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3.1 Photoelektronenspektroskopie

3.1.2 Einteilchenmodell

Das Einteilchenmodell zur Deutung der Photoelektronenspektren wird als grobe Näherung verstanden. Trotzdem reicht es für das prinzipielle Verständnis der Photoelektronenspektren aus. Beim Einteilchenmodell geht man von der Wechselwirkung jeweils eines Photons mit genau einem Elektron im Anion aus. Dabei übergibt das Photon dem Elektron seine gesamte Energie E. Einen Teil der Energie, welcher der Bindungsenergie EBind des Elektrons im Anion entspricht, verwendet das Elektron, um die Bindung zum Anion zu lösen. Der Rest ist dann die kinetische Energie Ekin des Elektrons. Dabei wird

angenom-men, dass das mit dem Photon wechselwirkende Elektron für sich alleine be-trachtet wird. Das heißt, es wechselwirkt weder gebunden im Anion, noch wäh-rend des Auslaufens mit seinen Nachbarn im Valenzband des Clusters. Dieser hier beschriebene Vorgang wird an Anionen auch Photodetachment genannt.

Die Energiebilanz aufgelöst nach der Bindungsenergie ergibt die folgende ein-fache Beziehung:

EBind = E - Ekin (3.1)

Weiter wird vorausgesetzt, dass jedes Anionenorbital Elektronen emittie-ren kann, solange die Bindungsenergie EBind kleiner ist als die Photonenenergie E. Im Photoelektronenspektrum spiegelt sich das in den Intensitätslinien wi-der, welche in diesem Fall den einzelnen Orbitalen entsprechen. In Abb. 3.1 ist dieser Zusammenhang schematisch dargestellt. Demzufolge liefert ein Photo-elektronenspektrum das direkte Abbild der elektronischen Struktur der unter-suchten Anionen. Die angedeutete Linienverbreiterung in Abb. 3.1 kann mit dem Einteilchenmodell nicht erklärt werden. Dies wird im darauf folgenden Unterkapitel nachgeholt.

Abb. 3.1 zeigt noch eine weitere Besonderheit der Anionenphotoelektro-nenspektroskopie (PES-). In der Molekülphysik nennt man das höchstliegende besetzte Molekülorbital HOMO (Highest Occupied Molecular Orbital). In die-sem Orbital sind die Elektronen am schwächsten gebundenen. Das nächst höher liegende Orbital ist frei von Elektronen. Es ist das niedrigste unbesetzte Mo-lekülorbital und wird daher auch LUMO (Lowest Unoccupied Molecular Orbi-tal) genannt. Wenn das HOMO beim neutralen Molekül komplett mit Elektro-nen gefüllt ist, muss folglich beim Anion das zusätzliche Elektron das LUMO besetzen. Das voll besetzte HOMO des neutralen Moleküls kann man mit einem Schalenabschluss in der Atom- und Molekülphysik vergleichen. Ein Schalenab-schluss deutet in der Regel auf ein stabiles Teilchen hin. Im Photoelektronen-spektrum des Anions entspricht der Peak bei höchster kinetischer Energie dem zusätzlichen Elektron im LUMO. Der Abstand zum nächsten Peak im Spekt-rum, der den Elektronen aus dem HOMO zugeordnet wird, entspricht dem Energieunterschied zwischen den Bindungsenergien im HOMO und LUMO und wird HOMO-LUMO-Gap genannt. Da die niedrigste Anregungsenergie des neutralen Moleküls genau dem HOMO-LUMO-Gap entspricht, kann diese Energielücke exakt mit der Bandlücke im Halbleiter assoziiert werden. Für die neutralen Teilchen ist die Größe dieser Energielücke maßgebend für deren Sta-bilität und chemische Reaktivität. Je größer die Energielücke ist, desto stabiler und weniger reaktiv sind sie [127]. Ein weiteres Kriterium, das ein stabiles

Teil-32 3 Methoden und Modelle chen indiziert, ist eine niedrige Elektronenaffinität (EA). Unter der EA versteht man diejenige Energie, die bei der Bindung eines Elektrons an ein neutrales Molekül frei wird. Sie entspricht der oben beschriebenen Elektronen-Detachment-Energie.

Abb. 3.1: Schematische Darstellung des Photodetachmentprozesses im Einteilchenmodell.

Unterhalb der Vakuumenergie sind die Orbitale des Anions dargestellt. Ein Photon mit der konstanten Energie E löst ein Elektron aus seinem Orbital über die Vaku-umenergie EVac hinaus. Gemittelt über alle bestrahlten Anionen erhält man mit der Geschwindigkeitsverteilung der Photoelektronen ein direktes Abbild der Anionenor-bitale.

Alles bisher Betrachtete gilt für die Annahme, dass sich die geometrische Struktur des Anions unwesentlich oder überhaupt nicht von der des neutralen Teilchens unterscheidet. In einigen Fällen ist dies jedoch nicht gegeben. Hier greift das Einteilchenmodell nicht.

Oft findet man in den Spektren auch Intensitätsmaxima, die von elektro-nischen Vorgängen während des Photodetachmentprozesses herrühren, welche wiederum mit dem Einteilchenmodell nicht erklärt werden können. Hier darf man aus den gewonnenen Photoelektronenspektren nicht direkt auf die

elektro-HOMO-LUMO-Gap

E

kin

E

bind

E

vac

Intensität

E

HOMO LUMO

nische Struktur des Teilchens im Ausgangszustand schließen. Die vier folgen-den Vorgänge müssen dafür in Betracht gezogen werfolgen-den [127]:

Beim „Shake-up“ Prozess kann ein weiteres gebundenes Elektron in einen vorher unbesetzten Zustand angeregt werden, so dass das emittierende Elektron eine um diesen Energieunterschied kleinere kinetische Energie bekommt.

Die verbleibenden Elektronen können ihre Spins und Bahndrehimpulse zu unterschiedlichen Gesamtdrehimpulsen addieren. Infolgedessen ist die Gesamt-energie des elektronischen Gesamtzustandes je nach Kombination der Spins und Bahndrehimpulse verschieden. Die kinetische Energie des auslaufenden Elektrons kann sich daher um genau diese Energiedifferenz unterscheiden. Dies führt zu einer so genannten Multiplettaufspaltung im Photoelektronenspektrum [128, 129].

Durch das Emittieren eines Elektrons erhöht sich die Gesamtladung des bestrahlten Teilchens um eine Elementarladungseinheit. Dadurch wird die Bin-dungsenergie der besetzten Orbitale erhöht. Der resultierende Energieunter-schied spiegelt sich in der Erhöhung der kinetischen Energie des emittierenden Elektrons wider.

Wird ein Elektron aus tiefer liegenden Orbitalen emittiert, kann das einen derart starken Einfluss auf die übrigen Elektronen beziehungsweise deren Orbi-tale ausüben, dass man die EinteilchenorbiOrbi-tale nach dem Photodetachmentpro-zess nicht mehr mit den Einteilchenorbitalen des Ausgangszustandes des Ions vergleichen kann. Vielmehr setzt sich der elektronische Endzustand des Teil-chens aus einer Linearkombination verschiedener Konfigurationen möglicher Ausgangszustände zusammen. Man spricht hier von einer Konfigurationsmi-schung.

Alle vier beschriebenen Vorgänge haben gemeinsam, dass neben dem Photon und dem emittierten Elektron auch die übrigen Elektronen eine aus-schlaggebende Rolle spielen. Da im Einteilchenmodell, wie oben beschrieben, jegliche Wechselwirkung mit den Nachbarelektronen vernachlässigt wird, muss zur gründlichen Deutung der Photoelektronenspektren ein Modell herangezo-gen werden, das alle Valenzelektronen mit ihren Spins und Bahndrehimpulsen berücksichtigt.

34 3 Methoden und Modelle 3.1.3 Quantenmechanisches Modell

Es bedarf einer komplett quantenmechanischen Betrachtung des Photodetach-mentvorganges, um eine exakte Analyse der Photoelektronenspektren durchfüh-ren zu können. Dabei muss man neben den Valenzelektronen auch die Bewe-gung der Kerne – mit ihren nicht an den Bindungen teilnehmenden Rumpfelekt-ronen – mit einbeziehen. Das zunächst äußerst kompliziert wirkende Mehrkör-perproblem lässt sich mithilfe der Born-Oppenheimer-Näherung erheblich ver-einfachen. Aufgrund der viel höheren Kernmasse geht man davon aus, dass sich die Kerne viel langsamer bewegen als die Elektronen. Die Elektronen können daher der Kernbewegung unmittelbar folgen. Für einen elektronischen Über-gang bedeutet dies, dass er ohne eine wesentliche Änderung der Kernabstände im betrachteten Teilchen vor sich geht. Die Born-OppenheimNäherung er-laubt in gewissem Umfang eine Trennung von Elektronen- und Kernbewegung [130].

Im quantenmechanischen Modell entspricht der Photodetachmentprozess einem Übergang zwischen zwei quantenmechanischen Mehrteilchenzuständen, die jeweils einer bestimmten Konfiguration von Valenzelektronen zugeordnet sind. Zur Berücksichtigung des Gesamtdrehimpulses wird die Russel-Saunders-Kopplung (LS-Russel-Saunders-Kopplung) angewendet. Der Einfachheit halber geht man beim Anfangszustand vom elektronischen und vibronischen Grundzustand des Ani-ons aus. Experimentell ist das zum einen durch die relativ lange RelaxatiAni-onszeit gewährleistet, die dem Anion zwischen Erzeugung und Photonenbeschuss bleibt und zum anderen durch die Abkühlung im Helium-Trägergas (siehe Ka-pitel 4.2). Durch die Wechselwirkung mit einem Photon der Energie E wird ein Elektron freigesetzt und folglich aus dem Anion ein neutrales Teilchen.

Dies führt zu einem Endzustand, in dem das neutrale Teilchen im elektroni-schen Grundzustand oder in einem angeregten Zustand vorliegt. Demzufolge sind im Photoelektronenspektrum die Anregungsenergien des neutralen Teil-chens unmittelbar beobachtbar. Für diese elektronischen Übergänge gelten im Allgemeinen die Dipolauswahlregeln, weil die elektronische Anregung durch ein elektromagnetisches Dipolfeld induziert wird. Die strengen Dipolauswahl-regeln werden jedoch aufgeweicht, da das freigesetzte Elektron jeden beliebi-gen Bahndrehimpuls aufnehmen und beliebige Parität annehmen kann. Ledig-lich der Spin, der nur die Werte ± ½ annehmen kann, bestimmt die Auswahlre-geln für den elektronischen Übergang im Teilchen.

Zunächst würde man für einen bestimmten elektronischen Übergang eine einzige Linie im Photoelektronenspektrum erwarten. Indessen ist oft eine Bande

beziehungsweise eine Progression von Linien zu finden. Anhand des in Abb.

3.2 dargestellten Schemas des Detachmentprozesses im quantenmechanischen Modell lässt sich diese Progression veranschaulichen. Man sieht hier erst ein-mal drei Potentialkurven, die dem elektronischen Grundzustand des Anions X-,

Reaktionskoordinate

Gesamtenergie

E

kin

E

E

bind

n=0 n=1 n=0

n=1 n=2 n=3 n=4

n=0 n=1

n=2 n=3

n=4 n=5

VDE ADE

A

X

X

-rgg,A

r

gg,X-rgg,X

Abb. 3.2: Schematische Darstellung des Photodetachmentprozesses im quantenmechanischen Modell. Die Übergangswahrscheinlichkeit vom vibronischen Grundzustand des An-ions X - in die vibronischen Anregungszustände des neutralen Teilchens im elektro-nische Grund- X und ersten Anregungszustand A ist proportional zum Überlapp der beteiligten Wellenfunktionen. Die kinetische Energie des Elektrons ist die Differenz zwischen Photonenenergie und Anregungsenergie.

36 3 Methoden und Modelle dem elektronischen Grundzustand X und einem angeregten Zustand A des neut-ralen Teilchens entsprechen. Auf der Ordinate ist die Gesamtenergie der Zu-stände aufgetragen, während die Abszisse eine generalisierte Abstands-Koordi-nate darstellt – in der Literatur findet man auch den Ausdruck Reaktionskoordi-nate. Für ein Dimer entspricht diese Reaktionskoordinate dem Abstand beider Atomkerne voneinander. Die Form der Potentialkurven stimmt mit der eines anharmonischen Oszillators überein. Da es sich demzufolge bei den betrachte-ten Teilchen um anharmonische Oszillatoren handelt, können diese verschie-dene Vibrationszustände annehmen. Die Quantenmechanik liefert für jeden Schwingungszustand die entsprechende Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte

|ψ|2 der Kerne, mit ψ als Kernschwingungsfunktion. In Abb. 3.2 sind die Be-tragsquadrate dieser Funktionen jeweils für die einzelnen Vibrationszustände n eingezeichnet. Die Kerne halten sich mit größter Wahrscheinlichkeit in einer Entfernung voneinander auf, die durch die Maxima von |ψ|2 gegeben ist. Bis auf die Grundzustände für n = 0 ist die Bewegung der Kerne, so wie man sie sich im klassischen Sinne vorstellt. Sie halten sich nämlich am längsten im Be-reich der Umkehrpunkte auf. Man sieht das im Graphen daran, dass sich die Maxima von |ψ|2 bei den Schnittpunkten zwischen Schwingungsniveau und Potentialkurve befinden. Lediglich in den Grundzuständen für n = 0 sagt die Quantentheorie die größte Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Zentrum des tiefsten Schwingungsniveaus voraus, also beim Gleichgewichtsabstand rgg.

Für die Übergänge zwischen den elektronischen Zuständen (X-→X bzw.

X-→A) gibt es keine strengen Auswahlregeln. Vielmehr gehorchen sie Regeln, die aus dem Franck-Condon-Prinzip abgeleitet sind [131]. Wie oben angeführt, startet der elektronische Übergang aus dem elektronischen und vibronischen Grundzustand des Anions (X-, n = 0), und zwar aus dem Maximum von |ψ|2 (siehe Abb. 3.2). Unter Berücksichtigung der Born-Oppenheimer-Näherung werden sich während des elektronischen Übergangs Lage und Geschwindigkeit der Kern-Koordinaten nicht erheblich ändern. Der Übergang wird demgemäß durch einen senkrechten Pfeil nach oben, parallel zur Ordinate dargestellt. Er erfolgt unter Erhaltung der Kernabstände mit höchster Wahrscheinlichkeit in einen Schwingungszustand des neutralen Teilchens, dessen Funktion |ψ|2 ein Maximum hat und demnach die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Kerne am größten ist. Abb. 3.2 zeigt den wahrscheinlichsten Übergang in den Schwin-gungszustand n = 2 des elektronischen Grundzustandes des neutralen Teilchens X. Wegen der endlichen Breite der Wahrscheinlichkeitsbereiche erhält man auch Übergänge zu benachbarten Schwingungsniveaus, deren Übergangswahr-scheinlichkeit jedoch geringer ist. Dies spiegelt sich in der schwächer

ausge-prägten Intensität der Linien im Photoelektronenspektrum wider. Die so erhal-tene Linienprogression wird „Cold Band“ genannt. Startet hingegen der elektro-nische Übergang nicht aus dem vibroelektro-nischen Grundzustand des Anions, son-dern aus einem höheren (X-, n ≠ 0), meist dem nächst höheren Schwingungszu-stand, tauchen im Photoelektronenspektrum auch bei niedrigeren Bindungs-energien Schwingungsbanden auf, die so genannten „Hot Bands“. Schaffen es demnach die Anionen nach ihrer Erzeugung nicht in ihren vibronischen Grund-zustand zu relaxieren, bevor sie mit den Photonen wechselwirken, beobachtet

E

kin

E

E

bind

n=0 n=1 n=0

n=1 n=2 n=3 n=4

X

X

-dE

dE

“hot band”

“cold band”

dE

Reaktionskoordinate

Gesamtenergie

dE

Abb. 3.3: Schematische Darstellung des Auftretens von „Hot Bands“ im Photoelektronen-spektrum. Sie erscheinen, wenn das mit dem Photon wechselwirkende Anion beim Photodetachment nicht im vibronischen Grundzustand ist. Dann startet der Übergang aus dem ersten angeregten vibronischen Zustand n = 1, der um dE energetisch tiefer liegt als der Grundzustand n = 0.

38 3 Methoden und Modelle man im Photoelektronenspektrum neben „Cold Bands“ auch „Hot Bands“, wie in Abb. 3.3 angedeutet ist.

Quantentheoretisch lassen sich die Übergangswahrscheinlichkeiten und damit die Linienintensitäten mit dem Franck-Condon-Integral berechnen:

( ) ( )

nx Kerne x

n R R dV

ψ =0, ψ , (3.2)

Dieses Integral quantifiziert die Überlappung der Kernschwingungsfunktion des elektronischen Grundzustands des Anions ψn=0, X-(R) mit der Kernschwingungs-funktion des elektronischen Grundzustands des neutralen Teilchens ψn, X(R), indem das Skalarprodukt beider Funktionen über das gesamte Teilchenvolumen integriert wird. Der Vektor R entspricht dabei den Kernkoordinaten. Für Übergänge in die elektronisch angeregten Zustände des neutralen Teilchens A ersetzt man den zweiten Faktor im Skalarprodukt durch die entsprechende Kernschwingfunktion ψn, A(R). Für die einzelnen Übergänge gilt, je größer der Betrag des Integrals, desto wahrscheinlicher ist der Übergang und damit umso intensiver die beobachtete Linie im Photoelektronenspektrum.

In Abb. 3.2 haben die Gleichgewichtsabstände rgg, X-, rgg, X und rgg, A unter-schiedliche Werte auf der Reaktionskoordinate. Hier wird angenommen, dass im vibronischen und elektronischen Grundzustand das neutrale Teilchen X ge-genüber seinem Anion X- kleinere Kernabstände und damit stärkere Bindungen hat, wohingegen das elektronisch angeregte neutrale Teilchen A, verglichen mit den anderen beiden Zuständen, einen größeren Kernabstand bzw. eine schwä-chere Bindung aufweist. Die hier gezeigte Relation zwischen den einzelnen Gleichgewichtabständen soll nur zur Veranschaulichung dienen. Sie kann von Teilchen zu Teilchen verschieden sein. Dabei ist es etwa entscheidend, aus wel-cher Art Orbital das freigesetzte Elektron kommt, beziehungsweise welche Art von Orbital das angeregte Elektron besetzt – wenn man sich vor Augen hält, dass die Valenzorbitale bindenden, nichtbindenden oder antibindenden Cha-rakter haben können.

Da sich die Geometrie des Teilchens während des schnellen Detachment-prozesses kaum ändert, wird man bei Teilchen mit unterschiedlichen Gleichge-wichtsabständen nicht die erwünschte adiabatische Detachmentenergie (ADE) messen, sondern die vertikale Detachmentenergie (VDE) des Teilchens, wie in Abb. 3.2 eingezeichnet. Die ADE ist definiert durch den elektronischen Über-gang vom vibronischen Grundzustand des Anions in den vibronischen

Grund-zustand des neutralen Teilchens. Nur bei genau übereinander liegenden Potenti-alkurven entspricht die vertikale der adiabatische Detachmentenergie.

Abb. 3.4: Schematisches Beispiel eines Photoelektronenspektrums a) bei identischem Gleichge-wichtsabstand im Ausgangs- und Endzustand des spektroskopierten Teilchens und b) bei derart unterschiedlichem Gleichgewichtsabstand, dass er zu einem Übergang in die Nähe der Dissoziationsgrenze (rot) führt.

Wie sich die Gleichgewichtsabstände der einzelnen Zustände zueinander verhalten, lässt sich aus der Intensitätsverteilung der zugehörigen Schwingungs-banden interpretieren. Die in Abb. 3.2 gezeigte Bande ist nur eine von drei cha-rakteristischen Progressionen, die man in Photoelektronenspektren finden kann.

Hier unterscheiden sich die Gleichgewichtsabstände voneinander. Der in beiden Fällen wahrscheinlichste Übergang ist der in den Schwingungszustand n = 2.

Im Photoelektronenspektrum liefert das die jeweils intensivste Linie in der je-weiligen Bande. Die Linien links und rechts von den Hauptlinien, werden mit zunehmendem Abstand zu n = 2 immer schwächer. Gibt es zwischen Anfangs- und Endzustand keinen Unterschied in den Gleichgewichtsabständen, ist der Übergang vom Schwingungsgrundzustand des Anions zu dem des neutralen Teilchens am wahrscheinlichsten und somit die dazugehörige Linie im

Photo-Reaktionskoordinate

Gesamtenergie

40 3 Methoden und Modelle elektronenspektrum am stärksten. Da es sowohl im Anfangs- als auch im End-zustand keine Schwingungszustände gibt, die energetisch tiefer liegen, kann die Progression nur zu geringeren kinetischen Energien hin beobachtet werden, wie in Abb. 3.4 a) zu sehen ist. Auch hier nehmen die Intensitäten wegen der schwindenden Übergangswahrscheinlichkeiten weiter ab. In Abb. 3.4 b) ist der Fall dargestellt, bei dem die Gleichgewichtsabstände von Anfangs- und Endzu-stand soweit auseinander liegen, dass der senkrechte Übergang in einen Schwingungszustand in die Nähe der Dissoziationsgrenze führt. Diejenigen Vibrationsniveaus, die vom Übergang noch erfasst werden und unterhalb der Dissoziationsenergie liegen, liefern im Photoelektronenspektrum, wie erwartet, eine zu größeren kinetischen Energien hin abnehmende Progression diskreter Linien. Da aber die Schwingungsniveaus beim anharmonischen Oszillator be-kanntermaßen in Richtung Dissoziationsgrenze immer dichter zusammenrü-cken, wird man in der Regel die obersten Schwingungsniveaus im Photoelekt-ronenspektrum nicht auflösen können. Oberhalb der Dissoziationsenergie gibt es keine diskreten Schwingungszustände mehr, hier beginnt ein kontinuierlicher Energiebereich. Auch ein Teil dieses Bereiches wird vom Übergang erfasst.

Wiederum abgebildet auf das Photoelektronenspektrum, ergibt sich hieraus ein zu kleineren kinetischen Energien hin schwindender Intensitätshaufen ohne Überstruktur. Demgemäß sieht man in Abb. 3.4 b), dass die diskreten Linien in Richtung kleinerer kinetischer Energien immer weiter zusammenlaufen, bis sie nicht mehr aufgelöst werden. Ab der Dissoziationsgrenze gehen die Linien oh-nehin in ein Kontinuum über.

Ist der Unterschied der Gleichgewichtsabstände so groß, dass es zu einem senkrechten nichtquantisierten Übergang direkt in den kontinuierlichen Ener-giebereich kommt, dissoziiert das Teilchen infolge des Detachmentprozesses unmittelbar. Das Photoelektronenspektrum zeigt dann ein strukturloses breites Intensitätsmaximum, wie in Abb. 3.5 a) angedeutet ist. Bei diesem Fall von Dissoziation geht man davon aus, dass beide elektronischen Zustände zwischen denen sich der Übergang vollzieht, von bindendem Charakter sind. Dissoziation erfolgt natürlich auch, wenn der Endzustand der elektronischen Anregung nicht wie in den Fällen bisher bindend, sondern nichtbindend oder gar antibindend ist (siehe Abb. 3.5 b)). Solch ein Zustand hat keine diskreten Schwingungszu-stände, sondern weist nur ein Dissoziationskontinuum auf. Das entsprechende Photoelektronenspektrum ist mit dem aus Abb. 3.5 a) vergleichbar. Im Folgen-den soll auf einen speziellen Fall von Dissoziation, die Prädissoziation, einge-gangen werden, weil sie in vorliegender Arbeit für die WN2--Cluster beobach-tet wird (siehe Kapitel 5.3).

Die Prädissoziation ist definiert durch einen im Endzustand des Detach-mentprozesses strahlungslosen Übergang des mit dem Photon wechselwirken-den Teilchens. Er erfolgt aus einem diskreten Vibrationszustand eines binwechselwirken-den- binden-den Elektronenzustandes in das Dissoziationskontinuum eines anderen Elektro-nenzustandes. Damit dies geschehen kann, müssen sich die für den elektroni-schen Übergang in Frage kommenden Potentialkurven kreuzen, beispielsweise der elektronische Grundzustand des neutralen Teilchens X mit dem ersten ange-regten Zustand A. Man kann sich das anhand von Abb. 3.6 a) verdeutlichen.

Wie bisher, erfolgt aus dem elektronischen und vibronischen Grundzustand des Anions X- eine Anregung in den elektronischen Grundzustand des neutralen Teilchens. In Abb. 3.6 a) sind die Gleichgewichtsabstände so gewählt, dass der senkrechte Übergang auch den Kreuzungspunkt der Potentialkurven von X und A erfasst. Unterhalb des Kreuzungspunktes sind die Übergänge quantisiert, was sich in den diskreten Linien im Photoelektronenspektrum widerspiegelt. In der

Ekin E

Ebind

n=0 n=1

X

X

-a) b)

Ekin E

Ebind X

-n=0 n=1 n=0

n=1 n=2

n=3

Reaktionskoordinate

Gesamtenergie

Abb. 3.5: Schematische Darstellung des Photoelektronenspektrums bei Dissoziation des Teil-chens infolge des Detachmentprozesses. In a) sind die Gleichgewichtsabstände soweit auseinander, dass der Übergang direkt ins Dissoziationskontinuum führt. In b) ist der Endzustand ein antibindender Zustand.

42 3 Methoden und Modelle

Nähe des Kreuzungspunktes hat das Teilchen die Möglichkeit, in einem strah-lungslosen Übergang vom elektronischen Zustand X in den elektronischen Zu-stand A zu wechseln. Dieser zeichnet sich gegenüber dem ZuZu-stand X unter an-derem dadurch aus, dass er eine energetisch tiefer liegendere Dissoziati-onsgrenze hat und damit die Möglichkeit einer Dissoziation bei geringeren An-regungsenergien als im Zustand X besteht. Die Wahrscheinlichkeit für einen solchen strahlungslosen Übergang wird wiederum durch das Franck-Condon-Prinzip bestimmt. Da die Potentialkurven für höhere Schwingungsquanten in guter Näherung die Aufenthaltskoordinaten der Kerne beschreiben, ist am Kreuzungspunkt beider Kurven dieser Übergang nicht mit einer Geometrieän-derung verbunden. Da es sich hier um einen strahlungslosen Übergang handelt, da Energie weder absorbiert noch emittiert wird, ändert sich die Gesamtenergie des Teilchens während des Überganges nicht. Insgesamt kann so die größte Übergangswahrscheinlichkeit am Kreuzungspunkt beider Potentialkurven er-klärt werden. Wegen der Möglichkeit eines Überganges von X nach A wird die

Nähe des Kreuzungspunktes hat das Teilchen die Möglichkeit, in einem strah-lungslosen Übergang vom elektronischen Zustand X in den elektronischen Zu-stand A zu wechseln. Dieser zeichnet sich gegenüber dem ZuZu-stand X unter an-derem dadurch aus, dass er eine energetisch tiefer liegendere Dissoziati-onsgrenze hat und damit die Möglichkeit einer Dissoziation bei geringeren An-regungsenergien als im Zustand X besteht. Die Wahrscheinlichkeit für einen solchen strahlungslosen Übergang wird wiederum durch das Franck-Condon-Prinzip bestimmt. Da die Potentialkurven für höhere Schwingungsquanten in guter Näherung die Aufenthaltskoordinaten der Kerne beschreiben, ist am Kreuzungspunkt beider Kurven dieser Übergang nicht mit einer Geometrieän-derung verbunden. Da es sich hier um einen strahlungslosen Übergang handelt, da Energie weder absorbiert noch emittiert wird, ändert sich die Gesamtenergie des Teilchens während des Überganges nicht. Insgesamt kann so die größte Übergangswahrscheinlichkeit am Kreuzungspunkt beider Potentialkurven er-klärt werden. Wegen der Möglichkeit eines Überganges von X nach A wird die