• Keine Ergebnisse gefunden

Ein Kooperationsprojekt, unterschiedliche Kooperationsorientierungen

„Alphabetisierung im Stadtteil“ einer städtischen Volkshochschule

2. Ein Kooperationsprojekt, unterschiedliche Kooperationsorientierungen

methodologisch abgesicherte institutionsbezogene Orientierungen über die der einzelnen Expert_innen hinaus für eine komparative Analyse der Koope-rationsorientierungen zugänglich gemacht.

2. Ein Kooperationsprojekt, unterschiedliche Kooperationsorientierungen

Insgesamt haben wir es mit fünf Einrichtungen2 und institutionsbezogenen Orientierungen zu tun. Die Ergebnisse zeigen, dass der Dreh- und Angel-punkt des Projektes die Kooperation selbst ist, nicht das Projekt „Schreib-stube“ bzw. die Grundbildungsarbeit. Auf der kommunikativen Ebene be-werten die Interviewten das Projekt als positiv und die Idee des Stadtteilbe-zugs als interessant. Die geringe Nutzung des Angebots verunsichert, wird allerdings von den Interviewten überwiegend in wohlmeinende Optimie-rungsvorschläge gewendet: Verbesserungswürdig sei die aktive Rolle der VHS als Projektträger, insbesondere müsse kontinuierlich über Stand und Entwicklung des Projektes informiert sowie Kontakt zu den Kooperations-partnern gehalten werden. Ausbaufähig seien die Öffentlichkeitsarbeit, die Ansprache der Zielgruppe sowie die Bewerbung der Schreibstube. Jenseits dieser grundsätzlich positiv konnotierten Bekundungen und Optimierungs-ideen zeigen sich Orientierungen, die die Kooperation in grundsätzlicher Weise formen bzw. zur Konstituierung einer Kooperationskultur beitragen und die die Bemühungen zur Verwirklichung der gewollten Lernkultur ge-wissermaßen unterlaufen bzw. eingrenzen.

2.1 Analphabetismus: ein bedingt relevantes Thema bei den Kooperationspartnern

Es fällt zunächst auf, dass Analphabetismus (und auch Alphabetisierung) bei den Kooperationspartnern der VHS erst im Rahmen des Kooperationspro-jektes ein Thema wurde. Die Bilder, die sich die Kooperationspartner von Analphabet_innen und Analphabetismus machen, sind aus der öffentlichen Debatte gespeist und von habituellen Orientierungen geformt. Hinzu kom-men vereinzelt Erfahrungen mit Personen, die in bestimmten Situationen vermuten lassen, nicht lesen und schreiben zu können. In einem Fall gibt eine Interviewpartnerin an, Analphabeten näher zu kennen. Speziell zum Thema Analphabetismus geschulte Personen gibt es in den Kooperationseinrichtun-gen nicht.

2 Die VHS als projektverantwortliche Institution kooperiert mit vier Einrichtungen aus dem Bereich der sozialen Arbeit.

Lernkulturen im Spannungsfeld von Institutionenkulturen 45

Wir haben es nicht mit professionellen Expertenverständnissen zu tun, sondern vielmehr mit Orientierungen von Personen, die als Expert_innen zu einem Thema angesprochen werden, für welches sie keine Expert_innen sind.

Einziges Kriterium für die Auswahl der Einrichtungen ist deren institutio-nelles Selbstverständnis als soziale Dienstleister, in deren Klientel auch jene vermutet werden, die selbst zur Gruppe der Analphabet_innen gehören oder aber Analphabet_innen kennen. Da Analphabetismus und Alphabetisierung erst über das Projekt relevant wurde, möchten wir von projektbedingter Relevanz sprechen. Die bedingte Relevanz der Kooperationspartner rahmt die Zusammenarbeit mit der Volkshochschule in der Weise, als dass das Projekt in das eigene Angebot mit aufgenommen und bekannt gemacht wird und für die zur Verfügung gestellten Räume Mieteinnahmen zu verzeichnen sind – nicht mehr und nicht weniger. Als zentrales Charakteristikum zeigt sie sich zugleich in den institutionenbezogenen Orientierungen der interviewten Kooperationspartner in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen.

2.2 Sicherung und Behauptung der eigenen Angebote und Position: „für unsere Herangehensweise […] zu werben“

Für die Volkshochschule selbst dokumentiert sich eine Orientierung, wonach es um die Sicherung und Behauptung der eigenen Angebote und Position im Feld der Erwachsenengrundbildung geht. Konzeptionell wird die Schreib-stube als Schulalternative betont – „der funktionale Analphabet geht nicht wirklich gern zurück in die Schule“. Jedoch verliert dieses Argument in der Praxis an Gewicht. So äußert die Projektkoordinatorin die Hoffnung, über die stadtteilbezogene Arbeit Teilnehmer_innen für die herkömmlichen Grundbil-dungskurse der VHS zu gewinnen.

„Das ist ja auch ein Hintergedanke vielleicht, dass es doch einige gibt, die wenn sie den ersten Schritt gemacht haben und dann in unsere Schreibstube vielleicht Vertrauen gefasst haben >…@ warum soll daraus nicht eine Gruppe hier wieder in der Schule wachsen?“ (Koordinatorin VHS).

Anders stellt sich die Funktion des Alphabetisierungsprojektes für den VHS-Leiter dar, für den es nicht nur darum geht, Öffentlichkeit herzustellen, Part-ner zu finden und davon zu überzeugen, wie sie vom Projekt profitieren kön-nen. Sein Interesse liegt in der Positionierung der eigenen Einrichtung im bundeslandspezifischen Feld der Erwachsenenbildung.

„meine Aufgabe ist es [dieses Projekt, Anm. d. Verf.] innerhalb der Volkshochschulen oder in der Erwachsenenbildungslandschaft in [Bun-desland] zu vertreten und da eben auch für unsere Herangehensweise […] zu werben“ (Leiter VHS).

46 Olaf Dörner / Christoph Damm

Es fällt auf, dass der Leiter die Erreichung der Zielgruppe kaum erwähnt.

Vielmehr werden Didaktik, Organisation, Steuerung, Werbung und Legiti-mation angesprochen. Es dokumentiert sich eine erfahrungsgesättigte Hal-tung, wonach die Erreichung bzw. Gewinnung der Zielgruppe nicht nur ein ungewisses Spiel ist – „Und das ist nach wie vor ungewiss, wie stark das Interesse daran sein kann >…@ wir brauchen sicherlich einen sehr sehr lan-gen Atem.“ –, sondern vor allem ein hoffnungsloses. Dies zeigt sich recht eindrucksvoll an Stellen im Interview, bei denen durch Lachen dem Gesagten die Ernsthaftigkeit genommen wird.

„was wir halt viel stärker machen müssen ist zu organisieren (lacht), dass die Angebote auch die Adressaten erreichen und dass die dann auch diese Angebote wahrnehmen“ (Leiter VHS).

Wenn sich nicht erklärt werden kann, warum etwas nicht funktioniert, dann wird auf gängige und akzeptierte Scheinlösungen verwiesen: Man muss eben besser und mehr organisieren.

Wir haben es mit einer Orientierung zu tun, bei der Alphabetisierungsar-beit zumindest nicht von der Überzeugung getragen wird, erfolgreich zu mehr Beteiligung an Grundbildungskursen zu führen. Einige Äußerungen des Leiters verweisen darauf, dass das Projekt auch als Möglichkeit gesehen wird, sich im Feld der Alphabetisierungsarbeit gegenüber jenen Einrichtun-gen zu behaupten, die im Rahmen von EU-Förderprogrammen dieses Feld neu betreten.

„Es gibt ein [Gremium] auf Landesebene wo wir zwar nicht direkt drin sind, aber wo eben auch zu diesem Thema ein Austausch erfolgt und da jetzt viele verschiedene Projekte laufen“ (Leiter VHS).

2.3 Hauptsache kooperieren: „das Projekt ist schon zu Ende, aber der Kontakt ist erst mal da“

Bei diesem Typus geht es vor allem um die Möglichkeit, mit der Volkshoch-schule überhaupt zu kooperieren, nicht aber um Alphabetisierungsarbeit. Für das beteiligte Altenservicezentrum ist die Volkshochschule wegen der Ziel-gruppe „Ältere Menschen“ von Interesse. „Die machen ja so verschiedene Kurse für Senioren“, so die Leiterin. Das Klientel-Motiv mag generell für solche Einrichtungen zutreffen, relevanter ist jedoch das Interesse, überhaupt mit der Volkshochschule zu kooperieren. Und zwar auch vor dem Hinter-grund der Einschätzung, dass die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen der Gemeinwesenarbeit, dem eigentlichen Bereich der Einrichtung, im Stadt-viertel insgesamt nachgelassen habe und schwieriger geworden sei.

Lernkulturen im Spannungsfeld von Institutionenkulturen 47 „Wir versuchen immer wieder >…@ mit verschiedenen Einrichtungen

Kontakt aufzubauen >…@ Es ist sehr schwer. Und irgendwann gibt man dann auch mal auf, wenn man merkt, es kommt nichts zurück, weil man auch keine Kraft mehr hat, ja. >…@ viele Einrichtungen sind auch einfach von ihren eigenen Aufgaben dermaßen zugeschossen, dass die den Kopf nicht wirklich frei haben für andere Sachen“ (Leiterin Altenservicezen-trum).

Die Projektkooperation mit der Volkshochschule als Bildungseinrichtung ist dann nicht nur hinsichtlich der Erweiterung eigener Angebote relevant, son-dern überhaupt als Möglichkeit bzw. erster Schritt zur Zusammenarbeit mit einer bereichsfremden Einrichtung, die wiederum die Position im eigenen Professionsfeld stärkt.

2.4 Institutionelle Handlungsexpansion: „Wir versuchen ja auch diesen Ansatz“

Hingegen geht es beim Typus Handlungsexpansion primär um Kooperation als Möglichkeit zur Erweiterung des eigenen Handlungsfeldes um den Be-reich Bildung. So möchte das beteiligte Familienzentrum seinen eigentlichen Aufgabenbereich Familienhilfe um den der Familienbildung erweitern. Das Problem Analphabetismus ist bekannt, wird aber als Randbereich der eigenen Arbeit gesehen, als Phänomen, mit dem man irgendwie umgehen muss, etwa durch Hilfen beim Ausfüllen von Formularen. Das Projekt der Volkshoch-schule ist insofern von Bedeutung, als dass die Einrichtung seit etwa zwei Jahren ein breites Spektrum von Veranstaltungen im Bereich Familienbil-dung anbietet – von der „Babymassage“ bis zum „Wohnen im Alter“. Ferner engagiert sie sich mit öffentlichen, familienpolitischen Diskussionsrunden.

Deutlich werden zwei Orientierungen: Die Expansionsorientierung ist kom-munikativ von einer Idee- und Programm-Solidarität (s.u.) gerahmt. Die

„Schreibstube“ wird als zusätzliches Bildungsangebot und zudem als passend zur eigenen Maxime verstanden, jene Menschen „niedrigschwellig“ anzu-sprechen, die gemeinhin als bildungsfern gelten.

„fanden die Idee sehr gut, an Orte zu gehen, wo es für für Betroffene ein-facher ist, vielleicht den Zugang zu finden, als die Volkshochschule >…@

Wir versuchen ja auch diesen Ansatz Familienbildung so zu gestalten

>…@, dass es Menschen nicht so schwer fällt, an Familienbildungsveran-staltungen teilzunehmen >…@ Das sind auch Menschen, die würden nie einen Kurs für Pädagogik in der Volkshochschule besuchen“ (Leiter Fa-milieneinrichtung).

48 Olaf Dörner / Christoph Damm

2.5 Programm-Solidarität vs. Projektskepsis: „Finde das Projekt sehr gut, aber …“

Beim Typ Programm-Solidarität vs. Projektskepsis ist die Kooperation bei aller Skepsis gegenüber dem Projektanliegen Ausdruck einer solidarischen Haltung gegenüber Bildungseinrichtungen, die sich um gesellschaftlich tabuisierte Gruppen bemühen und dafür neue Wege gehen. Begrüßt wird, dass die Volkshochschule sich mit ihrem Bildungsangebot „Schreibstube“ in die soziale Stadtteilarbeit bewegt. Damit würdige sie Sozialarbeit und jene Einrichtungen, die in diesem Bereich tätig sind. Wenn die Volkshochschule sagt, dass Alphabetisierungskurse aufgrund ihres Schulcharakters nur in geringem Maße von Analphabet_innen genutzt werden bzw. diese abschre-cken, dann wird anerkannt, dass sich die VHS davon nicht abhalten lässt, (a) weiterhin Alphabetisierungsarbeit zu leisten, also niemanden aufzugeben, und (b) neue Wege zu gehen.

„Dieser Ansatz jetzt mal aus dieser Volkshochschule aus dem Kurs raus zu gehen und zu sagen, wir gucken mal, dass wir das probieren, die Leute dazu animieren so was zu machen >…@ das ist schon mal ganz gut“

(Gruppediskussion Familieneinrichtung).

Letztlich sehe man sich am Projekt zwar beteiligt, für dessen Gelingen aber nicht verantwortlich. Im Gegenteil: Vom Gelingen ist man auch nicht über-zeugt. Ähnlich wie bei den Anonymen Alkoholiker_innen, die nur einen geringen Teil der trockenen Alkoholiker_innen ausmachten, würde man auch bei den Analphabet_innen immer nur wenige erreichen.

2.6 Kompetenz-Lob: „es gibt ja auch viele andere Einrichtungen, die man hätte fragen können“

Schließlich haben wir es beim Typ Kompetenz-Lob mit einer Orientierung darauf zu tun, wie die eigene Einrichtung im kommunalen Feld der sozialen Dienstleister und Bildungseinrichtungen wahrgenommen wird. Die Leiterin einer Wohlfahrtseinrichtung sieht sich durch die Kooperationsanfrage der Volkshochschule als kompetenter und wirklicher Partner ernstgenommen. Es dokumentiert sich eine auf Außenwahrnehmung orientierte Handlungsfacette, deren negativer Gegenhorizont schlimmstenfalls das Gefühl ist, von anderen Einrichtungen ignoriert zu werden. Im Falle der Ansprache sieht sie sich und ihre Einrichtung als Auserwählte unter anderen.

„Ich habe mich gefreut, also, dass Herr X uns als Partner raussucht und denkt, dass wir kompetente Partner sind für die Arbeit. >…@ Naja, es zeigt ja auch Vertrauen für die Zusammenarbeit und wir arbeiten ja auch beim Bereich Familienpaten auch zusammen und dann hat man das

Ge-Lernkulturen im Spannungsfeld von Institutionenkulturen 49

fühl, das bewährt sich. Man hat auf der Arbeitsebene einen guten Kon-takt und es gibt ja auch viele andere Einrichtungen, die man hätte fragen können, vielleicht >…@ Ich habe mich gefreut? (lacht) Ist ein gutes Ge-fühl.“ (Leiterin Wohlfahrtseinrichtung).

Auf eine Besonderheit im Vergleich zu den anderen Kooperationseinrichtun-gen möchten wir an dieser Stelle hinweisen: Wir haben es zudem mit einer Orientierung zu tun, deren Erfahrungsbasis ein Minimum an bewährter Praxis und Vertrauen in den Kooperationspartner VHS ist. Vertrauen und Bewäh-rung in diesem Fall kamen in einem Projekt zustande, in dem beide Einrich-tungen als teilnehmende Partner mitwirkten. Im Grundbildungsprojekt wirkt die VHS als leitender, die Wohlfahrtseinrichtung als teilnehmender Koope-rationspartner. Die Erwartungen der teilnehmenden an die leitende Einrich-tung sind deutlich auf VerantworEinrich-tung und Steuerung gerichtet, nicht auf Mitwirken im Rahmen der eigenen institutionellen Möglichkeiten. Insofern unterscheidet sich die Wohlfahrtseinrichtung von den anderen Einrichtungen in einem Punkt. Aufgrund der bewährten und vertrauten Zusammenarbeit in früherer Zeit werden die institutionellen Möglichkeiten nicht nur darauf begrenzt, Räume zur Verfügung zu stellen (für die man auch Miete nimmt) und als Multiplikator zu agieren, sondern auch auf inhaltlicher Ebene gese-hen. Es geht gewissermaßen darum, auch interprofessionell zusammen zu arbeiten, um dann nicht nur als kompetenter Partner angesprochen zu werden, sondern auch als wirklicher Partner.

„Aber da würde ich schon sagen, dass die Volkshochschule auch uns mehr in Anspruch nehmen könnte. Ich denke, die Zusammenarbeit ist so gut, dass sie sagen könnte: ‚Das und das haben wir vor. Könnt ihr euch in irgendeiner Form mit beteiligen?‘ […] Ist jetzt auch, wenn wir jetzt sa-gen, das ist ja jetzt nicht unsere Hauptbaustelle, aber wenn dann ein Part-ner, ein wirklicher Partner einen um Hilfe bittet, sagt man ja auch nicht nein. Wenn es jetzt nicht zwanzig Stunden sind oder so, aber ja, das was man machen kann, macht man schon.“ (Leiterin Wohlfahrtseinrichtung).