bereichen generell eine reduzierte Aktivität besteht. Dies konnte mit mehreren bildgebenden Verfahren, darunter MRI, fMRI, aMRI, SPECT und PET, festgestellt werden.

Der präfrontale Cortex, welcher in der vorliegenden Studie von besonderer Bedeutung ist, wird grob in sechs Bereiche unterteilt: der frontopolare Cortex (FP), der orbitofrontale Cortex (OFC), der dorsolaterale präfrontale Cortex (DLPFC), der dorsomediale präfrontale Cortex (DMPFC), der ventrolaterale präfrontale Cortex (VLPFC) und der ventromediale präfrontale Cortex (VMPFC).

Diese Aufteilung hat sich nach Ray und Zald (2012) trotz Verbindungen zu anderen Regionen als sinnvoll erwiesen. Ein weiterer Fokus wird in dieser Studie zusätzlich auf den anterioren cingulären Cortex (ACC) aufgrund seiner Bedeutung in der Psychopathie gelegt. Im Folgenden werden die für

23 die vorliegende Studie relevanten ROIs genauer erläutert.

2.1.8.1. Der orbitofrontale Cortex (OFC)

Der OFC spielt in vielen Bereichen eine zentrale Rolle. Seine Bedeutung zeigt sich zum einen in der Emotionswahrnehmung und –bearbeitung (Cardinal et al., 2002; Phillips et al., 2003; Rolls, 2004; Rolls & Grabenhorst, 2008), zum anderen spielt er auch bei der Erkennung von emotionalen Gesichtsausdrücken eine Rolle (Gorno-Tempini et al., 2002). Generell scheint er bei emotionalen Prozessen beteiligt zu sein. Schäden im OFC führen demnach zu Störungen im emotionsbezogenen Lernen, emotionalem Verhalten und dem subjektiven affektiven Empfinden. Weitere Funktionen des OFC liegen im Setzen von Handlungszielen und in der Entscheidungsfindung (Rolls & Grabenhorst, 2008).

In Bezug auf die Psychopathie konnte eine reduzierte Aktivität im rechten OFC bei Personen mit psychopathischem, antisozialem und violentem Verhalten beobachtet werden (Yang & Raine, 2009). Es konnte in diesem Zusammenhang nachgewiesen werden, dass unilaterale Schädigungen im OFC mit Störungen des sozialen Benehmens, dem Treffen von Entscheidungen und emotionalen Prozessen einhergehen (Tranel et al., 2002). Auch im Zusammenhang mit dem limbischen System zeigte sich bei Psychopathen eine reduzierte Konnektivität des OFC mit der Amygdala (Marsh et al., 2011).

2.1.8.2. Der dorsolaterale (DLPFC) und der dorsomediale (DMPFC) präfrontale Cortex Im Rahmen allgemeiner Funktionen sind sowohl der DLPFC als auch der DMPFC beteiligt am Prozess der Entscheidungsfindung (Greene et al., 2001; Venkatraman et al., 2009). Des Weiteren spielt der DLPFC auch eine Rolle in exekutiven Funktionen (Elliott, 2003) und im Arbeitsgedächtnis (Monsell, 2003), außerdem zeigt sich eine Beteiligung bei der Regulation von Emotionen anhand von Neubewertung (Beauregard et al., 2001; Steinfurth et al., 2013). Der DLPFC scheint dabei die Aufgabe zu haben, die Aufmerksamkeit auf einen neuen Stimulus zu lenken und das Regulationsziel im Auge zu behalten (Ochsner et al., 2012). Der DMPFC hingegen ist unter anderem auch an der kognitiven Kontrolle beteiligt (Venkatraman et al., 2009) und auch hier zeigt sich ein Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter Emotionsregulationsstrategien (Davidson et al., 2000).

Bezug nehmend auf die Psychopathie hat sich in der Studie von Yang und Raine (2009) gezeigt, dass bei Personen mit psychopathischem, antisozialem und violentem Verhalten eine reduzierte Aktivität im DLPFC besteht.

In einer fMRI-Studie von Harenski et al. (2009), welche die Zusammenhänge des DLPFC mit Psychopathie und Neurotizismus untersuchten, wurden den Probandinnen im Scanner drei Sets mit

24 16 unangenehmen Bildern, ein Set mit 16 neutralen Bildern sowie ein Set mit 16 angenehmen Bildern des IAPS (International Affective Picture System; Lang et al., 1997) gezeigt und sie wurden vor Präsentation jedes Bildes gebeten, das folgende Bild entweder passiv auf sich wirken zu lassen („Watch“-Bedingung) oder ihre Emotionen zu regulieren, indem sie das Bild in einem geringeren emotionalen Kontext betrachten sollten („Decrease“-Bedingung). Nach Präsentation jedes Bildes sollten sie auf einer 4-stufigen Skala die Stärke ihrer aktuellen Emotionen von 1 („schwach“) bis 4 („stark“) angeben. Zur Erfassung von Persönlichkeitsvariablen füllten die Untersuchungsteilnehmerinnen vor der Messung im Scanner den NEO-FFI (Costa & McCrae, 1992) sowie das PPI (Lilienfeld & Andrews, 1996) aus. Dabei ergaben sich zwar keine signifikanten Ergebnisse hinsichtlich der Psychopathie, allerdings konnte ein Zusammenhang der Aktivierung des DLPFC mit Neurotizismus nachgewiesen werden.

2.1.8.3. Der ventrolaterale (VLPFC) und der ventromediale (VMPFC) präfrontale Cortex Auch der VLPFC und der VMPFC sind – wie viele andere frontale Regionen auch – maßgeblich beteiligt an der Entscheidungsfindung (Bechara et al., 2000; Sakagami & Pan, 2007;

Levy & Wagner, 2011; Carlson, 2013). Zusätzliche Beteiligung findet der VLPFC noch in der motorischen Inhibition und der Handlungsplanung (Levy & Wagner, 2011), sowie sowohl der VLPFC als auch der VMPFC in der Emotionsregulation (Beauregard et al., 2001; Urry et al., 2006;

Koenigs et al., 2007; Hänsel & von Kähnel, 2008; Steinfurth et al., 2013), wobei der VLPFC angemessene Reaktionen für einen Stimulus auszuwählen und unangemessene Reaktionen zu hemmen (Ochsner et al., 2012) und der VMPFC sowohl positive als auch negative affektive Konsequenzen von Handlungen vorherzusehen scheint (Davidson et al., 2000).

Es hat sich gezeigt, dass unilaterale Schädigungen des rechten VMPFC mit Störungen des sozialen Benehmens, dem Treffen von Entscheidungen und emotionalen Prozessen einhergehen (Tranel et al., 2002). Des Weiteren konnten Motzkin et al. (2011) eine reduzierte Konnektivität des VMPFC mit der Amygdala und dem medialen präfrontalen Cortex nachweisen. Harenski et al. (2009) konnten zudem eine positive Korrelation der Aktivierung des VLPFC mit Psychopathie feststellen.

2.1.8.4. Der anteriore cinguläre Cortex (ACC)

Der ACC stellt eine Region mit Verbindungen sowohl zu kognitiven frontalen Arealen als auch zum emotionalen limbischen System dar und hat dabei eine mediierende Rolle beim Einfluss der Kognition auf die Emotion (Stevens et al., 2011). Der ACC ist dabei auch verantwortlich für die Affektregulation (Stevens et al., 2011) sowie für die veränderte Bearbeitung emotionaler und sozialer Information (Minzenberg et al., 2007).

25 Bei Personen mit psychopathischem, antisozialem und violentem Verhalten konnte eine reduzierte Aktivität gefunden werden (Yang & Raine, 2009).

2.2. Interpersonale Distanz

Einer der ersten, der die soziale Distanz – dies allerdings im Tierreich – erforscht hat, war Hediger (1934). Dabei entdeckte er, dass auch Tiere feste Abstände zwischen zu ihren Artgenossen halten. Er unterschied damals Flucht-, Wehr- und kritische Distanzen. Das menschliche Distanzverhalten wurde erstmals mit dem Begriff des personalen Raums in den Mittelpunkt gerückt (Katz, 1937) und Sommer beschrieb diesen Raum als ››...an area with invisible boundaries surrounding a person’s body into which intruders may not come…‹‹ (1969, S. 26), also einen Bereich mit unsichtbaren Grenzen rund um eine Person, in den es Eindringlingen unmöglich gemacht werden sollte zu kommen. Der Begriff des personalen Raums wurde dabei veranschaulicht durch das Bild einer die Person umgebenden Blase (Hayduk, 1983). Hellbrück & Fischer (1999) übten jedoch Kritik an diesem Bild, da sie der Meinung waren, dass der personale Raum für die diversen Körperpartien unterschiedlich groß sei und deshalb eher die Form eines irregulären Zylinders annehme als den einer Blase. Kritik wurde mit der Zeit auch am Begriff des personalen Raums selbst geübt, da durch das Attribut „personal“ der Eindruck vermittelt würde, dass es sich dabei um eine Persönlichkeitseigenschaft handle. Stattdessen wird betont, dass sich der personale Raum erst durch die Relation zu einer anderen Person manifestiere, was zu der Bevorzugung des Begriffs der interpersonalen Distanz führte (Hellbrück & Fischer, 1999). Dieser impliziere zum einen die Relation zu einer anderen Person und hebe auch den Aspekt der Distanz stärker hervor. Hall (1963, 1966, 1969) führte die Forschung weiter und bezeichnete interpersonale Distanz dabei als einen Raum, der unbewusst zwischen zwei Personen eingenommen werden würde. Die soziale Verbundenheit mit der anderen Person bestimme dabei die Entfernung, die zu dieser eingenommen werde. Auf Basis dieser Überlegungen entwickelte er daraufhin die Hall’schen Distanzzonen (Abb. 5).

Abbildung 5. Veranschaulichung der Hall’schen Distanzzonen (Hall, 1966)

Intime

26 Die Zone der intimen Distanz ermöglicht intensive sensorische Inputs wie Berührungen, Geruchswahrnehmungen und die Wahrnehmung von Atemgeräuschen. Sie dient primär dem privaten und intimen Austausch. Die darauf folgende Zone der persönlichen Distanz ermöglicht immer noch ein detailliertes Feedback anhand sensorischer Inputs und umfasst meist die alltägliche Kommunikation in visueller, verbaler und zum Teil auch taktiler Form. In der Zone der gesellschaftlichen oder sozialen Distanz besteht immer noch eine normale Verständigung, welche allerdings meist eher formeller Natur ist und vermehrt durch visuelle und verbale Kommunikation stattfindet. Die vierte und letzte Zone der öffentlichen Distanz ist dadurch gekennzeichnet, dass keine beziehungsweise nur mehr wenige sensorische Inputs möglich sind, nonverbales Verhalten über die Entfernung teilweise verzerrt wirkt und subtile Informationen über die Distanz verschwinden.

2.2.1. Moderatoren der interpersonalen Distanz

Es konnte auch nachgewiesen werden, dass das Gefühl des Unwohlseins mit zunehmendem Eindringen in den personalen Raum zunimmt (Hayduk, 1981). Moderiert wird der Zusammenhang durch weitere Faktoren. Attraktive sowie sympathische und vertraute Personen dürfen einem üblicherweise näherkommen als weniger attraktive, sympathische oder vertraute. Auch der Status hat einen Einfluss auf die bevorzugte Distanz, indem einem Personen mit geringerem Statusunterschied in Relation zu sich selbst näherkommen dürfen als jene mit einer höheren Differenz. Das Geschlecht spielt insofern eine Rolle, als Frauen üblicherweise mehr und enger mit anderen Frauen und Männer mehr und enger mit anderen Männern kommunizieren und interagieren. Auch zu altersähnlichen Personen wird im Allgemeinen mehr Kontakt gesucht als zu Personen mit einem großen Altersunterschied. Auch die Blickrichtung scheint einen Einfluss auf die interpersonale Distanz zu haben, wonach bei frontalen Interaktionen ein größerer Abstand (mindestens eineinhalb Meter) bevorzugt wird als beispielsweise bei einer diagonalen oder seitlich ausgerichteten Interaktion (Sommer, 1962).

2.2.2. Einfluss emotionaler Gesichtsausdrücke und des Posergeschlechts sowie des Eindringens in den personalen Raum auf die bevorzugte interpersonale Distanz

Auch Gesichtsausdrücke beziehungsweise deren gezeigte Emotionen spielen bei der bevorzugten interpersonalen Distanz eine Rolle, wobei ein entscheidender Faktor hierbei ist, ob sich die Gesichter annähern oder sich entfernen beziehungsweise statisch bleiben (Simons et al., 2000).

Dabei liegt es auf der Hand, dass sich annähernden Gesichtsausdrücken eine höhere Bedeutung zugewiesen wird und dabei besonders bei negativen Gesichtsausdrücken, wie beispielsweise Ärger,

27 weniger Nähe zugelassen wird als bei sich annähernden positiven sowie sich entfernenden oder statischen Gesichtsausdrücken. Im Rahmen dieser Überlegungen untersuchten Miller et al. (2013) anhand eines computergestützten Stop – Paradigmas, welchen Effekt die Emotionen und das Geschlecht sich annähernder Gesichtsausdrücke auf die bevorzugte Distanz ausüben. Dabei hat sich gezeigt, dass sich weibliche Gesichter im Allgemeinen weiter annähern durften als männliche sowie dass zu ärgerlichen Gesichtern der größte Abstand bevorzugt wurde. Zudem bevorzugten Frauen im Allgemeinen einen größeren Abstand zu sich annähernden Gesichtern als Männer. Mühlberger et al.

(2008) boten in ihrer Studie sich annähernde, statische oder sich entfernende Gesichter mit angenehmen, neutralen und unangenehmen Ausdrücken dar. Dabei wurde eine Annäherung simuliert, indem ein zuerst in kleinem Format dargebotenes Objekt graduell vergrößert wurde, und eine Entfernung, indem ein zuerst in großem Format präsentiertes Objekt graduell verkleinert wurde.

Dabei fand sich ein erhöhtes Arousal bei unangenehmen Ausdrücken im Gegensatz zu angenehmen oder neutralen Bildern, wobei kein Unterschied zwischen sich annähernden, statischen oder sich entfernenden unangenehmen Bildern gefunden werden konnte. Bezüglich ihrer Valenz wurden sich annähernde Bilder im Allgemeinen negativer als statische oder sich entfernende sowie unangenehme negativer als angenehme beurteilt.

2.2.3. Funktionen der interpersonalen Distanz

Die Funktionen der interpersonalen Distanz unterteilen sich in drei Bereiche. Zum einen hat die Distanz eine Kontrollfunktion, welche die Bewahrung von Handlungsfreiheit, kognitiver Leistungsfähigkeit und persönlicher Sicherheit ermöglicht (Schultz-Gambard, 1996). Weiters beugt die Wahrung bestimmter Mindestdistanzen gegen Beschädigungen der Autonomie eines Individuums vor und reduziert somit Stress (Eibl-Eibesfeld, 1978). Die Kommunikationsfunktion der interpersonalen Distanz ermöglicht die Verständigung mit anderen, durch eine geringere Distanz ist dabei die Kommunikation auf mehreren Kanälen und mit eine größeren Menge sensorischer Inputs möglich (Hall, 1969). Zudem ist es möglich, durch eine geringe Entfernung – also durch Nähe – Zuneigung auszudrücken. Die Rekreations- und Evaluationsfunktion ermöglicht die Bewahrung der Unabhängigkeit und Identität sowie emotionale Entspannung und einen Austausch vertraulicher Informationen mit engen Personen durch eine geschützte Kommunikation (Altman, 1975).

2.2.4. Die Messung interpersonaler Distanz

Die Messung der interpersonalen Distanz kann auf unterschiedliche Arten erfolgen, primär unterteilt man dabei in projektive und non-projektive Verfahren. Bei den projektiven Verfahren besteht die Möglichkeit, sogenannte Herstellungsverfahren zu verwenden. Bei diesen Verfahren

28 sollen die Versuchspersonen Figuren, Silhouetten oder abstrakte Zeichen räumlich anordnen, wobei eine dieser Figuren sie selbst darstellen soll, beispielsweise anhand der Pedersen’s Silhouette placements (Pederson, 1973). Eine zweite Form der projektiven Verfahren stellen die Simulationsverfahren dar. Bei der Comfortable Interpersonal Distance Scale (CID; Duke & Nowicki, 1972) erhalten die Versuchspersonen auf einem Blatt acht kreisförmig angeordnete Linien, die sich im Mittelpunkt treffen. Die Versuchspersonen sollen sich vorstellen, dass sie im Mittelpunkt stehen würden und sich ihnen verschiedene Personen – jeweils eine konkrete Person pro Linie – nähern. Für

28 sollen die Versuchspersonen Figuren, Silhouetten oder abstrakte Zeichen räumlich anordnen, wobei eine dieser Figuren sie selbst darstellen soll, beispielsweise anhand der Pedersen’s Silhouette placements (Pederson, 1973). Eine zweite Form der projektiven Verfahren stellen die Simulationsverfahren dar. Bei der Comfortable Interpersonal Distance Scale (CID; Duke & Nowicki, 1972) erhalten die Versuchspersonen auf einem Blatt acht kreisförmig angeordnete Linien, die sich im Mittelpunkt treffen. Die Versuchspersonen sollen sich vorstellen, dass sie im Mittelpunkt stehen würden und sich ihnen verschiedene Personen – jeweils eine konkrete Person pro Linie – nähern. Für