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5. Interpretation und Diskussion

5.4 Einflussfaktoren auf den Beckenboden bei vaginaler Geburt

Gerade Primiparae berichten über einen höheren Grad an Ängstlichkeit während der Geburt als Mehrgebärende (Alehagen 2001). Im Hinblick auf Verbesserung des In-formationsstandes und Vermittlung von Angstbewältigungsstrategien durch den Ge-burtsvorbereitungskurs überrascht deshalb das Ergebnis in dieser Studie. Denn ge-rade Vorbereitungskurse nach Read oder Lamaze bzw. Methoden des autogenen Trainings können zu einer Geburtserleichterung führen (Holzgreve u. Louwen 1994).

5.4 Einflussfaktoren auf den Beckenboden bei vaginaler Geburt

Die vaginale Geburt kann nicht nur morphologische sondern auch funktionelle Ver-änderungen am Beckenboden hervorrufen. Die Folgen verspüren die betroffenen Mütter in unterschiedlich starkem Ausmaß.

Die Episiotomie stellt die häufigste geburtshilfliche Operation dar. Die Häufigkeitsrate des Dammschnittes reicht heute in Deutschland von weniger als 10% bis zu 99%, wobei die Anwendung bei Primipara fast doppelt so oft vorgenommen wird als bei Mehrgebärenden (Sleep 1984, Hirsch 1989). Dem Dammschnitt wurden eine Viel-zahl von Vorteilen zugeschrieben, jedoch sind Viel-zahlreiche davon widerlegt worden.

Die Episiotomie erzielt keine Reduktion höhergradiger Damm- oder Scheidenrisse.

Es zeigt sich keine bessere Wundheilung nach Dammschnitt als nach spontanem Riß. Eine geburtsbedingte Beckenbodenschädigung mit nachfolgender Harninkonti-nenz, Analinkontinenz oder Deszensus genitalis lassen sich durch einen Damm-schnitt nicht vermeiden. Eher wird der Episiotomie ein negativer Effekt zugeschrie-ben. Gerade höhergradige Dammverletzungen sind nach einer Episiotomie häufiger als ohne Dammschnitt (Smith 1993, Skoner 1994, Handa 1996, Groutz 1999, Anthu-ber 2000, Dannecker 2000).

Erstgebärende dieser Studie erhielten in 86,4% der Fälle (n=482) eine Episiotomie, während der Damm bei den restlichen Frauen intakt blieb (n=76/13,6%).

Die befragten Primiparae aus der Episiotomiegruppe waren durchschnittlich wie auch in anderen Studienbefragungen (Signorello 2000, Franz 1999) signifikant älter als die erstgebärenden Frauen mit intaktem Damm (28,66 Jahre vs. 24,66 Jahre).

Primiparae aus der Episiotomiegruppe, die postpartal über Schmerzen beim Ge-schlechtsverkehr klagten, waren jedoch im Durchschnitt signifikant jünger. Es wird beschrieben, dass Dyspareunien häufiger bei Erstgebärenden auftreten – insbeson-dere bei älteren Erstgebärenden (Hirsch 1989). Im Unterschied zu den Literaturan-gaben lagen die Ergebnisse für Dyspareunie bei Primiparae in dieser Studie deutlich unter den Vergleichswerten für episiotomierte Frauen (Bex 1987, Rageth 1989).

Es wird berichtet, dass Primiparae mit intaktem Damm nach vaginaler Geburt deut-lich weniger über Dyspareunie klagen als episiotomierte Patientinnen. Allerdings zeigte sich in dieser Studie für die Patientinnen, deren Damm postpartal intakt blieb, ein gegenteiliges Ergebnis. Nicht nur bei Erstgebärenden, sondern auch bei Mehrge-bärenden stellt die Dyspareunie ein häufiges Problem dar. Darüberhinaus kann die Schmerzsymptomatik über mehrere Monate persistieren (Wenderlein 1983, Goetsch 1999).

Schmerzen nach Episiotomie können ein Grund dafür sein, warum Frauen mit Dammschnitt durchschnittlich später den ersten postpartalen Geschlechtsverkehr haben als Frauen mit intaktem Damm. Angaben über den Zeitpunkt des ersten post-partalen Geschlechtsverkehrs zeigten jedoch keinen, wie auch im Vergleich mit den Ergebnissen von Klein, signifikanten Unterschied zwischen den Patientinnen mit Epi-siotomie und postpartal intaktem Damm. Die Patientinnen, deren Damm nicht ge-schnitten wurde, hatten allerdings ungefähr eine Woche früher wieder Geschlechts-verkehr als die Vergleichsgruppe mit Episiotomie (Klein 1992, Franz 1999).

Gerade die episiotomierten und durchschnittlich älteren Patientinnen, klagten signifi-kant häufiger postpartal über hämorrhagische Beschwerden, als die restlichen Primi-parae dieser Gruppe. In dieser Studie lag jedoch der prozentuale Anteil der an Hä-morrhoiden leidenden Erstgebärenden unter dem aus der Literatur ersichtlichen Da-ten (24,8% vs. 32,7%, Cottrell 1986).

Besonders die Frauen litten postpartal unter Hämorrhoiden, deren Kinder bei Geburt signifikant schwerer und länger waren und einen größeren Kopfumfang hatten.

Auch Primiparae mit Dammschnitt klagten signifikant häufiger über Hämorrhoiden, wenn bei ihnen während des Spontanpartus eine verlängerte Eröffnungs- und Press-periode vorlag. Aber auch bei verlängerten PressPress-perioden, die durch Foceps- oder Vakuumextraktion beendet wurden, kam es zu einer signifikanten Zunahme von Hä-morrhoidenleiden.

Hämorrhoidalleiden treten häufig im letzten Trimester der Schwangerschaft und be-sonders direkt nach vaginaler Geburt auf und persistieren mitunter über den Zeit-raum der ersten sechs Wochen postpartal (Benzi 1992, Gjerdingen 1993, Saurel-Cubizolles 2000).

Ätiologisch werden für die Erweiterung des arteriovenösen Plexus hämorrhoidalis nicht nur chronische Obstipation und Pressen beim Stuhlgang, sondern auch die Pressphase unter der Geburt beschrieben (Kossat 1996). Welchen Stellenwert der Kopfumfang oder auch das Gewicht des Kindes bei Geburt und die Entbindungsart (Extraktion) hinsichtlich des Hämorrhoidenleidens dabei spielen, kann allein durch die Ergebnisse dieser Studie nicht dargestellt werden. Angaben konnten darüber in der Literatur nicht gefunden werden.

Es ist jedoch zu diskutieren, ob durch einen größeren Kopfumfang oder das Einlegen der Löffel bei der Forcepsextraktion eine Vergrößerung der Circumferenz im Ge-burtskanal entsteht - als Folge wahrscheinlich ein verstärkter Druck und zunehmende Dehnung im Analbereich resultieren und verstärkt durch eine längere Zeitspanne des Geschehens, bei z.B. verlängerter Pressphase, somit ein Hämorrhoidalleiden entste-hen kann.

Es trat signifikant häufiger ein Hämorrhoidalleiden bei den sportlichen, episiotomier-ten Frauen auf, als bei nichtsportlichen Patientinnen dieser Studie. Diese Tatsache ist möglicherweise dadurch zu erklären, dass durch die sportliche Aktivität die Bauchmuskulatur kräftiger ist, so dass bei der Pressperiode eine stärkere Kraft und somit auch Druck auf die Analregion ausgeübt werden kann.

Um womöglich diesem Leiden entgegenzuwirken, übten gerade die betroffenen sportlichen Primiparae häufiger Rückbildungsgymnastik aus, als die nicht sportlichen Erstgebärenden. Unter Umständen ist dies darauf zurückzuführen, dass besonders die körperlich aktiveren Frauen motivierter waren und sich eine besserer Erfolgsaus-sicht versprachen.

Die episiotomierten Frauen waren im Durchschnitt um 3,1 cm signifikant länger als die Patientinnen aus der Vergleichsgruppe (168,2 cm vs. 165,1 cm). Zwar wiesen die Primiparae mit Dammschnitt auch ein durchschnittlich um 3,16 kg höheres Körper-gewicht auf als die Erstgebärenden mit intaktem Damm (64,83 kg vs. 61,67 kg), je-doch zeigte sich nach Ermittlung des Body-Mass-Index keine Signifikanz. Bei den Patientinnen dieser Studie lag nach Bestimmung des Body-Mass-Index zur Klassifi-zierung der Adipositas durchschnittlich kein Übergewicht vor.

Das Geburtsgewicht für die Kinder aus der Episiotomiegruppe war mit 292 Gramm signifikant höher als bei den Säuglingen aus der Vergleichsgruppe (3327 g vs. 3035 g). In anderen Studien hatten die Kinder episiotomierter Primiparae auch ein höheres Geburtsgewicht als in der Gruppe mit intaktem Damm - jedoch waren die Ergebnisse nicht signifikant (Franz 1999, Signorello 2000). Der kindliche Kopfumfang bei Geburt war wie auch in Vergleichsstudien in der Episiotomiegruppe größer ( 34,63 cm vs.

34,26 cm) als in der Gruppe mit postpartal intaktem Damm (Franz 1999), jedoch zeigte das Ergebnis hier keinen signifikanten Unterschied.

Diskutiert wird in diesem Zusammenhang, dass die Kombination von Episiotomie und einem kindlichem Geburtsgewicht über 3500g (Schüßler 1992), bzw. über 4000 g (Hojberg 1999) das Risiko für eine Harninkontinenz erhöht.

Die Dauer der Wehentätigkeit wird unterteilt in den Zeitraum der Eröffnungs- und Austreibungsperiode. Die Eröffnungsperiode bei Primiparae dauert durchschnittlich 7-12 Stunden - die Austreibungsperiode durchschnittlich 30-40 min, wobei die Press-phase bei Primipara bis 30 min. beanspruchen kann (Steller 1992, Pschyrembel 1994, Uhl 1997).

Die Ergebnisse für die Dauer der Wehentätigkeit in dieser Studie stimmten mit den Literaturhinweisen überein, zeigten jedoch einen signifikanten Unterschied zwischen den Patientinnen mit Episiotomie und postpartal intaktem Damm. Die Frauen mit Dammschnitt hatten eine um 1,74 Stunden längere Eröffnungs- und eine um 4 min.

längere Pressphase als die Patientinnen ohne Dammschnitt.

Auch in der Studie von Franz (1999) konnte für Erstgebärende mit Episiotomie im Vergleich mit Frauen mit postpartal intaktem Damm eine verlängerte Eröffnungs- und Austreibungsperiode nachgewiesen werden. Die Unterschiede waren jedoch nicht signifikant. Anthuber (2000) berichtet, dass eine protrahierte Austreibungsphase und ein Kindsgewicht von mehr als 4000 g besondere Risikofaktoren darstellen, den N.

pudendus und damit auch die Innervation der Beckenbodenmuskulatur zu schädi-gen, so dass nach Allen (1990) nur durch die Verkürzung der Pressperiode das Ausmaß der Nervenschädigung beeinflusst werden kann.

Schmerzen unter der Geburt werden unterschiedlich stark empfunden. Schmerzaus-lösende Faktoren sind dabei Wehen, die zervikale Dehnung und die Dehnung im Be-reich des Beckenbodens und der Vagina (Uhl 1997). In dieser Studie hatten die Pati-entinnen die Möglichkeit zwischen vier Kategorien der Schmerzintensität „gering“,

„mäßig“, „stark“ und „sehr stark“ zu wählen. Die meisten Primiparae, sowohl aus der Episiotomie- als auch aus der Vergleichsgruppe mit intaktem Damm, gaben ihre Schmerzen bei Geburt als „stark“ an.

Eine z.B. wehenschmerzbedingte Hyperventilation der Mutter kann zur Alkalose und Reduktion der uteroplazentaren Durchblutung führen. Deshalb ist es von Vorteil, den Geburtsschmerz zu mindern. Damit kann der gebärenden Frau die Angst und dadurch entstehende Verkrampfung während der Geburt genommen und die Gefahr für das Kind reduziert werden.

Schmerzlindernde oder –lösende Methoden wie die Peridualanästhesie oder Gabe von Analgetika, Akupunktur, Homöopathie oder ein Wannenbad sind weit verbreitete und etablierte Praktiken in der Geburtshilfe, jedoch tritt auch immer mehr die Musik und Massage des Damms zur Geburtserleichterung in den Vordergrund. Zwar zeigen die Ergebnisse, dass die perineale Massage unter der Geburt zu einer geringeren Rate von Dammrissen dritten Grades führt, allerdings nicht zur Minderung von Ge-burtsschmerzen, einer Steigerung von intakten Dämmen oder einer Senkung der Harn- oder Stuhlinkontinenzrate (Browning 2000, Stamp 2001).

Nur eine geringe Anzahl (3,8%) von Frauen dieser Studie klagten postpartal über unwillkürlichen Stuhl – oder Windabgang, während in einer Vergleichsstudie von Signorello (2000) der Prozentsatz wesentlich höher lag. Eine Flatusinkontinenz wur-de dort bei Primiparae mit Episiotomie drei Monate postpartal in 33,7% beschrieben, wobei 10% der episiotomierten Frauen unwillkürlichen Abgang sowohl von Luft als auch von Stuhl hatten. Eine Insuffizienz des Sphinkters mit Flatusinkontinenz wurde bei Frauen mit intaktem Damm drei Monate nach Geburt in 20% und sechs Monate postpartal in 10-13% der Fälle beobachtet.

In der systematischen Übersicht von Schlömer und Groß wurde die Chance, eine Stuhlinkontinenz bei einer Episiotomie zu entwickeln, mit einem dreifach erhöhten Risiko angegeben (Schlömer 2003).

Nach der postpartalen Harninkontinenz stellt eine neu aufgetretene Flatusinkontinenz die häufigste Kontinenzeinschränkung dar. Bereits die erste vaginale Geburt kann okkulte Sphinkterläsionen setzen (Franz 1999). Durch die vaginale Geburt kommt es mehr oder weniger zur Aufdehnung des Geburtskanals, was zur Dehnung des ana-len Sphinkterapparartes und Auswalzung des muskulären Beckenbodens führt. Der N. pudendus kann dabei kurz- oder langfristig geschädigt werden (Anthuber 2000).